Der Tod der Kokette ...

[160] Sie war eine Illusionistin des Daseins, eine Vabanquekünstlerin gleichermaßen auf spiegelndem Parkett des Ballsaals wie im virtuosen Spiel mit gefahrvollen Situationen. Für ihre vom Schleier der Geheimnisse umhüllte Mission geboren und von Erlebnissen noch fester geformt. Nur selten sprach man von ihresgleichen, oder – sie war in aller Mund. Im Grunde genommen füllte sie eine Lücke in der sozialen Ordnung aus und konnte »über Nacht« Trümpfe in die Hand bekommen – wie sie so schnell nur wenigen Frauen von den Wechselfällen des Glücks geboten werden.

Ihr Platz war – im übertragenen Sinn – mehr hinter den Kulissen und nur seltener auf offener Szene im Rampenlicht der großen Weltbühne. Wenn sie aber, die ehernen Fesseln der Konvention durchbrechend, sich Geltung errungen hatte, konnte die »grande amoureuse« in ihrer Stellung in die Nähe des Mittelpunktes unserer Gesellschaft rücken – der »grande dame«. Beide haben im Krieg und nachher ihre Krisen durchgemacht, aber nur die Dame ist aus dem Niedergang wieder auferstiegen. Die Kurtisane aber hat das Schicksal zum Sterben verurteilt. Die Spezies verschwindet vom Tummelplatz der Sensationen und findet sich nur noch in stark östlichen Zentralen.

Hat Inzucht oder Überflüssigkeit sie dahingerafft, oder sind die Unterschiede der gesellschaftlichen Klassifizierung, die ihren Aufstieg einst begünstigten, gar zu sehr verwischt? Nach außen hin mußte die fundamentale Umwälzung im Wesen der Frau von heute alle Verschiedenheiten im Auftreten, Kleidung, Ton und Bewegungsfreiheit ausgleichen. Gibt es noch eine Grenze, die nicht berührt oder sogar überschritten wird, nicht ladylike wäre? Tages- und Nachtzeiten bilden kein Bollwerk mehr. Man trifft die Gattin des Industriellen ebenso wie die selbständige Tochter des Justizrats oder die junge Schauspielerin und Meisterin des Sports in den mondänen Nachtlokalen, mitunter nicht einmal nur in größerem Kreis am Arm ihres Gatten. Ob Revue oder Mitternachtsvorstellung, Bar oder Kostümfest, Atelierekstase oder Sechstagerennen – immer die gleiche Wahrnehmung. Nur der erfahrene Routinier, die Spürnase der wirklichen Frau von Welt vermag Talmi von Echt zu unterscheiden. Und das oft auch erst nach eingehendem Studium. Die Bereiche gehen mitunter ineinander über – in Badeorten, Rennplätzen, in Weltstädten und Expreßzügen.

Die stillschweigend legitimierte Illegitime hat mitgeholfen, der Konkurrenz der Kurtisane das Lebenslicht auszublasen. Wir sind ja so fortschrittlich geworden. Fürstinnen können Fürstinnen sein oder nur scheinen, distinguierte Amateure sich als Professionells entpuppen – heute kann der (oft unverschuldete)[160] Ruf des »Freidenkertums« eine Dame nicht mehr so ganz vernichten wie ehedem – zumindest wehrt man sich nicht ostentativ dagegen.

Natürlich trügt der Schein. Es ist zwar nicht alles Gold, was glänzt – aber auch nicht alles demimondän, was so aussieht. Im Zeitalter des betont Körperlichen, der intensiven Sportpflege, der nivellierenden Entwicklung der Kleidungsmode und des gesamten »make-up« hat manches den erotischen Hauch für uns verloren. Welche Daseinsberechtigung besitzt noch überhaupt beispielsweise ein Separée? Höchstens, um einer Überempfindlichen als Zuflucht im Chaos der allzu vielen Möglichkeiten zu dienen.

Und dann: die Männer! Bequemlichkeit regiert die Sinnenlust! Kavaliere des »ancien régime« fanden es überaus reizvoll und apart, Stunden ihres Lebens neben anderem der stufenweisen Einführung ihrer mehr oder weniger vorübergehenden Erwählten aus dem »schlichten« Volk in die Gepflogenheiten vornehmer Eleganz zu widmen, bis der Schmetterling aus der Puppe selbstsicher zum Licht flatterte. Der Gent mit dem Achtzylinder kennt so etwas nicht mehr. In der Epoche des Radio ist Blitzesschnelle Losung. Er will Fertiges vorfinden oder Hindernisse sich ausleben, nicht Mentor sein, sondern womöglich noch ge leitet werden. Wer könnte ihm das besser geben als die Frau aus der eigenen Sphäre ...


Der Tod der Kokette..

Arme Nana, arme Kameliendame – man braucht euch nicht mehr. Vielleicht mußte es so kommen und hat nichts mit der oft erörterten Frage zu tun: Ist die moderne Frau weniger anständig als früher? Wie falsch ist dieser Vergleich! Die Frau unserer Tage ist nicht mehr oder weniger anständig – sie ist anders, offener, mutiger und leistungsfähiger, sie sieht gegebenen Tatsachen fest in die Augen, und es bleibt ihren Gefühlen und Wünschen überlassen, Grenzen sich selbst oder nur vor anderen zu ziehen. Die erotische Emanzipierung, Bewußtwerdung der Frau hat Nana getötet.
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Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 160-163.
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