Aufenthalt zu Weimar

[162] Der Hofjäger Hauptmann, derselbe, der meinem Vater Brot gegeben und in der Baugeschichte Weimars sich einen Namen erworben hat und dessen ich schon in der[162] Lebensgeschichte meines Vaters gedacht habe, hatte damals die Post und brauchte einen Marqueur. Ich meldete mich zu dieser Stelle und erhielt sie. Zwar mußt ich es mir ziemlich sauer werden lassen und, wenn ich den Tag über schon wacker gearbeitet hatte, auch noch nachts um das Billard herumtanzen oder gar Stafetten reiten; aber alles dies tat ich gerne, weil es mir etwas eintrug. Letzteres mußt ich besonders in den Jahren, wo der durchlauchtigste Herzog von Weimar als königlich-preußischer General zu Aschersleben stand; da schützte mich weder Sturm noch Kälte, weder Hagel noch Schnee, ich mußte fort, und dennoch war ich zufrieden, bis der Neid mich verfolgte und mich veranlaßte, meine Stelle zu verlassen.

Zu meinem Glück trat ich bald darauf als Bedienter in Dienste der Frau von Reitzenstein, welche sehr gnädig war und mir manchen Fehler übersah, zu welchem mich bei oft vorkommenden müßigen Stunden andere Bedienten meiner Bekanntschaft verleiteten. So ward ich, zum Beispiel, einst, als meine Dame frühzeitig nach Hause kam, von ihnen beredet, mit auf die Redoute zu gehen. Hier wurde getanzt, gezecht und – Pharo gespielt. Der Anblick des vielen Geldes und das Zureden meiner Kameraden reizten mich, auch mein Glück zu versuchen. Ich setzte einen Taler: husch, war er weg! – Noch einen, auch der ging hoppas! – Um diese zwei Taler nicht einzubüßen, setzte ich noch zwei andere. Diese hatten das Schicksal der erstern, und mit ihnen war meine ganze Barschaft verspielt. Jetzt rieten mir meine Kameraden, meine Uhr in der Punschbude zu versetzen; ich tat es, spielte wieder und – verlor alles!

Meine Gnädige, die mein Unglück erfahren hatte, gab mir einen Verweis über meinen Leichtsinn, war übrigens aber nicht ungehalten, daß ich gespielt hatte. Sie war bei Hof zur Tafel gebeten, und ich mußte sie frisieren. Als ich fertig war, stand sie auf, ging nach ihrer Schatulle und brachte mir eine Handvoll Geld, mit den Worten: »Jetzt geh Er, und löse Er gleich seine Uhr wieder[163] ein!« – Das war eine wahre Gnädige, wie man ihrer wohl nicht viele trifft!

Diese edle Dame gab gewöhnlich alle vierzehn Tage auch einen Tee, wobei es ohne Spielgeld nicht abging; überdies gab sie mir Kostgeld anstatt der Kost, daher konnt ich meiner Frau ein Mehreres zukommen lassen.

Doch auch diese glücklichen Tage sollt ich nicht länger als ein Jahr und etliche Monate genießen, denn ein plötzlicher Todesfall veranlaßte meine Gebieterin, von Weimar hinwegzuziehen und ihre Leute größtenteils zu entlassen. Vor ihrer Abreise empfahl sie mich noch mündlich, stellte mir eine schriftliche Empfehlung zu und schenkte mir die Meublen, die noch jetzt meine Wirtschaft zieren. – Die gute Dame ist nun auch nicht mehr unter den Lebendigen: sanft ruhe ihre Asche!

Wollte mich nun das Schicksal den Kontrast zwischen dieser und meiner neuen Herrschaft fühlen lassen oder mir überhaupt nur beweisen, daß nicht alle Adelige auch edel wären, kurz, ich hatte für den Augenblick keine andere Wahl als die, bei dem Herrn Hauptmann von G ... r vakante Bedientenstelle anzunehmen. Gott, welch ein Unterschied! Sowohl mein neuer Herr als meine Gebieterin hatten die löbliche Gewohnheit, zu ihren Leuten nur in Scheltworten zu reden. Ewige Mißlaune! – Hatt ich sie zum Beispiel frisiert und nicht jedes Härchen nach ihrem Eigensinne geordnet, so hieß es: »Seht einmal, wie die Frisur ist.« Wollt ich mich verantworten, so brüllte man mich an: »Schere Er sich zum Teufel, an Seiner hundsföttischen Person ist nichts gelegen; Ihr packt Euch aus meiner Stube!« Oder hatt ich den Tisch serviert und mich an die Seite gestellt, um ihre Befehle zu erwarten, so hieß es wohl: »Nun, was steht Er da, wir wollen Ihn schon rufen, wenn's Zeit ist; pack Er sich vor die Stubentüre!« – Hatt ich hier vielleicht den ersten Ruf verhört und die gestrenge Herrschaft schnell einen zweiten Ruf darauf folgen lassen, so empfing mich gewöhnlich beim Eintritt der Zuruf: »Fauler[164] Schlingel!« oder: »Er Träumer! wo bleibt Er denn? wofür gibt man Ihm denn Traktament und Livree?«

Wenn dieses Menschenrechte ehren heißt, so darf man sich nicht wundern, daß viele vom deutschen Adel auf die menschenfreundliche Behandlung schmähen, welche französische Edle gegen ihre Domestiken üben. Für meinen Magen paßte eine so elende Behandlung nicht, deswegen dankt ich ab und beschloß, lieber wieder ein Viehhirt zu werden, als bei einer solchen Herrschaft länger im Dienste zu bleiben.

Unmittelbar darauf trat ich unter sehr vorteilhaften Bedingungen bei dem Herrn von Oldershausen in Dienste; da derselbe aber bald mit seinem Hause eine Änderung traf, so konnt ich nicht bei ihm bleiben, sondern wurde, von ihm entschädigt, wieder mein eigener Herr.

Auf einmal ergriff mich wieder die Lust, mein Glück in fremden Ländern zu suchen, als ich erfahren hatte, daß der Herr von Seebach von Frankfurt am Main nach Ostindien reisen wolle. Ich teilte dem jetzigen Herrn Geheimen Kammerrat Stichling meinen Plan mit, welcher mir darauf einen Paß ausfertigen ließ, mit welchem ich teils zu Fuße, teils mit der Post nach Frankfurt abging.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 162-165.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers