Vom [78] Chambre séparée ...

»De mortuis nil nisi bena«, das heißt, eigentlich spricht man doch schlecht darüber, obwohl es sich überlebt hat und eines unsanften Todes gestorben ist. Man braucht es nicht mehr. Die Welt steht offen – überall sind »chambres séparées«, bei denen aber niemand mehr etwas findet.

Durfte ehemals eine Dame in ein – Chambre séparée gehen? Man hat es nie in Erfahrung bringen können – man hat nie eine »Dame« darin entdeckt, aber man munkelt, sie habe des öfteren Gebrauch davon gemacht ...


Vom Chambre séparée ...

Ich kann mir eine Dame in einem Chambre séparée sehr gut vorstellen. In Wien, der Wiege und dem Grab dieser traulichen Räume, war es jahrzehntelang sogar Sitte, ein »séparée« zu mieten, und man durfte unangefochten hingehen, nur nicht als Paar. Die fabelhaftesten Menüs, die besten Weine und die temperamentvollsten Geiger können noch einen Nekrolog dazu singen –

Ehemals, wo ein »Stelldichein« in der Hotelhalle, im Sportklub, im Familienbad, im Haus des Junggesellen oder des jungen Mädchens unmöglich schien, wo es noch keine Tagesendausflüge zu zweit im flinken Zweisitzer gab – ehemals mußte ein Séparée herhalten, und nicht immer war es der stilloseste Rahmen für einen Treffpunkt zweier Liebender.

Das »chambre séparée« ist tot – aber sein Nimbus ist geblieben. Die Frau von Welt, die es versteht, heute noch den »jour fixe« oder die Verabredung im Salon des Hotels, das Wiedersehen am dritten Ort, so zu arrangieren, daß man sich mit klopfendem Herzen, wie bei einer heimlichen großen Angelegenheit, ein ganz klein wenig verschämt gegenübersteht – hat den Begriff des »séparées« in das moderne Jahrhundert hinübergerettet.[78]


Vom Chambre séparée ...

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 78-79.
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