Das moderne Dreieck.

[163] Das Liebäugeln mit äußeren Formen verdeckt vollzogene innere Umstürze. Madame regiert – oder vielmehr, sie ist auf dem Wege dazu. Die zwangsläufige Linie hat von Amerika her an den Ufern des Weltmeeres nicht halt gemacht und die Kultur des alten Erdteils durchsetzt. Nicht Gentlemen, nein, »ladies prefer blonds, browns or blacks« ist die Losung, das »ladies first« ist keine Höflichkeitsfloskel mehr, sondern bittere Wahrheit, die schlagartig Schatten wirst.

Berufe und Sport sehen das Vorrücken der Frau, ihre Interessensphäre ist unendlich erweitert, so wie sie mit fester Hand das Steuer ihres Sechszylinderkabrioletts, die Zügel ihres Reitpferdes im Tattersall er greift, so führt sie den Operngucker zielsicher vor die schwarzgeränderten Augen, wenn es gilt, bei der Première im Theater Umschau zu halten. Der Habitué hat in den Amazonen des Salons seinen Ersatz gefunden. Neben müden und gelangweilt gähnenden Männern, blickt die Frau im Logenfauteuil mit brennenden Blicken auf die Bühne und konstatiert mit treffsicherer Routine und objektivem Geschmack die Anmut der Revuegirls ...[163]

Nicht anders auf der Straße. Passantinnen, die sich begegnen, mustern sich kritisch auf etwaigen hervortretend-eleganten Anzug. Neidgefühle sind in Geschlechtsstolz umgewandelt, der die Frau von Welt zur Umschau veranlaßt, wenn gutaussehende Gestalten vorüberschreiten.

Erhöhte Anforderungen an die Bedürfnisse haben den Mann stärker mit Arbeit belastet. Ohnedies schon rar, ist er so oft fern dem Heim, daß es zur Gefahr für die Frau wird – ist diese doch hübscher, geweckter, jünger und sensationssüchtiger denn je. Sie will erleben und hervortreten, allenfalls bewundert werden. Mit wem zum Nachmittagstee, zum Golf oder Polo, zum Tennisturnier, Shopping oder Kunstausstellung. Es bleibt also: eine Freundin, die unentbehrlich und zur Selbstverständlichkeit wird.

Besonders Paris – tonangebend! Der Einfluß Dollariens wird merklich – in jeder Hinsicht, besonders in den modernen »ménage à trois«. Umkremplung aller gewohnten Begriffe. An Stelle des Hausfreundes tritt die Hausfreundin. Das spitzwinklige Dreieck ist gleichseitig geworden. Monsieur drückt zu den veränderten Verhältnissen ein Auge fest zu, mit dem andern blinzelt er verständnisvoll und bewundernd zu den neu arrivierten: Mabels, Anns, Janes, Gladys und Dorothys.. Neohellenismus 192..!

Auf Schritt und Tritt trifft man diese beliebten Konstellationen – früher waren es seine Skatfreunde, heute sind es ihre Bridgepartnerinnen, die den Ton angeben. War einst eine würdige Dame mit Gläsern und Häkelarbeit der Inbegriff des »Elefanten«, so gilt heute ein jugendliches Ehepaar ausreichend als Chaperon. Kein Wunder, daß die freiheitsdurstigen Mädchen den konventionellen Schutz dort suchen und finden, um unter dem gewahrten Dekorum eines Verzichts auf Genüsse der Jetztzeit enthoben zu sein.

Das Ausland war auch für diese Übertreibungen richtunggebend. Es ist Ziel der alleinstehenden Lebedame, sich durch Verbindung mit gesellschaftlich fundierten Ehepaaren einen »scheinenden Anschein« zu geben, in den Bädern der Adria benutzt die reiche Amerikanerin die Verheirateten als Cicerone in die Dunkel des Ghettos, und in England läßt sich die sportlich eingestellte, selbständige Lady mit dem befreundeten Ehepaar zur Treibjagd auf den Landsitz einladen. Von da zur Hausfreundin ist nur ein Schritt. Ob wir denselben Weg gehen, erscheint mehr als fraglich. Die ernstere Auffassung über die wichtigsten Dinge des Lebens steht dem aufhaltend entgegen!


Das moderne Dreieck

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 163-166.
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