Zwischen Lippenstift und Kelchesrand.

[100] Eine Spanne Zeit – die immer ist, in der man sich gerade befindet, sei es beim Essen, nach dem Theater, im Auto, auf dem Sportplatz, beim Tee, im Dekolleté, im Hauskleid und im Badeanzug.

Der gewisse Augenblick, der Pausen ausfüllt, der ein Gespräch beendet, um ein neues einzuleiten, der die Ehemänner leicht nervös und die Verehrer noch galanter, noch aufmerksamer macht.

Ohne den immer wiederkehrenden Moment, her uns unmerklich zusammenzucken läßt: »Sehe ich noch ebensogut aus wie vorhin?« wären wir um vieles weniger sieghaft. So aber dürfen wir in aller Ruhe, mit all dem Reiz einer halb verbotenen, halb gestatteten, halb frivolen, halb selbstverständlichen Pose – in den Spiegel schauen, uns pudern, schminken und nicht zuletzt die Lippen färben.

Je anmutiger, je nonchalanter, je natürlicher diese Schlafzimmerprozedur in der Öffentlichkeit vorgenommen wird, desto wirksamer dürfte sie sich in jeder Hinsicht erweisen. Nur nicht karikieren, nicht in dieser einen Beschäftigung untergehen, nur nicht unentwegt an das Waffenzeug denken, das im Täschchen verborgen ruht, und nicht Pudermassen und Farbschichten in entstellender Weise der armen Haut auftürmen.


Zwischen Lippenstift und Kelchesrand

Greift mit demselben Raffinement, mit derselben liebevollen Sachlichkeit zum Lippenstift wie zu dem zarten Cadeau eurer Flirts, in jener grazilen Gelassenheit, mit der ihr auch sonstviel ernstere Dinge des Lebens – spielend ad agendum et ad acta legt – ...[100]


Zwischen Lippenstift und Kelchesrand

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 100-101.
Lizenz:
Kategorien: