Wie einst im Mai.

[66] »Gourmandise ist ein Zeichen von seinen Sinnen. Der Gourmet ist nichts weniger als ein Schlemmer. Er ist ein Eßkünstler. Ich kenne Leute, die in ihrem langen Fresserleben noch niemals den Genuß des Essens empfunden haben.« (Schaukal.)


Wie einst im Mai

Ich kenne sogar Leute, die behaupten, es wäre für einen Mann unwürdig, zu weibisch und oberflächlich, sich mit Dingen det Küche zu befassen. Dagegen spricht die jahrhundertelange Geschichte unsterblich gewordener Kulturvölker, die in allen Zeiten nicht nur durch Heldentaten mit dem Schwerte, sondern auch »mit dem Tranchiermesser« von sich reden gemacht haben.

Die Konstitution unserer Vorgänger muß, bei genauerer Betrachtung, einem weit mehr auf genießerische Belastungsproben eingestellten Training unterworfen gewesen sein als die der vielgelästerten »Untergangszeit des Abendlandes«! Die Gastmähler im alten Rom waren von einer Üppigkeit, die ihresgleichen sucht und die heute selbst einen Breitbart oder modernen Herkules zu Fall bringen würde.

Bedenken wir, daß beispielsweise bei einem »kleinen Lunch« eines reichen Hofbankiers zu Zeiten des Kaisers Tiberius, 14 n. Chr., veranstaltet auf der Villa Claudia, nachstehende Speisen im Laufe von vier Stunden aufgetischt und verzehrt werden konnten: 1. Marinierte Austern. 2. Indische Muscheln. 3. Suppe mit seltenen Wurzeln, Pilzen und schwimmendem Moos vom Pontus Euxinus. 4. Antilopenkoteletten und Pfauenbrüste. 5. Lerchenzungen (Nachtigallenzungen waren kaiserliches Vorrecht). 6. Jonische Attagen (eine Art Rebhuhn). 7. Tomakula (eine Wurst seltenster Mischung). 8. Forellen und Muränen aus den entferntesten Gewässern. Als Getränke servierte man Caeruber Falerner und Lacrimae Christi. Je teurer die Weine, desto größere Gläser erschienen.

Beim Nachtisch erfolgte, nachdem das Tischtuch entfernt, die Libation der Laren und der Vesta. Man entblätterte Rosen, die die Frauen am Busen geheftet trugen, streute die Blätter in den Mein und leerte das Glas unter sinnigen Sprüchen.

Jeder Gast erhielt von dem reichen Wirt ein mit Gold und Edelsteinen reich geziertes Gefäß – zur bleibenden Erinnerung an das Mahl.

Das Diner kostete 24000 Sesterzien (10000 Mark).
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Wie einst im Mai

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 66-68.
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