Der Hausherr.

[108] »Des Hauses König ist der Mann!« und en vrai roi muß er das Szepter führen. Nicht mit finsterer Strenge, sondern mit mildem Ernste leite er die wichtigen Angelegenheiten der Seinen, die kleineren Dinge der Gattin überlassend. Durch seinen Beruf gezwungen, den größten Teil des Tages fern von Weib und Kind zu verbringen, strebe er danach, seine Heimkehr zu einem freudigen Ereignisse für groß und klein zu gestalten.

Ein Mann von seinen Sitten, dem der gute Ton im Blute liegt, wird es sich nicht einfallen lassen, die Fatalitäten seines Berufes in den heiligen Frieden des Hauses zu tragen. Für ihn giebt es keinen Geschäftsärger mehr, sobald er die Schwelle seiner Wohnung überschritten hat. Er schüttelt den Staub des Tages von seinen Füßen und schützt die Seinen vor demselben. Freundlich und liebevoll nimmt er an ihren kleinen und großen Leiden teil, obgleich sie ihm, im Verhältnisse zu seinen Sorgen, ein Glas Wasser gegen den brandenden Ocean zu sein scheinen. Nur der treuen Gefährtin und Freundin seines Lebens, der Gattin, klagt er in stiller Stunde sein Leid und findet Trost und Rat.

Seine Verpflichtungen in moralischer Be ziehung fassen wir in den kurzen Satz zusammen: er halte sich in Gedanken, Worten und Werken untadelig, dann ist er sicher, keine Verstöße gegen den guten Ton zu machen. Der wahrhaft seine Mann trachte danach, sich, neben seiner unerschütterlichen Moral, mit den Gesetzen der guten Sitte aufs engste zu befreunden.

Dieselben verbieten ihm in erster Linie, seinen Anzug zu vernachlässigen. Im sogenannten Negligé darf er das Schlafzimmer nicht verlassen. Er zeige sich außerhalb desselben stets so, daß er, im Falle eines plötzlichen Besuches, nicht zu schimpflicher Flucht genötigt ist. Ein Anzug, der nur aus Schlafrock und Inexpressibles besteht, ist, selbst im engsten Familienkreise, unzulässig, weil er dem Anstande ins Gesicht schlägt. Schlafröcke sind ein spezifisch deutsches Kleidungsstück. In anderen Ländern, besonders in Frankreich und England, käme es keinem Manne in den Sinn, sich in dieser Art auszustaffieren. Dem Schlafrock eng verwandt sind die Pantoffeln. Am besten verträgt es sich mit dem guten Tone, wenn man sich ihrer gar nicht bedient. Kann man jedoch nicht umhin, so trage man Hausschuhe aus schwarzem Leder und werfe die entsetzlichen gestickten Dinger mit den roten Vögeln und blauen Rosen ohne Gnade in die Rumpelkammer.[108]

Ist der Hausherr ein Raucher, so beschränke er seine dampfende Thätigkeit möglichst auf sein Zimmer und durchräuchere nicht die ganze Wohnung. Denn da die deutschen Frauen glücklicherweise nicht rauchen, so haben sie fast durchgängig eine ausgesprochene Abneigung gegen Tabaksqualm. Es wäre daher gegen alle Lebensart, wollte man sämtliche Zimmer mit demselben anfüllen. Der Hausfrau muß es anheimgegeben werden, wo und wann sie das Rauchen gestatten will.

Im Freien wird der Rauch weniger stören, und der Hausherr braucht sich daher auf Spaziergängen, auch wenn dieselben en famille unternommen werden, den Genuß einer Cigarre nicht versagen. Daß kein gebildeter Mann die Rauchwolken anderen ins Gesicht fliegen läßt, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Beim Grüßen und beim Sprechen darf man die Cigarre nicht im Munde behalten, und schließt sich eine bekannte Dame dem Spaziergange an, so muß selbst die beste Havanna unnachsichtlich geopfert werden, wenn die Fremde nicht darum bittet, weiterzurauchen. Geschieht dieses, so wird es wiederum gut sein, vorsichtigen Gebrauch von der Erlaubnis zu machen, da man sicher sein kann, der Dame besser zu gefallen, wenn man dieselbe dankend ablehnt. Zu rauchen, ohne die Erlaubnis der anwesenden Damen eingeholt zu haben, wäre ein grober Verstoß.

Aber das Rauchen ist der Übel größtes nicht; schlimmer ist der gewohnheitsmäßige Wirtshausbesuch. Wenn der Hausherr die wenige freie Zeit, welche ihm sein Beruf läßt, nicht der Familie, sondern der Kneipe widmet, wie soll es da wohl im Hause stehen?! Unberechenbar ist der Schaden, welcher den Seinen aus diesem Laster erwächst, in materieller wie in ethischer Richtung. Nirgends aber ist dasselbe so augenfällig, wie in Deutschland. Der echte Deutsche muß siebenmal in der Woche in den »Verein«, und vergißt oft, daß der Gatte und Vater ins Haus gehört, in den Kreis der Seinen. Nicht daß wir ihm den geselligen Verkehr mit Gesinnungsgenossen gänzlich abschneiden wollten; wenn er zwei Abende der Woche außer dem Hause verbringt, so ist es wohl nur billig, daß er die anderen fünf seiner Familie widmet. Und muß die »Versammlung«, der, »Verein« denn bis zum lichten Morgen währen? Die Bürgerstunde schlägt für den verheirateten Mann deutlicher, wie für den Junggesellen, und ihr soll er folgen, ganz unbekümmert um die taktlosen Spöttereien der Genossen. Seine Männlichkeit zu beweisen, finden sich ganz andere Gelegenheiten, als nächtliche Gelage und Kränkungen eines geduldigen Weibes.[109]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 108-110.
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