Erster Versuch im Reiten

[49] Wie bekannt, haben Ochsen und Pferde nicht einerlei Gang und sind auch nicht einerlei Meinung, daher mußt ich mich oft wie ein Schäferhund abhetzen, wenn die Ochsen dahin und die Pferde dorthin liefen, um sie wieder zusammenzubringen. Wie nun dem Übel abhelfen? Ich sann hin und her, endlich bekam ich den Einfall, ob ich denn wohl nicht für mich reiten lernen könnte. Ich machte eine Probe, band dem Kommer oder alten Pferde einen Strick um den Leib, griff mit der linken Hand in die Mähnen, stellte den linken Fuß in den Strick und schwang mich so glücklich auf den Rücken. Jetzt kam ich mir vor wie ein Held, aber da ich zaumlos darauf saß, so lief das Pferd mit mir, wohin es wollte. Das ging also noch nicht. Darauf probiert ich es, dasselbe mit der Peitsche zu dirigieren, und es gelang mir so ziemlich,[49] auf diese Art die Ochsen und andern Pferde vor mir herzutreiben. Es war gerade ein sehr heißer und schwüler Tag, wo die Fliegen und Wespen das arme Vieh unbarmherzig anfielen. Plötzlich hoben Ochsen und Kühe die Schwänze in die Höhe und nahmen Reißaus, mein Kommer, dem gleichfalls die Geduld ausgehen mochte, galoppierend hinterdrein. Vergebens rief ich ihm zu: »Oh, o Kommer! oh!«, es setzte durch dick und dünn und rannte mit mir unter einem krummen Baume hinweg, wo mir es beinahe wie dem Absalom, nur mit dem Unterschiede ging, daß dieser am Baume hängen blieb, ich aber ohne Barmherzigkeit herab und in den Kot fiel, daß mir fast alle Sinne vergingen.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 49-50.
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Der deutsche Gil Blas
Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers