Kurz, lang oder gefärbt?

[34] Die Dame ist sehr nachdenklich geworden. Früher war die Angelegenheit der Haare nicht so diffizil. Sie wägt ab. Natürlich kurzes Haar – zehn Jahre jünger ist ein nie aufzuholender Vorteil, außerdem paßt es zur jetzigen Generation und hat den Vorteil vieler kleiner Veränderungsmöglichkeiten: über die Ohren, Etonschnitt, in der Mitte den Scheitel, Madonnenfrisur, leicht gewellter Krauskopf usw. Aber – mein Himmel – eine jede kann das genau so gut, wohingegen langes Haar ... aber o weh, der Knoten im Nacken, besondere Note, etwas hinderlich, geht immer auf, Haarnadeln lösen sich in ungeeigneten Augenblicken, Waschen, Trocknen dauert noch länger, um von Wasserwellen ganz zu schweigen ... vielleicht läßt sich mit kurzem Haar doch mehr erreichen. Frau von X hat sich vor acht Tagen, ihrer grauen Schläfen wegen, rot färben lassen. Färben – shocking! Nicht zum Ausdenken – allerdings – wenn man hinter die Kulissen sieht, wenn man konstatiert, wer sich alles färben läßt – dann beginnt man anders zu urteilen. Schließlich, das Färben ist anders wie einst. Es gibt Nuancen, die man nicht mehr unterscheidet und die dem Teint so schmeicheln, daß alles entschuldbar ist. – Also was jetzt tun?

Die Dame ist noch nachdenklicher. Überlegt hin und her – geht auf und ab – blättert nervös in Büchern – stutzt und liest: »Die Natur ist doch die größte Kunst«, und daraus formuliert sie gewandt: alles, was meiner Natur entspricht, was meinen Typ hebt, und was selbst meinen Gegnern gefällt, ist richtig, vorteilhaft und mir vorbestimmt. Ob »kurz, lang oder gefärbt« ist unwichtig: jedes Mittel heiligt den Zweck: gut auszusehen![34]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 34-35.
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