Die Hausfrau.

[110] Die Hausfrau ist es, welche den Ton angiebt, der im Hause herrscht. Das ist in diesem Falle wörtlich zu nehmen; denn die Anforderungen, welche an sie gestellt werden, beginnen in der That bei dem Tonfalle ihrer Stimme. Sie vermeide hohe und kreischende Töne und befleißige sich einer wohlklingenden, geschulten Redeweise, auch in dem Augenblicke, wo sie gerechten Grund hat, ihren Unwillen kundzuthun. Nichts ist unverträglicher mit guter Sitte, als eine keifende Frau. Gemäßigt und leise, wie ihre Sprechweise, sei auch jede ihrer Bewegungen, und ihre ganze Art zu handeln trage diesen Stempel. Heftiges Zuwerfen von Thüren, geräuschvolles Schließen von Schubkästen, lautes Hantieren mit Stuben- und Küchengeräten würden verraten, daß gute Lebensart ihr fremd geblieben ist. Sie trachte danach, die Hausgenossen zu ihrem Tone zu bekehren und dulde kein lautes, heftiges Wesen. Je eindringlicher ihr Beispiel, desto leichter ihre Mission.

Die Kleidung der Hausfrau sei einfach und zierlich. Elegante Roben gehören in den Salon; im Hause entspricht ein glattes Kleid und eine kleidsame Bluse am besten dem guten Tone. Die peinlichste Sauberkeit und Ordnung ist am Hauskleide selbstverständlich ebenso geboten wie am Ballkostüme. Abgerissene Bänder und Knöpfe, aufgetrennte Nähte, losgelöste Besätze vertragen sich genau so schlecht mit dem guten Tone, wie Fettflecke und unsauberes Weißzeug. Selbst das Morgenkleid sei anmutig. Man wähle dazu keine abgenutzten, vertragenen Straßenkleider, sondern sei darauf bedacht, es aus einem festen, kleidsamen Stoffe eigens zu diesem Zwecke anfertigen zu lassen. Auch die Wahl des Schnittes ist nicht gleichgiltig. Nur keine lose hängenden Jacken! Sie machen einen nachlässigen Eindruck und sollten von keiner Frau, die auf Anmut hält, getragen werden.

Erlaubt es die Arbeitseinteilung nicht, daß die Hausfrau schon ver der zehnten Morgenstunde im fertigen Anzuge ist, so sollte sie wenigstens danach streben, nie ungewaschen oder ungekämmt in den Morgenrock zu schlüpfen. Für solche Unsauberkeiten giebt es gar keine Entschuldigung. Aus dem Bette an den Waschtisch und von dort an den Spiegel, um alsbald sauber frisiert in das Kleid zu steigen; das sei ihr Tagesanfang. Den Morgenrock vertausche sie, spätestens zu Mittag, mit dem Hauskleide und vergesse nie, daß sie, ganz abgesehen vom guten Tone, stets sehr sorgfältig gekleidet sein muß, um ihren Mann täglich von neuem zu erobern.[110]

Aber nicht nur an ihrem Körper, sondern auch in ihrer Umgebung dulde die Hausfrau keinerlei Unordnung. Alle Kleidungsstücke des Hausherrn seien in musterhaftester Ordnung. Abgerissene Knöpfe und fehlende Bänder sind schon oft die kleinen Ursachen zu großen Zerwürfnissen gewesen; diese aber sind, wie aller Zank und Streit, vollständig gegen die gute Lebensart. Auch auf die Kleider der Kinder verwende sie die peinlichste Aufmerksamkeit; denn nichts verträgt sich schlechter, als eine zierlich gekleidete Mutter und unsaubere Kinder in defekten Anzügen.

Die Reinlichkeitsbestrebungen der Hausfrau dürfen aber niemals in Scheuermanie ausarten, das beeinträchtigt das Wohlbefinden sämtlicher Hausgenossen und treibt den Mann ins Wirtshaus.

Schon oben wurde erwähnt, daß in einem Hause, wo gute Sitte herrscht, lautes Wesen und jeder Zank vermieden werden muß. Meinungsverschiedenheiten wird es immer geben und in einem so engen Verhältnisse, wie das der Gatten untereinander, nicht zum wenigsten. In diesem Falle sei die Frau stets eingedenk, daß Sanftmut ihre größte Zierde und das sicherste Beweismittel für den Mann ist, welches zugleich dem guten Tone am besten entspricht. Die sanften Frauen sind die gefährlichsten und fesseln am dauerndsten. Es ist durchaus nicht erforderlich, daß sie zu allem Ja und Amen sage, bewahre! dadurch würde sie ihre allmächtige Stellung leichtsinnig aus der Hand geben. Sie darf und muß eine Ansicht haben und diese verfechten, doch »wie das geschieht, bringts Fluch oder Segen.«

Empfahlen wir dem Hausherrn moralische Festigkeit als den Grundstein aller guten Lebensart, so können wir uns nicht enthalten, auch der Hausfrau einen kleinen Wink nach dieser Richtung zu geben. Nie vernachlässige sie die Keuschheit in Gedanken, Worten, Werken und Geberden; denn in dieser einen Tugend liegen fast alle übrigen verborgen.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 110-111.
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