Die umringte Frau.

[54] »Wieviel haben Sie? Von früh bis abends? Immer dieselben? Und wie ist es nachts, im Bad, an der See? Meine Freundin hat schon vierzehn, und Sie?«

»Ich weiß gar nicht, was ich Ihnen antworten soll, ich finde Ihre Frage zum mindesten indiskret –«

»Indiskret? Kein Gedanke. Weshalb in aller Welt soll man nicht von Ringen sprechen, kein Mensch findet etwas dabei ...«

»Ach so, ja natürlich, ich war ein wenig verträumt!«

So der Dialog zweier »umringter« Frauen! Doch zur Sache – wie steht es um den Ring, um den Ehering zum Beispiel? Es ist mit ihm wie mit allem Wünschenswerten des Daseins – solange man es nicht hat, tändelt man damit, und sobald man es besitzt, legt man keinen Wert mehr darauf! Dennoch sollte die Frau von Welt den ganz schmalen Platin- oder Goldreif nicht ablehnen. Trotz unserer vorgeschrittenen Anschauungen bringt dieser kleine Ring eine seltsame Art Überlieferung mit sich, die unwillkürlich einen Scharm ausübt, der auch der mondänsten Frau nicht schaden kann. Heiratet die Lady up to date – wird sie – und welche Frau ist heute nicht abergläubisch – auch die alte Tradition nicht vor den Kopf stoßen wollen. Schon wegen des Dekorums ... Sie verstehen!

Und die andern Ringe? Schöne, echte, große, wertvolle Stücke schaden nie – mit Imitationen muß man vorsichtig sein, Überladungen sind immer unangebracht, und am Vormittag zu Sport und Bummel ist Schmuck geschmacklos. Die Zusammenstellungen von Steinen bleibt dem jeweiligen Verständnis überlassen – aber leider, leider ist dieses oft gering. Auch das muß sich bessern, und es werden die Tage kommen, an denen man im wahrsten Sinne des Wortes von den »Steinen der Weisen« reden kann.


Die umringte Frau

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 54-56.
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