Neues Abenteuer

[110] Ich reisete diesmal über Wittenburg und Boizenburg und erhielt ein paar Handwerksbursche zu Reisegesellschaftern, welche fast überall einsprachen; hierzu trieb mich keine Notwendigkeit, weshalb ich indes entweder in einem Kruge einkehrte oder mich vor den Dörfern ausruhete. In einem derselben bot sich mir eine erwünschte Fuhrmanns-Gelegenheit dar, mein ziemlich schweres Bündel für zwölf Schillinge mit bis über Boizenburg hinauszubringen. Auch die Handwerksbursche benutzten die Gelegenheit, ihre Felleisen mit aufzuwerfen, um in den Ortschaften ungehinderter fechten gehen zu können; an der Elbe wurden die Fuhrleute sehr lange aufgehalten, weil sie daselbst neue Fracht aufluden. Die Handwerksbursche, welche nicht länger warten wollten, beschlossen, fortzugehen, ohne den Fuhrmann zu bezahlen, und redeten mir zu, ein Gleiches zu tun. Da die Fuhrleute eben sehr beschäftigt waren, nahmen wir unsre Bündel von dem Wagen und setzten auf einem eben abstoßenden Nachen unbemerkt über die Elbe.

Bald war der Fuhrmann die Flucht seiner Passagiere gewahr geworden und hatte bei dem Fährmanne erfahren, daß wir nach Lüneburg zu gegangen wären.[110]

Eben unterhielten wir uns miteinander in einem Wirtshause über den gelungenen Streich, und wie oft die Handwerksbursche schon ähnliche Prellereien ausgeführt hätten, als der Fuhrmann in die Stube trat und uns starr ansah, als wollt er sagen: Das sind ja die Halunken, die mich um das Fuhrlohn haben prellen wollen! Er sagte jedoch kein Wort, sondern ging zu seinem ankommenden Fuhrwerk hinab. Nun wurde beratschlagt, was zu tun wäre, und ehe man über das Weitergehen einig geworden war, trat der Fuhrmann wieder in die Stube und redete uns mit folgenden Worten an: »Nun, meine Herren, find ich Sie hier? Wie steht es ums Fuhrlohn?«

»Ei«, sagten wir einstimmig zu ihm, »hätt Er uns bis hieher ins Nachtquartier gefahren, so hätten wir Ihn akkordmäßig bezahlt; aber da wir erst eine Ewigkeit an der Elbe haben warten und noch zwei Stunden weit mit unsern Sachen hieher wandern müssen, so sind wir Ihm nichts schuldig!«

»Nichts schuldig?« rief er, indem er seinen Peitschenstock erhob, »nichts schuldig? Meint ihr, daß ich euch und eure Sachen sechs Stunden weit umsonst gefahren haben soll? – Nein, der Fuhrmann fährt kein Pfund umsonst.« Ich erbot mich, ihm für meinen Teil acht Schillinge oder vier Groschen zu geben, die wehrfertigen Handwerksburschen stimmten in diesen Vorschlag ein, und so sah sich der Fuhrmann genötigt, sich damit zu begnügen. Dies hatte zur Folge, daß wir den Wirt, ehe wir uns schlafen legten, bezahlen mußten.

Mit anbrechendem Morgen setzte ich meinen Weg zwei Poststationen weit, bis nach Schaafstall, allein fort, setzte mich hier auf die Post, mit welcher ich in Celle ankam, als noch alles im Schlafe lag, weshalb ich genötigt war, im Posthause bis zum Wiederabgange der Post zu verweilen, wo ich mir Kaffee und Frühstück geben ließ.

Unterdessen kam der Postillion, um sein Trinkgeld einzufordern. Ich griff in die Tasche, um ihm meinen Anteil zu bezahlen, aber – o Himmel, wie erschrak ich, als ich[111] meinen Beutel mit zwei Louisdor und einiger Münze vermißte! Ich durchsuchte alle Taschen, eilte nach dem ausgespannten Postwagen und kehrte mit der trostlosen Überzeugung in die Stube zurück, daß meine sämtliche Barschaft verloren war.

Obgleich einige der Anwesenden an der Wahrheit meiner Beteurung zweifelten, so maßen ihr doch andere und die Frau Postmeisterin Glauben bei und schenkte mir die Zeche von einigen Groschen, der Herr Postmeister aber einen baren Gulden zur Reise und obendrein das Postgeld bis nach Hannover, wohin die Post erst nach zehn Uhr abging. Dieser Großmut hatte ich es wahrscheinlich zu verdanken, daß mehrere Passagiere sich gleichfalls meiner annahmen und nicht nur unterweges mich zechfrei hielten, sondern mich auch in Hannover mit in ihr Logis nahmen und für mich bezahlten.

Als ich mich am Folgetage von der Besetzung meiner Stelle überzeugt hatte, begegnete mir glücklicherweise die mir bekannte Kammerjungfer des Herrn Obristen von Minigerode in Trauerkleidung. Sie sprach mir freundlich zu und sagte mir, daß sie ihre Frau Mutter betrauere. Zugleich gab sie mir den Rat, mich wegen meines Dienstgesuchs an den Herrn Dennecke, einen Zeitungsschreiber in Hannover, zu wenden. Ich dankte und versprach ihr, mich unverzüglich zu ihm zu begeben. Zwar kostete mich dieser Weg den von dem Herrn Postmeister erhaltenen Gulden, aber ich erhielt dafür die Nachweisung, daß der Herr Rittmeister von Seebach zu Celle einen Bedienten suche, an welchen ich Empfehlung erhielt.

Nachdem ich meinen Koffer dem Herrn Gastwirte »Zum Falken« in Verwahrung gegeben hatte, reisete ich mit einem Lohnkutscher abends nach Celle zurück, wo ich in der Vorstadt im »Könige von Schweden« abtrat.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 110-112.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers