Der Wirt und der Mieter.

[68] Ein behagliches Leben in einer Mietswohnung ist nur bei gutem Einvernehmen mit dem Wirte und den Mitbewohnern des Hauses denkbar. Die üblichen Friedensstörungen würden von selbst wegfallen, wenn sämtliche Hausgenossen sich eines angemessenen, gesitteten Betragens befleißigten, und jeder seinen Verpflichtungen gewissenhaft nachkäme.

Das Verhältnis zu dem Wirte gestaltet sich ungleich schwieriger, wie zu den Mitmietern; denn in seiner Eigenschaft als Herr verfällt er zuweilen in einen Ton, welcher Anlaß zu unangenehmen Auseinandersetzungen wird. Oft ist der Hausbesitzer ein reich gewordener Handwerker oder Krämer, dem seine Würde zu Kopfe gestiegen ist, und der dieselbe gegen seine Einwohner in so lächerlicher und fataler Weise herauskehrt, daß er ihre Geduld unendlich auf die Probe stellt. Solchem Emporkömmlinge sind Bildung und gute Sitte ein unbekannter Begriff, und man muß ihn deshalb milder beurteilen als viele andere, die Gelegenheit hatten, sich die zwischen Kulturmenschen gebräuchlichen Formen anzueignen und doch beständig gegen dieselben verstoßen.

Hauptsächlich und in erster Linie ist das Verhältnis des Mieters zum Wirte ein geschäftliches. Damit dieser Teil eine friedliche Erledigung finde, sei man bedacht, die gegenseitigen Verpflichtungen durch einen schriftlichen Kontrakt so zu ordnen, daß sie unantastbar werden. Enthält das Schriftstück Artikel, welche dem Mieter nicht annehmbar erscheinen, so spreche er seine Bedenken beizeiten aus. Ist die Unterschrift erst gegeben, dann läßt sich an der Sache nichts mehr ändern. Für einen verständigen und gesitteten Mieter sollten[68] freilich geschriebene Gesetze nicht nötig sein; er wird um seiner selbst willen streng darauf halten, daß seine Angehörigen sich in den Grenzen guter Lebensart bewegen und niemandem Anlaß zur Klage geben. Seine Kinder sind so wohl erzogen, daß sie beim Passieren der Treppen keinen ungebührlichen Lärm machen, seine Dienstboten betragen sich jederzeit zuvorkommend und bescheiden, und selbst der Schoßhund ist durch einen Wink zu beruhigen, wenn er zur Unzeit das Haus alarmieren will. Alle befleißigen sich der höflichsten Rücksicht. Es wird nicht gleich nach den Mahlzeiten Musik gemacht, und wilde Bewegungsspiele werden auf den Garten oder Hof beschränkt. Geschieht dennoch einmal irgend etwas, das anderen störend ist, so genüget eine artige Bitte vonseiten der Mitbewohner, um dem Übel sofort abzuhelfen, ohne den Hausfrieden zu gefährden. Allerdings raten wir, dgl. Bestellungen niemals mündlich durch die Dienst boten oder Kinder ausrichten zu lassen, sondern ein höfliches Billet im verschlossenen Couvert zu senden, oder selbst in ruhiger, sachgemäßer Weise Rücksprache zu nehmen. Dem Wirte den Mietszins uneingewickelt durch die Dienerschaft zu übersenden, ist ungehörig. Man entrichtet ihn entweder selbst oder überschickt ihn versiegelt.

Aber freilich, nicht alle Mieter zeichnen sich durch Bildung und gute Sitte aus, und die Wirte können ebenfalls manches Klagelied singen. Es giebt Menschen, denen ein Kontrakt keineswegs als unverletzlich gilt, und die da glauben, durch den Mietszins zugleich ein Patent auf Rücksichtslosigkeiten aller Art gelöst zu haben. Sie können ohne Zank nicht gut bestehen, und entblöden sich nicht, ihrem wirklichen oder imaginären Verdrusse in allerlei kindischen Chicanen Luft zu machen. So etwas ist wenig erfreulich für die, welche es erleiden müssen, und wir können dem Wirte nur empfehlen, einen so unerzogenen Mieter nicht lange unter seinem Dache zu dulden, sondern ihm am ersten Kündigungstermine den Abschied zu geben. Überhaupt sollte er darauf bedacht sein, nur solche Leute aufzunehmen, deren Vorleben für ein angenehmes Auskommen mit ihnen Bürgschaft leistet. In kleinen Städten weiß einer genug vom anderen, um ein Urteil über ihn zu haben, und in großen erfährt man es auch durch Erkundigungen an geeigneter Stelle, wes Geistes Kind der Betreffende ist.

Zuweilen genügt der geschäftliche Verkehr zwischen Wirt und Mieter nicht, sondern es ist auch ein geselliger erforderlich, vorzugsweise da, wo beide auf gleicher gesellschaftlicher Stufe stehen. In großen Städten ist das allerdings weniger gebräuchlich, immerhin aber wird der neue Hausbewohner es kaum unterlassen, dem Wirte einen Besuch zu machen; in kleinen thut er es sogar, wenn dieser[69] auch nicht in seinem Range ist. Solch eine Antrittsvisite muß natürlich erwidert werden, und es steht alsdann in dem beiderseitigen Belieben, einen oberflächlicheren oder innigeren Verkehr daraus zu entwickeln. Bei besonderen Anlässen, wie Geburtstagen, Neujahr, Trauerfällen u. dgl. werden Wirt und Mieter nicht verabsäumen, einander die Aufmerksamkeit eines Besuches zu erweisen oder doch wenigstens Karten mit einigen bezüglichen Worten auszutauschen.

Bei einem Wohnungswechsel sieht man sich gezwungen, andere geeignete Wohnungen zu besichtigen. Um unnötige Belästigungen und Verdrießlichkeiten zu vermeiden, sollen sich die Wirte zur Zeit der Wohnungssuche einen Plan der in ihrem Hause freien Wohnungen halten, welchen sie dem Nachfragenden vorlegen. Dadurch erhält dieser einen Einblick in die Räume, ohne nötig zu haben, fremde Menschen durch seinen Besuch zu stören. Umsichtige Hausherren und -frauen ersehen aus der Zeichnung mit Sicherheit, ob die betreffende Wohnung sich für sie eignet oder nicht. Viel überflüssiges Reden, Treppensteigen und vor allem das jedem feinfühlenden Menschen höchst peinliche Eindringen in fremde Häuslichkeiten wird dadurch vermieden. Ersehen wir aus dem Plane, daß die freie Wohnung unseren Wünschen vermutlich entsprechen wurde, so ist es nur billig, die Erlaubnis einer Besichtigung zu erhalten. Die zeitweiligen Bewohner haben selbstverständlich das Recht, für dieselbe eine bestimmte Tagesstunde festzusetzen; erlaubt muß sie aber unter allen Umständen werden. Wem es verdrießlich ist, während derselben anwesend zu sein, der beauftrage einen Stellvertreter, die Besucher artig herumzuführen und ihnen in höflicher Weise wahrheitsgemäße Auskunft auf ihre berechtigten Fragen zu erteilen. Sollte auch dieses nicht seinem Geschmacke entsprechen, so bleibt noch der Ausweg, die Schlüssel dem Wirte zu übergeben, worauf dieser Sorge tragen muß, die Betreffenden von einer geeigneten Persönlichkeit durch die Räume führen zu lassen. Wir raten ihm davon ab, die Begleitung selbst zu übernehmen, weil dieses leicht den Anschein haben könnte, als beabsichtige er, unangenehme Anfragen oder Aussagen inbezug auf die Wohnung durch seine Gegenwart zu unterdrücken. Den Besuchern machen wir es in jedem Falle zur Pflicht, die Besichtigung möglichst schnell zu erledigen und dieselbe auf die Räumlichkeiten zu beschränken, nicht aber taktloserweise auf das Meublement und die ganze Einrichtung auszudehnen.

Finden sich Mängel und Schäden an den Baulichkeiten, welche man abgestellt zu haben wünscht, oder scheint einem gar diese und jene Veränderung dringend nötig, um die Wohnung für eigene Zwecke brauchbar zu machen, so nehme man darüber mit dem Besitzer[70] unumwunden Rücksprache. Allerdings ist es ratsam, sich nicht auf seine mündlichen Versprechungen zu verlassen; sondern seinen Wünschen durch den schriftlichen Kontrakt den nötigen Nachdruck zu geben.

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 68-71.
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