Der dunkle Punkt!

[42] Aus seinem Zimmer drangen dumpfe Geräusche. Anita erziterte – war es wegen des Disputes, ob man im Frühjahr nach dem Lido oder nur nach dem Taunus-Kurort reisen soll – oder wegen einer unvermutet ins Haus geschneiten Rechnung, oder – – Anita hörte mit wachsendem Entsetzen das Poltern und Rufen, das Schlagen von Türen, Wegrücken von Möbelstücken – oder – – war's gar wegen des täglichen Telephonierens von Bob? – wenn man nur wüßte – man würde ganz harmlos ins Zimmer zu tänzeln versuchen, ihn am Schopf nehmen, einen Kuß aufdrücken, und der Fall wäre – 10:1 – erledigt. Aber er hatte sich schon so zerstreut zurückgezogen und war kopfschüttelnd in sein sogenanntes Schlafgemach enteilt. Sie schlich sich ganz nah an die Tür, probierte, durchs Schlüsselloch zu äugen, und bekam einen entsetzlichen Schreck! »Mein Himmel, er ist übergeschnappt«, stöhnte sie voller Grauen und traute ihren Augen nicht: Peter kroch schnaufend auf der Erde, mit den Armen fuchtelnd, gräßliche Fluchworte ausstoßend, machte vor Schränken, Tischen, Kommoden und Bett halt, beugte dann hen Kopf zur Erde und blieb sekundenlang bewegungslos, dann ging[42] das tolle Kriechen von neuem los. Anita faßte sich ein Herz und klopfte. Er hörte nichts in seinem blinden Eifer – der Verzweiflung nahe, gab sie sich einen Ruck und – trat ein!


Der dunkle Punkt!

»Um Gottes willen, was ist geschehen, lag ein Mörder unterm Bett – hast du hundert Mark verloren – hast du zuviel von irgendeinem Mittel genommen – – aber rede bloß – sonst ist es zu spät ...«

Mit wirrem Haar, immer noch schnaufend, blickte Peter verstört zu seiner Frau und sagte mit tonloser Stimme: »Es ist schon zu spät – – das allerletzte Kragenknöpfchen ist verschwunden!«

Erleichtert sank Anita in einen Sessel: Also das! »Zum Geburtstag, zu Weihnachten und zu Ostern bekommst du von nun an zwanzig Dutzend Kragenknöpfchen geschenkt« –

Peter murrte: »Was nützen mir Geburtstag, Ostern, Weihnachten? In zehn Minuten sind wir zum Diner bei R.s eingeladen, und ich sitze ohne Kragenknöpfchen ...«

»Auch dem kann abgeholfen werden«, entgegnete sie begeisternd und stürzte aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten erschien sie, das ersehnte Knöpfchen in der Hand schwenkend: »Von meinem Reitkostüm – bedienen Sie sich, mein Herr.« Mißtrauisch drehte er das kleine Ding hin und her, ein Seufzer der Erlösung entfuhr seiner Brust, mit einem einzigen Sprung stand er vor dem Spiegel, und schon saß der Kragen fest.

Anita lächelte sich ins Fäustchen. »Nun, wie steht's mit der verhöhnten Vermännlichung der Frau, mein Guter?« fragte sie belustigt.

»Soweit sie sich auf Kragenknöpfchen bezieht, habe ich nichts mehr dagegen«, meinte schmunzelnd Peter.

»Und wie gedenkst du dich für die Rettung aus der Notlage zu revanchieren?« Quittierte Rechnungen, Kleider, Schmuck, Sommerreisen tanzten ein tolles Tohuwabohu vor ihren geistigen Augen ...

»Ich helfe dir gelegentlich mit meinen Strumpfbändern aus der Verlegenheit« – antwortete Peter, den Frack überziehend. –

Anita dachte aber voller Entrüstung: »Die stehle ich mir la sowieso!«[43]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 42-44.
Lizenz:
Kategorien: