Als Dame – zum Sechs-Tage-Rennen?

[129] Prolog 1912


»Gnädige Frau – die dritte Nacht. Sagen Sie ›ja‹, ich bitte Sie!!«

»Ausgeschlossen! Bedenken Sie, Mama, Schwiegermutter, selbst mein Mann würden ...«

»Gnädige Frau, der tollste Abend: Überrundungen, Jagden, Wertungen, Prämien, Stürze, Favoriten –«

»Es klingt wie Sphärenmusik – aber eine Dame ...?«

»Gnädige Frau – Sportgirls, Bürgersfrauen, Diplomatinnen, Künstlerinnen im buntesten Nebeneinander, mit fiebernden Augen, bebenden Lippen, winkenden Händen. Zwölftausend faszinierte Menschen – fünfzig Prozent Zuschauerinnen – wie soll ich Ihnen ...«

»Ich verstehe so wenig davon – man warnt vor der Luft, dem Gedränge, dem Lärm –«

»Gnädige Frau, keine Ausrede. Hier ist Ihr Sperrsitz, um drei Viertel elf wartet mein Wagen.«

»Soll ich wirklich zum ›Sechs-Tage-Rennen‹? Na, gut – ich komme!«


Epilog 192 ...


Im Tempo unserer Zeit – der große Start der Dame! Volkssport als Brücke für den ersten Schritt. Vor fünfzehn Jahren noch vereinzelt – heimlich – schüchtern – gleich reizvoll verbotenem Genuß. Oder ostentativ, provokatorisch, um Exempel zu statuieren: Asta Nielsen, Gussy Holl, Hedda Vernon als Vorläuferinnen seinerzeit in den »Hallen am Zoo« – bei den großen Sechs-Tage-Ereignissen. Stiftungen des Kronprinzen und sein allabendliches Erscheinen zogen mehr weibliche Welt mit sich. Pelzmäntel – Reiherhüte – Seidenrücken unterbrachen bunt die dunklen Männerreihen. Sagenumwobene Heldentaten der »Meister vom Pedal«, die von tausend Sensationen sprühende Atmosphäre hielt in Bann. Bühnenlicht und Scheinwerfer unterstützen Phantasie und Sensibilität der Frau, schneller Bilderwechsel wurde zum ersehnten Nervenreiz.[129]

Und heute? – Ist die Dame nicht mehr »geduldet«. In der Sportarena zu Hause wie im Salon. Unterscheidet kundigen Blicks »Reisendefekt« von »Abstoppen«, schlechter von guter »Ablösung«, »Spurter« von »Sprinter«. Antwortet links, zählt rechts: dreizehn Fahrer, konstatiert einen Fehlenden; läßt sich nicht verblüffen, nicht stören, nicht ablenken.

Aufsteigender Embrokationsdunst mischt sich im Riesenraum mit süßlichem Puder und herben Parfümen zu eigener Mixtur. Grauer Bubikopf folgt schwarzem Etonschnitt und brauner Pagenfrisur. Alltägliches versinkt, fleischfarbene Seidenbeinchen strampeln in nervösem Krampf, unter laut tobender Menschenmenge tönen helle Soprane durch: »Die Jagd fängt an, die Post geht ab, hehehehehe ...«


Dialog von Heute!


»Gnädige Frau – die sechste Nacht. Sagen Sie ...«

»Selbstverständlich! Auch Mama, Schwiegermutter, Großmutter, selbst mein Mann wollen ...«

»Gnädige Frau, es wird Ihnen zuviel werden, Überrundungen, Jagden ...«

»Reden Sie doch nicht, wo ist mein Platz? Tausend Bekannte warten schon ...«

»Gnädige Frau, mein Wagen steht um drei Viertel elf ...«

»Ausgeschlossen, viel zu spät, man muß doch zur ›Zehn-Uhr-Wertung‹ da sein!«

»– – – Ladies first ...«


Als Dame - zum Sechs-Tage-Rennen

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 129-131.
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