Nachlieferungen

Da meine Biographie bereits gedruckt ist,1 ich indessen noch immerfort lebe, und es mir einiges Vergnügen macht, das, was mir eben einfällt oder begegnet, nicht gleich wieder zu vergessen, so hab ich mir vorgenommen, solche Gedankenspäne als Zugabe zum Corpori mearum rerum gestarum aufzuschreiben, und ihren Gebrauch meinen künftigen Papierdurchsehern anheim zu stellen.

Einem alten Mann muß man schon das Lesen für ein Geschäft anrechnen, denn wenn er es auch ohne allen persönlichen Nutzen treibt, so thut er doch immer etwas besseres, als wenn er nichts thäte, oder sich einem beinah noch sterileren Contemplationsschlummer, der zur Mystik verleiten kann, überließe.

Da ich den Tristram Shandy nie ganz durchgelesen hatte, so entschloß ich mich dazu, und fand außer der sonder-[1] und wunderbaren Genialität des Originals, die lang nach der Bodeschen erschienene Übersetzung2 so fürtrefflich, daß ich jedem rathe sie zu brauchen, wenn er nicht so glücklich ist englisch aus dem Grunde zu verstehen.

Mit dem Thomas a Kempis, von dem ich immer so viel reden gehört, war es mir noch schlechter wie mit Yoriks Tristram gegangen, aber Köthens3 Übersetzung befriedigte mich weit weniger, und über haupt begreif ich nicht, wie dieses Büchlein, in dem freilich manche erbauliche Stellen vorkommen, beinahe zur Bibelehre bei vielen hat gelangen können, obgleich überall lispelt und weht ein schwärmerischer Mönchsgeist, sehr verschieden von dem heiligen Geiste, den ein vernünftiger Leser im Neuen Testament ausgegossen findet.

Ich zeihe Johann Arnds wahres Christenthum dieser Kempischen Nachfolge Christi vor, auch haben mich Fenelons Schriften religiösen Inhalts, übersetzt von Claudius4 weit besser angesprochen, ob es mich gleich vielfältig befremdet, wie ein so herrlicher, kluger in der Welt[2] hochgestellter Mann sich so oft solchen schwärmerisch unmenschlichen Gesinnungen hat hingeben und sie sogar niederschreiben können. Dergleichen Seitensprünge sollte der Verstand dem Gefühl nicht erlauben.

Das Briefschreiben treib ich bisher noch immer, da meine Freunde noch nicht müde werden, mir meine Schreibereien mit trefflichen Antworten reichlich zu belohnen; auch denk ich noch den preußischen Crönungstag künftigen 18. Jan. 18175 in der deutschen Gesellschaft mit einer Vorlesung zu feiern, die ein paar sachverständige Richter nicht langweilmachend gefunden haben.

Überhaupt hab' ich von meiner Neigung zur Thätigkeit und Äußerung einer gutmüthigen Laune noch nicht alles verloren – möchte sie doch nie ganz verschwinden!


Den 24. Merz 1817.


Nach einer Pause von einigen Monaten fahr ich in meinen Bekenntnissen fort.

Der noch immer nicht ganz ausgetriebene Versdämon verleitete mich in dem vorigen allen Meteorologen merkwürdigen[3] erbärmlichen Winter die Umdeutschung Hebelscher Gedichte fortzusetzen6. Die zwei durch die Frau Canzlerin7 den Prinzessinnen Wilhelm8 und Radzivil9 zugestellten Exemplare wurden mir von ihnen mit höchstverbindlichen Handschreiben reichlich belohnt, von der Aufnahme der der Prinzessin von Cumberland10 und ihrer im Jahr[4] 1807 kleinen Auguste nach London geschickten Abdrücke weiß ich weiter nichts, hoffentlich wird sie ihnen indessen doch freundlicher begegnet haben, wie sie selbst von ihrer essigsauren Frau Schwiegermutter, nicht eben zur Ehre ihres einst in gutem Ruf gestandenen deutschen Verstandes, aufgenommen ist, und ihr zu begegnen fortgefahren wird. Ich kann es nicht gut heißen, auf diese oder jene Tugend versessen zu sein und diejenigen mit Strenge zu beurtheilen oder zu behandeln, die in jener Lieblingstugend, durch Zeit und Umstände verleitet, es nicht so hoch gebracht haben. Aus solchen Isolirungen erklär ich mir den Ursprung des Sprüchworts: insulani omnes mali; – in neuern Zeiten dürften wohl nicht die Sicilianer, auch wenn man nicht die interessante Reise des Kephalides11 gelesen hätte, die pessimi geblieben sein.[5]

Da es einem wohlthut, kluge Menschen über einen Gegenstand gleichdenkend mit sich selbst zu finden, so las ich mit Vergnügen, was ich in dem dritten Bändchen der Matthissonschen Erinnerungen,12 aus denen die Beschreibung des Bebenhausischen Jagdfestes (No. XIX. p. 167–192) wohl hätte wegbleiben mögen, No XVI. 9 p. 111 über den alten Freund meines lieben Generals und jetzigen Commandanten in Glogau Freiherrn von Valentini,13 den durch seine militairische Schriften sehr berühmt geworden und als dessauischer Hofmarschall gestorbenen v. Berenhorst,14 besonders aber No. XVII. 5 p. 126 etc. über den Cronprinzen von Preußen aufgezeichnet fand, der nach der Versicherung unparteiischer Männer merklich zunehmen soll an Alter und Weisheit,[6] so daß er auch künftig regieren wird zum Wohlgefallen der Menschen, mithin auch Gottes, der dem, der seinen Willen weiß und nicht darnach thut, oder anderen dawider zu thun nachläßt, doppelte Streiche wird zutheilen lassen.

Den 31. Merz 1817.


Zu den Ursachen, warum die Diener der Kirche weniger wie andre öffentliche Offizianten geachtet werden, scheint mir auch der Umstand zu gehören, daß sich nur äußerst selten junge Leute aus höhern Ständen zum Studio der Theologie entschließen, weil dabei so wenig Aussicht auf ein schickliches häusliches Auskommen ist. Da nun aber alle Pfarrherren gleiche Pflichten haben und es unter ihnen keine solche Unterschiede giebt, wie zwischen den Geschäften eines Rathes und eines Canzellisten, könnte diesem Übelstande nicht dadurch abgeholfen werden, wenn man im ganzen Lande jeder Parochie eine möglichst gleiche Seelenzahl zutheilte, demnächst allen Pfarrherren gleiche Einnahme schaffte, und etwa nur den Superintendenten aus guten Gründen eine höhere anwiese?

Erhielten alle Kirchenbedienten eine gleiche gehörige Einnahme, so würden sich die Söhne der Honoratioren gewiß auch bald entschließen Landprediger zu werden.

Ein zweiter Umstand, der das Emporkommen des geistlichen Standes zu hindern scheint, liegt vielleicht darin, daß man ihn zu sehr unter eine Art von weltlicher Curatel[7] setzt; denn ob ich gleich keineswegs à la Schuderof15 wünsche ihn zu einem status in statu erhoben zu sehen, wie beim Militair der Fall eintritt; so scheint das stumpfe Scheiden zwischen weltlicher Regierung und den Consistorien, denen man keine eigne Casse, überhaupt keine leibliche Verwaltung gestattet, der Geistlichkeit nachtheilig. Leib und Seele müssen nicht getrennt werden, weil ihnen durch solche Trennung Verlegenheiten zustoßen können, die ihnen am Ende wechselseitige Lust und Kraft zur Lebenserhaltung benehmen. Das Weltliche und das Geistliche sind zwei Rosse, die beide gleich gefüttert unter einem Wagenführer stehen müssen, der es zu hindern versteht, daß sie sich nicht beißen, schlagen oder daß eines sich bäumt, wenn das andre willig zieht.

Die Schwierigkeiten, die sich auch hiebei vorfinden, würden gewiß leichter gehoben werden, wenn man nicht zu häufig die einfachen Mittel verwürfe und Heilkraft in der Vielzahl und Länge der Recepte suchte.


Den 15. April 1817.


Vor einigen Tagen erhielt ich den in einer preßfreiern Stadt16 besorgten Bogen mit den Druckfehlern und Auslassungen[8] aus meiner Biographie, und kann nach achtsamer Durchlesung nicht begreifen, wie der gestrenge Herr Professor Wieland in Leipzig diesen Stellen das Imprimatur hat versagen mögen. Er scheint aus seinen ehemaligen preußischen Diensten zu großen Respect oder zu starke Furcht vor den Regierungsgewalthabern mitgenommen zu haben, die den Freymunden ziemlich aus dem Sinn gekommen ist. Hoffentlich wird kein unbefangener Leser mich einer Ungezogenheit zeihen, wer kann oder wollte es aber einem Preußen verdenken, wenn er aüßert, die höchsten Staatsdiener sollten fleckenlosere Sitten- und Geistes-Spiegel und der neue Staatsrath um ein merkliches ärmer an Mitgliedern sein, vermöge einer strengern Auswahl.

Ach! daß ich mit dem traurigen Gedanken sterben muß, man werde fortfahren, in der Vierzahl der Officianten und der Verordnungen das zu suchen, was nur von wenigen klugen, edeln Männern oft durch Anwendung kleiner Mittel, aber zu rechter Zeit gefunden werden kann. Das bis dat, qui cito dat, nil dat qui munera tardat sollten die Finanzverwalter nicht als unrichtig aus der acht lassen. Beim eben vollendeten Lesen der neuen Ausgabe der Winkelmannschen Schriften17 ist mir mehrmal eingefallen, daß allein in der Einfachheit Kraft und Schönheit liegen. Der Nebel unzähliger in schönen Worten bestehender Vorkehrungen[9] hindert das Hervortreten der gesunden Verstandssonne mancher Fürsten, die das Gute gern einführen würden, wenn man es ihnen ohne jene Nebelwolken vorzeigte. Wo mit dem Verstande, wie in mancher großen Stadt, Luxus getrieben wird, da kommt der Charakter der Land- und Stadtleute in Gefahr ihn bloß besitzen und bloß in Worten aushauchen zu wollen, welches freilich weit leichter ist, als seine thätige Anwendung, worauf man doch eigentlich ausgehen sollte, um nicht den Ausdruck eines wackern Schulmannes wahr zu machen, daß »in der innern Gesetzlosigkeit die Quelle der Gesetzvielheit liege«.


Den 23. April 1817.


Gestern wohnte ich der gewöhnlichen Jahresfeier des Kantschen Geburtstages in froher Tischgesellschaft18 bei und hörte mit viel Vergnügen den vom Regierungsrath Ferd. Delbrück vor seinem Abzuge nach Düsseldorf diesem Tage gewidmeten Aufsatz von meinem jovialischen Freunde und Hauswirth Mortherby sehr gut vorlesen. Der Verfasser hatte Utile, dulce et decorum über Kants Verstandes- und Fröhlichkeits-Meisterschaft wahrlich auch meisterlich vermischt, wofür allgemeiner Beifall sein wohlverdienter Lohn war.[10]

Heut vor 21 Jahren in eben dieser Stunde (halb 3 Nachmitt.) stand ich gelehnt an eine Stolle des Bettes, auf das man den unlängst verschiedenen Hippel19 in seiner grauen Hausbikesche gelegt hatte, und dachte, wer wird mir ihn ersetzen? Kann es einer? als eben einer von Hippels Amtsgenossen an dieses Leichenlager mit den Worten aus einem alten Kirchenliede trat: »da liegt er nun, und hat sein Fuß vergebens sich bemühet;« – freilich war dies oft sein Fall, er schreckte ihn aber nicht von der Wiederholung des Bemühens ab. Wer weiß, wie bald sagen auch manche von mir: »da liegt er nun, und hat sein Fuß vergebens sich bemühet,« denn auch mein Fall ist dies oft gewesen. Welchem verständigen, thätigen Menschen begegnet er nicht? Der Trost für ein solches vergebens läßt sich in der gehabten guten Absicht finden und wie glücklich würde die Erde sein, wenn ein unrichtiges Benehmen nicht manches Vergebens veranlaßte. Doch genug für den heutigen Tag, an dem ein heftiger Sturm meine Fenster zittern macht.


Den 8. Juni 1817.


Ob meinen Freunden einst die Töne der Glocken bei meiner Beerdigung so rührend klingend werden, wie mir das Grabgeläute, das ich so eben um den am 28. Mai im 38. Lebensjahre gestorbnen Professor der Geschichte und[11] Director des geheimen Archivs Schütz20 schallen höre? Ihm ist gewiß sehr wohl, denn er war ein kluger, lieber, frommer Mann, alles ohne aüßern Prunk. In seinen Ämtern wird man ihn seiner öftern Kränklichkeit wegen weniger vermissen, als ich ihn vermisse, da ich auf seine Hülfe bei der Abschrift der heidelbergschen Dichtermanuscripte rechnete, die man auf vieles Mahnen21 den Bibliotheken zu Berlin und Königsberg versprochen hat. Da dies Geschäft der königl. Casse keine große Ausgabe kosten wird, so rechne[12] ich auf die Ausführung, ehe ihre Langsamkeit die Zusage wie Wasser in der freien Luft verdunsten läßt. Versprechungen gleichen nicht immer den Menschen, die der Verlust der rechten Hand nöthigt mit der linken schreiben zu lernen, die es oft leserlicher als die rechte einst macht, weil sie weniger und bedachtsamer zu Werke geht. – Wenig und bedachtsam sind aber zwei Vortheile, welche von Geschäftsmännern zum Schaden ihres Regierungstreibens höchst sträflich entweder gar nicht anerkannt oder doch für unbedeutend gehalten werden.22

Während ich dieses unter traurigem Denken an meinen guten Schütz schreibe, fällt mir aus 1. Mos. 41, 9, der Oberschenke ein, der zu Pharao sprach: ich gedenke heut an meine Sünde, daß ich in meiner Biographie nicht der schönen Stunden erwähnt habe, die ich im Jahr 1800 mit dem höchst klugen und liebenswürdigen Doctor Müller,23 dem Verfasser des mit Unrecht beinah vergeßnen Richard Löwenherz, Alfonso und Adalbert der Wilde verlebt,[13] als er sich mit dem Bruder des hiesigen wackern Kaufmanns Abegg einige Monate in Königsberg aufhielt. Auch er ist bereits längst in Wien in seinen besten Jahren begraben, ohne jene gewiß gehaltreichen Gedichte durch die neue Bearbeitung, die er ihnen zudachte, in die Reihe unsrer besten epischen erhoben zu haben. Womit mag ich es verdient oder verschuldet haben, noch immer umherzuwandeln unter den Lebenden, denen ich gern allen zur Wahrheit und zum ruhigen Glück verhelfen möchte, aber nur selten es vermochte?


Den 7. Juli 1817.


Hüllmann,24 der schon manches Jahr bei mir die Stelle des verstorbnen Professor Kraus25 vertrat, nahm[14] vorgestern einen uns beiden gleich wehthuenden Abschied, und fuhr gestern früh zu seiner neuen Geschichtslehrer-Stelle am Rhein, wo er und seine Gattin eine bessere Leibes- und Gemüthsgesundheit zu finden hoffen, da sie solche am Pregel nicht erlangen zu können glaubten. Möchten ihre Erwartungen ihnen zutreffen! zu hoffen wag ich es kaum, denn nach vieljähriger Beobachtung scheint es mir gewiß zu sein, daß keineswegs allein die Dichter zu dem genus irritabile gehören, sondern alle Gelehrten und besonders die Universitätischen.

Ich möchte die Wissenschaften mit dem Seestrande vergleichen, auf dem es sich, der vielen großen Aussichten wegen, angenehm wandeln läßt, obgleich es Triebsandstellen giebt, in die man mit Lebensgefahr versinken kann. In solche gerathen oft die Gelehrten von Profession und befinden sich sogar so wohl in dieser Versinkung, daß sie es dem ungraduirten kaum, oft schlecht verdanken, wenn er sie herauszuziehen versucht.

Sollte nicht eine große Zahl hochgelehrter Werke sogar in solchem Triebsande geschrieben sein? Möchten doch ächte Kunstgelehrte die noch nicht aufgefundenen Ursachen solcher Triebsandstellen, oder Mittel sie minder gefährlich zu machen entdecken; vor der Hand rath ich den Herren Professoren den 31. Brief in Fr. v. Raumers Herbstreise[15] nach Venedig (Berlin 1816) zu lesen, an casibus in terminis wird es wohl wenigen gefehlt haben.


Den 18. Juli 1817.


In der vorigen Nacht überdacht ich: warum doch Preußen in Paris und in Wien weniger Vortheile erlangt hat, wie Österreich, Bayern etc., da der König von Preußen doch unstrittig mehr innern Werth hat, wie seine Thronbrüder, auch seine dortigen Minister klüger und selbst moralisch bessre Diener waren, wie die Geschäftsträger der andern Rengenten? Was mir darüber einfiel, genügte mir nicht, bis ich auf den Gedanken gerieth, daß die Minister der letztern eine partheiisch leidenschaftliche Anhänglichkeit an ihre Reiche hatten, an der es bei den unsrigen fehlte; so, daß sie dem nur zu gutmüthigen Könige von Preußen sein Reichsinteresse nicht eifrig und lebhaft genug vortrugen, und ihn zu überzeugen suchten, wie Nachgiebigkeit in publicis ein weit größrer Fehler sei wie in privatis, daß man dem Landeswohl daher nie etwas vergeben müsse, indem eine Commune ein ganz anderes Ding sei, wie eine einzelne Person, und wäre diese auch ein Fürst.


Den 26. Juli 1817.


Gestern feierte ich in einer kleinen Gesellschaft, die indessen doch die Zahl der Musen überstieg, den Geburtstag des Herrn Landhofmeisters von Auerswald, der in seiner[16] Qualität als ostpreußischer Oberpräsident in dem zahlreichen Staatsrath26 kräftige Wortkörner mit ausgestreut im Beisein des in seinen Votis sich trefflich nehmenden Cronprinzen. Möchten doch all solche Körner den kalten Winter jetziger Wirklosigkeit überstehen, um im Lenze der Wirksamkeit aufzugehen und sich zu stauden!

Unser Jetzt vermag sich nicht durchzuarbeiten durch mancherlei zur Natur gewordene Gewohnheitsschwächen der zweiten Person im Staat, die sonst so viel herrliche Eigenschaften besitzt, und einst gewis schwer zu ersetzen sein wird, durch die allgemein anerkannte Calonnenart des gutsprechenden Finanzministers27 und mancher seiner zweideutigen[17] Gehülfen, durch den harten Sinn eines andern28 von dem es neben vielen ihm gemachten Complimenten im Conversationslexikon heißt29: »er sei voller Vorurtheile gegen höhere Speculation, völlig unbekannt mit den Ansichten der Ästhetik, reiche über die Allgemeine deutsche Bibliothek nicht hinaus, habe indessen unverkennbaren Einfluß auf den Geschäftsgang.« Besonders bei der Schwäche des Justizchefs,30 der in jüngern Jahren ein vorzüglicher Rath gewesen, jetzt aber im modrigen Landseewasser schwimmend keinesweges zum Zitteraal geworden ist, der durch seine elektrische Schläge das Land wider die unaufhörliche Platzregen von Gesetzen und Verordnungen sichern und schützen könnte.

Wer wird uns erlösen von diesen Übeln? Der König? Freilich könnt er es, wenn er nicht so fest säße am Schachbret des äußern Soldatenwesens, dessen innrer ächter Geist wohl nicht gedeihen kann, so lang man wirkliche ernste Kriegsmänner zu hart findet, und die sich dem Schachspieler hingebenden Uniformgerechten zu weich sind, um ihn zum Gebrauch der Kräftigkeit zu bringen, die er gewiß besitzt, und die auch segensreichen Einfluß haben würde auf den Civildienst, der nur zu oft seine Fähigkeit im Schweißtuch der sorglosen Unthätigkeit begraben liegen läßt.[18]

Luther sagte bei der Leiche des Curfürsten zu Sachsen Johann: »ein Fürst ist auch ein Mensch und hat allweg zehn Teufel um sich her, wo sonst ein Mensch nur Einen hat.« (Luthers Schriften31 von Lomler 2. Band p. 455.) Muß man denn nicht besorgen, daß so lange jede Militair- und Civil-Person von Bedeutung ein besondres Bureau hat, über das Land eine aria cattiva verbreitet liegen werde, durch Synodalventilators nicht vertreibbar.

Mögen eingesandte Zeitungsartikel auch noch so laut ausrufen nos poma natamus, nimmt man die Äpfel nicht zu rechter Zeit aus dem Wasser, so gehen sie in Fäulniß über, die zwar Gährung veranlaßt aber nicht immer klar wird. Die im preußischen Dienstwesen vorherrschende ängstliche Pünktlichkeit zwingt den, gegen den sie ausgeübt wird, zum Glauben, sie sei blos Chicane; bei der Justiz und im Militair fällt sie vorzüglich ins Auge, und das Zoll- und Accisewesen scheint darauf fundirt zu sein, so sehr auch die Recepturkosten zum Schaden der Einnahme dadurch vermehrt werden.


Den 7. August 1817.


Den letzten Morgen meines 81. Jahres weiß ich nicht angenehmer für mich zu beginnen als mit Niederschreibung einer Idee, die mir seit der Zeit im Kopf herumgegangen,[19] als ich vernahm, daß der Vorsatz den Siegs- und Ehrentagen der Jahre 1813–15 ein Denkmal von Gußeisen ohnweit dem neuen Comödienhause zu errichten, wegen anderweitiger Verwendung des dazu bereits gesammelten Geldes, unausgeführt bleiben müsse.

Schon damals dacht ich, ein solches Ehrenmal müsse einfach sein und gehöre auf eine schon von der Natur ausgezeichnete Stelle, die ich in dem höchsten ostpreußischen Berge beim Vorwerk Galtgarben, 3 Meilen von Königsberg gefunden zu haben glaube; seine mit mancherlei Laubholz und Tannen herrlich geschmückte Gestalt soll 400 Fuß über dem Meer liegen, und ist gewis nicht aufgeschüttet, wenn es auch Büsching gesagt hat. Auf seinem Gipfel soll ein hohes eisernes Landwehrkreuz mit seiner Inschrift: Mit Gott für König und Vaterland, statt des Lorbeerkranzes geschmückt mit einem daran befestigten eisernen Kreuze, errichtet werden. Zur Erleichterung des Bergersteigers sollen an ein Paar Bergseiten Fußwege ausgestochen, und neben dem Hauptgange sollen Tafeln von Gußeisen aufgestellt werden, bezeichnet mit dem Datum der in jenen Jahren gelieferten Kämpfe – (die verlornen unterscheide das Wort Kampf bei – die gewonnenen das Wort Sieg bei –) die Haupttage vom 18. Juli und 18. October müssen vorzüglichere Tafeln erhalten, und an ihnen jährlich ein großes Feuer auf der geebneten mit dem Creuz geschmückten Bergspitze angezündet werden, brennte es auch nur ein paar Stunden.[20]

Da die Königsberger jährlich Ende Septembers,32 oft beim schlechtesten Wege und Wetter den Wargschen unbedeutenden Dorfsjahrmarkt in großen Schaaren zu Fuß, zu Pferd und Wagen besuchen, so werden sie sich doch auch wohl entschließen, eine Meile weiter zu dem galtgarbschen Kampf- und Sieg-Berge zu wallfahrten, besonders wenn im Vorwerk oder dem nah beigelegenen königlichen Dorfe Kuhmehnen ein dem Wargschen Markt ähnlicher angelegt würde, und ein Gastwirth die Besuchenden für den Ausfall der Wargschen Drosseln entschädigte.

Da verschiedne Bekannte, denen ich diesen Plan mitgetheilt, ihn genehmigt und ohne große Kosten für ausführbar erklärt haben, so bin ich fest entschlossen, mein möglichstes zur Aufbringung der letztern zu versuchen, doch mit Ausschluß von Militairpersonen, denen zu Ehren es veranstaltet wird, und den König, der freilich 2/3 Soldat ist, werd ich um die Besoldung eines nothwendigen Wächters bitten.


Den 14. October 1817.


Nachdem ich begleitet von dem geschickten Zeichner Herrn Rauschke und dem in Wörlitz gebildeten Kunstgärtner Herrn Sehring am 29. August den unterm 7. August erwähnten Berg selbst bestiegen, und ihn über meine Erwartung zur Aufstellung eines solchen Denkmals[21] geeignet gefunden, so hab' ich meine Landsleute in einem kleinen Aufsatz, der in den hiesigen öffentlichen Blättern33 abgedruckt wurde, um Beihülfe zur Ausführung meines Planes aufgefordert, ob nun gleich die Besichtigung der Örtlichkeit manche Abänderung nöthig macht, bis jetzt auch die Beisteur nicht sehr reichlich erfolgt ist, so hab ich doch das eiserne Kreuz und die Platten bereits in der berlinischen Gießerei bestellt, auch die Arbeit auf dem Berge beginnen lassen. Den ersten Thaler dazu brachte ein nicht bemittelter Student Friederici,34 und Gott wird weiter helfen.


Den Tausenden,

die für das Vaterland einst starben,

dem Staat und Kön'ge Heil, sich Lob und Dank erwarben, soll ein beträchtlicher Grabhügel unter schönen Eichen mit vorstehender Inschrift und einem mit in hoc signo bezeichneten Kreuz bezeichnet, gewidmet werden. – Am Haupteingange wird auf einer Tafel zu lesen sein:


Von der Wieg' bis ins Grab

Gehn bergauf und bergab,

Bald holprich, bald eben

Die Wege durchs menschliche Leben[22]

Und so geht's auch hier:

Gefällt dies nicht Dir

So kehre heim und leg' Dich nieder

Bis Dir gestärkt sind Geist und Glieder.

Dann komm – sonst lieber gar nicht wieder;

Denn sich schöner Bergnatur zu freun

Müssen Leib und Seele rüstig sein.


Am 25. September wiederholte ich meinen Besuch des Rinausberges und fand keine Ursache, mich meinen Entwurf gereuen zu lassen, obgleich sich viele Schwierigkeiten finden werden, die ich indessen durch Beharrlichkeit zu überwinden hoffe.


Den 6. November.


Am 24. und 25. October bestieg ich den Berg zweimal auf dem aus dem Groben ausgestochnen Hauptaufgange, und vernahm von den dort noch arbeitenden Männern, daß man am 18. October auf dem dazu bereiteten Erdaltar habe Feuer brennen lassen. Des eingetretenen schlimmen Herbstwetters wegen ist nunmehr das Arbeiten bis zum Frühlinge eingestellt. Möcht ich ihn doch noch erleben, oder einen finden, der das von mir vorbereitete mit gleicher Lust und Liebe zum Dinge beendigte!


Zur Grundbenutzung und Kunstgestalt

Wär manches wohl besser ersonnen,

Hätt' ich an Kräften nicht schon gar zu alt

Die Kreuzeserhöhung begonnen!

Ist's aber nicht besser, wenn man auch schon spät,

Als wenn man gar nicht sä't?
[23]

Jetzt einige Worte über eine minder ernsthafte Sache, nämlich über meine Creation zum Doctor der Philosophie, welche die hiesige Universität zur Feier des dritten Reformationsjubiläums in allen Fakultäten mit vorzunehmen für nöthig gefunden. Billig hätten die Juristen mich in ihr Gremium aufnehmen sollen, da ich einst förmlich Cadidatus Juris utriusque geworden war, und zum Magisterio septem artium ich im 82. Jahr mir nicht mehr geeignet zu sein scheine. Denn ob man zwar viel von der Achtung für das Alter spricht, so merkt man doch aus mancher Behandelung, man mache mit ihm, was man will, und es müsse sich ein Graukopf alles gefallen lassen.

Wie man bei öffentlichen Solemnitäten oft nicht weiß was, oder warum man dieses oder jenes thut, so scheint man auch im dreihundertsten Jahre nach Luthers Reformation manches zu beginnen, worüber Luther und Melanchton sich geärgert, und Hutten weidlich gelacht und glossirt haben würde. Z.B. die Vereinigung der Lutheraner und Calvinisten, und zwar wie?!35 Die förmliche Wallfahrt eines reformirten Königes zum Grabe Luthers in Wittenberg.36[24] Solche Dinge möchten der Religion ungefähr so zuträglich sein, wie die unaufhörliche Abänderung der Soldatenkleidung dem Kriegswesen sind – doch risum teneamus amici, da jedem seine Weise gefällt.


Den 28. November 1817.


Der gestern abgehaltene Geld und Mühe kostende Doctorschmauß hat gezeigt, daß man sich an das alte Brocardicon37 Juris: beneficium nemini debet esse onerosum nicht kehrt; würde man mich sonst nicht mit einer Betitelung verschont haben, die eine Art von festlicher Versammlung, mehrentheils jüngerer Menschen, auch einem ganz alten Manne zur Pflicht macht, der schwacher Augen und Ohren wegen sich in der lauten Unterhaltung einer großen Anzahl unmöglich gefallen kann?

Die Eule, der der Lärm der sie umflatternden Vögel nicht länger gefällt, fliegt davon und rettet sich in den Schatten eines dickbelaubten Baumes – wen Jean Pauls Witzsterne, die manchmal wie Goldblümchen auf schlechtleinen[25] Schifferhosen stehn, durch ihr Zitterlicht ermüdend blenden, darf nur das Buch weglegen – der manierliche Wirth muß aber bis ans Ende aushalten, wenn er gleich auf das: »halt aus, wirst Wunder sehen«, nicht hoffen darf.

Man hat die Fürsten über das zahlreiche Ordenvertheilen häufig und mit Recht getadelt. Begehen aber die Universitäten nicht einen gleichen Fehler, wenn sie academische Grade an Leute ertheilen, die sich den sieben Künsten nie förmlich gewidmet, oder doch in keiner es zur Meisterschaft gebracht haben, denen man aber das Verbitten solcher zeitlichen Ehre für Eigensinn, Übermuth oder Unhöflichkeit auslegen würde? perfer et obdura, wenn einem auch das labor hic tibi proderit olim nicht einleuchtet. Die Zeit sind bald regnicht, bald heiß, wer weiß, können die Krempen des Doctorhutes nicht vor Naßwerden oder wider einen Sonnenstich schützen.

Die Ausrichtung ist überstanden, keinen Gast schien es zu gereuen im abscheulichen Novemberwetter meine Einladung dazu angenommen zu haben, und dem, wahrlich fröhlichen, wenigstens Gerngeber, ist auch alles wohl bekommen; kann man mehr und bessres erwarten?


Den 13. Januar 1818.


Keiner meiner Häuslinge außer Carl ist einheimisch, ich bin also beinah ganz allein. Es ist wahrlich angenehm, sich allein an sich selbst halten zu müssen. Christus rieth beim Beten ins Kämmerlein zu gehen, um den Menschen zu verstehen[26] zu geben, sie könnten Gott nicht besser recht nahe treten, als wenn sie sich ihm allein nahten. Mit Gott kann man wirklich nicht allein genug sein, denn Menschen zerstreuen uns jedesmal. Ich empfind es recht lebhaft, wie sich für das hohe Alter nichts besser schickt, wenigstens ihm nichts angemeßner sei als die Einsamkeit. Zwar findet jeder, der mich zu sprechen verlangt, mich zu Red und Antwort bereit, weil doch aus dem Zwiesprach mehrentheils etwas herauskommt – was kommt aber aus den gesellschaftlichen Unterhaltungen heraus, sind sie nicht blos Zeitvertreibe? Das bekannte: es ist nicht gut, daß der Mensch alleine sei, läßt sich eigentlich nur auf die Geschäftswelt anwenden, in der das wiederholte Reiben an einander die Wärme hervorbringt, ohne die tausend nützliche Dinge ungeschehen bleiben würden.


Den 31. Januar 1818.


Am 17. dieses wüthete der schreckliche Orkan, dessen Spuren man vielleicht nach 100 Jahren noch erkennen wird,38 und den man in die Litaney setzen sollte wie die[27] Finanzverwaltung des Grafen B.(ülow). Am 24. feierte ich nach alter Weise, aber doch leiblich gesunder wie im vorigen Jahre, den Geburtstag des noch immer der größte König bleibenden Friedrichs II. mit dem dem General Borstel zugebrachten Toast:


Möcht' diesen König, bisher sondergleichen,

Der unsre, uns zum Heil, doch auch erreichen!


In aller Augen schien Vtinam zu stehen, wie mir im Herzen heut an Hippels Geburtstage steht vtinam viveret – aber leider verbunden mit einem vix credo, das sich immer tiefer in mein Herz eingräbt und mich glauben macht, es könne mit Preußen nicht gut werden, so lange sein König in der Sünde wider den heiligen Geist zu leben fortfährt. Denn bei seinem natürlichen Verstande muß er ja wissen, daß der gerade Weg der kürzeste, daß die Menge der Palliativarzeneien keine Krankheit heilt, daß zahlreiche Heere nicht die Dauer eines Staates sichern, daß Heerschaaren von Dienstmenschen dem wahren Dienst hinderlich sind, und Heuschrecken werden, daß man das gutgesinnte wackre Volksroß nicht mit Stachelzäumen quälen, ihm nicht buntgestickte Gesetzschabracken auflegen, daß die Dienstmiethlinge nicht verleitet werden sollen ihrer Legionschaft wegen diese für nothwendig zu halten, und der unzähligen Verordnungen halber die Erweiterung ihrer Schreibtische zu vertheidigen.

Christus speisete nach Luc. 9, 12 etc. 5000 Mann mit 7 Brodten und 2 Fischen, die Regierungsmaschinisten schleppen[28] 5000 Brodte zusammen und halten Verwaltungsmahle, nach deren Beendigung sich nicht 12 Körbe hungerstillender Brocken zusammen lesen lassen.


Den 17. März 1818.


Am 11. dieses mußte die zeitungsbekannte Frau von Krüdner39 von hier abreisen, nachdem man sie ihr Aftererbauungswesen länger als 14 Tage vor ganz ansehnlichen Personen, besonders ihres Geschlechts zum offenbaren Nachtheil des reinen Menschenverstandes hatte treiben und mit ihrem Gebetsschnupfen viele zum Schaden häuslicher Verhältnisse hatte anstecken lassen.

Ob ich gleich die Frau v.K. – einst persönlich gekannt, so konnt ich mich doch nicht entschließen, auch nur Einen ihrer mit Bekreuzungen und lieblichen der Verfasserin der Valerie reichlich zuströmenden Redensarten, täglich zweimal schönfarbig tatouirten Vorträge zu besuchen.

Wenn ein von Natur guter Kopf auf den Abweg geräth, über seinem Verstande nicht klargewordene Dinge zu[29] schreiben oder öffentlich zu reden, so ist nichts leichter und gewöhnlicher, als daß er sich zu einem Galimathias gewöhnt, der am Ende ihm selbst so zuspricht, daß er aus dem anscheinenden gefälligen Zuhören andrer schließt, sie müssen doch wohl verstehen, worüber er selbst manchmal noch zweifelhaft sein mag.

Was mir ganz gescheute Menschen, die den Schwärmereihonig von ihren Lippen fließen gesehen, davon gesagt haben, läßt mich glauben, daß sie, nach jetzt nicht mehr möglich zu treibender Liebelei, nunmehr mit dem nie ernstlich genug zu ehrenden und zu liebenden Menschensohn kokettire, und die sanfte Wärme der Religiosität zur Flackerflamme aufgeblasen habe, in der aber das kalte Auge des vernünftigen Beschauers nur den um die Köpfe der Heiligen gemalten Nimbus erkennt, der ein Licht zu sein scheint, aber keine Finsterniß hell macht.

Wie oft ist mir in diesen Tagen des frommen Gallerts Verslein eingefallen.


Die Heiligung erfordert Müh',

Du wirkst sie nicht, Gott wirket sie,

Du aber strebe so nach ihr,

Als wäre sie ein Werk von Dir;


das sich aber ebenso wenig anfangen noch vollenden läßt durch ein lautes Betgeplerr, welches von dem von Christo angerathenen Gehen ins Kämmerlein ganz abweicht, auch nicht einmal zu dem von der über die Frau von Krüdner[30] hervorragenden Guyon40 empfohlen innern Beten paßt, als durch ein sich immer gleich bleibendes Pfauenrad unermüdlicher, schillernder Zungenbewegungen.

Wer zu solchem unablässigem Bete anräth, und des Arbeitens nicht gedenkt, auf welches Letztre durch das: wandle vor mir und sei fromm hingewiesen wird, und das nicht zum Stillstehen im Frommsein, sondern zum Fortschreiten in thätiger Gottseligkeit auffordert, der verleitet zum Müßiggange, zur Beneidung selbst des Wohlhabenden, der letzteres durch Verbindung des Gebets mit der Arbeit wurde, so wie zu dem Wahne, es bedürfe zur Erreichung zeitiges und ewiges Wohlbehagens nur eines fortwährenden Auffädenens frömmelnder Wortcorallen zum Rosenkranz der Andacht, als ob ein ausgehangner Epheuschmuck den Weinkeller verbessern könne.

So oft man betet, sollte man den Eingang machen mit einem ernstlichen: bewahre mich vor der Versuchung eines unvernünftigen Trachtens nach einem Wissen, dessen Object dem irdischen Leben unerreichbar ist, und dem eine Gott wirklich ergebene Seele daher auch nicht nachstreben soll.

Nach dem Absterben hiesiger academischer Lehrer pflegte ehemals stets eine Sammlung kleiner und größrer Gedichte[31] zu erscheinen, unter diesen befand sich nach dem Tode des durch seine Gute Sache sehr bekannt gewordenen Doctor Lilienhals41 folgendes Distichon von Kant:


Was auf das Leben folgt, deckt tiefe Finsterniß,

Was uns zu thun gebührt, des nur sind wir gewis.

Dem kann, wie Lilienthal, kein Tod die Hoffnung rauben,

Der glaubt, um recht zu thun, recht thut, um froh zu glauben.


Eitelkeit und Neugier haben öfterer als man denkt Antheil an den Excentricitäten schwärmerischer Andächtler und ich mags nicht verbürgen, daß nicht auch die Krüdnerschen aus diesen bakuschen Naphtaquellen entspringen, an deren hüpfenden Flämmchen sie sich selbst ergötzt.

Was mich an dieser der Welt auf allerlei Wegen kundig gewordnen angeblich christlichen Pythia befremdet, ist die Wahl ihrer Umgebung, da der ihr Vertrauen in vollem Maaß besitzende Hauscaplan Kellner von allen Unbefangenen für einen sehr unverständigen, unwissenden, den Himmelsberuf, fast möcht ich sagen, nur vorgebenden Bojazzo erklärt und ihrem schönen Gesangschor manches[32] nachgesagt wird, was die wirkliche Andacht der Sänger gar sehr in den Verdacht momentaner Grimassirung bringt. Auch würd ich manche ihrer fleißig mitknieenden Besucher und Besucherinnen nicht zu den meinigen wählen, indem mir ihre Mischung des Papst- und Lutherthums zuwider ist, und sie aus Furcht vor der Gerechtigkeit dessen, der allein wahrer Gott ist, sich an Christus recht sinnlich anschmiegen, um sich die Vorbitte des Obersten aller Heiligen zu erschmeicheln.

Freilich wurde der Magdalena, die auch viel geliebt hatte, viel verziehen, allein es erregt doch immer eine Art von Misfallen in mir, wenn ich ein Gemälde von ihr neben dem Bilde der von mir hochgeliebten durch und durch frommen Mutter Jesu aufgestellt sehe. Frau v. Krüdener scheint auch mit dem lieblichen Geruch ihrer Wort-Narden und den Spezereien der zum Himmel sich hebenden Blicke betäuben, wenigstens schwindlich machen zu wollen, ob sie es dabei immer so aufrichtig meinen mag wie Maria Magdalena?

Gottlob, daß sie dem kalten Norden zugezogen, möge sie dort eine fleißige Verbesserin ihrer Unterthanen, oder zur Obermissionairin im Caucasus bestellt werden. – Wird sie letzteres annehmen, da sie schon hier nicht mit raschen Postpferden fahren wollte und sich lieber kopfhängende Ackerpferde miethete – sind solche Besorgnisse auch Beweise eines völligen Ergebens in den Willen Gottes?

Ach lieber Gott, erhalt mir meinem Glauben an Dich!
[33]

Den 17. März 1818.


In jüngern Jahren zu sinnlichen Wollüsten geneigt und gewöhnt, sucht der an ihre leiblichen Erwärmungen gewöhnte Geist, wenn er merkt, daß erstere ihn nicht mehr gehörig unterstützen, nach einem Surrogat der letztern, und wenn die allgemeinen nicht die gewünschte Veränderung schaffen können, so treibt ihn die ihm unerträglich werdende Empfindung des Kaltwerdens sich einen mystischen Ofen zu suchen, um sich vor dem Erfrieren zu bewahren.

Auf diese Art erkläre ich mir den häufigen Übergang älternder Buhlerinnen zur Betschwesterei, in der sie Ersatz für die verschwundnen leiblich behaglichen Gefühle suchen, welches Suchen sie zu einem meines Erachtens sträflichen Greifen nach dem Heilande und Seligmacher Christo bringt.

Auf solche Weise wird die religiöse Schwärmerei eine psychische Buhlerei mit dem heiligsten reinsten Wesen, die, mit anhaltendem Ernst getrieben, zu einem seelverderblichen Gefühl ausartet, und wie männliche Wollüstlinge darauf ausgehen weibliche Unschuld in ihren Luststrudel zu ziehen, so sind die zur geistigen Wollust übergetretenen Weiber sehnsüchtig geneigt die jüngeren zu ähnlichen Exaltationen zu verleiten. Je jünger unschuldiger solche Proselytinnen sind, desto tiefer verfallen sie in die süßduftenden Eiderdaunen des Grahamschen Himmelsbettes,42 und schlafen[34] sich so betäubt in die andre Welt; nöthigen sie aber Umstände wieder in das Weltleben zu treten, und finden sie da an den leiblichen Umarmungen Geschmack, so kann man sicher darauf rechnen, daß wenn solchen Personen der Taufschein das fortsündigen nicht weiter erlaubt, sie in eine Andächtleierecidiv verfallen, und ihre Jugendrolle gewiß mit noch härterer Unduldsamkeit gegen die Freiergesinnten fortspielen werden.


Den 18. April 1818.


Als ich in John Mawes Reise in das Innere von Brasilien43 las, wie großer Theil seiner Einwohner sich mit der Goldwäscherei und dem hochverpönten Suchen nach Edelstein abgäbe, darüber aber die Bearbeitung des zum Hervorbringen aller erdenklichen Früchte tauglichen Erdbodens verabsäume, so fielen mir die Frömmler und Andachtsschwärmer ein, die während des irdischen Lebens das Gold und die Diamanten des Himmels sich durch lauter Singen und Beten, das freilich leichter wie Arbeiten[35] sein mag, zu verschaffen gedenken, darüber aber die heilsame Werkthätigkeit, durch die sich das Gold der himmlischen Zukunft gewinnen läßt, verabsäumen.

Die Gold und Diamanten suchende Brasilianer verkrüppeln und verarmen bei diesem Geschäfte, die Frömmler und Andachtsschwärmer erschöpfen ihre Kräfte in Worten und Seufzern, statt daß sie selbige durch ordentliche Beschäftigung zur Himmelsgewinnung stärken würden. So lang indessen die Frömmler ihre Kunst nach dem Himmel zu greifen im Stillen zum Hausbedarf treiben, halt ich sie für unschädlich, sobald sie aber durch ihre laute Verkündigung sich Jünger zu schaffen bemüht sind, so scheint der Staat Recht und Verpflichtung zu haben, ihnen Einhalt zu thun, denn die Sprossen der Schwärmereileiter sind für eine Menge der sie Besteigenden gewiß nicht haltbar, und die Herabfallenden können sehr beschädigt werden.

Andächteleizuspruch wirkt wie starkes Getränke auf die Sinne derer, die sein Feuer nicht kennen, und sucht unter der Maske alles leidender und duldender Liebe Proselyten zu machen, in deren großer Anzahl sie eine Rechtfertigung ihres eignen Irrthums gefunden zu haben glaubt.


Den 22. April 1818.


»Die Sehnsucht nach Ruhe,« sagt der kluge Verfasser44 von Welt und Zeit (3. Theil p. 99) »sei ein thierischer[36] Trieb,« welche Herabsetzung ich aber nicht billigen kann. Sollten die Entäußerungen der Thebaischen Anachoreten und neuern Eremiten blos durch thierische Antriebe entsprungen sein? Wer mich kennt, weiß, daß von Jugend an keine thierischen bei mir vorgeherrscht haben, und doch bekenne ich, daß Sehnsucht nach Ruhe von je her in meinem Seelenzustande gelegen, und daß diese bei mir jetzt, da ich gewiß mehr psychisch als physisch lebe, so zunimmt, daß ich mich keinesweges unglücklich fühlen würde, wenn Niemand mich weiter besuchte, und selbst durch kluge, muntre Unterhaltung meine Sehnsucht nach Ruhe[37] unterbräche, oder während des stillen Wandelns nach dem Grabe die Empfindung störte, wie Sterben mein Gewinn sei, und mir nicht schaden könne. Dieses sinnliche Sehnen nach Ruhe kann ich um so weniger für thierisch halten, da ich an die Auferstehung menschlicher Thierheit keinen Glauben habe.

Noch vor wenigen Jahren hätt ich mich schwerlich zur Trennung von den Portraits meiner Jugendfreunde Neumann und L'Estocq45 entschlossen, gestern aber hab ich beide ruhig und willig selbst eingepackt und sie ihren Söhnen zugeschickt, ja ich glaube sogar wohl daran gethan zu haben, weil thierische Sinngenüsse die Sehnsucht nach Ruhe mehr stören als befördern, ich gehe daher auch heut mit einer Art von Unlust zur Jahresfeier des Kantschen Geburtstages.

Mit einer andern Äußerung in Welt und Zeit, daß nämlich die Jugend ein gefährlicher Rausch und das Alter eine gefährliche Nüchternheit sei, bin ich zufriedner, weil ich es manchmal doch nicht immer so gefunden; besonders beim Erinnern an einige Gebete aus der Kindheit. Z.B. »Schaff in mir Gott ein reines Hertz und gieb mir einen neuen und gewissen Geist, verstoß mich nicht von Deinem Angesicht und nimm Deinen heiligen Geist nicht von mir.« Wird nicht mancher Leser einst hierüber lachen, daß ich darin ein freundliches Memento mori finde, und[38] jedem dessen Benutzung anrathe, weil wir doch alle sterben müssen und es daher klug und nützlich sei, sich ein Leichtsterben vorzubereiten?


Den 10. May 1818.


Ob ich gleich keine zweite und dritte Person in der Gottheit glaube, so ist mir doch von langen Zeiten her es angenehm gewesen, das dem heiligen Geist gewidmete Pfingstfest grün und klarhimmlig zu sehen; denn ich kann und mag mir den heiligen Geist nicht ohne Gefühlsblüthen und Verstandesklarheit und Heiterkeit denken, weil ich in diesen sichersten Quellen eines behaglichen Seelenzustandes suche und finde.

Es thut mir daher heute recht wohl, daß die in diesem Jahr früh eingetreten Pfingsten grün und reich an Sonnenschein sind, wenn auch schon ein kalter Wind den Genuß der freien Luft erschwert; denn auch er reinigt die Luft, obgleich sein Sausen immer etwas störendes, besonders für mich hat, der in windreichen Tagen kaum im dichten warmen Zimmer zu lesen vermag.

Da die Liebe nicht leidenschaftlich getrieben werden soll, wenn die Leidenschaft nach Boost (Eubios p. 99)46 ein irregeleiteter Trieb zur Seeligkeit ist,47 so scheint sie[39] sich mit Sturm so wenig zu vertragen, wie Arroganz oder Anspruchssucht mit wahrer Frömmigkeit, die ich daher bei den Professionsheiligen sehr bezweifle, indem ich bei genauer Prüfung ihrer Persönlichkeit nur zu oft gefunden habe, daß ihre Bekehrsucht aus eigenliebigem Zutrauen zu einer vorzüglichen Religions- und Seligmachens-Kenntniß herrühre.

Liebe, diese Summa Summarum ächter christlicher Frömmigkeit, die den gewöhnlichen Ausdruck: wer nicht hassen kann, könne auch nicht lieben, keinesweges für wahr hält, verträgt sich nicht mit dem durch und durch intoleranten: ich danke Dir Gott, daß ich nicht bin, mag einer es gar nicht aussprechen oder es mit den sanftesten Mienen und lieblichsten Tönen vergolden oder illuminiren. Luthers Ausdruck: es giebt kein Pfäfflein, in dem nicht steckt ein Päpstlein, ließe sich daher wohl auch auf die förmlichen Heiligen anwenden, die sich auf den Augenaufschlag gen Himmel gelegt haben. Woher mag es aber kommen, daß die christliche Kirche fortfährt, den König David einen Mann nach dem Herzen Gottes zu nennen, da er doch mehr Haß und Rache als Liebe in seinen Psalmen äußert?


Den 9. Juni.


Spem inchoare longam hielt schon Horaz in seinen besten Jahren nicht für das klügste, das man thun könnte; für einen steinalten Menschen dürfte es also wohl das unklügste[40] sein, das er beginnen kann. Da nun in den Aufwartungen, die man großen Herren macht, eine Art von einer auf sie sich gründenden Hoffnung liegt, so blieb ich bei meinem Vorsatz, den König bei seiner Durchreise nach Moskau nicht zu sehen, indessen hab ich ihn doch schriftlich um die Besoldung eines Wächters meiner Galtgarbschen Kreuze gebeten, und selbige in einer Anweisung auf 4. Thlr. monatlich erhalten.

So wie mich meine Invalidität vom Ersteigen der hohen Schloßtreppen abhielt, so muß ich auch Verzicht thun auf eine Erscheinung beim Cronprinzen, den ich so gern selbst angeschaut, und dem ich so gern für seinen freundlichen dem Bischof Borowski wiederholentlich aufgetragnen Gruß an mich, mündlich gedankt hätte. Gehört aber die beinah allgemein gute Hoffnung auf diesen Königssohn nicht auch zu der spes longa, der schon Horaz böses nachsagte? Zur Wiederlegung dieses einzelnen heidnischen Dichters singt das Volk der Preußen:


Wenn Hoffnung nicht wär',

So lebt' ich nicht mehr –


Ganz freudeleer sind diese Heerschautage auch für mich nicht gewesen, denn ich sah mehrmals den Sohn meines Jugendfreundes Neumann, den Major v.N., dessen aüßerlich schöner Gestalt auch sein Innres durch Cultur und Gesinnung gleich zu sein schien.

Nun ist alles vorübergegangen, und wer weiß werd ich nicht auch bald hingegangen sein, von wo man nicht[41] zurückkehrt, weil es einem dort besser ist, als es einem hier jemals war oder werden konnte! –


Den 12. Juni.


Die meisten Schwärmer, die durch Andächtelei und Betparoxisme zu näherer Kenntniß des Himmels gelangen zu können sich einbilden, sind eigentlich Genossen des allbekannten Doktor Faust. Da dieser stolze Mann das Nichtgelingen seiner Verstandanstrengungen zur Erreichung größrer Gewalt über Erde und Himmel einsah, so wandt er sich an den Teufel und fuhr darüber zum Teufel. Ob die scheinbar demüthigen, aber nicht minder stolzen Andächtler, wenn ihr gewöhnlicher Verstand ihnen nicht zum Errathen der himmlischen Geheimnisse verhilft, gerade zu Gott fahren, ist keineswegs so ausgemacht wie das, daß Faust sowohl wie sie, sich irren, jener als er sich an die bösen Geister wandte, diese, daß sie durch Andachtskrämpfe, wie ich ihre Beterei nennen möchte, sich zur vorgedachten Enträthselung zu verhelfen wähnen. Das bekannte: »Was Deines Amts nicht ist, da laß Deinen Vorwitz« sollte man nie vergessen. Gott setzte uns auf die Erde, sie zu erforschen und zu benutzen – der Himmel ist eine ganz andre Sache, und wer vorwitzig die Augen blos nach ihn richtet, fällt in mancherlei irdische Gruben, die er hätte vermeiden können und sollen.


Den 16. Juli 1818.


Da nulla dies sine linea bleiben sollte, und nach A.W. Schlegels Aussage »der Mensch dem Menschen[42] nichts Köstlicheres geben kann als sich selbst«, so fahr ich in den Zusätzen zu meiner Biographie fort, nach dem ich viele Wochen ohne Lust und Kraft zum Schreiben gelebt habe, und auch heut' es nicht wage das auf dem Galtgarbschen Berge von der hiesigen academischen Jugend und einigen Professoren herrlich und froh bei dem hölzernen Interimskreuze gefeierte Fest48 des 18. Junius zu beschreiben. Die höchst gemischte sehr zahlreiche Versammlung soll nach allgemeiner Aussage sehr vergnügt und mit meinen noch lange nicht vollendeten Bergverschönerungen so zufrieden gewesen sein, daß das Burschencorps beschlossen hat, jährlich am 18. Juni und 18. October das Sieges-Dank- und Ehrenfeuer auf dem Rinauberge brennen zu lassen.

Leider wird meine merklich zunehmende Altersschwäche mir wohl nicht erlauben, dieser Feierlichkeit beizuwohnen, da es mir gewis nicht wenig sauer wurde am 4. Juli den Berg zu besteigen um das dort bereits angefertigte zu bestehen, theils einige neue Anweisungen zur Bergverbesserung zu geben.

Wie wunderschön könnte dort noch vieles werden, wenn die Casse mir und meinem treuen Kunstgehülfen Sehring erlaubte recht zu benutzen die Natur des Berges,[43] bei dessen Erblickung der verstorbne Herzog von Dessau gewis sich die Glaubensstärke gewünscht hätte, ihn zur Hauptzierde nach Wörlitz versetzen zu können.

Mancher kleine Unfug, den ich, von leichtsinnigen Menschen begangen, wahrnahm, erinnerte mich in der Stadt gehört zu haben, der einst Hippelsche, jetzt Busoltsche Garten bleibe jetzt ziemlich frei von nächtlichen Frevelbesuchen, seitdem sich das Gerücht verbreitet, Hippels Geist gehe bei Nacht in jenem heiligen Schatten umher: ich beschloß daher mich dort unter herrlichen Hangelbirken begraben zu lassen. Die vor einigen Tagen gemachte auf eine an einem Baum zu heftende Inschrift49 lautet:


Der dem eisernen und Landwehr-Kreuze

Auf des Galtgarbs Zinn' ein Mal erhob,

Unbekümmert ob auch Dank und Lob

Ihm dafür zu Theil bei andern werde,

ruhet hier

im Mutterschooß der Erde.


* * *


Möchten alle, die den Berg beschau'n,

Mit so festem Gottvertrau'n,

So befreit von Weltverlangen

Einst in ihre Gräber geh'n,

Wie in sein Grab er gegangen.
[44]

Möchte doch die leidige Gespensterfurcht alle Versündigungen von meinem Lieblingsberge abhalten!


Den 22. Juli 1818.


So sauer mir auch die letzte Bergersteigung geworden war, so wiederholte ich doch meine Fahrt nach Galtgarben am 11. dieses und labte mich unterwegens unbeschreiblich am Anblick der herrlich gedeihenden Saatfelder, deren mancherlei Farben die Morgensonne noch verschönerte. Zwar erschöpften ihre Mittagsstrahlen beim Berggange meine Kräfte so sehr, daß ich jede zum Ausruhen angelegte Stelle benutzen mußte, aber wie wohl that es mir auch, als ich mich unter das Schattendach der schon bestimmten Grabstätte niederlegen konnte.

Möchte mir doch einst beim Sterben so wohl zu Muthe sein, als mir in diesen Augenblicken war beim Gedanken an Tod und Unsterblichkeit.[45]

Die weiße Rinde der Birkenstämme, und das Lispeln ihrer nicht traurig, sondern so zu sagen nur nachdenklich herabhängenden Zweige brachte in mir eine aus Verstand und Gefühl zusammengesetzte unbeschreibliche Wonne und Erfrischung hervor; gern hätt ich ihrer länger genossen, wären nicht von meinen Begleitern so viel Einwendungen gegen mein Erdelager gemacht worden.

Beim Aufstehen drückte mich zwar ein wenig der Gedanke, daß ich nicht mehr lebend diese Stätte würde berühren können, und das Werk andern es nicht so wie ich con amore treibenden würde überlassen müssen; zumal das Sprüchwort: wo Gott sich ein Haus baut, baut der Teufel sich dicht bei eine Capelle, aus dem gewöhnlichen Gange der Menschen-Natur entsprungen zu sein scheint, nach welchem das Angenehme sich immer dem Unangenehmen zugesellt, allein da ich über alles was nothwendig ist, ginge es auch noch so schief, nicht viel nachgrübele und es durch Zerren gerad zu biegen mich bemühe, so klammerte ich mich bald wieder fester an das: der Herr hat alles wohl gemacht.

Nach einer kurzen Ausruhung auf einem Strohbunde unter Dach traten wir unsre Rückreise wieder an, auf der uns ein sehr starkes Gewitter befiel, das wie ich nachher erfuhr, ein paar Hirtenknaben getödtet hatte.

Der feste Glaube, daß man überall in der Hand des Herrn sei, behütet mich vor aller Gewitterfurcht, so daß ich mich bei diesen großen elektrischen Ausladungen am liebsten ganz im Freien befinden möchte.[46]

Bei meiner Heimkunft ward ich gar freundlich überrascht durch nachstehendes kleines Gedicht des Gymnasien-Directors Gotthold, der von meinem Vorsatz mich auf dem Berge begraben zu lassen gehört, auch meine Grabschrift gelesen hatte:


Wand'rer, dies Kreuz erhöhte zum Denkmal tapferer Preußen,

Die mit dem Kreuze geschmückt brachen Germanias Joch,

Scheffner, als zweiundachtzig der Jahr' ihm die Scheitel umkränzten,

Segnend der Tapferen That, segn' auch den würdigen Greis,

Und dankbar dem Verdienste wie er, und der eignen vergessend

Wie er, wandle wie er thätig und heiter die Bahn.50


Gern will ich thätig und heiter fortzuwandeln streben – lang wird es ohnedem nicht mehr dauern.


Es gehe wie es gehe,

Mein Vater in der Höhe

Schafft immer Hülf' und Rath;

Ihm hab' ich mich ergeben

Im Sterben wie im Leben,

Ihm, der mir immer Gutes that.


Den 18. August 1818.


Am 6. dieses war mein leibliches Befinden plötzlich so in Verfall gerathen, daß ich die Tischgesellschaft beim Herrn[47] Landhofmeister, bei dem ich die gewöhnliche Feier meines Geburtstages einige Tage zuvor ganz verbeten hatte, nicht abwarten konnte, und während einiger Stunden weiter nichts dachte als: deinen 83. Geburtstag wirst du also nicht erleben: ich hab indessen doch den 8. August überlebt, ob ich gleich die ihm bescheerten Blumen, Kränze und mündliche und schriftliche Wünsche im Bett liegend annehmen mußte.

Die Blumen und Kränze haben ausgeduftet und sind verwelkt, aber das Gedicht Gottholds ist geblieben und wird beigelegt (s. Beilage A), auch thät ich dieses gern mit der Antwort des Cronprinzen auf meine Danksagung für seine Begrüßung, da die so vorzüglich auspruchlos, herzlich und freundlich ihm aus der Feder recht schnell geflossen.51 Gott gebe, daß er erfülle, was tausende von ihm hoffen und widerlege einst die oft gemachte Bemerkung, daß cronprinzliche Blüthen unter der Königskrone nur zu oft wurmstichige Äpfel tragen.

Am 13. kam endlich und endlich das große eiserne Landwehrkreuz nebst seinem Zubehör an, aber nicht ohne Beweise, daß die Berlinischen Eisenschmiede wie viele hohe und niedere Dienstgewerbleute sich kein Gewissen daraus machen, die Provinzialbestellungen und Vorschriften abzuändern, ohne zu bedenken, daß ihre unnütze Abänderungen[48] viele unnöthige Beschwerden beim Gebrauch des Bestellten manchen müssen. Wie der Staatsverstand das Befehlen, seine leibliche Dienerschaft aber vielfältig das Thun und das Lassen hat, so geht es denn auch im Privatleben. Ob Geduld einst auch das in Freunde verwandeln wird, worüber Ungeduld hier sich krank und beinah todt ärgert? Krank bin ich leider genug, und aufs Sterben giebt der Taufschein ziemlich sichre Anweisung.


Fiat voluntas Domini!


Den 29. August.


Ganz ist's noch nicht vollbracht – doch bald wird's sein,

Schon stellen häufig sich die Nebel ein,

Die Regsamkeit des Geistes zu entmannen

Und tief der Sinne Schraubwerk abzuspannen.

Dem grauen Kopf, oft sehr gedankenleer,

Fällt manchmal schon ein Freundschafts-Zwiesprach schwer,

Weil zur Erwiedrung angestrenget

Ihn manches Strauchgezäun umenget,

Das jung und froh, leicht übersprungen ward.

Zwar flattern Wüsche noch nach kleiner Vögel Art

Mit ihren Flüglein auf, doch will zum rechten Fliegen

Ihr Schwunggefieder nicht mehr gnügen,

Und reicht, schwerfällig wie der Strauß

Nur kaum zu kurzen Gängen aus.[49]

Mein Lieblingsgang ist der zum Bette,

Und wenn ich da den Schlaf, der auf der Daunen Wink

Mit seinem Mohnkranz mich so sanft und schnell empfing,

Noch so wie sonst zu Diensten hätte,

Wie wohl thät's mir! Ich könnt' und würde dann

Die Kräfte, die ich stets durch ihn zurückgewann,

Zu Tagesfleißgenüssen brauchen – –


Zu schwach zum Schwimmen, und zum Untertauchen

Noch nicht gnug schwer, leb ich nicht kalt nicht warm

In lästig ungewisser Schwebe,

Und wenn an Zufluß neuer Kräfte arm

Ich mich zu einem Werkversuch erhebe,

Fehlt's bald dazu an muthigem Entschluß,

Doch nie am Müdigkeitsverdruß.


Mein letzter Plan die Kreuzerhöhung

So freudereich bei einstiger Entstehung,

Selbst er belastet mich, und trag ich andrer Schuld

Gleich selten nur mit lauter Ungeduld,

So will doch oft der Athem mir entweichen,

Der nicht wie das Ermüdungskeuchen

Beim Bergersteigen sich durch Stillestehn,

Durch einen Rasensitz, durch freies Umsichsehn

In schöne Gegenden läßt stillen.

Die dürft'ge Kraft beneidt den reich gebliebnen Willen,

Und muß, will sie die Auslachspötterei,

Die keinem wohlthut, klug vermeiden[50]

Mit selbstmisfäll'ger Heuchelei

Den Schwachheitseingriff freundlich leiden.


Mag immer Cicero den Greis

Noch zu vier Dingen fähig halten,

Wem viel Decennien die Stirne falten

Kauft alles theurer, und selbst für den höhern Preis

Kann er's nur aus der zweiten Hand erhalten:

Auch Steinmoos blühet zart und schön,

Doch muß man durch Vergrößrungsgläser sehn

Wo, wie und wann es blüht: wie anders spricht die Blüthe

Des Frühlings Herz und Sinne an?

Dem Greise, der gleich einem Marmor-Pan

Im Blumengarten steht, muß Schwachheit man für Güte

Anrechnen, und fürwahr er thut,

Nach seinen letzten Lebensschranken

Am besten, keinem Lebensgut

Mehr nachzutrachten, und nie abzuwanken

Vom Geist und Herz erhebenden Gedanken

An's tröstliche: Bald ist's vollbracht.

Am lauten Tag, bei stiller Nacht

Halt drum mein Geist und Herz fest am Gedanken:

Gottlob, bald bald wird alles sein vollbracht.


Den 30. August.


Wie kam ich zu dem gestrigen Recidiv in die Versmacherei?[51]

Als ich mich vorgestern in meinem freundlichen Kämmerlein zur Ruhe niederlegte, hatt' ich den Kopf ziemlich voll von mancherlei, das mir bei den letzten Vorkehrungen zur Kreuzerhöhung in den Weg gekommen: ob ich nun gleich alles Unangenehme, das mir in dieser nationalen Ehrensache begegnet, als billige Strafe für ein meinem hohen Alter nicht angemeßnes Wagstück ansehe, welches ich indessen keinesweges bereue, sondern seine Beschwerden mir durch die Hoffnung einer glücklichen Vollendung erträglich mache; so ließ mich doch der übelgelaunte Kopf nur unruhig schlafen, und ich dachte bei jedem Erwachen an die Worte: »ganz vollbracht ist es noch nicht, bald wird es aber wohl sein«, so daß ich physisch und psychisch von diesem Vollbracht ergriffen, gleich nach meinem Aufstehen am 29. vorstehende Reime in einem Zuge niederschrieb. Vermuthlich meinen Schwanengesang, dem ich viel zu gut zu halten bitte – die Schwäne, die bei gesundem Leibe keine liebliche Klänge austönen, mögen sterbend auch wohl nicht besser singen – wer hat ihre Sterblieder gehört?52 Wahr ist in meinen Reimen gewiß alles, und ich hoffe daher, es werde sie kein Wahrheit liebender bejahrter Leser ganz unlesbar finden. Dieser Beruhigungsgrund fiel mir auch bei, als ich vor einiger Zeit in meinen abgedruckten Zeitversen[52] blätterte, und viele von ihnen gewiß sehr prosaisch fand, ob ich gleich gewissenhaft versichern kann, daß ich mich nie hinsetze um zu schreiben, sondern zum Schreiben greife, wenn ich mich eines Gedankens nicht erwehren kann, und um seiner aus dem Kopf los zu werden.


Den 9. September 1818.


Stegreifisirte Nachschrift zu den Reimen vom 29. August bei ihrer Übersendung an meinen Freund v. S.(taegemann?)


Zur Zeit, wo man hochklug sich dünkt,

Viel anfängt, wenig nur vollbringt

Und immer tiefer untersinkt

In ärgre als pontin'sche Sümpfe,

Wo theils zum Schaden, theils zum Schimpfe

Des eignen Staats von Reich zu Reich

Regenten den Zigeunern gleich

Umherziehn ohne zu bedenken,

Daß, was auf ihrer Reiserei

Sie ohne Noth und Zweck verschenken,

Dem Land entzognes Anlehn sei:

Wem fällt in solcher Zeit nicht bei,

Wie's Noth thut von Kleinmeisterei,

Dem Hauptquell der Vielschreiberei,

Dem Scheinfleiß der Nichtsthuerei,

Die meist mit ungewaschnen Händen

Zugreift, nicht sorgend für's Vollenden,

Die Miethlingsdiener abzuwenden:[53]

Weil sonst der, dem recht Ernst es ist,

Daß man Edikte nicht blos liest

Und nach der Lesung gleich vergißt,

Zum bösen Lohn für gutes Sehnen

Sich muß todt ärgern oder gähnen.


Wer meine Reime vom 29. August zu lesen geduldig genug war, wird auch wohl mit vorstehender N.S. so wie ich sie stans pede in uno geschrieben, meinem Freunde v.S. nach Berlin zuschickte, Geduld haben. Sie drückt wenigstens sehr klar meine Gesinnung über das Treiben unsrer Zeit aus, in der man Instructionen wie Schneeflocken ausschüttet und Constitutionsbäume pflanzt, denen aber wie den ehemaligen Freiheitsbäumen die Axt an der Wurzel liegt, um dem, der sie niederfällen will, das Suchen nach ihr zu ersparen; so lange die Regenten sich nicht über einige Hauptgrundsätze fest vereinen, wird das europäische Chaos nie zu einer Schöpfung gedeihen, von welcher der, der sie ansieht, wird sagen können: es war alles sehr gut – die Beschäftigung mit viel ganz entbehrlichen Dingen hat jederzeit zur Folge einen Mangel an Kraft zur Vollendung der nothwendig nützlichen.


Den 15. September 1818.


Vor einigen Tagen brachte mir die Consistorialräthin Krause die Nachricht, daß ihr Mann53 den Ruf zur[54] Weimarschen General-Superintendenten-Stelle der merklichen Einnahmeverminderung unerachtet angenommen habe. Da die Gefühle sich am meisten durch das getränkt finden, gegen das sie dem Verstande nichts zu Recht bestehendes entgegen setzen können, so war jene Nachricht um so betrübender für mich, als ich nichts wider seinen Entschluß einzuwenden vermochte.

Die Universität verliert an ihm einen gelehrten, der Jugend sich auf jede Art nützlich machenden fleißigen Lehrer, die Kanzel einen mit anhaltendem Beifall gehörten Prediger, und viele Unglückliche werden den freundlichen Mittheiler seiner ihm sehr verdient zufließenden Einnahme vermissen.

Er dagegen tritt in den Kreis seiner Jugendfreunde und Verwandten zurück, und entgeht den im Finstern schleichenden Widersachern seiner ächt christlichen Lehre, die ihre dogmatische Kirchlichkeit nicht anerkennt, und die sie mit der den Frömmlern gewöhnlichen Unduldsamkeit auszubreiten streben; deren Denkungsart über Mein und Dein seinen Mangel an Sinn für Mein und Dein, worin er dem verstorbenen Hospitalpfarrer Fischer54 gleicht, nicht begreifen[55] können und daher jene ihm freiwillig zu theil werdende Gabe in der süßen Hoffnung beneiden, daß sie nach seiner Entfernung in ihren Seckel fließen werde. O der gewis vergeblichen Hoffnung – o der Ungerechtigkeit der verschrobnen Männer und Frauen, die er indessen gewis mit einem aufrichtigen: »Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun«, verläßt. Ginge es diesem guten, klugen, lieben Manne doch überall so gut als er es verdient!


Sonntag den 27. September 1818,

an dem die Einweihung des Kreuzes auf dem

Galtgarbberge gehalten wurde, der ich

nicht beiwohnen konnte.


Froh gerührt begrüßt ich heut die Sonne,

Die das Kreuzerhöhungsfest mit Wonne

Anstrahlt, es zum Sabbath zwiefach weiht,

Und der Schöpfung durch des Frühscheins Wonne

Zutheilt frische Sichtbarkeit.


Denn ihr Strahlenschimmer trifft jetzt helle

Die auf Galtgarb's Zinn' erkorne Stelle,

Die der Kreuze Ebenbild so ziert,

Wie's zu großer Heldenthaten Quelle

Die Erinn'rung freundlich führt.


Würd' denn auch ihr Antlitz etwas trüber

Durch das Herbstgestürm, das ihr vorüber[56]

Kalt und brausend treibt den Wolkenflor;

Sieht nicht auch das Aug' den Morgen lieber

Wenn aus Nacht er bricht hervor?


Schwebt nicht über allen, derer Freuden

Niemals unterbrachen Kreuz und Leiden,

Nachtgespenstlich drohend die Gefahr,

Daß das Schicksal könnt' von ihnen scheiden

Was stets ihre Lust sonst war.


Nur nach muthig ausgefochtnen Siegen

Kann der Friede edeln Herzen gnügen,

Nur das mit Geduld ertragne Kreuz

Stärkt die Seele, steigert das Vergnügen,

Würzt es mit ganz eignem Reiz.


Würd' doch drum mit Ernst bedacht von allen,

Die zu diesem Kreuzgedächtniß wallen,

Daß vielleicht auch Preußens Ehrenloos

Ohne Kreuz und Leiden wär gefallen

Minder lieblich, minder groß!


Den 2. October 1818.


Als ich am 27. September, der zu einer mit Gesang und Klang vorzunehmenden Einweihung des auf dem Galtgarb aufgerichteten Kreuzdenkmals von Genossen der Albertina und des Königsbergschen Magistrats bestimmt war, um 6 Uhr erwachte und den herrlichen Sonnenschein sah,[57] wurden mir unerachtet des Windes, den ich wehen hörte, die Augen naß. Regnichtes Herbstwetter hätte die ganze Freudenhoffnung zerstören können. Unter einen vermuthlich großen Zusammenfluß von Menschen hätt' ich mich nicht wagen mögen, lieber wünscht ich von Haus den Bergbesuchern eine glückliche Reise und schrieb die vorstehenden Verslein nieder, freute aber herzinniglich, als ich noch am selbigen Abend und am folgenden Tage von vielen Dortgewesenen erfuhr, daß in der vielhundertköpfigen Versammlung alles froh und friedlich zugegangen und mit Beifall wäre gehört und gesehen worden.55 Am 30. September trieb mich aber, zum Theil eigene Neugierde mit meinen beiden Häuslingen, und dem treuen Berg-Werksbeförderer Sehring nach Galtgarben. Der außerordentlich schöne Herbsttag begünstigte vorzüglich unsere Pilgerfahrt und ließ auch mich alles recht hübsch, obwohl nicht so gerathen finden, wie es bei besserm Sinn der dabei angestellt gewesenen Arbeiter hätte gerathen sollen und können. – Bei reicherm Cassenzustande wird auch noch hier sich viel verbessern lassen.

Vtinam Vtinam steht vor und hinter dem Namen Scharnhorst auf dem Kreuz am Ehrengrabhügel und auch ich sprach Vtinam auf Leben und Tod zu mir so wie zur[58] Comittée von Professoren und Studiosen, die in der Folge für die Bergerhaltung zu sorgen versprochen hat.

Dank dank dem Himmel für den wunderschönen 30. September, an dem ich um 7 Uhr Abends schon meinen Thee in meiner Wohnung gesund und zufrieden trinken konnte.


Den 10. November 1818.


In des Hannoveraners Brandes56 trefflicher Schrift über den Einfluß und die Wirkungen des Zeitgeistes auf die höhern Stände Deutschlands steht im 2. Bande p. 236 gedruckt: Burke habe gesagt: I have seen hawkers and pedlars with the conceptions of ministers, and ministers with the conceptions of hawkers and pedlars (ich sah Hausirer und Tabuletkrämer mit Ideen von Ministern, und Minister mit Ideen von Tabuletkrämern und Hausirern). Welchem Welt- und Zeitbeobachtenden sind nicht auch in seinem Lande solche Beispiele vorgekommen? Frägt man: Wie geschieht das? so antworte ich: weil das Verkehr mit Menschen aus allen Ständen eine Schleifstein ist, auf dem der gesunde Menschenverstand des Tabuletkrämers seinen Ideen nach Zeit und Ort die nöthige Form giebt, wogegen die Einseitigkeit des Einständischen Umganges den Minister hindert, auf mancherlei Ideen selbst zu kommen, welches noch eine andre üble[59] Folge hat, die nämlich, daß die von einem vornehmen Staatsbeamten angegebene einzelne gute Idee vom expedirenden Sekretair auf dem Streckwerk des Büreaus zu einer vielbogigen Verordnung ausgedehnt, ihm in einer andern eilig beschäftigten oder zerstreuten Stunde vorgelegt und von ihm in einer heimlichen Freude, daß sein einzelnes Gedankenkörnchen zu einer ganzen Papiergarbe hat werden können, ungelesen unterschrieben wird, da denn ein langes Ediktgeschwätz in die Welt schallt, was, jene einzelne gute Idee kürzer und deutlicher ausgedrückt, von allen, begriffen und mit Nutzen befolgt wäre – der Groshändler, der seine Packkammerwaaren sorglos den Hausirern überläßt, trägt ohne Muth dazu bei, daß er Schaden leidet, und das consumirende Publicum betrogen wird, so daß er einst nicht wird sagen können: rien ne trouble ma fin, c'est le soir d'un beau jour.

Vermittelst einer wohl nicht ganz hieher gehörenden Ideenassociation fallen mir die Constitutionen ein, die man fast fabrikenmäßig betreibt, und wodurch man die im politischen und diplomatischen Wasser bis an den Hals stehenden Volksheerden aufs trockne zu bringen Willens zu sein scheint. Sollte man aber nicht allen von Regenten ohne vorgängige Rücksprache mit einem gehörig repräsentirten Volk gegebenen Constitutionen als Motto Hiob 1 v. 21 vorsetzen können: »der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.«

Je liberaler sie sich aussprechen, je sichrer ist zu erwarten, ihr Verleiher werde auch ihr erster Einschränker[60] sein, weil die ihm nahestehenden Personen, die selten an solchen Liberalitäten Gefallen, oder ihre Rechnung dabei finden, einzig hinter seiner Person ihre eigene Sicherheit suchen werden. Solche Constitutionen sind Hebel, denen der Stützpunkt fehlt, den Archimedes forderte, um die Erde heben zu können. Ich glaube es giebt jetzt in Europa kein Volk, das nicht selbst wissen sollte, was zu seinem Frieden dient, und zwar besser wie die, welche mehrentheils nur nach Urinbesichtigungen seine Cur unternehmen.

So lange nicht das Übermaß stehender Heere abgeschafft und die Censur, die Steffens im 1. Bande seiner Carricaturen des Heiligsten p. 362 einen fortwährenden Bethlehemitischen Kindermord um den Erlöser zu tödten nennt, ganz abgeschafft wird, so lang möchte man zu allen Constitutionsmachern sagen de quo scribis nihil est.


An den Generalmajor v.S.(chöler) 20. Nov. 1818.


Es scheint, daß du des Glaubens bist,

In Nordamerika sei alles alles besser

Wie hier, wo freilich viel gar sehr erbärmlich ist,

Weil man nur gar zu oft vergißt,

Leichtsinn und Unverstand macht kleine Übel größer:

Allein wer bürgt dafür, daß Franklins schönes Messer

Noch lang die dort'gen Bärte sanfter, besser

Und selten scheeren wird, wie unser Schneidezeug,

Das stumpf und schartig wird im Handgebrauch von Badern,[61]

Die arm an Kunstverstand, an Kunstgeschwätzen reich,

Oft über eine Schröpfkopfssetzung hadern?

Wie's liegt in der Natur, daß keine Mau'r, kein Deich

Für immer sichert gegen Vulkansgluthen

Und sturmempörte Meeresfluthen:

So schützt nichts vor Vorspiegelung des Guten,

Wodurch ein Theil der Welt den andern schlau verführt,

Die Menschenherzen, die vom äußern Reiz gerührt

So lange täuschen, bis aus brennendem Verlangen

Nach dem, was andern nur als Eigenthum gebührt,

Kein Theil mehr weiß, wem's vortheilt, wer verliert,

Und ob er sich nicht selbst ins ander'n Netz gefangen.

Ists nicht schon Glück für uns, daß keine Klapperschlangen

Hier sind, daß keinen, der in Kriege wird gefangen,

Der Sieger martert, auffrißt und skalpirt?

Wird nicht Australien auch bald lernen,

Sich von der Einfalt zu entfernen,

Von der das Glück man nur so lang genießt,

Als man sein Haus vor Prachtverkehr verschließt,

Durch catalonische Gesänge,

Durchs Hurra diplomatischer Gepränge

Sich nicht bezaubern läßt und nicht mit Zuversicht

Vom heilgen Bunde sich das Heil der Welt verspricht.57[62]

Es wird gewis nicht lange dauren,

So baut Amerika auch Festungsmauren,

Kriegsschiffe ohne Zahl und sucht durch Heereskraft,

Wie es die Überwucht sich schafft,

Die sich Britannien erlistet und erstritten.

In keinem Lande, wo der Satanas der Britten

Für einen guten Engel gilt,

Giebt's ein Asyl für den, der nur Minervens Schild

Zu seines Wohlseins Schutz hat vorzuhalten.

Zweischneidge Luxusschwerter spalten,

So in der neuen Welt wie in der alten,

Den Schädel dem, der ihn zu Markte trägt.

Wer sparsam wünschend sich aufs Suchen legt,

Dem glückt's wohl, noch ein Plätzchen auszumitteln,

Wo man nicht mit Gensdarmenknitteln

Sogleich ins Angesicht ihm schlägt,

Und den sofort auf kant'ge Latten legt,

Der ernst zwar, doch bescheiden frägt:

Ob auch der Staat erhält, was er für ihn gegeben?

Es ist ein eignes Thier das Menschenleben,

Wer sich an all sein Schreien kehrt,

Wird nie es sättigen und leert

Nur gar zu schnell den Einnahmbeutel:

Denn oft ist sein Geschrei nur eitel,

Und der, der seinen Grund parteilos sich erklärt,

Nicht heiser gegenschreit, wird selbst erfahren,

Es lasse sich am Futter noch mehr sparen,[63]

Und längst sei schon der Hungersnoth gewehrt,

Besonders suche man's zu wahren

Vor Bücherhafer, der, wenn er es sticht,

Es aufreizt zu unnützen Sprüngen,

Die später wie der Schritt zum Ziele sicher bringen.

Drum ging' ich, auch noch jung, nicht nach Amerika,

Wo bald auch wird geschehn, was hier schon lang geschah:

Denn arten überall nicht Obrigkeit und Bürger

Bald aus in wechselseit'ge Würger,

Nicht glaubend, daß, wer gar zu viel befiehlt,

Selbst den, der gern die zehn Gebote hielt,

Durchs eilfte zwingt, daß er sie alle zehn bestiehlt.

Für Fürsten, ganz wie wir zum Menschlichsein geboren,

Gehn auch zu ihrem Glück die Mittel leicht verloren,

Wenn sie bei ihrem Rechnen ohne Wirth

Den, der sich im Addiren blos geirrt

Durch ein torturverwandtes Dingen

Fürs künftige zur Doppelkreide zwingen,

Wenn sie mit immer grämlichen Gesicht

Im Rath und vor dem Volk erscheinen,

Der Kräftigkeit den Weg zu ihrem Stuhl verzäunen,

Dem Miethling durchs Versäumen eigner Pflicht,

Ein Trägheitsmuster sind, aus Hang zum Wohlfeillachen,

Es kinderleicht den Hofbajazzos machen

Durch Kartenlegen, und mehr solcher schönen Sachen,

Das Landesvaterherz standsmäßig zu erfreun

Und seine schweren Tschakossorgen zu zerstreun,[64]

Wenn sie mit Hülfverspruch den Hülfsbedürftgen täuschen

Mit Dingen spielen, die den höchsten Ernst erheischen,

Und Zeit, Geld und Gehör Beschäftigungen leih'n,

Die buntgefärbt wie Seifenblasen enden,

Den Emsigkeitsertrag mit offnen trägen Händen

Ins Steingeröll nichtsthu'nder Schwätzer streun,

Verschwenden, was sie selbst nur borgen,

Für's Wiedergeben ohne Sorgen.

Doch Freund, da dein: wo will das hin mich still

Zu fragen scheint: wo ich hin will?

So wirds wohl räthlich sein, die Feder wegzuwerfen,

Und weiter nicht mit aufgeregtem Sinn

Auf unsre Gegenwart, für sie ganz ohn' Gewinn

Die Vorwurfspfeile mehr zu schärfen.

Man fängt doch ohnedem in Versedohnen nur

Ganz kleine Vögel, die hyänische Natur

Der großen Welt bezwingt man nur durch Stricke,

Die fest und stark zu drehn mit hochergrimmtem Blicke

Herr Kamps (sic statt Kamptz) dem Freimund sperrt das Recht.

Laß drum uns dreust, doch still vom menschlichen Geschlecht

Erwarten, es wird bald zum Guten klüger werden.

Es liegt zum Guten ja in allem ein Beruf,

Weil Gott, der Vater es erschuf;

Drum muß auch alles besser werden,

Zuletzt ganz gut auf allen Erden:

Wie wird dann alles sein gediegen, schön und ächt,

Wenn jeder sich einfältig, schlecht und recht[65]

Ernähren wird auf heimathlichem Boden,

Der ohn' den Unterricht zahlreicher Perioden

Aus Thär's und Fellenberg's Ökonomiesynoden

Nicht gärtnerisch umfaßt mit buntgeschnittnen Soden,

Da wo nur treuer, wackrer Fleiß ihn pflegt

Manch Körnchen übers Saatkorn trägt.


Den 22. Januar 1819.


Am 2. Decbr. v.J. schickte ich der Prinzessin Wilhelm einen wohlgerathne colorirte Zeichnung unter Glas und Rahmen von dem Kreuzdenkmal auf dem Galtgarb mit der Bitte, sie dem Könige in einem guten Stündchen nebst einem Schreiben zuzustellen, worin ich Ihn wiederholentlich um einen kleinen Zuschuß zur Deckung meines Cassendeficits bat. Die Antwort der Prinzessin vom 31. December war höchst freundlich und ließ Gutes hoffen, denn Sie wußte nicht, daß der König mir schon unterm 26. nachstehendes Körbchen gegeben hatte.

»So gern ich Ihren patriotischen Sinn anerkennen will, so kann Ich doch auf Ihren wiederholten Antrag vom 2. d.M. zu Ihrem Privatunternehmen der Stiftung eines vaterländischen Denkmals keinen Beitrag leisten, da ich schon durch Monumente auf den Schlachtfeldern, in den Kirchen, sowie durch das Denkmal, zu welchem ohnlängst der Grundstein bei Berlin gelegt worden ist, das[66] Andenken an die merkwürdige Zeit und gefallenen Krieger auf vielfältige Weise geehrt habe.«


Berlin den 26. Decbr. 1818.

Friedrich Wilhelm.


Seit dieser Zeit geht es mir im Kopf herum, wie es möglich sein konnte, daß ein solcher König, wie Friedrich Wilhelm III. doch wahrlich ist, aller unter ihm im Schwange gehenden unhaushälterischen Regierungssünden unerachtet, aus solchen Gründen sich dem Beitrage zu dieser National-Ehrensache entzog.

Ehrenmähler auf Staatskosten sind doch weiter nichts als bloße Abfindungen für eigentlich unbezahlbare Dienste, wogegen die Äußerung des Privatglaubens an die Herrlichkeit der letztern durch seine Beitragsschärflein ihr Anspruchsrecht auf Verehrung in helles Licht setzt und daher das Herz des Regenten ganz anders rühren und erfreuen sollte, wie jene Prunkmähler, die eigentlich nur dem baumeisterlichen Kopf Ehre machen, keinesweges aber den fürstlichen Händen, welche die Fundamentsteine bekalken und die Staatskasse belästigen.

Am Ärger über diese unkönigliche Kargheit hat sicher keinen Antheil der Gedanke an eignen Geldverlust bei der Aufstellung dieses zum ehrenvollen Beweise des Nationalgeistes gereichenden Landwehrkreuzes, so wie des von mir sehr hochgeschätzten zur Ehre des königlichen Geistes von Friedrich Wilhelm III. gestifteten eisernen Kreuzordens.[67] Wem geht es indessen nicht nah, wenn er die höchst wunderliche Behandlung des Landwehrwesens und den so oft vorkommenden Misbrauch des eisernen Kreuzes sieht, aus dessen am Geburtstage der unvergeßlichen Königin Luise (Breslau d. 10. März) datirten Stiftungskunde ein Geist strahlt, der ihm vor allen Orden der Welt, vom spanischen goldnen Vlies bis zum ottomanischen halben Monde, einen Vorzug giebt!

Aus jenem schnöden Gedanken entspringt mein Ärger keinesweges, denn da der Krieg mich um viele Tausend ärmer gemacht hat, so wird dieser weit weit geringere Verlust zur Ehre der Friedenserfechter mich noch nicht um Nahrung und Kleider bringen, an denen man im 83. Jahr sich völlig gnügen lassen kann.

Es ärgert mich aber, daß der König, der die große Idee des eisernen Kreuzes ausgesprochen hat, durch hölzerne Kirchentafeln omne punctum eigner dankbarer Verehrung getroffen zu haben glauben, und einer solchen Knickerei fähig sein konnte zu eben der Zeit, da er der russischen kaiserlichen Maria eine kostspielige Morgenandacht, (wie man Bälle und Opern giebt) in der Garnisonkirche gab, ohne zu bedenken, daß die griechische Liturgie sich zur protestantischen verhält, wie Lancasters Schulmechanismus zur Pestalozzischen Geisteserweckung. –

Vor einer dritten Bittschrift sind Sr. Königl. Majestät sicher, und auch die Nichtgewährung der zweiten würd' ich[68] gern vergessen und vergeben, könnt ich nur hoffen, daß sie Ihm im stillen Leid thue, denn schämen muß er sich doch ihrer gewiß.


Den 7. Februar 1819.


Am Sonntage Epiphanias feierte ich zum vierundzwanzigsten und letztenmal den Geburtstag Friedrich d. Gr., der zwar schon lange gestorben, aber wahrlich nicht vergessen ist, und den wohl jeder gern auferwecken möchte. Heute wo über das Evangelium von den Arbeitern im Weinberge vieles gesagt werden könnte, was in den stärkstgläubigsten Dogmatiken nicht vorkommt und von vielen nicht gern gehört werden möchte, heut ist der Geburtstag meiner verstorbenen Babet.58 Daß ich seiner neben dem des großen Königes erwähne, darf mir Niemand verargen, denn praetia affectionis lassen sich von keiner Jury abschätzen, und da ich von der Freimundschaft behaupte, es würde, hätt' sie sich beim alten im Rechts- und Redegebrauch erhalten, sich manches anders umgestalten, vielleicht gar überall ein bessres Schicksal walten, so trag ich kein Bedenken ihr unbezeichnetes Grab in der Erde neben die Königspyramide zu stellen, zumal ich es nicht überflüssig finde, bisweilen das Kleine mit dem Großen zu vergleichen, indem erstres nicht selten die Hauptursache und das punctum saliens des letztern von jeher gewesen ist und auch wohl noch bleibt.[69]

Um indessen mein Herz bei der Erinnerung an eine mir so theure Gattin nicht überlaufen zu lassen, kehr ich kurz und schnell zum 24. Januar zurück, an dem mir mein lieber Gast, der wackre Staatsminister Graf Dohna das 8. Stück der märkschen Provinzialblätter von 1818 zustellte, das Schleyermachers im Jahr 1817 in der Berlinischen Akademie gehaltnen Vortrag am Geburtstage Friedrichs II. enthält59 ich erinnere mich nicht, etwas gediegneres über diesen Kernkönig gelesen zu haben.

Man hat gewis nicht ohne Grund in eben dieses Stück Friedrich Wilhelms I. Instruction wonach des Kronprinzen Liebden, die beiden General-Majors Graf Schulenburg und Herr v. Kleist wie auch der Oberstlieutenant von Bredow sich während der Campagne am Oberrhein verhalten sollen aufgenommen. Ganz im Geiste dieses Königes, der am 13. Juni 1734 nicht das mindeste ahnte von dem, was aus seinem Sohne werden würde, und trotz solcher Jugendjahre in den männlichen geworden ist. Das Lesen dieses vermuthlich von ihm selbst in die Feder gesagten Gewebes von Sparsamkeit (es waren nur 4400 Thlr. dem Kronprinzen für diesen Feldzug ausgesetzt) von wirklich väterlicher Liebe für den[70] Sohn, von Davidischem Haß und Rachgesinnung gegen Feinde und Verdächtige und soldatischer Strenge, wird gewis keinem Langweil machen, und manchen dabei einfallen, daß das nitimur in vetitum, semper cupimusque negata in der Menschennatur zu ihrem Vortheil liegt; denn Deutschlands damaliger Culturzustand war für keinen Kopf wie Friedrich II. geeignet, was wäre nun aus ihm geworden, wenn ihn nicht das Verbot des Vaters zur französischen gestoßen hätte? Da aber das qua semel est imbuta recens servabit odorem testa wohl jeder aus eigner Erfahrung kennt, so darf man sich nicht wundern, daß Friedrich auch im Alter immer französirte, zumal die Großen, die sich ihm nahten, außer dem bekannten Mylord Marishal,60 wenig geeignet waren, der testa einen bessern Geruch beizubringen. Friedrich beging keine Bosheitssünde wider den Staat, wenn er sich gleich manchmal an ihm versündigte, so wie es leider der Fall bei Fürsten ist, die das Kluge hören, sehen, genehmigen und doch zugeben, daß den Klugheitsfenstern, aus denen sie schauen, die Spiegelrauten von bösen oder leichtsinnigen Händen eingeworfen werden.

Friedrich Wilhelm und Friedrich, erwachten sie wie Epimenides, was würden sie sagen beim Erblicken der so[71] weit vorgeschrittenen Geistes-Cultur und des ihm so offenbar widersprechenden Benehmens, das einen auf den Gedanken bringen muß, man suche Verstand zu haben, um ihn nicht zu gebrauchen oder ihn unter einen verkehrten Glauben gefangen zu nehmen, wie es in der Dogmatik einzureißen droht, wo man durch Vielheit weithergeholter Ingredienzien die Heilkraft des Receptes zu verstärken sucht, ohne auf die der Religiosität nöthigen Simplicien zu achten.


Den 4. April 1819.


Die am 17. März eingetretene Feier der fünfzigjährigen Dienstzeit des Canzlers, Freiherrn von Schrötter ist mit allen dadurch veranlaßten Nachschmäusen glücklich überstanden, und der Gedanke, daß sie nicht wiederkehren könne, ist wahrlich kein unangenehmer für mich. Unter den dem Jubilar dargebrachten Opfern zeichnet sich vorzüglich aus der vom Marienwerderschen Oberlandesgericht in Berlin besorgte herrlich gearbeitete große silberne Pokal, ein schöner Armstuhl mit von marienwerderschen Frauen künstlich geschicktem Überzuge, der in Königsberg gefertigte silberne Eichenkranz, den der neidenburgsche Justizkreis dargebracht, und die von Loos geprägte Denkmünze aus. Staat des fast allgemein erwarteten schwarzen Adlerordens hatte der König ihm sein Portrait, vermuthlich eine Copey des Gerardschen Originals geschickt, und da ich es der Physiognomie[72] des Königs nicht sehr ähnlich fand, so fiel mir dabei ein, daß es unrecht sei, wenn Fürsten ihr Äußeres von andern unähnlich darstellen lassen, aber noch viel sündlicher, wenn sie ihr Inneres verheimlichen oder verleugnen. Was ich an jenem Jubeltage in einer mehr als 200 Personen starken Versammlung im Speisesaal der hiesigen drei Kronenloge zu sprechen wagte, kann man in der Note lesen.61[73]

Dem heute am Sonntage Palmarum von sehr vielen Freunden und Bekannten dem leider nächstens nach Weymar abgehenden Consistorialrath Krause zu Ehren angestellten Festmahl beizuwohnen konnt ich mich nicht entschließen, weil ich besorge, es werde dem noch schwach reconvalescirenden nicht wohl bekommen, und könnte auch meiner eignen Gesundheit[74] nachtheilig werden; außerdem hab ich mir alles förmliche Abschiednehmen von ihm verbeten, da ich diese lautwerdenden Trennungsgefühle so wenig liebe als sie je Klopstock geliebt hat. Sie bringen einen um die letzten Gegenwartsgenüsse ohne die Freude der Zukunft zu sichern. Einzig im Fall des Todesgefühls und beim festen Glauben an Unsterblichkeit muß es wohlthun, Abschied von den Seinen zu nehmen, daher die Kraft zu solchem Vale auch zu meinen stillen Wünschen gehört.

Das Lesen der heutigen Palmsonntagsepistel (Philipp. 2 v. 5–11), die mir weit herzlicher zuspricht als das heutige Evangelium (Math. 21 v. 1–9) hat mich zwar mehr zur Betrachtung des innern Menschen als der äußern politischen Welt gestimmt, indessen find ich es doch nicht unerbaulich, jenen religiösen Wahrheiten auch einige politische zuzugesellen, die ich in einem Zeitungsblatt gefunden, folgendermaßen lautend: »so lange Fürsten und Volk nicht einander die Hand geben brüderlich, die Übel des Staats zu heilen, so lange man nur mit Schlauheit zu umwinden sucht, so lang nützen auch Stände nicht das, was sie nützen könnten. Man deckt die Schäden zu, die leicht zu heilen wären. Bei einem andern Verfahren sollte man sich lieber die Kosten der Ständeversammlung ersparen. Glaubt man mit Debatten und Redehalten und feinen juristischen Unterschieden es abgethan zu haben? Man zeige seine Weisheit in Erörterungen dessen, was jetzt Noth thut. Hat eu'r Schiff ein Leck und dringt das Wasser[75] ein, so verstopft, pumpt, rettet, denn wär es nicht Thorheit, in solcher Schiffslage, die Kajüte zu scheuern, oder chemische Untersuchungen über die Natur des Seewassers anzustellen? Mittelt nur das reine Nationaleinkommen aus und die Summe der nothwendigen Ausgaben. Wo der Hausvater mehr ausgiebt, als die ganze Familie er wirbt, geht letztre verloren. Man strecke sich nach der Decke, weil die Decke sich nicht nach uns streckt. Ist die Summe ausgemittelt, die der Staat zum Besten der Gesellschaft verwenden kann, ohne den Einzelnen sein Nothdürftiges entbehren zu lassen, so richte man mit jener entbehrlich gefundnen Summe das Gemeinwesen ein, und schreite zur Einhebung der Steuer, zu der Edelmann, Bürger, Capitalist und Gewerbsmann gleich beitragen müssen.« –

Da Abraham den reichen Mann in der Hölle, als dieser den glücklichen Lazarus, dem er die Schwären zu heilen unterlassen hatten, im erzväterlichen Schooße sah, statt ihm die gebetene Wunderbotschaft zur Belehrung seiner Brüder zu bewilligen auf Mosen und die Propheten wies, weil ohne den Glauben an diese keine Geistererscheinung helfen würde, so thut man in Zeiten, in denen die Erscheinungen der Zeitgeister nicht genug gewirkt zu haben scheinen, vielleicht nicht übel auf Mosen und die Propheten hinzuweisen; denn entschließt man sich nicht zur Befolgung der einfachen Lehren, so ist kein Heil für die Menschheit zu erwarten, so ergiebt sich die Staatsverwaltung immer blinder der Maschinenkunst, die den Menschen so lange zum[76] Nichtgebrauch seiner Hände verleitet, bis Noth ihn zur Gewalt wider sie zwingt, aus Mangel an Hülfe zu ihrer Einstellung. So wenig fromm sein und frömmeln einerlei ist, so wenig Begünstigung des Mysticismus, den ich eine verführerische Niederlage geistlichen Comforts nennen möchte, eine unzerstörbare Seelenruhe befördern oder schaffen kann, so wenig –


Den 14. April 1819.


Am 4. dieses hielt plötzlich mich in meinem Schreibzuge auf die Nachricht von Kotzebue's Ermordung, die ich, alles Guten ungeachtet, das dem Sand nachgesagt wird und werden kann, höchst abscheulich finde. Ein vornehmer edler, frommer Mann meinte: er sei eines solchen Opfertodes nicht werth gewesen. Hier kann aber keine Frage vom werthsein stattfinden, weil K- den Tod meuchelmörderischer Weise litt, und vielleicht zwei Drittel der deutschen Welt den Ermorder für einen Donquixotte erklärt, wöfur ich ihn aber nicht halten kann. Um den Herrn v. Kotzebue ist es nicht schade und Gottlob, daß er nicht aufleben kann, weil er im letzten Fall sich seines wohl nicht erwarteten Märtyrerthums freuen, und dann seine Rabenfeder noch mehr gegen Preßfreiheit, Volksrepräsentation, Magnetismus, Universitätswesen etc. schärfen würde, indem er nicht sowohl der Sache wegen als aus einem Drange häßlicher Persönlichkeit haßte. Würde es aber nicht etwas ähnliches von seiner Denkungsart verrathen, wenn man den bittern Spöttereien[77] Voltaires und Napoleons Schreckenswerken es ab sprechen wollte, daß sie nicht Anlaß zu manchen höchst nützlichen Andersbesinnungen der Menschen und daraus entsprungnen löblichen Ereignissen gegeben.

Mephistopheles, dessen Physionomie in dem Steinabdruck zu Goethes Faust viel ähnliches mit der Kotzebuischen hat, war gewis kein schlechter Kopf, wenn er gleich durch und durch ein Teufel war; man kann es daher auch nicht ableugnen, daß Kotzebue manches zur Sprache gebracht, worüber vielleicht noch lange altum silentium geblieben wäre.

Das Suum cuique verdient in aller Herzen geschrieben, und nicht blos die Umschrift im Stern des schwarzen Adlerordens zu sein, wo es sich mancher Ritter vielleicht noch nicht hat übersetzen lassen.

Einen Nutzen dieser Ermordung seh ich nicht ab, wohl aber manche schlimme Folge. Denn ob man gleich keine Stiftung eines neuen Assassinenreichs zu besorgen hat, und Sands That gewiß ein semel pro semper bleiben wird, so wird es doch nicht an Endorschen Beschwörern fehlen, die seinen Geist vor die Augen schwachseliger Saule zaubern und diese werden glauben machen, Sands Geist sei ausgegossen über alle Studenten von dem Wartburgschen Verbrennen der Kamptzschen Schriften etc. an – und können aus solcher Furcht nicht große Übel für Deutschlands Hochschulen entstehen, und letztre zu britischen Schulzwingern herabsetzen?


[78] An Frau Evelina von Bardeleben geborne von Auerswald.


Den 24. April 1819.


Du bist nun durch ein freundliches Ergeben

In alles, was die mächtige Natur

Vom Weibe zur Erfüllung seiner Schöpfung heischt,

Des Lieblings Eigenthum, das deine er geworden,

Und lieblicher Gefühle Gipfel ist erreicht;

Doch da die Dau'r des Leiblichglücklichsten

Nur fest verbürgt wird durch das Geistige,

Das zur Enträthselung von S. Pauls Ehgeheimniß

Nur denen hilft, die klug die Kraft des Leiblichen

Mit der des Geistigen zu einen trachten,

Weil beider Scheidung stets verderblich wird,

So thut es noth, sie sorglos nie zu trennen.

Und so wie Gott im Geist und in der Wahrheit,

Nicht blos durch hellen Brand der Sinnenopfer

Geehrt sein will, so müssen Ehgenossen

Sich auch im Geist und in der Wahrheit lieben,

Und frei sich halten von der Sinne Täuschungen,

So wie von Furcht vor jeder Wolke,

Die hin und her der Sonn vorüber zieht,

Ihr Licht und ihre Wärme unterbrechend.

Das Süße, Milde ächter Frömmigkeit,

Aus dem das wahre Glück des Lebens rieselt,

Was sichert besser es vor schleunigem Verderben,[79]

Als manches scharfe Salz des Schicksals,

Und so kann auch das Paradies der Liebe

Nicht grünen, blühen, Früchte tragen

Ohn manche trübe Witterung der Häuslichkeit.

Nimm drum die Lehr von diesem Ehstandswesen

In deinen Lebenscatechismus auf,

Sie wird dir für das spätre Alter

Vor Freuden, die so jung dein Theil geworden,

So viel bewahren, als der Mensch bedarf,

Um auszureichen bis zu einem Leben,

Wo man nicht freit und sich nicht freien läßt.

Verzeih auch, wenn dies Blatt die Scherze

Des Morgens nach dem Hochzeittage stört:

Als Hausfreund wollt ich nur erinnern,

Daß alles, was man Gut's und Schönes weiß

Nichts wirklich frommt, wenn man's nicht übt

So treu, so fleißig, als ich's herzlich

Euch wünsch, Euch rath, und von Euch hoffe.


Den 10. Mai 1819.


So wie der Ehstand nicht ohne Liebe im Geist und in der Wahrheit bestehen kann, so können auch hohe Staatswürden ohne Geist und Wahrheit nicht ihre Bekleider vor der Erniedrigung zu fürstlichen Hausdienern in den Augen der Klugen bewahren. Manche von ihnen scheinen dieses selbst zu fühlen, und versuchen es, sich zum Schein des[80] Dienens im Geist und in der Wahrheit durch jene Arroganz zu verhelfen, mit der sie ihre Meinung überall vorgeltend zu machen streben, zum Theil auch durch die Schlauheit, mit der sie die Mittel verheimlichen, durch die sie ihren Meinungen jenes Übergewicht zu schaffen sich beeifern.

Ob sie nun gleich durch öftre gelegentliche Obsiegungen manchen Nebenbeamten zur Nachsicht gewöhnen, so gewinnen sie doch so wenig das Zutrauen der Sachverständigen zu ihrer wirklichen größern Einsicht, als ihr beßres Zutrauen zu ihrer Rechtschaffenheit dadurch, wenn sie die Zehnten von den Vortheilen, die sie vermöge ihres Einflusses andern zu machen erlauben, unter Klagen über eigne schlechte häusliche Umstände zu verbergen, und jeden von der Nachfrage abzuhalten suchen: woher mag der Herr zu solchem Wohlstande gekommen sein?


Den 15. Mai 1819.


Der wackre wirklich Geheime Legationsrath Hoffmann,62 mein guter alter Freund, dem es wahrlich sauer geworden[81] ist, seine hohen Obern zur Anerkennung seiner vielen wissenschaftlichen Kenntnisse und sittlichen Eigenschaften zu bringen, schickte mir vor geraumer Zeit seine: Übersicht der Boden fläche und Bevölkerung des preußischen Staats. Aus den für das Jahr 1817 amtlich eingezogenen Nachrichten. (Berlin 1818.)

Nachdem ich selbige lange von andern habe lesen lassen, hab ich sie endlich selbst gelesen. Der verstorbene Lüder, wäre sie ihm zu Händen gekommen, er hätte gewiß einen großen Theil seines antistatistischen dicken Buches63 zurückgenommen.

Was für Einsichten muß man sich aber vorher angeschafft haben, um eine solche Übersicht zusammensetzen zu können? und wie viele falsche Ansichten in der Staatsverwaltung würden erspart werden können, wenn man nur diese Hoffmannsche Übersicht studiren wollte. Läßt sich[82] letzteres hoffen von Menschen, die am sorgfältigsten darauf denken, wie sie ihre große Besoldungen recht wohlbehaglich verzehren können, ganz unbesorgt um Mittel, dem Leben derer, die das Zusammenbringen jenes übergroßen Lohnes sich abdarben müssen, nur ein Zehntel ihres Wohllebens zu verschaffen, um ihnen den Anblick jener Verzehrungen erträglicher zu machen; läßt es sich erwarten, da buchstäblich wahr ist, was mir ein höchst kluger hoch angestellter Mann vor einiger Zeit schrieb: »Es ergiebt sich mehr und mehr, daß unsre Regierung mit dem Zeitalter in Widerspruch geräth. Friedrich II. war eine König, jeder Zoll ein König, sagt Shakespeare, weil Er einen Kopf größer war, wie seine Zeit, einen Schritt vorwärts hatte. Das ist die rechte Weise. Zuviel voraus kommt eine Regierung nicht leicht, das Zeitalter holt sie bald ein, aber ist die Regierung nur Einen Zoll hinter dem Zeitalter, so holt sie es nicht wieder ein und kommt von wegen der vis enertiae alle Tage mehr zurück. – Überall entweder angefeindet oder hintergangen, während unsre Hauptgegner, sich stärken will ich eben nicht sagen, aber doch manchen Vorsprung gewinnen. Frankreich stärkt sich zusehends, und wird wenn der König dem jetzigen System treu bleibt, in einigen Jahren furchtbarer dastehn als unter Napoleon«. etc. etc. etc.

Denn die schlauen Franzosen thun, was die klugen Deutschen sagen und hüten sich die allotria in succum et sanguinem ihrer Verwaltung aufzunehmen, die sich die[83] deutsche Regimentirer infundiren lassen, und wodurch sie alle wahre Staatsrobusticität verhindern.


Den 23. Mai 1819.


Um dem verdrießlichen Denken an den Inhalt des unterm 15. dieses angeführten Briefes nach Montaignes weiser Vorschrift eine heilsame Diversion zu machen, nahm ich den 3. Band der Schriften des hochweisen B. Franklin64 in die Hand, der vielleicht wie Friedrich II. der Einzige genannt zu werden verdient.

p. 178 führt er das Verslein an:


Wie selten ist hienieden doch der Mann,

Der, was ihm frommt, erkennt und schaffen kann!


und setzt hinzu: »Denn die da regieren, haben immer viel zu thun und nehmen sich meist nicht gern die Mühe neue Pläne zu prüfen und auszuführen. Darum werden die besten Staatsmaßregeln selten nach vorhergegangner reifer Überlegung anerkannt, sondern nur gelegentlich erzwungen.«

Wohl dem Lande, dessen Constitutionsentwerfer diese wenigen Franklinschen Worte zu Herzen nehmen und sie nicht wie die in den bisher erschienenen Constitutionen übersehene Sorge für die Erziehungsart des Thronfolgers[84] aus der Acht lassen. Wie viele Verordnungen dürften dann von durch große Besoldungen und nepotisirende Einflüsse zum Dienen angelockten Ministern dem Landesherrn nicht vor die Augen gebracht und schon allein durch ihr Nichterscheinen dem Lande manche Noth erspart werden. Das Aprilwetter der Edikte, in denen nur zu oft lingua mentem praecurrit, zerstört das Gedeihen der besten Saat, an welcher es unser Zeit wahrlich nicht fehlt, mag man ihr auch noch so viel schlimmes nachkotzebuesiren.65

Die Hauptquelle aller Landesnoth scheint darin zu liegen, daß die Regenten ihren eignen Verstand aus Trägheit nicht brauchen und den Staatsverwaltern den ihrigen zu misbrauchen erlauben aus Liebe zum Gewinnst, dem schändlichen Begriff von Vortheil und Verlust, den man aus Gellerts Ynkle und Yariko kennt, nachdem sie sich entwöhnt haben über Miethlingschaft und Selbstherabwürdigung zur Hofgesindschaft zu erröthen.

Den Verstand der meisten Staatsdiener unsrer Zeit[85] zu bezweifeln, wäre unverständig. Die Leidner Zeitungen schrieben einst, man habe bei Secirung des großen potsdamischen Grenadiers kein Herz gefunden und Friedrich Wilhelm I. ließ darauf erwiedern: es sei ebenso wahr als daß jener Potsdamist von Geburt ein Holländer gewesen sei. Möchte man nicht von manchen Excellenzen sagen, sie seien holländische Verstandsriesen gewesen, da es ihnen aber an Herz gefehlt, so hätten sie unterlassen ihren Verstand in Ehren zu halten, und das Volk durch ihre Führung zum Glauben an ihr Verstandsvermögen zu bringen. Es ist vom Übel, wenn die Verstandssonne das fischreiche Erdwasser aufzieht, um es als dicken Nebel auf die entstandnen Sümpfe niederfallen zu lassen, wer sichert den unbefangenen Wandrer, bei solchem Nebel nicht in den Sümpfen zum großen Schaden seiner Person und seiner Sachen stecken zu bleiben?

So lange keine beträchtliche Verminderung der militärischen und civilistischen Staatsdiener statt findet, so lange ist keine Erlösung von diesen currenten Staatsübeln zu erwarten, denn eben dieses Cornu copiae von Officianten ist die Büchse der Pandora und im Selbstgefühl der Nothwendigkeit einer zahlreichen Umgebung erlauben sie diesen sich wie Kometenschweife auszubreiten, die den Astronomen die Erforschung des Kometenkerns erschweren. Es scheint, die weltliche Regierkunst wolle die kirchliche übertreffen, die längst bemüht war, den Ducaten Spruchs: was ihr nicht wollt, daß die Leute es euch thun sollen, das thut[86] auch ihnen nicht, vermittelst ihrer Plattenschlägerkunst zur Vergoldung der statua equestris ihrer Dogmatik auszudehnen. –

O Einfachheit, du Seele des Reiches Gottes, ist deine Rückkehr zur Erde denn gar nicht mehr zu erwarten?


Den 7. August 1819,

als den letzten Morgen meines 83. Jahres.


Heut vor zwei Monaten, am 7. Juni kam ich von einer kleinen Spazierfahrt mit dem Canzler v. Schrötter wohlbehalten vor meiner Hausthüre an, und als ich den Bedienten ihr Trinkgeld reichen wollte, schlug ich rückwärts, ich weiß nicht wie, nicht warum, aufs Steinpflaster mit solcher Heftigkeit, daß ich nur mit vieler Mühe und unter großen Schmerzen auf ein Sopha getragen werden konnte. Außer der rechten Lende, vom Knie bis zur Hüfte, empfand ich nirgend Schmerz, keine Verwundung, keinen Geschwulst, und der Kopf war ganz unverändert geblieben, so wie alle ärztliche Hülfe ohne Wirkung blieb. Blos in den Augenblicken, in denen mich Freunde und Freundinnen besuchten, fanden Schmerzstillstände statt, und nach dem Maaß des Interesses am Gesprächstoff richtete sich beinah jedesmal die Kraftabspannung nach der Unterhaltung; indessen weiß ich mich doch auf das, was ich in den ersten vierzehn Tagen gesprochen und gethan habe, gar nicht zu besinnen, wie ich aus der Erzählung meiner Wärterinnen schließe. Man wunderte sich[87] über die Lebhaftigkeit, mit der ich daran Theil nahm, über die freundliche Geduld, mit der ich die oft bis zur Erschöpfung gehende Schmerzen ertrug, ich aber erkläre mir die letztere aus dem hohen Grad meiner Ergebung in das:


Der Herr hat alles wohlgemacht,

Sein Rath hat alles wohlbedacht,

Gebt unserm Gott die Ehre.


und es wurden nachstehende Reime aufgeschrieben:


O Gott, du Urquell aller Liebe,

Was das Vertrau'n zu dir vermag

Beweist viel sicherer der trübe,

Als wie der sonnenreichste Tag,

Von jenem wird der Muth erweitert,

Von diesem oft nur kurz erheitert.


So oft der herbste Schmerz mich quälte,

Dacht' ich: er kommt ja von der Hand,

Die nie ein scharfes Mittel wählte,

Als wo sie dies nothwendig fand,

Und so ward Schmerz, der Kraftverzehrer,

Der Überwindungskraft Vermehrer.


Wohl d'rum den Gottvertrauern allen,

Die in und mit Gott ganz allein

Zu leben ernstlich sich gefallen,

Um auch des Todes sich zu freu'n,

Denn alle, die im Herrn sterben,

Sind einst des bessern Lebens Erben.


Außerdem wär es höchst unüberlegt gewesen, meinen unermüdlichen Wärterinnen und Pflegerinnen ein Ungeduldsbeispiel zu geben, dessen Nachahmung mich bei meinem völligen[88] Unvermögen zur Selbsthülfe ganz zu Grunde würde gerichtet haben.

Seit den abgewichenen zwei Monaten bring ich meine Zeit horizontal im Bette liegend zu, welche Lage um so lästiger wird, als jede Unthätigkeit dem zu ihr nicht gewohnten, wenn man ihn am Thätigsein hindert, eine doppelt lästige Ermüdung verursacht. Oft begreif ich es gar nicht, wie ich, der das Lesen, Schreiben etc. für ein unentbehrliches Lebensbedürfniß gehalten, beinah gar keine Langeweile empfunden. Was meine Großnichte mir dann und wann vorlas, hörte ich kaum halb an, selbst die gewiß gut geschriebenen Romane des morgen sein Predigeramt im Löbenicht antretenden Consistorialrathes Kähler,66 von dem ich nach seinem höchst klug und gewandt aussehenden Gesicht, nach seiner angenehmen Sprache und seinem sonstigen unbefangenen Benehmen zu urtheilen glaube, er werde sehr bald seine Gemeinde über den von ihr so außerordentlich liebgewonnenen Consistorialrath Krause völlig zufrieden stellen.

Während meiner Leidensperiode hat mir der Tod zwei[89] mir lieb gewesene Männer entrissen, den seit einigen Jahren schon in Ruhestand gesetzten Cammerpräsidenten von Wagner, den ich über 40 Jahre gekannt hatte, besonders aber den durch Amts- und Lebensfleiß aufgetriebenen Superintendenten Weiß, von dem ich in Kürze gewiß nichts Besseres und mehreres sagen könnte, als was über ihn sein kluger, frommer Amtsgehülfe bei der altstädtschen Pfarrkirche Ebel in No. 84 der hiesigen Staats-, Kriegs- und Friedenszeitung einrücken lassen (s. Beilage C) und dem ich nur den Schluß der in No. 87 beschriebenen feierlichen Exequien beifüge:

»Friede Gottes um sein Grab, und wie viele werden sagen: ach, sie haben einen guten Mann begraben – mir aber war er mehr!« –

Schwer wird man ihn ganz ersetzen, da ein guter Kopf und anhaltender Fleiß so selten beisammen gefunden werden, und bei Fortsetzung der Art geistliches und weltliches Regiment zu führen immer weniger sich vorfinden müssen.

Das aus der Wartburgschen Burschenfrivolität in Deutschland noch überall hervorsickernde und sprudelnde Benehmen läßt wenig Heilsames erwarten. Der Unverstand mag indessen die Zahl seiner wächsernen Flügel noch so sehr vermehren, sein selbstsüchtiger Übermuth wird ihn nie abhalten, sich den Wirkungen der Sonne des gesunden Menschenverstandes auszusetzen, und ihre Schmelzung unvermeidlich zu machen, so daß man hoffen darf, die jetzt vielleicht noch kleine Anzahl der Menschenwohlbeförderer[90] werde das von Gott angefangene gute Werk glücklich vollenden helfen. Höchst traurig bleibt es indessen für jeden unparteiischen Beobachter wahrzunehmen, wie selbst unter denen dem Amtsdienst sich verständig widmenden Männern sich viele finden, die eine allgemeine Volksausbildung dem Fleiß und der Folgsamkeit nachtheilig erachten. Die Schwelgerei der müßigen Manufactur-Herren zieht ihr üppiges Wohlleben dem höchstmöglichen Wohlbefinden ihrer dürftigen Fabrikarbeiter vor, vergessend, daß der seinen Lohn im Zeitlichen sucht und empfängt, seine Ansprüche auf den ewigen verliert.


* * *


Käme es doch bei recht vielen Menschen zu dem Gefühl der Freude und Glückseligkeit, die meiner Überzeugung nach im Leben in Gott liegen, das aber nicht übertrieben werden muß, wie es der Fall bei denen zu sein scheint, die von Thomas a Kempis glauben, er sei der rechte Führer zu diesem Leben in seinem stockmönchischen Büchlein von der Nachahmung Christi, das mehr in die thebaische Anachoreten-Wüste leitet, als zum wahren Christenthum, welches sich recht gut mit einer die Welt im rechtlichen Gange erhaltenden Thätigkeit vereinigen läßt. Seitdem ich den Kempis selbst gelesen, ist es mir unbegreiflich, wie er zu einem so großen Ansehen besonders unter den römischkatholischen höhern und niedern Ständen habe gelangen können.

Weit über ihn stell ich unsers Johann Arndts wahres Christenthum, der es zwar auch hin und wieder[91] zu weit treibt, doch sind seine Gebete etc. frei von solchen Exaltationen, die einen vernünftig denkenden Christen von Leben in Gott eher verscheuchen könnten, als ihn dazu aufmuntern. Mehrentheils sind Gebetbücher bloße Andachtsrecepte, verfeinerte Cubachs,67 wie selten findet man unter ihnen ein Zollikofersches! auch in diesem Stück sollte man das bekannte: es modus in rebus, sunt certi denique fines nicht vergessen.


* * *


Ich danke Gott, daß ich den hohen Werth des Lebens in Gott erkenne und fühle, ohne mich gezwungen zu sehen, die dogmatischen Beweise von der Gottheit Christi, seiner Stellvertretung etc. etc. gültig zu finden. Es genügt mir Gott[92] zu glauben, und daß er Jesum gesandt hat, die Sünder selig zu machen durch Befolgung seiner Lehren. Das Zutrauen zu diesem Erzgottessohn soll mir daher nichts nehmen, ob es mir gleich misfällt tausenden zu begegnen, die dem, der allein wahrer Gott ist, manches entziehen um es auf Christum übergehn zu lassen, um ihn desto sichrer zur zweiten Person ihrer Gottheit machen zu können.68 Der Menschensohn ist für mich ein ächtes Glaubenskleinod, und daß die Erörterung jener von mir nicht angenommnen dogmatischen, in die Bibel hinein erklärten Sätze entbehrt werden könne, schließ ich aus den öftern Gesprächen über die Natur des fromm- und heiligseins mit der sehr klugen, christlich-demüthigen jungen Gräfin Ida von der Gröben, die ich eine der schönen Seelen meiner Vaterstadt nennen möchte, die freilich wohl etwas mehr, wie ich, glauben mag, aber gewiß von der Lehre durchdrungen ist, man müsse jeden nach seinem Glauben leben lassen. Er war ein von Gott erkornes menschliches Wesen, das die unter den Juden beinah erloschne Idee vom Ebenbilde Gottes wieder ins[93] Leben zurückrufen sollte, denn neben dem Glauben an Gott sollte man die Lehre vom Ebenbilde Gottes so viel wie möglich der Jugend begreiflich zu machen und ans Herz zu legen suchen. Christus kam in die Welt, dieses Ebenbild zu versinnlichen, aber auf eine andre Art, wie es in den mehresten Katechismen geschieht, die der Jugend eine Eisenbahn zur leichtern Fahrt ins Himmelreich anlegen, deren Nützlichkeit aber sich gar schlecht im gemeinen Leben erprobt.


Als Gottes Ebenbild vom menschlichen Geschlechte

Empfing der Mensch der Daseinsrechte

Viel über alles, was auf Erden lebt:

Doch wer aus trägem Sinn im Schweißtuch sie vergräbt,

Aus Übermuth und Leichtsinn unbestrebt

Die ihm durchs Ebenbild streng aufgelegte Pflichten,

Treu, fleißig, willig zu entrichten,

Dem giebts Geborensein aus göttlichem Geschlecht

Aufs Zukunftsglück kein Anspruchsrecht.


Wer einst diesen Nachtrag zu den Gedanken und Meinungen meines Lebens lesen wird, nehme doch ja kein Ärgerniß an ihm – ich beschäftigte mich einige Stunden an verschiedenen Tagen mit ihm, weil ich meinen Lesern gern nichts von meinen Gesinnungen verhehlen möchte, da aber sei Gott für, daß ich sie irgend einem ohne vorgängige genaue Prüfung zur buchstäblichen Annahme empfehlen sollte.

Zum Beweise, daß meine fortwährend schmerzhafte Krankheit mir den Versebandwurm nicht ausgehaspelt hat, werd' ich einige Reimfragmente beilegen, so gut ich sie aus[94] dem mit Bleistift im Bett niedergeschriebenen mit Mühe habe enträthseln können – wem sie nicht zusprechen, verzeihe sie, wenn er zum Überschlagen aus ältern Verslein sich nicht geneigter fühlt (s. Beilage D).


* * *


Um mich in meinen oft unterbrochnen geistlichen Schreibereien nicht zu weit vertiefen, kehr ich um zum Weltlichen, bei dem es gewis auch auf das Vertrauen zum Regenten vorzüglich ankommt, denn ist das Vertrauen zwischen ihm und dem Volk geschwunden und hilft es seinen Regierungshelfershelfern nicht, wenn sie noch so viele status caussae et controversiae aus ihren Akten in eigne und fremde Zeitungen, doch ohne Beifügung rechtlich versicherter Abschriften der abgehaltnen Protokolle einrücken läßt. Und verspricht sie sogar letztre ohne es zu halten, so macht sie gewis Übel ärger.

Ein Herr Hundt von Radowsky69, dessen Schrift wider den General Dierke, den ich seit vielen Jahren mit vielen andern zwar nicht als Genie, aber gewis für einen wahren Biedermann gekannt habe, eben nicht gefiel, hat in[95] seiner kleinen Flugschrift70 über Grävell, Renfner etc. einige Blätter den Fehlern gewidmet, die die Minister in der Grävellschen Sache begangen, bei deren Lesung sich wohl kein Unbefangener eines lauten britischen: hört ihn, hört ihn, wird enthalten können, obgleich die, gegen die sie gerichtet sind, sie gewiß gleich zum andern Ohr haben herausgehen lassen, längst gewohnt, den großen Gehaltshafer in der Krippe zu haben, ohne sich um das Feld, auf dem er gewachsen, und den Fleiß dessen, der ihn säte und einerndtete im mindesten zu bekümmern. Zum rühmlichen Andenken der Freiheit, mit der Herr von Hundt diese Wahrheiten ausgesprochen und zur Beschämung derer, die darauf nicht geachtet, wird man seine Äußerungen in der Beilage E abgedruckt finden. Was läßt sich von solchen Regierungsmiethlingen erwarten, wer kann ihnen sich vertrauen, wer den Fürsten ehren und lieben, der sich ihnen hingiebt und sie schalten und walten läßt. Was soll man von Staatsmännern denken, die sich von einem bekannten Privatmanne solcher Dinge beschuldigen lassen.

Bei ihrer Wahl ist das Veni creator spiritus gewis gar nicht oder höchstens so andächtig wie in den ehemaligen Domcapiteln gesungen. Wie es aber auch geschehen, so konnt es sich doch nur unter einem Fürsten[96] zutragen, der bei einem andern unschicklichen Vortrage gesagt haben soll: wir werden uns blamiren, ohne sein Veto sofort geltend zu machen!

Das Pfingstwunder scheint noch immer für die Staatsmänner auszubleiben wie vor der Ausgießung des heiligen Geistes selbst Christi Jünger nicht auf den Standpunkt getreten waren, aus dem die Christusreligion angesehen werden will und muß, wenn sie wahres Leben und sichre Hoffnung auf Unsterblichkeit unter den Menschen erzeugen will – bis jetzt läßt sich aber noch immer utinam, utinam, utinam ausrufen.

Wieder zu Herrn von Hundt zu kommen, so kann ich seiner pag. 58 geäußerten Meinung, daß vorgesetzte Beamte den Untergeordneten nur auf amtliche Verhaltungen Verweise geben könnten, ohne je ihr außeramtliches und geselliges Betragen zu berühren, weil dieses den Vorgesetzten nichts kümmre, schlechterdings nicht beitreten. – Wie viel Cassen-Betrügereien würden vor ihrem Ausbruch entdeckt werden, wenn die Vorgesetzten mehr das Auge über das gesellschaftliche Leben der Cassen-Officianten offen behalten würden.


Den 19. August 1819.


Vorgestern las mir die Gräfin Ida von d. Gröben mit ihrer lieblichen Stimme die Antrittspredigt des neuen Consistorialraths Kähler über 2. Corinth. 3, 12; »dieweil wir nun solche Hoffnung haben, brauchen wir großer Freudigkeit«[97] vor und ich muß bekennen, daß sich gleich schöne Antrittspredigten abfassen lassen, allein eine seiner gedachte, sich deutlicher über Vergangenheit, Gegenwart und künftige Hoffnung des neuen Lehrers für sich selbst und für und seine Gemeinde aussprechende kann ich mir nicht denken. – Die fünf Punkte, auf die er seinen Muth zur Übernahme des Amts aussprach: 1. Herrlichkeit des christlichen Lehramts an sich selbst. 2. Die Zeit in der wir leben. 3. Die Erfahrungen, die er in seinem bisherigen Wirken gesammelt. 4. Das mit Recht zu seiner neuen Gemeinde zu habende Zutrauen und 5. der Glaube an Gottes helfende Vaterkraft und Liebe, waren so treffend dargestellt und auf sein Zutrauen so fest basirt, daß ich nicht begreifen kann, wie manche aus wenigen aus dem Zusammenhange gerissenen Äußerungen über sich selbst auf eine egoistische Denkungsart haben schließen wollen, ohne Wortklauberei zu verrathen oder gar Lust, Verdacht gegen ihn zu erregen. Wer aus einem musivischen Tableau Steinchen oder Stifte aushebt, verdirbt der nicht à dessein das Kunstwerk, um wider den Künstler, der alles an Stell und Ort brachte und seine Umgebungen wählte, Vorwürfe machen zu können? Den Maasstab seines geistlichen und weltlichen Gewächses(?!) hat er der Gemeinde mit Offenheit in ihre Hände gegeben – sie braucht ihn in der Folge nur an ihn anzulegen, um selbst zu erkennen, ob ihr Krause ersetzt sei oder ob der neue Lehrer nicht einen neuen Weg zum himmelswürdigen Leben aufgeschlossen habe – da sein Eingang so wohl gerathen,[98] wolle Gott, daß sein Ausgang nicht minder gedeihlich sei – wie er es in den letzten Worten dieses auch von der ästhetischen Seite so trefflich gerathenen Aufsatzes ausdrückt: »Gott gebe mir die Kraft dazu, wie er mir den Sinn und den Muth gegeben hat, er lasse mich bei Euch finden, worauf er mich angewiesen – er segne auch mich, meine Reden und mein Thun, meinen Eingang heute zu Euch, und endlich, wenn er über mich gebeut, meinen Ausgang von Euch. Amen.«


Den 9. October.


Über Rationalismus und Supernaturalismus wird in dieser Zeit so viel geschwatzt, daß es mir unrecht scheint, nicht auch meine Meinung darüber zu sagen – ich halt den Streit für einen Wortstreit, der bald vergessen werden würde, wenn die Erzsupernaturalisten nicht ihre Religion für die allein seeligmachende hielten und sich die Proselytenmacherei zur Geistessache machten. Der Rationalist braucht manches aus dem Supernaturalismus und der Stocksupernaturalist ist auf dem Wege höchst unvernünftig zu werden und zu handeln.


Den 1. November 1819.


Aller ärztlichen Bemühungen, aller unermüdlichen Pflege meiner beiden wahren barmherzigen Schwestern unerachtet ist es mit meiner Besserung am Ende des dritten[99] Monates beinah noch auf der alten Stelle und nicht viel Aussicht auf baldige Besserung, so daß ich bei meiner innigsten Ergebung in die Voluntas domini doch vor einigen Tagen im Stillen wünschte:


Mach' End', o Herr, mach' Ende

Mit meiner Wanderschaft,

Und was sie hemmt, das wende

Durch deine Gnad' und Kraft;

Nichts ist hier zu gewinnen,

Was Wahrheitsprobe hält;

D'rum laß mich bald beginnen

Den Weg zur andern Welt.


Die leibliche Wollust, wenn sie lange getrieben wird und der leibliche Schmerz, wenn er sehr lange anhält, scheinen einerlei Eindruck auf die Seele zu machen – der Leib sucht eine Herrschaft über die Seele zu erhalten, und kann er sie nicht um alle ihre Stärke bringen, so mattet er sie doch dergestalt ab, daß sie kaum das liebe Leben erhält. – Meine beinah ununterbrochenen Leiden scheinen mit meinem Geist einen solchen Prozeß vorgenommen zu haben, und meine Freunde mögen immerhin bei ihren fortgesetzten Besuchen mich des Gegentheils versichern, so kann ich die Wahrheit nicht zugestehn und nehme sie eigentlich für einen gutmüthigen Trost an, mit dem sie mich über dem Geduldwasser zu erhalten suchen, und mich vor dem Untertauchen bewahren wollen. Ich kann mir das Gefühl, geistschwächer geworden zu sein, nicht ausreden und werde darin beim Schreiben und Lesen nur immer mehr bestätigt. Seit drei Wochen les'[100] ich schon in Kählers Rationalismus etc. etc., diesem trefflichen gewiß viel Gutes stiftenden Buche.71


Den 1. November 1819.


Bei Gott kann ich versichern, daß alles Leiden meiner fortwährenden Krankheit nicht so sehr meine Seele angegriffen hat, als die Vorlesung der auf Veranlassung des deutschen Bundesbeschlusses vom 20. September 1819 ergangenen preußischen Verordnung über die Censur der Druckschriften auf fünf Jahre, datirt aus Berlin vom 18. October, welches datum (Völkerschlacht bei Leipzig) allein schon zeigt, wie bereit man ist die dort mit so vielem Blute errungene Geistesfreiheit einzuschränken und wo möglich zu zerstören. Die schlechte Erwartung, die man von diesem Frankfurter Bundestage bei seiner Stiftung hatte, hat sich von Sitzung zu Sitzung immer mehr bestätigt, aber daß das an verständigen Menschen gewiß nicht arme Berlin zu solchen Mephistopheles würdigen Verschlimmerungen des Wiener Congresses sich so schnell würde verleiten lassen, wer hätte das vermuthen sollen, obgleich die Edictenauswürfe aus dem dortigen Crater wenig gutes hoffen ließen. Waren denn unter den hohen Obern der Regierung keine[101] Männer, die aus Liebe zu ihrer eignen Cultur den König allenfalls fußfällig hätten bitten können, solche dem Menschensinn für Wahrheit und Freiheit verderblichen Gesetze nicht durch seine Namensunterschrift zu heiligen.

Wer verblendete den König, der bisher auf den Ruf der Verständigkeit und Herzensgüte rechnen durfte, zur Erneuerung der Finsternisse des Mittelalters, die das unsrige durchaus nicht verbergen kann und wird.

Der Grund aller solcher Vorkehrungen zur Wegschaffung des Lichtes der Wahrheit und Freiheit scheint mir in dem allgemein gewordnen Drange, mit dem man auf die Festsetzung des Wörtchens Verantwortlichkeit der Staatsdiener zu bestehen scheint, herzurühren. Denn da man einsieht, daß die durch wohlmeinende Schriftsteller über diesen Hauptpunkt einer tüchtigen Staatskunst geäußerte Meinung das Volk bewegen könnte, auf seine Beobachtung zu dringen, so dringt man möglichst schnell auf die Einführung des Preßzwanges, und aus ihm erfolgende Vernichtung der Preßfreiheit, ohne die das Ausführen der Verantwortlichkeit so wenig bestehen kann als eine auf wechselseitige Pflichten und Rechte gegründete Constitution bei der Beibehaltung großer stehender Heere und ohne eine Festigkeit in der Finanzwaltung und einer sich vor Cabinetsbefehlen nicht scheuenden Justizverwaltung. Die über die Gebühr eingerissenen hohen Besoldungen für oft sehr schlecht verwaltete Dienstleistungen, ist eine wahre Bestechung der ein leichtes Erwerb suchenden Subjecte. Man[102] verführt durch ansehnliche Pensionen die laut werdenden Autoren zum Stillschweigen, und wie selten wirkt dieses Kunstmittel nicht, denn wie selten verdient der Autor jenseit der Grenze viel weniger als durchs Stummbleiben im eignen Lande, wenn es um das sich redlich nähren etwas schlimm steht. Der König, der sich allen bürgerlichen Regierungsgeschäften launisch und überhaupt oft entzieht, wird in diese teuflische Finsternißklicke (sic!) mit hineingezogen und verliert Lust und Muth, dem Fürsten gleich, der um nur geschwinder zu seiner Lustbefriedigung zu kommen, das Todesurtheil ohne es gelesen zu haben, unterschreiben wollte, mit der fürstlichen leichtsinnigen Hand, die man bei uns so oft die unnützesten heillosesten Verordnungen, gewiß ohne Kümmerniß über ihren Inhalt, zu eignem Schaden und Schande unterzeichnen sieht.

Ob sich doch viel ehrliche Leute zu Censoren werden anstellen lassen, da dieses Amt in den Augen des Publikums nicht ehrenvoll erscheint, überdem mit vieler Mühe verknüpft ist, und bei dessen wohlgemeintester Ausübung es nie an Verantwortlichkeit ermangeln wird, zumal die Deutschen sich doch wohl schämen werden es auf russische Manier durch Verstümmlungen, Liegenlassen etc. etc. überall selbst über die Gebühr verächtlich und verhaßt zu machen. Denn das den Censoren zugestandene Feierexemplar, das bisher den Bibliotheken von den Verlegern eingesandt werden mußte und ihrem herzlich schlecht in der Einnahme bestimmten Etat etwas zu Hülfe kam, wird doch wohl keinen anlocken,[103] ein ihm garnicht zusprechendes Buch sorgfältig zu durchlesen. Bisher, und auch wohl noch jetzt, hielt ich die Oberpräsidenten für ziemlich entbehrliche Dienstmänner. – Jetzt muß ich sie an Orten, wo der Buchhandel blüht, für höchst beklagenswerth durch ihre Oberaufsicht über die Censur halten und herzlich bedaure ich meinen lieben Freund, den Landhofmeister von Auerswald, dem dies Ämtchen wahrlich ohne Käppchen zu Theil geworden, der bei all seiner Klugheit und Rechtlichkeit dadurch in viel größere und öftre Verlegenheiten kommen wird, als er bisher mir hat zugeben wollen. Gottlob, daß die Unmöglichkeit diese Censurgeburt lang beim Leben zu erhalten, die Axt ist, die diesem Giftbaum an der Wurzel liegt – sollte sie lang ungebraucht bleiben? Und sollte sie es eine Zeitlang bleiben, wird nicht die Masse verständiger Deutschen so zahlreich werden, daß sie das ihr eigen gewordene Interesse an Wahrheit und Freiheit so verkennen wird, daß sie die Maschinenwerke solcher Geist zerrüttenden Monopolisten der Unwahrheit und Knechtschaft nicht bis auf den Grund, Gott wolle im Guten, wird zerstören wollen?


Den 7. November 1819.72


Da ich das Erscheinen einer auf Wahrheit und Recht gegründeten Constitution ohne Unbeschränkung der Preßfreiheit[104] und Beschränkung des Einflusses einer bedeutenden stehenden Armee für so unmöglich halte, wie das Gedeihen einer preußischen, ohne vorgängige Befestigung und Sicherstellung des Finanzetats, so muß ich bekennen, daß alle Leiden meiner noch immer währenden Krankheit keinen so schmerzhaften Eindruck auf mich gemacht haben, wie das Lesen der Königl. Preußischen Verordnung über die nach dem Beschluß des deutschen Bundes vom 20. September 1819 auf fünf Jahre einzurichtende Censur der Druckschriften, die ein boshafter Bureau-Mephistopheles vom 18. October zu datiren für gut gefunden, welches datum allein schon zeigt, wie wenig man sich aus dem Erfolg dieser Weltschlacht macht. Ob aus der Asche des Frankfurter Bundes-Phönix in dem Wiener Minister-Congreß ein junger kräftigerer Phönix sich erheben werde, muß die Zeit lehren, die bestimmten wird, ob erster das grüne Holz gewesen, und dieser das dürre nachgeliefert habe, um den Weltbrand zu befördern. – Was läßt sich hoffen, wenn man im ächtverständigen Berlin, sonst dem auf Wien nicht achtenden, eine solche leichte Hingebung an den bösen Geist Wiens wahrnimmt? Hätte man nicht von den Vorstehern der Ministerien, denen eine gewisse Geistescultur nicht ganz absprechen kann, etwas ganz anderes erwarten sollen? und zwingt es nicht zum höchsten Mistrauen in ihre Charaktere? besonders daß sie nicht den König abhalten, solcher Verordnung seinen Namen unterzusetzen – da die Regenten sich so gern Stellvertreter Gottes nennen lassen, so sollten[105] sie doch auf die Entheiligung ihres Namens etwas mehr Rücksicht nehmen.


Den 28. November 1819.


Meine Ärzte vertrösten mich auf die Hülfe meiner außerordentlichen Naturkräfte, wenn ich mit ihnen bisweilen über die wenigen Veränderungen spreche, die ihre Kunst in meiner schmerzhaften Krankheit hervorbringt: allein muß nicht zuletzt der eingeübteste Hallore ersaufen, wenn sich nach wiederholtem Auftauchen keine Hand findet, die ihn beim Schopf ergreift, um ihn aus dem steilufrigen Strom an eine flache Stelle zu schleppen und muß er nicht auch da nach mancherlei Kunstmanipulationen einen beschwerlichern Tod finden als der im Wasser gewesen sein würde? Man verdenke es mir nicht, daß mir heut dieser Gedanke so oft im Kopf geschwärmt, und meine Leibesübel wahrlich vergrößert hat.


Den 26. December 1819.


Ach, wie will es endlich werden,

Ach, wie will es laufen ab,

Daß ich immer noch auf Erden

Und so wenig Freund' mehr hab'.


So muß ich leider einen alten Kirchenliede nachsprechen, da ich während der abgewichnen sieben Monate meines Krankenlagers, den Banquedirector Crüger, den[106] Cammerpräsidenten von Wagner, den Superintendenten Weiß, den Canzler von Schrötter und den Grafen Fr. v. Stollberg verloren habe, die alle weit weit waren wie ich. Mit letzterm war ich seit langer Zeit aus allem Briefverkehr gekommen, der mich indessen nicht abhielt mich über Vossens mit Höllenstein geschriebenen Aufsatz im 3. Stück des Sophronizon73 wie Stollberg ein unfreier geworden zu ärgern und zu betrüben, wenn ich gleich des Grafen in der letzten Zeit sich sehr hart äußernden Aristokratismus aus persönlicher Bemerkung nicht ableugnen kann. – Sein Bruder Christian74 hätte eigentlich ganz stillschweigen und der Verfasser des Aufsatzes in 6. Stück des Hermes75 nicht so umständlich zeigen sollen, daß man durch Nachahmung der Vossischen Bitterkeit für die Wahrheit wenig gewinne.[107]

Den unersetzlichsten Verlust erlitt ich aber durch den am 2. dieses erfolgten Tod des Canzlers v. Schrötter, weil es unter uns zu einer gewis seltenen Freundschaft gekommen war – und worüber mir einige Tage nach seinem Tode eine ziemliche Anzahl Verse entströmte, in denen kein Wort Dichtung, sondern lauter Wahrheit vorkommt.

Von Freunden aus der jüngern Zeit sind mir jetzt keine mehr übrig außer dem Landhofmeister von Auerswald und dem Bischof Borowski – möchten sie mich doch beide lang überleben und weniger Kummer und Schmerz über das empfinden, was ich noch hab erleben müssen, und worüber morgen zwei Briefe an die Staatsminister Freiherren von Altenstein und v. Humboldt abgehen werden, denen ich im Zutrauen zu ihrem Weltverstande und ihrer Gemüthlichkeit für Land und Leute das Herz höchst freimüthig ausgeschüttet habe. – Wäre mein Vertrauen zu dem Vorwärts, das Gott von Anbeginn ausgesprochen hat, (nicht so groß), ich würde verzweifeln vor dem kreischenden Rückwärts, das die Gentze und Kamptze und ihre Hurraschreier mit geborstnen Sprachröhren auskreischen. – Wären die guten und trefflichen Eigenschaften des Cammergerichtsraths v. Kircheisen nicht durch seine Erhebung zur Justizministerschaft in eine Caput mortuum verwandelt, so ließe sich von der Justizseite noch etwas erwarten. – Hätte ich wie mancher russische Fürst Millionen wegzuschenken, ich würde die Professoren in Jena, Bonn, Göttingen, Heidelberg etc. über ihre Einnahme entschädigen, um sie zur plötzlichen allgemeinen[108] Niederlegung ihrer Lehrämter zu bewegen – ich sollte doch wohl wirken, denn Hohenschullehrer in solcher Quantität lassen sich gewis schwerer ersetzen wie übermäßig hoch bezahlte Minister, auf deren Ämter in hundert Seelen die Wünsche gerichtet sind. – Was würden die Brieferbrecher und Inquisitionshäscher sagen, wenn sie wüßten daß ich dieses in perpetuam rei memoriam niederschreibe, und das mit der Zeit doch seinen Herausgeber finden wird, wenn nicht selbst im Preußenlande die Censur-Mandate so werden vergessen werden, wie es mit viel hunderten ihrer Vorgänger der Fall gewesen ist und bleiben muß, so lange bis Wahrheit wieder zum Fundament der Staatsanordnungen angenommen wird. Utinam utinam und tausend tausend mal Utinam.


19. Febr. 1820.


Aus Simon Dachs herrlichem Liede: ich bin ja Herr in Deiner Macht, aus dem ich nur einige hyperorthodoxe Stellen wegwünsche, sprech ich


Gehör und Rede nehmen ab,

Die Augen werden wie ein Grab;


nur das: und ich soll mit dem Tode ringen kann ich nicht nachsprechen – wie sollt ich mit dem Tode, diesem aufrichtigsten Menschenfreunde ringen können oder wollen. Er ist der Einzige, der keinen Unterschied macht unter groß und klein, jung und alt, reich und arm, vornehm und[109] niedrig, der uns aus der Elementarschule des Lebens in eine höhere versetzt. Von jeher ist es mir unbegreiflich gewesen, wie man den Tod unter der wahrlich unschönen Skelettgestalt den Lebenden hat vor die Augen bringen können, zumal die natürlich, nicht eben in krampfhaftem Zustand gestorbenen bis zum Übergang in die Verwesung gemeinhin die sanfte Schlafgestalt an sich haben. Vermuthlich war der erste, der den Tod so zeichnete, ein Erzmisbraucher des Lebens, der das Ende seiner lustigen Genüsse fürchtete und haßte.

Nein, nein du lieber Tod, ich hoffe nicht mit dir zu ringen, und meine lange schmerzhafte Krankheit hat mich noch geneigter gemacht, dich freundlich willkommen zu heißen oder entgegen zu denken. Da du indessen noch nicht zu kommen Willens scheinst, so fahr ich fort über mein Leben zu plaudern in den wenigen Tagesstunden, die ich nach ärztlicher Verordnung außer dem Bette zubringen muß.

Sollt es einen meiner künftigen Leser befremden, daß meine letzte Nachlieferung vom Ende des Jahres 1819 datirt ist, so kann ich versichern, daß ich in dieser Zwischenzeit nicht federlässig gewesen bin, theils hab ich lange Briefschulden abgetragen, theils viele tausend Verse in schlaflosen Nächten im Kopfe herumgewürfelt, von denen indessen nur wenige hundert am Tage aufs geduldige Papier gekommen sind, wie das was ich über in Druck erschienene Staatsveränderungen gegen meine Freunde geäußert, und worunter kein Tadel der Veröffentlichung des Staatsschulden-Wesens[110] gehört, weil ich über selbiges nur dann erschrecke, wenn ich mir den Wankelmuth denke, den man zu treiben fortfährt, und der das Übel sodann nur ärger manchen kann. –

Sehr bedenklich bleibt es indessen, daß man die in Staatsklugheit erfahrensten Männer aus diesem Regierungsspiel gelassen – doch vielleicht ist Gott in den zurückgebliebenen Schwachen desto mächtiger. Utinam! so eben fällt mir der Minister Humbold ein, und ich erlaube mir aus seinem Briefe vom 2. Januar an den Landhofmeister v. Auerswald wahrhaftig nicht aus Eitelkeit anzuführen: »Scheffner hat mir geschrieben, erzeigen Sie mir die Freundschaft dem würdigen Greise, dessen Gesinnungen Niemand mehr achten kann wie ich, in meinem Namen für sein Vertrauen zu mir zu danken, recht aufrichtig zu danken, er wird selbst nunmehr die Gründe einsehen, warum ich für besser halte, seinen Brief nicht speciell zu beantworten.«

Die Stillschweigensgründe des im Dienst verbliebenen Ministers v. Altenstein sind mir wohl begreiflich – wenigstens viel begreiflicher wie das Leseverbot des letzten Werks von Görres,76 das freilich manche dreuste und wahre Stellen enthält, aber auch so manches schon im alten teutschen Merkur lästiges breites Wortgeschnitzel dem Zeitgeist über Adel und Kirche offenbar nicht zusprechendes. Hoffentlich[111] wird er in der 3. Ausgabe vieles von dem ausstreichen, was ich und viele andere in der 2. nicht mit Vergnügen oder Beifall gelesen haben. Auch Herr de Wette, die ser mich von jeher so sehr77 interessirende Mann, hätte die Actenstücke zur Vertheidigung der ihm so nachtheilig gewordenen höchst unbedachtsamen Briefschreiberei an die Mutter des Sand nicht sollen drucken lassen – so trefflich alles, besonders der Brief an den König geschrieben ist, so kribbelt und wibbelt doch seine dem academischen Senat zugeschickte Vertheidigung von sophistischen Künsten. – Herzlich wünsch ich ihm eine baldige Verbesserung seines Schicksals, die er durch seine Wissenschaft gewiß reichlich verdient hat; werden ihn aber seine Äußerungen nicht überall den Fürsten verdächtig und seine anderweitige Anstellung schwierig machen?

Am 24. Januar, an dem ich Friedrichs II. Geburtstag vierundzwanzigmal gefeiert, welche Feier ich für das Jahr 1820 dem Oberst-Lieutenant Ficcius aufgetragen hatte, war mir ganz eigen zu Muthe. Der beste Kupferstich von Friedrich II. in schwarzer Kunst hängt über meinem Krankenbette; Ficcius war vor einigen Monaten zu einer wichtigen juristischen Stelle nach Berlin gerufen worden, und wer weiß, hat er oder ein andrer meiner gewöhnlichen Abendgäste an diesen Tag gedacht: Sic transit gloria mundi ist gewis einer[112] der besten Denksprüche, die man den in die Loge neu Aufgenommenen zuruft. – Am 31. Januar beging ich im Stillen meines unvergeßlichen Hippels und am 1. Febr. den Geburtstag des Ministers v. Schrötter. Vbi sunt qui ante nos in mundo fuere? Könnt ich mir doch zum Glauben an ein künftiges Wiedererkennen so verhelfen, wie es mir mit dem Glauben an Gott und Unsterblichkeit gelungen.


25. Febr. 1820.


Wenn einen ein Fall persönlich trifft, so verhilft er einem zur lebhaften Überzeugung von einer im Stillen längst schon anerkannten Wahrheit, die wir an andern wahrgenommen haben. Ein eigener Takt für feine Sitten scheint mehr anerzogen als angeboren zu sein und kommt daher gelegentlich zum Vorschein, sobald man sich in seiner wahren Natur zu zeigen genöthigt ist. Ich habe viele Personen des Soldaten- und bürgerlichen Standes gekannt, die von ganz niedern Eltern stammend durch eigenthümliche Verdienste sich hoch aufgeschwungen hatten und in Gesellschaft ganz vorzüglich Sittenmanierlichkeit zeigten, die aber, sobald es der Dienst erlaubte, sehr grob und ungezogen sein konnten. Bei den französischen militairischen Emporkömmlingen hab ich dieses nur zu oft wahrzunehmen Gelegenheit gehabt – in der Eil vergaßen sie ganz ihre angelernte Höflichkeit. Wohl dem, der den gehörigen Takt von Haus aus in die[113] Welt mit nimmt, solchem wird man dann nicht leicht heimlich nachreden, der Herr General sind zum Corporal geboren oder es zu lang gewesen.


Den 23. April 1820.


Am 7. dieses, am Charfreitage starb mein guter Freund Krause in Weimar; gestern feierte man Kants Geburtstag nach gewöhnlicher Weise, ohne mich, seinen ältesten noch übrigen Freund, und heut vor 24 Jahren verließ Hippel die Welt, der er noch so nützlich hätte sein können – und ich, der seit vielen Jahren nur blutwenig zum Besten andrer beitragen konnte, liege nun schon über zehn Monat keinem zum Nutzen, vielen aber Mühe und Sorge machend auf dem Krankenbette ohne die mindeste Hoffnung der Wiedergenesung – wozu mag das gut sein, daß jene thätigen Männer vor mir schon heimgegangen sind? so unwissend ich über den Grund sind, so gewiß bin ich von seiner Nothwendigkeit – der Herr hat es angefangen, er wird es enden im rechten Moment. –

Seit vielen Wochen hab ich kein Blättchen zu meinen Nachlieferungen in Prosa geliefert und zu den Verselügen ist mir auch alle Lust vergangen. Ein ziemlich langer Hirtenbrief an den Cronprinzen hat mich sehr beschäftigt – morgen gelangt er in Berlin an; seinen Eingang segne Gott, seinen Ausgang gleichermaßen, wenigstens enthielt er[114] kein unwahres, kein der Zeit nicht sehr angemessenes Wort – und über wie vieles hätt ich mich noch auslassen mögen, z.B. über das Mode gewordene Wort organisiren – Mir scheint es eine frevelhafte Kühnheit, daß die gemeinsten Handarbeiter im Staatsgewerbe sich seiner bedienen, da sie doch eigentlich höchstens nur berchtesgadisches Spielwerk schnitzeln können. – Aufs Wort Schaffen folgt gleich das Wort Organisiren, denn es liegt in ihm eine Art von fortwährendem Weiterschaffen – o die armen Ediktenschmiede – in welchem liegt wohl ein punctum saliens, aus dem ihr Wirken befördert werden könnte? – würden sie nicht, wenn sie organisiren könnten, in ihre intermistischen Verfügungen etwas legen, das die Leute nicht nöthigte wie vor 300 Jahren auszurufen: der Teufel hol das Interim. –

Heimliches wandelt mich indessen immer an, daß ich während der ununterbrochenen Schmerzen immer mehr Theil an den falschen Wehen des Staats nehme, auf die kein wohlgestaltetes Kind zur Welt kommt. –

Gott muß mit den Fürsten was Großes vorhaben daß er sie zu lauter Pharaonen gegen die beinah in allen Ländern sich ereignenden Zeichen und Wunder aufmerken, und sie sich immer von den Nachmachern der Wunder täuschen läßt, die doch die Läuse nicht nachmachen konnten – unserm Staatswesen gehts nicht besser, ihre angewandten Salben scheinen sie zu vermehren. – Ob der Cronprinz den gehörigen Kamm finden und brauchen wird!?
[115]

Den 24. April 1820.


Da ich in meinen Nachlieferungen die Stelle nicht finden kann, in der auch über den Thomas a Kempis gesprochen worden, so will ich doch zu künftigem Gebrauch nachtragen, daß in der 1819 angekündigten Ausgabe der oeuvres complettes de Madame Necker im 1. Bande derselben, der eine meisterhafte Notice sur les écrits et le caractère de Madame de Staël par Madame Necker de Saussure, eine ihrer vertrautesten Freundinnen, enthält, p. 358 gesagt wird: pendant ses accès de chagrin elle lisoit souvent Fénélon trouvant chez cet auteur une connoisance admirable des peines de l'âme. L'imitation de Jesus Christ, qui ne lui avoit pas plu d'abord étoit aussi une ressource pour elle vers la fin de sa vie. Wie war dieses dieser so außerordentlich klugen christlichen Frau möglich?


Den 27. April 1820.


Der größte Schaden, der dem Staate durch die Aufhebung des wechselseitigen Zutrauens zwischen Volk und Regenten erwächst, möchte wohl der sein, daß sie zugleich das Privatvertrauen der Menschen unter sich stört und zuletzt aufhebt, so daß jeder zu dem abscheulichen Sprüchwort greift: jeder für sich, Gott für uns alle, so gut dieses[116] ist, wenn es mit Verstand ausgeübt wird. – Jeder zieht sich in sich selbst zurück und wird ein recht häßlicher Egoist. Wie sehr solche Egoisterei aber der Natur zuwider ist, hat sie schon mehrmal durch ihre wenn auch nur kurze Zeit dauernde Erhebung zu jenem menschenfreundlichen Universalismus, den die Regierungen so oft ganz verkennen und nicht selten so misbrauchen, daß er das Mistrauen zwischen Volk und Regierung noch höher treibt.

Universalhistorische Überblicke über das Leben und die Entwicklung der Völker von Anfang bis auf unsre Zeit nebst den allgemeinsten großen Resultaten dieser Entwicklung von Christ. L. Wilh. Stark. [2 Theile.] (Jena 1817. 18).


Den 1. Mai 1820.


Logau hatte nicht unrecht als er sang:


Dieser Monat ist ein Kuß, den der Frühling gibt der Erde,

Daß sie heute seine Braut, und durch ihn dann Mutter werde.


Selbst in unsern nördlichen Gegenden merkt man den Maieinfluß, und obgleich der heutige Mai nicht ganz hell von der Sonne beschienen wird, so ist er doch für mich ein höchst merkwürdiger Tag, denn nach beinah eilfmonatlichem Krankenlager hat man mich heut zum ersten mal wieder an meinen Schreibspint gebracht, und ich kann Gott nicht genug danken, denn da er wieder angefangen hat ein neues[117] gutes Werk mit mir, so wird er es gewis auch glücklich vollenden bis auf den Tag Jesus Christ, der mein Heiland, mein Mittler, mein Helfer ist, nicht weil ich ihn für einen Gott halte, sondern weil er mich den Allvater als meinen Vater hat kennen gelehrt, in dem ich Gottlob lebe, webe und bin – und der der Herrscher über alles ist was lebet und webet im Himmel und auf Erden.

Seit so langer Zeit seh ich wieder einmal in das kleine Blumengärtchen vor meinem Fenster, in dem sich alles zu neuem Grünen und Blühen anschickt – Wohl mir, daß ich nichts bemerkt, vielleicht würde mich das kräftige neue Aufstreben der vegetabilischen Welt an den nie wiederkehrenden Wuchs meiner animalischen schmerzhaft erinnern – Alles hat seine Zeit, hab ich nicht die meinige auch reichlich gehabt, und was fehlt meiner jetzigen, Schmerz und Ohnmächtigkeit abgerechnet, die auch ihre Zeit aushalten müssen. –


Den 10. Mai.


Vor einigen Tagen schrieb ich einem berlinischen Freunde durch sichre Gelegenheit, daß ich einen Staat für höchst unglücklich halte, der die Einwohner zwingt, den Betrug, der dem erfundenen Gesetz (inventa lege invenitur fraus) zu flogen pflegt für ein moderamen inculpatae tutelae (Nothwehr) zu erklären, wobei er am Ende durchaus verlieren muß, und würde mich den traurigen[118] Betrachtungen darüber nur zu sehr überlassen haben, wäre mir nicht die größte Freude die mir der Mai hätte bringen können, durch einen unerwarteten höchst freundschaftlichen Brief vom General v. Valentini wiederfahren, aus dem ich ersehen, daß er sich sehr wohl befindet und unsern Verkehr neu anzuknüpfen wünscht, ob ihm gleich sein neues Werk über den Krieg viel zu schaffen macht, damit es so gerathe wie das erste jetzt zugleich vermehrt erscheinende über den kleinen Krieg ihm gerathen ist. – Wie freut mich seine höchst glückliche obgleich kinderlose Ehe!


Den 18. Mai 1820.


Meine Freunde sind zwar so gütig die größere Abnahme meiner Seelenkräfte vor denen des Leibes nicht anerkennen zu wollen, allein ob ich gleich einigen von ihnen vorgestern ein kleines Diner gegeben, bei dem es froh genug herging, und ob gleich mich gestern zum erstenmal im Rollstuhl in den Garten fahren ließ, so weiß ich doch aus der Abnahme des Lesevermögens, wie mein physisches über meinem psychischen die Oberhand zu gewinnen anfängt und spreche oft heimlich dazu: Gottlob!

Ganz ist es indessen um meine Schreiblust noch nicht gethan und vor einigen Tagen fiel es mir ein zu veranlassen, daß ein besserer Kopf wie der meine sich an einen Vergleich zwischen dem 14. Octbr. 1758 bei Hochkirch und[119] dem 14. Octbr. 1806 bei Auerstädt wagen möchte. Wie vieles zur Lehre, zur Strafe und Besserung der militairischen und politischen Regierungsführer könnte dabei nicht gebracht werden.

Ein nicht minder anstellenswerther Vergleich schien mir der zwischen einem Thronerben und einem jungen Mann, der bestimmt sei, eine im väterlichen Hause erzogene Braut zu heirathen, und ob es für seine Freunde schicklicher und rathsamer sei ihn vor der Trauung über die im Liebestaumel nur zu oft übersehenen Fehler der Gebliebten zu belehren, um sich nicht nach der Thronbesteigung in Ehestandszwiste mischen zu dürfen? Ich trete dreust der ersten Meinung bei, denn das Mengen in den Ehestand bleibt immer ein Fingerstecken zwischen Thür und Angel. Auch that ich mir die Frage: ob ein sehr mächtiger Staat sich klüger betrage, wenn er mehr auf politische und militairische Strategie als Taktik sich legt? Der minder mächtige muß sich durchaus beide nicht aus Augen und Sinn kommen lassen. – Endlich fiel es mir ein, wie sonderbar es sei, daß Newton einen Commentar über die Offenbarung Johannes geschrieben, Leibnitz sich mit Beweisen für die Transsubstantiazion abgegeben, Goethe kein Bedenken getragen, in seinen mit so unaussprechlichem, Vergnügen gelesenen Divan den Aufsatz über Israel in der Wüste p. 423 habe aufnehmen können – und daß die berühmte höchst kluge und meiner Meinung nach wirklich fromme Frau v. Staël laut Versicherung ihrer ganz trefflichen Charakter- und Schriften-Schildnerin,[120] der Madame Recker de Saussure sich in ihrer letzten Zeit nicht allein mit dem nicht genug zu lobenden Fenelon beschäftigt, sondern auch das stockmönchische Buch des Thomas a Kempis habe in die Hände nehmen können – hoffentlich hat sie nur wenig darin geblättert und Gott behüte mich in meinen letzten Tagen vor einem Einfall zu diesem geistlich verschrobenen leidigen Tröster zu greifen!


Den 7. Juni 1820.


Als man mich vor einigen Tagen zum ersten mal auf meinem Krankenstuhl an das Straßenfenster rollte, schienen die Steine, auf die ich am 7. Juni 1819 gefallen, mir zuzurufen, vergiß dieses Tages nicht – wie könnte ich aber wohl je seiner und Gott dafür zu danken vergessen, daß ich an ihm nicht zum geistigen, wenn gleich zum leiblichen Krüppel geworden und ich nur um zwei Drittel meiner Umgangsfreuden gebracht bin. Denn jetzt muß ich die Besuche meiner Freunde abwarten ohne sie erwiedern zu können. – Denn ein kleines frugales Mittagsmahl kann doch nicht in Gegenrechnung gebracht werden. – Meine Entbehrung würde mir aber noch lästiger werden, wenn ich nicht meines Freundes Hippel sustine et abstine unter meine Lebensgesetze aufgenommen hätte. – Sich aller Hoffnung auf Wiedergenesung beraubt zu sehen und mit Schmerzen und Schlafmangel geplagt zu werden, ist fürwahr keine Kleinigkeit, für die es[121] mancher, der gut schläft und dem kein Finger weh thut, wohl halten mag. – Wie verschieden und was denken nicht alles die Menschen! behauptete doch vor einigen Tagen ein ansehnlicher Justizmann gegen mich, daß man höchst unrecht gethan, den Sand nicht wenigstens von unten auf gerädert und dann erst geköpft zu haben – als ob Justizgrausamkeiten ein Mittel wären, Verbrechen zu hindern; so glauben manche Leute, es sei eben nicht gefährlich, dem Verstande zu erlauben, einen Luftballon der Leidenschaft zu besteigen, indem der vom erstern vorbereitete Fallschirm einen sichern könnte gegen die Unglücksfälle, die der Graf Zambeccari78 vor einigen Jahren bei seiner Luftfahrt seiner Sicherheitsvorkehrungen unerachtet ausstehen mußte, die ihn aber doch nicht abhielten eine neue Fahrt zu wagen, deren Folgen mir unbekannt geblieben.

Wo gerath ich am 7. Juni hin, jetzt da ich nur noch wenige Stunden entfernt bin von dem schrecklichen Fallaugenblick, wider dessen Folgen nur im Sarge Hülfe zu erwarten ist.

Was hat sich in dem abgelaufenen Jahre nicht alles zugetragen! Das schmerzlichste für mich ist gewis der Tod[122] des Canzlers v. Schrötter – das beste manche Berichtigung über meine Gesinnung über Gott und die Welt, zu denen ich in meinen schlaflosen Nächten die Zeit wahrlich nicht ohne eine Art von angenehmer Befriedigung zu widmen mir förmlich angewöhnt habe – und ohne die ich vielleicht über meine jetzige Lage unruhiger sein würde. – Ich bin in meiner Ergebung in den Willen Gottes so befestigt worden, daß mir die Befolgung des sustine et abstine beinah gar keine Mühe mehr kostet, und die Zahl selbst meiner kleinen Wünsche immer mehr abnimmt. – Möchten nur meine Ohren und Augen minder rasch schwächer werden – daß mir der leidige Trost des Selbstlesens minder lästig würde – mit wie viel größerm Vergnügen würd ich den ersten Band der Beschreibung von Brasilien durch den Prinzen Maximilian von Neuwied79 lesen. – Was wird Amerika nicht einst mit Europa machen – es wird es als Mumie seines lang ausgeübten und so oft misbrauchten Verstandesübergewichts vorzeigen. – Und doch wollen alle Fürsten Europas nicht klüger werden und lieber in dem fast lächerlichen Wahn beharren, Frankfurter Bundestage und Wiener Minister Zusammentretungen werden Europa vor seinem künftigen Untergange sichern oder die Untersuchungen der demagogischen Umtriebe von Kindern und Jünglingen, die eben daraus lernen, daß die Regierungen sich vor ihren wahrlich kindischen[123] Unternehmungen fürchten. Aus dem Glauben an eigene Wichtigkeit entsteht nur zu oft eine Verwegenheit, an die man ohne jene vielleicht nicht gedacht, noch weniger sich dazu entschlossen hätte. – Erlaubte der Thierwärter dem Löwen, ihm die Hand schmeichelnd so lange zu lecken bis Blut hervorkäme – wer würde den Wächter aus dem Rachen des Löwen erretten. – Discite justitiam moniti nec spernere divos – die Fürsten wollen Stellvertreter Gottes sein, könnten und sollten es sein, und zwingen die Menschen den Glauben an Gott, im Geist und in der Wahrheit anzubeten, aufzugeben; möchte man nicht dem Verfasser mancher Staatsgesetze zurufen: o Corydon Corydon qualis te dementia coepit. – Sie erschweren den Leuten den Glauben an die einzig selig machende Monarchie, die in der Zutrauensfülle der Volksmenge ihre Hauptstütze findet, nicht aber in den Bajonetten, die oft auch zum Misvergnügen Anlaß erhalten und dann die böse Laune des Bürgerstandes vermehren.


Den 22. Juni 1820.


Heut vor sieben Jahren stand ich um diese Stunde (9. Uhr M.) neben der Leiche meiner am 21. gestorbenen lieben Babet, drückte ihre kalten Hände mit dem sehr warmen Wunsche: ach wär' ich schon so weit wie sie – und dieser Wunsch ist seitdem das unsichtbare Medium geworden,[124] durch welches ich alles sehe und höre. – Und was hab ich in dieser Zwischenzeit nicht alles gehört, gesehn und erlebt – über manches hätt' ich mich weniger ärgern dürfen, wenn meinen Gefühlen nicht eine sehr lebhafte Empfindlichkeit [eigen wäre] für Wahrheit und Freiheit, die zusammen die Gerechtigkeit oder das rechte Recht, [die man] mit Füßen getreten, weil man der reinen Einfachheit im Denken und Handeln täglich mehr entsagen zu wollen scheint. – Sie wird sich aber an dieses Entsagenwollen nicht kehren und ihr Stündlein der Wiedervergeltung wird die Jungfraun überraschen, wie der Bräutigam die mit unversorgten Lampen überraschte. – Da indessen in der untermondlichen Welt nichts rein Böses geschehen kann, so hat gewis auch alles was ich erlebt habe, bald laut bald still auf mich, gewis zum Vortheil gewirkt – wie vieles hab ich nicht im wichtigsten, das ist im religiösen Fach bei mir ins reinere gebracht, so daß ich ihm den größten Theil der geduldigen Ertragung meiner noch immer anhaltenden lieblichen Leiden gewis zu verdanken habe – selbst über das mir sonst beinah verhaßte Wort Mystik bin ich in Kopf und Herzen anders belehrt, und bin jetzt überzeugt, daß jeder vernünftige gebildete Mensch seine eigene Mystik habe, die er aber in übeln Ruf bringen kann, wenn er sie laut werden läßt, oder irgend einen andern zu ihr bekehren will. – Wen spricht Fenelons Mystik nicht an, wem ist die Mystik der Guyon nicht oft ganz zuwider; als ich vor einigen Tagen im 6. Stück des Hermes die mir ein wenig[125] zu kostbar geschriebene Recension von Goethes Divan las, fand ich eine Stelle über Mystik, die mir so sehr gefiel, daß ich sie mir abschreiben ließ, um sie als Note aufzunehmen, weil ich mich nicht erinnere, über das Wort Mystik etwas besseres so kurz gesagt gefunden zu haben, außer in Köppens vertrauten Briefen über Welt und Bücher80 5. Br. p. 98. –81[126]

Um auf etwas anderes zu kommen fällt mir der Königssohn Carl ein, der auf seiner Besuchsreise zur Schwester in Petersburg einen Tag hier verlebte. – Wenn ich diesen Prinzen vor zehn Jahren im Garten unter meinem Fenster spielen sah, faßte ich aus seinem Benehmen eine große Hoffnung von ihm auf, der ich noch nicht entsagt habe. – Ist es aber nicht merkwürdig, daß man zu einer Zeit, wo man den zu Dienstreisen bestimmten eben nicht großen Etat zum Schaden des Dienstes einschränkt, vielleicht[127] hundert und mehr tausend Thaler auf eine brüderliche Visite verwendet, von der sich kein, wenigstens kein Staatsnutzen absehen läßt – den Busoltschen Garten, den Tummelplatz seiner Kindsfreuden hat der Prinz doch besucht. – So wenig mich aber dieser Durchflug interessirt hat, um so mehr hat es mich erfreut zu vernehmen, wie ein großer Theil der hiesigen academischen Jugend sich durch die aria cattiva der Zeitereignisse nicht hat abhalten lassen, das Andenken der für Preußen so höchst rühmlichen und nützlichen Schlacht bei Schönbund (belle alliance) am 18. Juni[128] Mit Gesang, Reden und Lustfeuer auf dem Galtgarbsberge auch in diesem Jahre zu wiederholen, und wöfur ich ihr in unsern öffentlichen Blättern recht herzlich danken werde.82 – Doch wer weiß, welcher Kamptzische Polizei-Famulus auch aus diesem Zuckerrohr Essig zu brauen übernimmt – und auf dieses kleine Landfest eine Wichtigkeit legt, wie einst auf die Wartburgschen Frivolitäten, an deren Schwefelhölzchen man Brandfackeln anzündete, die mit ihrem Pechgeruch bis jetzt den hominibus emunctae naris sehr übel anriechen. »Gott besser's!« sagt der Comthur in den Söhnen des Thales, und er wird's gewiß nicht unterlassen, wenn Er es zeitgemäß erachten wird.


Den 18. Juli 1820.


Wie konnte in aller Welt die Redaction des Staatsanzeigers einem so unwissenden, dummdreusten, tückischen Knaben erlauben, ihr 54. Blatt von diesem Jahr mit der unverschämtesten Beurtheilung des 2. Bandes der überall so gut aufgenommenen Preußischen Geschichte seit dem Hubertsburger Frieden83 zu besudeln, und diesem nachzusagen,[129] daß er eine geistlose Composition etwa eines sächsischen Schulmanns sei; kann ein falsches Urtheil nicht Gelegenheit geben auch manches andre in ihr sich befindende Urtheil für unrichtig zu halten – oder zu glauben, sie habe schon manches falsch beurtheilt, und eine unrichtige Critik mehr oder weniger kann einem officiellen Blatt nicht schaden, welches ich gänzlich leugne.

Wie ganz anders würde es um unsere staatswirthschaftlichen und politischen Wissenschaften stehen, wenn sie lauter Recensenten fänden, wie die in No. 92. 93. 94. von de Pradt's Congrès de Carlsbad [Partie I. II. Paris, Bruxelles 1819], aus der der Herr Erzbischof gewiß sehr vieles hätte lernen können, um seinen Aufsatz zur Classicität der Gedanken zu erheben – indessen kann ich doch seiner p. 281 gemachten Äußerung, wo er den heiligen Bund als eine heilsame Opposition des Königthums gegen das Bürgerthum, so diesem das Gleichgewicht hält, damit auch dieses nicht über die Schranken gehe, nicht beipflichten; bestände unsre Diplomatie nicht bis jetzt aus neun Zehntel Schlangenlist gegen ein Zehntel Tauben Unfalschheit, die neben jener nur clam und praecario existirt, so wäre es ein anderes. – Von Anfang hielt ich diesen Bund für eine Sünde wider die zweite Vaterunserbitte, von der Luther sagt: Du sollst den Namen deines Gottes nicht unnützlich führen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen misbraucht. Denn der angeblich von der Fr. v. Krüdener dem russischen Kaiser eingegebene Geist möchte wohl nicht der rechte heilige[130] Geist, der zu solcher Verbindung ganz unentbehrlich ist, sein. –

Die politische Schlauigkeit des russischen Herrschers ließ ihn bald viele Vortheile einsehen, die ihm dieser sogenannte heilige Bund, den er vielleicht am ersten in der Folge entheiligen wird, schaffen könnte.

Welchem von allen Regenten Europas, den ernstredlich gesinnten König von Preußen nicht ausgenommen, wie seine Vereinigungslust der beiden protestantischen Confessionen zeigt, ist wohl in der frühesten Jugend der heilige Geist eingeflößt, der in alle freimachende Wahrheit einleiten kann? Die Körnchen, deren die Delbrück in die Seele unsers Cronprinzen gesäet, werden doch hoffentlich nicht unter dem Schilfrohr der höfischen Verhältnisse so untergehen, daß sie gar nicht mehr zum Vorschein kommen könnten. –

Können die noch gut wenigstens leidlich gesinnten Fürsten sich nicht aus den Händen ihrer die Verantwortlichkeit tödtlich hassenden höhern Umgebungen retten, so wirds von der Bekanntmachung des heiligen Bundes auch bald heißen, was Luther von der Taufe sagte: Wasser thuts freilich nicht.

Wer bekommt daher nicht eine Anwandelung zum Lachen, wenn er das vom Wiener Minister-Congreß über den Frankfurter Bund ausgegossene Wasser sieht, dessen Klarheit jedem erlaubt zu sehen, daß im Teich keine Fische zur Leibes Nahrung und Nothdurft schwimmen. – o verba verba praetereaque nihil! –

Fußnoten

1 Über diese bereits 1816 in Leipzig bei J.G. Neubert gedruckte, aber erst nach Scheffners Tode 1821 bei Nicolovius erschienene Autobiographie: »Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben« vgl. R. Reicke, Aus dem Leben Scheffners in: Monatsschrift I, 33.


2 Lorenz Sterne, des Herrn Tristrams Shandy Leben und Meinungen aus dem Englischen neu verdeutscht (von Joh. Lorenz Benzler) 3 Bde. Leipzig 1801; auch ebd. 1810. Die Bodesche Uebersetzung erschien zuerst Hamburg 1774.


3 Thomas a Kempis von der Nachfolge Christi. Vier Bücher aus dem Original neu übersetzt von Prof. Köthe. Nürnberg 1815.


4 Fenelons Werke religiösen Inhalts; aus dem Französischen von Mathias Claudius. 2 Thle. Hamburg 1800–1811.


5 Scheffner beantwortete in dieser öffentlichen Fest-Sitzung die beiden Fragen: »Ist bei dem Regierungsantritt eines klugen jungen Fürsten zu hoffen, er werde das werden, was sein Land erwartet, wenn er nicht vorher durch die Schule des Kreuzes gegangen ist?« und: »Welches von beiden geschieht leichter: in einem großen Staate ein ruhmloser Regent zu bleiben, oder in einem kleinen sich zu einem berühmten Fürsten zu erheben?« Vgl. Hartungsche Zeitung, Königsberg 1817 No. 9


6 Zuerst erschienen J.P. Hebels allemannische Lieder, umzudeutschen versucht von J.G.S. Königsberg, bei Friedr. Nicolovius. 1811 (VI, 90 S. 8.) dann J.P. Hebels allemannische Gedichte in hochdeutscher Mundart. 2. verm. Ausg. Ebd. 1817 (IV, 224 S. 8.) Daraus die neu übersetzten Gedichte als 2. Band für die Besitzer der ersten Auflage besonders abgedruckt.


7 von Schrötter.


8 Prinzessin Marianne (eigentlich Amalie Marie Anna), Tochter des Landgrafen Ludwig Wilhelm v. Hessen-Homburg, geb. 13. Oct. 1785, vermählt 12. Jan. 1804 mit Prinz Friedrich Wilhelm Karl, dem Bruder des Königs Friedr. Wilhelm III. Der Minister v. Stein pflegte sie die deutsche Prinzessin zu nennen.


9 Prinzessin Luise von Preußen Radziwill, Tochter des Prinzen Ferdinand v. Preußen, eines Großheims von Friedr. Wilh. III., geb. 24. Mai 1770, vermählt 17. März 1796 mit dem Fürsten Anton Radziwill. Sie ist die Schwester des am 10. Oct. 1806 bei Saalfeld gefallenen Prinzen Louis Ferdinand und des am 19. Juli 1843 verstorbenen Chefs der Artillerie Prinz August.


10 Die um zwei Jahre jüngere »sehr schöne, sehr geistreiche und sehr galante« Schwester der Königin Luise, Prinzessin Friederike, geb. 2. März 1778, † 29. Juni 1841, war dreimal vermählt, zuerst 26. Dec. 1793 mit dem Bruder des Königs Friedr. Wilh. III. Prinz Ludwig von Preußen († 28. Dec. 1796), dann 10. Dec. 1798 mit Prinz Friedrich v. Solms-Braunfels († 13. April 1814), endlich 29. Mai 1815 mit Ernst August, Herzog v. Cumberland, nachmals König von Hannover. Die »essigsaure Frau Schwiegermutter« Sophie Charlotte, seit 8. Sept. 1761 mit König Georg III. Großbritannien vermählt, starb 29. Jan. 1820, war eine Schwester Karl II. von Mecklenburg-Strelitz, also eine Tante von Friedericke. Sie wollte ihre Schwiegertochter nicht bei Hofe empfangen, weil dieselbe ein »successives Verhältniß zu zweien ihrer Söhne« (Friedericke hatte nach ihres ersten Gemahls Tode den Herzog Adolf von Cambridge heirathen sollen) gehabt habe, was nach englischen Begriffen gegen die Natur verstoße. (S. Vehse, Gesch. der deutschen Höfe. 20. Bd. S. 316 f.u. 41. Bd. S. 126.) – Die Prinzessin Auguste Luise Therese Mathilde von Solms-Braunfels, geb. 26. Juli 1804, † 8. Oct. 1865, heirathete 1827 den Prinzen Albert von Schwarzburg-Rudolfstadt, der seinem Bruder Fürst Friedrich Günther den 28. Juni 1867 succedirte.


11 Aug. Wilh. Kephalides, Reise durch Italien und Sicilien. 2 Theile. Leipzig 1818.


12 Erinnerungen von Friedrich von Matthisson. Bd. I–III. Zürich 1810–1816. Bd. III. Nr. XVI. Wörlitzer Blätter. 1805. S. 91–116. Nr. XVII. Wörtlitzer Blätter. 1806. S. 117–152. S. 126 ff. schildert Matthisson bei Gelegenheit eines Versuches in Berlin das Verhältnis zwischen dem elfjährigen Kronprinzen und seinem Erzieher Delbrück.


13 Georg Wilh. Freiherr v. Valentini geb. 1775, † 6. Aug. 1834, bekannt durch seine »Lehre vom kleinen Kriege« und »vom großen Kriege«.


14 Georg Heinrich v. Berenhorst, geb. 1733, natürlicher Sohn des Fürsten Leopold I. von Dessau, diente im preußischen Heere, 1757–60 als Adjutant beim Prinzen Heinrich, 1760 bei Friedrich II., 1763 als Major verabschiedet, hielt sich dann zu Dessau auf, wo er Kammerpräsident, Schloßhauptmann, zuletzt Hofmarschall war, † 1814. Er schrieb u.a.: »Betrachtungen über die Kriegskunst«. Leipzig 1797–99 in 3 Abteilungen (3. Aufl. 1827.)


15 Scheffner hat hier folgende Schrift im Sinne: »Ansichten und Wünsche betreffend das protestantische Kirchenwesen und die protestantische Geistlichkeit. Beim Eintritt in die neue Zeit herausg. von Jonathan Schuderoff, Superintendenten und Oberpfarrer in Ronneburg.« Leipzig 1814.


16 In Rudolstadt bei Fröbel; vgl. R. Reiche, Aus dem Leben Scheffners in: Altpr. Monatsschrift I, 34.


17 Joh. Joach. Winckelmanns Werke, hrsg. v.K.L. Fernow, H. Meyer und Joh. Schulze. Nebst Register von K.G. Siebelis. 8 Bde. Dresden, 1808–20.


18 Über die aus Kants einer Tischgesellschaft hervorgegangene Gesellschaft, die seit 1805 alljährlich Kants Geburtstag durch gemeinsames Mahl und Tischrede feiert, s. Aug. Hensche, Kant und die Kantgesellschaft in: Altpr. Monatsschr. IV, 1867, S. 238–248.


19 Hippel starb am 23. April 1796 gegen Abend.


20 Dr. Daniel Friedrich Schütz, kgl. preuß. Geh. Archivdirector, Professor der historischen Hülfswissenschaften und kgl. Bibliothekar, geb. 12 Febr. 1780 zu Königsberg, gab nach Ernst Hennigs Tode den achten und letzten Band von Lucas Davids preußischer Chronik heraus; er starb am 29. Mai 1817 an der Auszehrung; s. die Nachricht von seinem Tode in den Beiträgen zur Kunde Preußens, deren erstes Heft er noch mit herausgab, Bd. I, S. 168 f. Hier, wie auch in der von Mutter, Schwester und Schwager unterzeichneten Todesanzeige in der Hartungschen Zeitung No. 66 wird er Johann Daniel vorbenannt; so hieß aber sein Vater.


21 Scheffner hatte sich wiederholt an hoher und höchster Stelle »für die Erhaltung der alten Denkmäler der deutschen Sprache« verwandt, zuerst den König um 3000 Thlr. jährlich während fünf Jahre (s. Scheffners Leben S. 506 und Beilage G), dann um 4000 Thlr. für die Besorgung von Abschriften altdeutscher Handschriften, endlich um Urlaub, freie Post und 600 Thlr. für Oberlehrer Frdr. Carl Köpke zur Reise nach Heidelberg behufs Abschrift wichtiger Manuscripte für die Königsberger Bibliothek gebeten: »sein Vorwort für die deutschen Musen hatte keine gute Stelle gefunden«, zwar wurde Prof. Wilken in Heidelberg beauftragt, für die Bibliothek zu Königsberg Abschriften von den aus einen mitgetheilten Verzeichniß auszuwählenden Heidelberger Manuscripten nehmen zu lassen; aber auch hieraus ist schließlich nichts geworden.


22 Doch liegt im langen Bedenken nicht immer das Mittel, das klügste und nützlichste zu erdenken, oft giebt es sogar Gelegenheit zum Ersinnen verderblicher Auswege und Hindernisse. Eine harte Rede, wie Petrus es einst nannte, über diese Schlepperei findet man in Kuhns Freymüthigen von 1818, Nr. 250, 51 unter der Überschrift: Die Jacobsleiter.


23 Friderich August Müller, einer der talentvollsten Nachahmer Wielands, geb. zu Wien 16. Sept. 1767, † 31. Jan. 1807, ging 1793 nach Erlangen, wo er sich 1797 als Privatdocent habilitirte und mit Pfarrer Abegg und Prof. Isenflamm innig befreundet war.


24 Karl Dietrich Hüllmann, geb. 10. Sept. 1765, † 4. März 1846, war seit Herbst 1808 Professor der Geschichte und Statistik in Königsberg und lebte hier fast 9 Jahre, wie er selbst sagt, in den angenehmsten Verhältnissen. Das hiesige rauhe Klima behagte ihm nicht; schon wollte er einem Rufe nach Heidelberg an Wilkens Stelle folgen, als ihm die Professur an der neu zu errichtenden Universität Bonn zugesichert wurde.


25 Über Christian Jacob Kraus, geb. 27. Juli 1753, † 25. Aug. 1807, auf dessen Leichenstein sein »Hauptfreund«, der Landhofmeister v. Auerswald, die Worte setzen ließ:

Justus et Sapiens

patriae profuit,

s. Johannes Voigt »Das Leben des Prof. Christian Jacob Kraus« (Königsb. 1819). Interessante Briefe von Kraus an seinen Bruder aus der Zeit vor seiner Anstellung als Professor der praktischen Philosophie und Cameralwissenschaften hat sein Großneffe Dr. Gottlieb Krause in der Altpr. Monatsschrift veröffentlicht, auch separat unter dem Titel: »Beiträge zum Leben von Christian Jacob Kraus« (Königsberg 1881).


26 Über diese »schwere Geburt« des bereits 9 Jahre vorher durch Publicandum vom 16. Dec. 1808 eingeleiteten Staatsraths, der 30. März 1817 nach feierlichem Gottesdienst und Parade in Berlin eröffnet wurde, sowie über seine kümmerlichen Resultate s. Venturini, Chronik des 19. Jahrh. Bd. XIV, S. 208 ff.


27 Des Grafen Bülow. – In welchem Rufe des französischen Ministers Carl. Alex. de Calonne (1783–87) verschwenderische, nur auf Schulden basirte Finanzwirthschaft stand, geht auch aus folgender Bemerkung Kants hervor, die er gelegentlich eines Vergleichs zwischen geniemäßiger und kritischer Philosophie niederschrieb: »Der nicht schulmäßig, sondern geniemäßig philosophirt, wirthschaftet aus dem Vollen, welches dann einen nahen Banquerot weissagen läßt (noris quam sit tibi curta supellex). Die kritische Philosophie ist diejenige Vernunftwirtschaft, welche zuerst ihren Vermögenszustand untersucht, um zu wissen, wie weit sie in Ausgaben gehen kann und sieht aus wie ein Pinsel gegen den geistreichen Kopf, der wie ein gewisser Minister von seiner Staatsverwaltung rühmt: je mehr er Schulden macht, desto reicher wird er.«


28 Nämlich des Ministers des Innern von Schuckmann.


29 Brockhaus' Conversations-Lexikon, 2. Aufl., Bd. 8. Leipzig u. Altenburg, 1817, S. 825.


30 Von Kircheisen.


31 M. Luthers deutsche Schriften, theils vollständig, theils in Auszügen. Ein Denkmal der Dankbarkeit des deutschen Volks im Jahre 1817. Hrsg. von F.W. Lomler. 3 Bde. Gotha, 1816–17.


32 Nach dem preußischen Kalender ist im Kirchdorf Wargen (Kreis Fischhausen) am 16. Sept. Krammarkt.


33 Königsberger Hartungsche Zeitung vom 4. Sept. 1817, No. 106, S. 1280, unter dem Titel »Kreuzerhöhung«, Vgl. Faber »Geschichtliche Nachrichten vom Galtgarbenschen Berge und dem Schlosse Rinau« in: Beiträge zur Kunde Preußens, Bd. IV, S. 122–137. – Eine Abbildung des Berges enthält der Berliner Kalender f.d.J. 1836.


34 Carl Aug. Wilh. Friederici, aus Insterburg, stud. Naturgeschichte, lebt in Königsberg als Realschuldirector a.D.


35 Löffler schließt seinen schönen Aufsatz über die Vereinigung der beiden protestantischen Kirchen mit den Worten: »es ist oft eine große Weisheit, auch das Wichtige nicht zu wichtig zu behandeln.« (Kleine Schriften, III. Bd. [Weimar, 1818.], p. 314.) Sollte aber nicht das Mir nichts dir nichts auch oft sehr unweise seyn?


36 Unmittelbar nach der Reformationsfeier in der Garnisonkirche zu Potsdam am 31. Oct. reiste der König mit dem gesammten Hofe nach Wittenberg, um hier am 1. Nov. den zweiten Festtag zu begehen. Die damaligen Zeitungen berichten ausführlich darüber. Vgl. auch Venturinis Chronik des 19. Jahrh., Bd. XIV, S. 229 f.


37 Brocardicon = Rechtsregel in sprüchwörtlicher Fassung. Der Name kommt von Burchard (Brocardo), Bischof zu Worms († 1025), her, der dgl. kurze Regeln aus dem canonischen Recht gesammelt hat (gedruckt Colon. 1548 unter dem Titel: Buchardi Wormaciensis Episcopi Decretorum libri XX ex consilijs, et orthodoxorum patrum Decretis, tum etiam diversarum nationum Synodis, ceu loci communes congesti.)


38 Über diesen ungewöhnlich heftigen Orkan vom 17. Jan. 1818, der sich von den englischen und französischen Küsten am Kanal bis zu den Urquellen der Memel in Rußland erstreckte, 18°–46° ö.L. und 52° 45 M. bis 55° 30 M.n. Br. (ca. 10,366 Quadratmeilen), und der allein in Ostpreußen einen Schaden von mehr als 10 Mill. Thlr. verursachte, giebt Prof. Wrede interessante Nachrichten in den Beiträg. z. Kunde Preuß., Bd. II. (Königsbg. 1819), S. 91–111.


39 Auch die Königsberger Zeitung nahm wiederholt Notiz von dieser vagabondirenden Bußpredigerin, die sich vom 25. Febr. bis 11. März in Königsberg aufhielt. Was das Blatt in Prosa und in Versen über und an sie mittheilte, war zwar nicht immer höflich, aber wahr wie die Worte der 1. Epistel an die Corinther, Cap. 14, Vers 34, 35, die sich ihrem Herold, dem Prediger Kellner, wohl nie beim zufälligen Aufschlagen der Bibel zur Textauslegung dargeboten haben werden.


40 Über das Leben und Wirken, die Schriften und Lehren der Frau de la Mothe-Guyon (geb. 13. April 1648, † 9. Juni 1717) handelt sehr ausführlich Heinrich Heppe in seiner »Geschichte der quietistischen Mystik in der katholischen Kirche« (Berlin, 1875), S. 145–489.


41 Theodor Christoph Lilienthal, geb. 8. October 1717, † 17. März 1782, Prof. der Theol. und Pastor der Kneiphöf'schen Domkirche; sein Hauptwerk: »Die gute Sache der in der heiligen Schrift alten und neuen Testaments enthaltenen göttlichen Offenbarung wieder die Feinde derselben erwiesen und gerettet,« 16 Theile, erschien Königsberg, 1750–1782. Die Verse Kants befinden sich zuerst in dem Anhange zu dem von Pisanski im Namen der Universität verfaßten »Promeritum honoris Monumentum Th. Chr. Lilienthalio sacratum«, S. 34.


42 Grahams himmlisches Bett, von dem schottischen Arzte Graham 1789 zu London in dem sogenannten Tempel der Gesundheit angelegt und aufs üppigste ausgestattet, sollte das verlorene Zeugungsvermögen wieder herstellen.


43 John Mawes Reisen in das Innere von Brasilien, vorzüglich nach den dortigen Gold- und Diamantdistrikten, auf Befehl des Prinzen-Regenten von Portugal unternommen. Nebst einer Reise nach dem la Plata Fluß, und einer historischen Auseinandersetzung der letzten Revolution in Buenos Ayres. Nach dem Englischen, mit Anmerkungen begleitet, deutsch herausgegeben von E.A.W.v. Zimmermann. Bamberg und Leipzig, 1817.


44 Dr. der Rechte und Advokat Daniel Ludwig Jassoy, geb. 29. März 1768 zu Hanau, † 5. Oct. 1831 zu Frankfurt a.M.

Nach Beendigung der primatischen Herrschaft in Frankfurt nahm er als Mitglied des Collegiums der Dreizehn, welche die Constitutions-Ergänzungsakte entwarfen, thätigen Antheil durch Rede und Schrift an der Wiederherstellung des neuen Freistaats. Sein geachteter Name drang in weitere Kreise, als man erforscht hatte, daß er der Verfasser von »Welt und Zeit« sei, von welchem Werke Theil 1–4, mit maskirtem Druckort Germanien, in Berlin bei Reimer 1815 bis 1819, Theil 5 in Stuttgart 1822 und Theil 6 in Heidelberg 1828 erschien. Vgl. Ed. Heyden, Galerie berühmter und merkwürdiger Frankfurter. Frankfurt a.M. 1861. Bei dem verbissenen Ludwig Börne findet er keinen Beifall; er sagt in »Menzel, der Franzosenfresser« (Gesammelte Schriften. Neue vollständ. Ausgabe, Bd. VI, 1862, S. 326.): »Das bekannte Buch ›Welt und Zeit‹, das Menzel noch heute bewundert und anpreist, war eines der schmachvollen Zeichen der schmachvollsten Selbsterniedrigung.« Eine unbewiesene Behauptung ohne Witz! Daß der Advokat Jassoy als geistvoller und freisinniger Schriftsteller viel genannt wurde, sagt auch der Herausgeber des Briefwechsels zwischen Goethe und Marianne von Willemer. Wie kommt's, daß sämmtliche Conversa tions-Lexika und auch die Allgemeine deutsche Biographie Jassoy nicht kennen?


45 Vgl. Scheffners Leben, S. 58 ff.


46 P.F. Boost, Eubios oder über das höchste Gut. Ein Nachtrag zu den akademischen Untersuchungen Ciceros. Heidelberg, 1818.


47 »Leidenschaft ist die Hauptquelle der Wünsche, und wenn nicht zwei Drittel der Mittel zur Erhaltung der letzteren in unserer Macht stehen, so gerathen wir auf Irrthümer.«


48 Eine Beschreibung dieses Galtgarbsfestes siehe Königsberger Hartungsche Zeitung 1818, No. 75 und sehr ausführlich: »Der 18. Juni des Jahres 1818, auf der Höhe des Galtgarb gefeiert von Königsberger Burschen, beschrieben von Einem derselben.« Königsberg (40 S. 8°).


49 Wenn Gotthold in seiner Selbstbiographie (Neue Preuß. Pr.-Bl. And. Folge. Bd. XI, 1857. Heft 5, S. 339 und Friedr. Aug. Gottholds Schriften. Nach seinem Tode herausgegeben von Fr. Wilh. Schubert. Bd. I. Königsberg, 1864, S. 29.) erzählt, Scheffner habe die von ihm (Gotthold) völlig umgestaltete Grabschrift – denn die ursprüngliche, von Scheffner »zusammengereimte«, habe nichts getaugt – zuletzt als sein eigenes Werk hingenommen, so wird wohl Gottholds »sehr schwaches Gedächtniß«, über das er an anderer Stelle klagt, schuld daran sein, daß er hier von der Wahrheit abweicht. Ich habe den handschriftlichen Beweis in Händen, daß die Grabschrift in der gegenwärtigen, unterm 16. Juli mitgetheilten Form fertig war und so blieb, als Gotthold und noch drei andere Freunde, Mitglieder einer kleinen Gesellschaft, »der Freitag« benamset, daran ihre Besserungsversuche machten. Übrigens scheint Scheffner mit Gottholds »mancherlei feinen, richtigen, aber für Leser solcher Grabtäflein zu genauen Bemerkungen« durchaus nicht einverstanden gewesen zu sein.


50 Das Gedicht Gottholds trägt die Aufschrift:


Auf Scheffners

Kreuz

von einem Seiner Verehrer, der noch

nichts von einer Grabschrift für

Ihn hören wollte.


51 Wozu der Verfasser sich seiner Zeit entschließen mochte, wird billig vom Herausgeber verlangt werden dürfen. Die Beilage B bringt Scheffners Schreiben und des Cronprinzen eigenhändige Antwort.


52 Am 8. März 1819 versicherte der pillausche Prediger L. (Friedrich Wilhelm Lange), daß die Schwäne, in großer Menge versammelt, Töne hören ließen, die so zusammenklängen wie die bekannte russische Hörnermusik.


53 Joh. Friedrich Krause, geb. 26. Oct. 1770 zu Reichenbach in Obersachsen, 1794 Diaconus in seiner Vaterstadt, 1801 Domprediger in Naumburg a.d. Saale, von wo er 1810 als Löbenichtscher Pfarrer, Constitorialrath und Professor der Theologie nach Königsberg berufen wurde. 1819 ging er als Generalsuperintendent nach Weimar, wo er schon am 31. März 1820 starb.


54 Über Karl Gottlieb Fischer, Pfarrer am Kgl. großen Hospital zu Königsberg († 19. Sept. 1801), den Freund Scheffners, Hippels und Kraus' siehe Schlichtegrolls Nekrolog der Deutschen für das 19. Jahrh. 2. Bd. Gotha, 1803, S. 225–328, m. Portrait.


55 Die Königsberger Zeitung enthält in Nr. 118 vom 1. Oct. 1818 eine ausführliche Beschreibung dieses Galtgarbsfestes vom 27. Sept. 1818, bei welchem Professor Christ. Frdr. Mühlenbruch die Einweihungsrede am Kreuze hielt.


56 E. Brandes über den Einfluß und die Wirkungen des Zeitgeistes auf die höhern Stände Deutschlands als Fortsetzung der Betrachtungen über den Zeitgeist in Deutschland. 2 Abtheilungen. Hannover, 1810.


57 Wie Prof. Krug in seinen politischen Kreuz- und Querzügen, p. 117.A1


58 So nennt Scheffner seine am 31. Juni 1813 im 80. Lebensjahre gestorbene Gattin Susanne Elisabeth geb. Bouissont. Vgl. Scheffners Leben, S. 112, 123, 368 ff.


59 Die Rede behandelt das Thema: »Wie würde Friedrich der Große heute regieren? In welchem Sinne diese Frage dürfe aufgeworfen werden, und wie weit nur man sie beantworten könne« und ist wieder abgedruckt in Schleiermachers Reden und Abhandlungen, der Kgl. Akademie der Wissenschaften vorgetragen. Berlin, 1835, S. 28–40.


60 Georg Keith, Lord Marishal gehörte, wie sein jüngerer Bruder Jacob Keith, zu den Lieblingen Friedrichs II., der ihm das schöne Zeugniß gab, daß er »der gute Mylord«, ihn sozusagen gezwungen habe, wieder an die Tugend zu glauben. Siehe Vehse, Geschichte der deutschen Höfe IV, 17.


61 Dem Alter, besonders wenn es die Höhe des meinigen erreicht hat, gebührt eigentlich zwar, einsam zu sein und zu schweigen, da man mich aber zur Mitfeier des heutigen Festes eingeladen hat, so kann ich, ein mal dabei erschienen, nicht ganz still schweigen, zumal ich zur Theilnahme an selbigem durch den Umstand verpflichtet zu sein glaube, daß in dieser großen Versammlung wohl keiner gegenwärtig sein möchte, der sich einer früheren Bekanntschaft erfreuen könnte mit dem glücklichen Erleber seines Dienst-Jubiläums, dem Herrn Canzler Freiherrn von Schrötter.

Seit länger als einem halben Jahrhundert hab' ich mit diesem, in jedem Sinne des Worts hohen Manne in freundschaftlicher Verbindung gestanden, und in manchen Zeiten ihm so nah' gelebt, daß wohl keiner aus vollständigerer Sach- und Personen-Kenntniß versichern kann, sein Verdienst um Recht und Gerechtigkeit sei höchstens nur von denen, dann und wann, mißverstanden und verkannt worden, die durch die Justizkunst der Rechtsnatur Hülfe leisten zu können wähnten und versuchten, in der Meinung, sie thäten der Menschheit einen Dienst daran.

Jederzeit verstand dieser hochrechtliche und gefühlvolle Dienstveteran der Trockenheit, die seinem Amtstudio und seiner Anwendung nicht selten anklebt, durch das Aroma froher und wissenschaftlicher Lebensgenüsse einen angenehmen Beigeschmack und eine vortheilhafte Geschmeidigkeit zu geben, wodurch der Stahl der Jurisprudenz weder seine Elastizität verlor, noch dem schädlichen Rost der Pedanterie überlassen wurde.

Unter drei Königen, wahrlich nicht Eines Sinnes und Geistes Kindern, wandelte Er, freilich nicht immer auf Rosen, doch aber ohne Absprung von der Straße, welche die richtige ist, und bleiben sollte – wohl auch könnte. –

Verstand und Erfahrung halfen zur Untrüglichkeit seinem Gewissen, das mancher zum transparenten Schirm braucht gegen den reinen Lichtglanz der Wahrheit, der freilich schwachen Augen beschwerlich fällt.

Für dieses unwandelbare Fortschreiten und Feststehen auf allem Guten, Edeln und Schönen empfängt der rühmliche Vorsitzer in diesem, und allen andern Kreisen, in denen er den Vorsitz gehabt, seinen Lohn in der einspruchlosen Äußerung des Publikums über seine reinedle Denkungsart als Haupt der Justiz und als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft; auch hat ihm die Vorsehung den Segen des alten Testaments in Lebenslänge, Frauen, Kindern und zeitlichen Gütern ertheilt, und wer mit dem Himmel und der Erde so gelebt hat noch lebt wie Er, dem können die Segnungen des neuen Testamentes gewiß nicht entgehen, daher ich mich denn auch aller Wortwünsche für Ihn enthalte und zum Schluß der Versammlung für ihre Geduld beim Vorzeigen meines wahrlich nicht mehr blanken Wortpfennigs gehorsamst danke, indem ich letztern frisch zu vergolden suche durch ein lautes: Hoch lebe der liebe, kluge, edle Canzler Freiherr von Schrötter und nie, nie sterbe auf Erden sein so wohl verdientes Andenken.

Den 17. März 1819.


62 Über Joh. Gottfr. Hoffmann siehe Inama in der Allgem. deutschen Biographie, Bd. XII, S. 598–604. Aus Breslau gebürtig (1765, 19. Juli) zog er seinem Freunde Prof. Sam. Gottl. Wald nach Königsberg nach, promovirte hier 1787, ward 1788 Hauslehrer in Memel, 1792 Disponent in der Administration der Pinnauer Mühlenwerke bei Wehlau (aus dieser Zeit verschiedene Aufsätze von ihm in den von Baczko herausgegebenen Annalen des Königreichs Preußen, (1792–93) im Preußischen Archiv 1790–98 und einer »über das Mühlenwesen mit besonderer Rücksicht auf Ostpreußen« in den Jahrbüchern der preußischen Monarchie 1798, Bd. III, Oct.- und Nov.-Stück.), 1798 Lehrer am Friedrichs-Colleg und an der 1801 errichteten Kunstschule für Bauhandwerker, 1803 Bau-Assessor bei der Ostpreuß. Kriegs-und Domänenkammer, vom Landhofmeister von Auerswald mit den schwierigsten Referaten und Gutachten betraut; 1807 Prof. der praktischen Philosophie und Cameralwissenschaft; schon Ende 1808 Staatsrath in der von Schön geleiteten Section für gewerbliche Angelegenheiten, 1810 zugleich Professor und Director des statistischen Bureaus in Berlin. Von da ab sehr vielseitig praktisch thätig bei allen wichtigen administrativen und politischen Angelegenheiten, besonders auch als Vertrauensmann und Begleiter Hardenbergs. Er starb 12. Nov. 1847.


63 A.F. Lüder Kritische Geschichte der Statistik. Göttingen, 1817.


64 »Dr. Benjam. Franklins nachgelassene Schriften und Correspondenz, nebst seinem Leben. Aus dem Englischen übersetzt. 3. Bd. Franklins Leben 1. Theil enthaltend.« Weimar, 1818.


65 Der große Chatam beschloß seine im Parlament im Jahre 1775 bei Gelegenheit der durch das arge Ministerwesen immer ärger werdenden Mishelligkeiten zwischen England und seinen nordamerikanischen Colonien mit den Worten: »Fahren die Minister so fort, dem Könige zu misrathen und ihn zu misleiten, so will ich zwar nicht sagen, daß sie die Liebe seiner Unterthanen der Krone entfremden können, aber das will ich behaupten, daß es dann nicht sich der Mühe lohnt die Krone zu tragen. Ich sage nicht, daß der König betrogen wird, aber um das Reich ist es gethan.« (Franklin a. a O., p. 419.) Mutato nomine de tenarratur fabula.


66 Ludw. Aug. Kähler, geb. 6. März 1775 zu Sommerfeld in der Neumark. Seit 1819 in Königsberg Pfarrer an der Löbenichtschen Kirche, Consistorialrath und Professor der Theologie, nahm 1843 seinen Abschied und zog nach Wogenab am frischen Haff, wo er 5. November 1855 starb. Er schrieb seine meisten Romane und Novellen unter dem Pseudo-Namen Filibert. Vgl. die Schrift: »Dr. Ludw. Aug. Kähler. Mitteilungen über sein Leben und seine Schriften von seinem ältesten Sohne Dr. Siegfr. Aug. Kähler.« (Königsberg, 1856.)


67 Über den Buchhändler Michael Cubach giebt Ebert in der Ersch und Grüberschen Allgem. Encyklopädie Nachricht. Danach gründete der sonst gänzlich unbekannte Buchhändler auf der Neigung seiner Zeit zu einer detaillirten, auch für die besondersten Lebensverhältnisse durch Gebetsformeln bedachten Ascetik »ein merkantilisches Unternehmen, welches ihn nicht nur gut rentirte, sondern zugleich auch einen fast zum Sprichwort gediehenen Ruf zuwege gebracht hat. Er unternahm, eine Gebets-Encyklopädie zu sammeln, welche sich über die Verhältnisse, Stände, Lagen und Vorfälle des Lebens erstreckte, und die einen so allgemeinen Beifall fand, daß sie häufig wieder gedruckt werden mußte.« In diesem Buche, dessen 2. Auflage zu Lüneburg 1658 unter dem Titel: »Einer gläubigen und andächtigen Selen vermehrtes tägliches Bet-, Buß-, Lob- und Dankopfer d.i. ein großes Betbuch« erschien, finden sich Überschriften wie: Gebet, wenn man die Kleider auszieht, wenn du dich kämmst, zur Zeit dicker Nebel und dergl.


68 Wäre Christus Gott gewesen, wie hätt' er dem oft nur zu menschlichen David nachsprechen können: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, wie hätt' er beten können: Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch vorbei etc. etc. Warum wies er seine Jünger so oft an den einen, der allein wahrer Gott sei: es wäre zu wünschen, daß man Abraham Tellers Wörterbuch des Neuen Testaments und Löfflers kleine Schriften häufiger und ernstlicher studiren möchte, um mit der Lehre von Christo mehr aufs reine zu kommen, zum wahren Besten der Welt.


69 »Mehr als zehn Worte gegen Ein Wort des Herrn Generallieutenants von Diericke über den preußischen Adel; nebst einigen Bemerkungen über den Adel im Allgemeinen, von Hartwig von Hundt-Radowsky.« Leipzig und Merseburg, 1818, und »Nachtrag ...« Ebd. 1820 (eigentlich 1819).


70 »Über Grävells letztes Werk: Neueste Behandlung eines Preußischen Staatsbeamten; über des Staatsraths Renfners Betragen gegen mich; und über Censur, Preßfreiheit, Geistesdruck, Steindruck und andern Druck.« Leipzig, 1819.


71 Supernaturalismus und Rationalismus in ihrem gemeinschaftlichen Ursprung, ihrer Zwietracht und höheren Einheit. Ein Wort zur Beruhigung für alle, welche nicht wissen, ob sie glaubend erkennen oder erkennend glauben sollen von Ludw. Aug. Kähler, Archidiakonus in Kottbus. Leipzig. 1818.


72 Was Scheffner unter diesem Datum mittheilt, stimmt dem Inhalte nach mit dem vom 1. Nov. überein.


73 »Sophronizon oder unpartheyisch-freymüthige Beyträge zur neueren Geschichte, Gesetzgebung und Statistik der Staaten und Kirchen. Herausgegeben von Heinr. Eberhard Gottlob Paulus.« 3. Heft (Frankfurt a.M. 1819), worin der erste Aufsatz: »Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier? beantwortet von Johann Heinrich Voß,« S. 1–113.


74 »Friedr. Leop. Grafen zu Stolberg kurze Abfertigung der langen Schmähschrift des Herrn Hofrath Voß wider ihn. Nach dem Tode des Verfassers vollendet von dem Bruder herausgegeben. Nebst einem Vorwort des Herrn Pfarrdechant Kellermann in Münster.« Hamburg, bei Perthes und Besser, 1820.


75 »Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur.« Zweites Stück für das Jahr 1820. No. VI der ganzen Folge, S. 272–308, unterzeichnet: C.B.T.


76 »Teutschland und die Revolution. Teutschland (maskirt für Coblenz), 1819. 2. Aufl. auch 1819. Wieder abgedruckt in: Görres gesammelte Schriften, herausgegebenen von Marie Görres. 1. Abth. Politische Schriften. 4. Bd. München, 1856, S. 65–244.


77 »Aktensammlung über die Entlassung des Professors D. de Wette vom theologischen Lehramt zu Berlin. Zur Berichtigung des öffentlichen Urtheils von ihm selbst herausgegeben.« Leipzig, 1820.


78 Die letzte Luftfahrt des berühmten Aeronauten Grafen Francesco Zambeccari (geb. 1756 zu Bologna) fand am 21 Sept. 1812 zu Bologna statt. Wie die damaligen Zeitungen berichteten, hakte der Ballon an einem Baume an und gerieth in Brand. Zambeccari und sein Begleiter Bonagna stürzten herab; es ward ihnen sogleich aller Beistand geleistet, allein Zambeccari konnte nicht gerettet werden.


79 Reise nach Brasilien in den Jahren 1815 bis 1817 von Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied. 2 Bde. Frankfurt a. M., 1820, 1821.


80 Vertraute Briefe über Bücher und Welt. Von Friedrich Köppen. 2 Theile. Leipzig, 1820–1823. Der ganze 5. Brief im 1. Theil, S. 98–142, handelt »vom Mysticismus, Pietismus, Separatismus unserer Zeit.«


81 Wie nämlich auch die charakter- und talentlose Sehnsüchtelei, der dürre Hunger und das weichliche Schwelgen in trübseligen Gefühlen, kurz das ganze Nebeln und Schwebeln, welche in unserer, unsicher von Äußerstem zu Äußerstem taumelnden Zeit nur allzuhäufig sind, jeden Gesunden und Klaren als After- und Zerrbilder höhern Strebens anekeln müssen, so ist es darum doch nicht wahr, daß der Mystiker »nichts anders thue, als sich an Problemen vorbeischleiche, oder sie weiter schiebe, wenn es sich thun lasse.« Schon der gewaltige, auch geschichtlich nothwendige und jener Behauptung nicht zusagende Einfluß der Mystik auf die persische Poesie, aber auch ihre immer wieder in die gesunkene, ermattete Philosophie als orientalisches Princip eintretende und dieselbe wieder aufregende Erscheinung konnte die ursprüngliche Reinheit dieser, wenn auch im Zeitenschwunge, wie alles, entstellten Idee darthun und ihr für die Welt des Geistes wohl dieselbe Achtung verschaffen, die der edle Dichter in der Welt der Erscheinung jenem Urphänomen zollte. Der Mensch der Geschichte, oder wie ihn geistreicher Mystiker nennt, des Stromes, wird freilich nie ein Mystiker sein; aber Anfang und Ende der Welt war und wird gleichwohl sein, was das Wort nach seiner Abteilung sagt, ein verschlossenes, stummes, seliges, unentwickeltes Schauen der Gottheit, ein Gelassensein in ihr, das erst, wenn es in das Bewußtsein tritt und zerfallend, seine Geschichte entwickelt, das Schicksal hat, als Wandelbares, Veränderliches, in vielfach gebrochenen Verhältnissen, eben wieder durch seine Flucht dem Göttlichen Platz zu machen, wohin doch alles, als in seine verlorene Einheit, nicht wunderbarer, noch befremdlicher zurückstrebt, als die zur Blume und Frucht entwickelte Pflanze zu ihrem Keim und Kerne. Und so müßte man, wohlverstanden, wohl Ursprung und Ende alles Menschlichen mystisch nennen, weil ja doch die Geschichte zwischen dem Verlust und dem Wiedergewinne einer Welt mitteninnen liegt, wovon sich zwar unsere Schulweisheit nichts träumen läßt, jede Seele aber mehr oder minder bewußt unablässig angezogen wird. Ein solches Versenkt- und Verborgensein aber, eine solche Hingabe an das Göttliche, unserer Freiheit der Willkür schlechthin Unerreichbare, ein solches seliges Hinlauschen nach den leisesten Zügen und Zügelschlägen von oben im Anschauen und Bilden – ist es wohl etwas Anderes, oder weniger werth, als dichterische Begeisterung? weniger, als das vom Dichter so oft mit Recht empfohlene Aus dem Ganzen und im Grunde leben? Und, wenn Keiner, spräche nicht eine Guyon däfür, daß auch dieser Zustand selbst in der lieblichsten Kindlichkeit und Naivetät darstellbar sei, ohne gerade an Problemen vorbeizuschleichen? Uns mindestens scheint diese Mystik Wurzel alles Erkennens und Bildens, und wir scheuen uns nicht, uns dazu zu bekennen. Ja wir sind überzeugt, auch unser edler Dichterfürst ist, wenn er in sein tiefstes Wesen einkehrt, ein Mystiker in diesem Sinne. Denn er sage doch selbst, von wannen kommt und stammt, wohin geht und treibt sein ewig heiterer, jugendlich kräftiger Genius? Waltet nicht eben dieser Genius nur im Glauben an das Göttliche, seinen Träger? und an sich, als das von Gott Getragene? Ist dieser Glaube nicht das immer und ewig hinter alles Wissen und Handeln sich in jungfräulicher Züchtigkeit Zurückziehende, und dennoch Alles Belebende? Muß nicht dieser Genius selbst, um Hoffnungen auszusprechen, wie sie in der »Buch des Paradieses« betiteln Abteilung des Divans ausgemalt werden, sich einen Glauben an- und einbilden, welcher freilich, wie aller poetische, nur ein abgeleiteter, nachgebildeter, nichtsdestoweniger aber unerläßlicher ist? Kurz, so lange wir, wie jeder besonnen erfaßte Augenblick unsers Daseins uns belehren kann, im Unbegreiflichen und Wunder ruhen und wurzeln, so lange sind und bleiben wir Mystiker, Mystiker und Mystik in Ehren, und es ist nur unseres Leichtsinns und unserer Haltungslosigkeit Schuld, wenn wir ein Zerr- und Afterbild, eine »Spottgeburt aus Dreck und Feuer« für das Urbild halten und nun dies herabsetzen.

Aus der Recension von Goethes Divan im 6. Stück des Hermes, p. 163, 164.


82 Diese Danksagung ist unter der Überschrift »Galtgarbberg« abgedruckt in der Königsberger Zeitung vom 26. Juni 1820, Beilage zu No. 77.


83 (Joh. Casp. Fr. Manso.) »Geschichte des Preußischen Staates vom Frieden zu Hubertsburg bis zur zweiten Pariser Abkunft.« 3 Bände. Frankfurt a.M., 1819–1820. Band 2 behandelt die Jahre 1797–1807.


A1 Wilh. Traug. Krug, Kreuz- und Querzüge eines Deutschen auf den Steppen der Staatskunst und Wissenschaft. Leipzig, 1818, wieder abgedruckt in seinen politischen und juridischen Schriften, Bd. II. Braunschweig, 1834.


Quelle:
Scheffner, Johann George: Nachlieferungen zu meinem Leben. Nach bestem Wissen und Gewissen, stets mit kräftigem Wollen, oft mit schwachem Können, Leipzig 1884, S. 132.
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