Im Schauspiel- und Opernhause, im Konzertsaale.

[58] Am das Theater oder Konzert zu besuchen, legt man einfacheren oder glänzenderen Gesellschaftsanzug an, je nach der Art des Schauspielhauses. Auch der Platz, den man einnimmt, spricht bei der Wahl des Anzuges mit. Im Parkett kleidet man sich ungleich bescheidener, als im ersten und zweiten Range, während man für den dritten und vierten ruhig im Straßenanzuge erscheinen kann.

Wohlthuende Intendanzgesetze verbieten turmhohe Haarfrisuren und wolkenstürmende Hüte, und wo es dergleichen löbliche Vorschriften nicht giebt, da empfehlen wir dennoch allen Damen, welche auf Lebensart halten, diese freundliche Rücksicht aus eigenem Antriebe zu üben. Am sichersten ist es, sämtliche überflüssige Kleidungsstücke, zu denen wir vor allem die Kopfbedeckung rechnen, in der Garderobe abzugeben.[58]

Man versehe sich mit Operngucker, Theaterzettel, Programm oder Textbuch, je nach der Art der Vorstellung. Das Fehlen dieser Dinge giebt vielerlei Gelegenheit, seinen Nachbarn lästig zu werden.

Zuspätkommen haben wir bei jeder Gelegenheit als anstößig gerügt und halten es auch keines wegs für »vornehm«, die ersten Scenen oder Konzertpiecen durch unmotivierte Verspätungen zu unterbrechen. So etwas sollte sich niemand, der Anspruch auf Kunstverständnis und Idealismus macht, zu schulden kommen lassen. Der einigermaßen ordnungsliebende und praktische Mensch wird es jederzeit einzurichten verstehen, einige Minuten vor Beginn der Vorstellung seinen Platz einzunehmen. Ist es durchaus nicht möglich gewesen, anderen die Unannehmlichkeit des Aufstehens zu ersparen, so bewege man sich wenigstens geräuschlos, entschuldige sich höflich und kehre ihnen beim Defilieren ja nicht den Rücken zu.

Auf seinem Platze verhalte man sich recht ruhig. Hin- und Herwürgen, Gestikulieren u. dgl. stört die Nachbarn ungemein und könnte uns von denselben einen Verweis eintragen.

Man studiere vor Beginn der Vorstellung das Programm oder Textbuch, um sich so auf das Kommende vorzubereiten. Niemand kann es uns verargen, wenn wir auch dem Publikum einige Aufmerksamkeit widmen, doch muß dieses stets unauffällig und mit zurückhaltender Bescheidenheit geschehen. Vor allem halten wir es für sehr unschicklich, eine Dame aus dem Publikum mit dem Opernglase zu fixieren oder anhaltend zu belorgnettieren. Gleichgültigkeit ist das beste Gegenmittel bei solchen Unarten und eine ruhige Seitenwendung des Kopfes, ein Neigen desselben auf das Programm oder hinter den Fächer genügt vollständig, um sich den Blicken des lästigen Beobachters zu entziehen und ihn abzukühlen.

Der geistige Genuß, welchen eine Kunstleistung mit sich bringt, sollte imstande sein, über das Nahrungsbedürfnis hinwegzuheben. Wer die Befürchtung hat, während der wenigen Stunden zu verhungern, befriedige seinen Magen in den Zwischenpausen. Für besonders schwach veranlagte Damen empfehlen sich einige durststillende Bonbons oder etwas Chokolade, die man unvermerkt zu sich nehmen kann, ohne anderen ein Ärgernis zu geben. Denn an das Büffet können Damen füglich nicht gut allein, und sie hätten also, ohne Herrenbegleitung, nicht einmal die Möglichkeit, im Notfalle eine Erfrischung erlangen zu können.

Bemerkt man während der Vorstellung Bekannte, so darf man sie wohl durch eine freundliche Verneigung grüßen; wiederholtes Nicken und auffallende Begrüßungsscenen sind unstatthaft. Fühlt man sich gedrungen, besondere Herzlichkeit und Freundschaft an den Tag[59] zu legen, so kann dieses in den Pausen durch eine persönliche Aufwartung geschehen. Eigentlich sind aber bei diesen Besuchen nur die Logen ins Auge zu fassen, im Parkett verursacht dergleichen immer Störungen.

Die darstellenden Künstler vom Zuschauerraum aus in vertraulicher Weise zu begrüßen, wenn man ihnen zufällig bekannt ist, bezeichnen wir als unschicklich. Geschieht es dennoch, so raten wir denselben, solche Taktlosigkeiten zu übersehen und nicht etwa diese Grüße zu erwidern.

Beifalls- und Mißfallsbezeigungen gehen größtenteils nur von Herren aus, doch sollten auch diese mäßig darin sein. Ein donnernder Applaus will sich für Menschen von Lebensart wenig schicken; Zischen, Trampeln u. dgl. ist ganz ausgeschlossen und darf höchstens dann bemerkbar werden, wenn die Claque zu aufdringlich wird oder grundlos Beifall zollt. Damen applaudieren nur durch ein leichtes, unhörbares Zusammenschlagen der Hände und zeigen ihr Mißfallen durch Schweigen an.

In den Logen gebühren die Vorderplätze stets den Damen. Auch wenn die Sitze einzeln verkauft werden, und man also mit Fremden zusammentrifft, ist es einfache Pflicht der Höflichkeit, den Damen die erste Reihe anzubieten. Lehnen sie das Anerbieten ab, so bleibt man ruhig auf seinem Platze und hat auch keine weiteren Entschuldigungen darüber hinzuzufügen, daß man ihnen den Rücken zukehrt.

Die Foyers können Damen ebenso wenig allein aufsuchen, als das Büffet. Darum werden sie es gern dankbar annehmen, wenn ein bekannter Herr sich erbietet, sie in dieselben zu führen. Ihnen bei dieser Gelegenheit eine Erfrischung anzubieten, dürfte sich höchstens ein naher Verwandter erlauben; jeder andere muß warten, bis ein direktes Verlangen danach geäußert wird.

Man bleibe bis zum Schlusse der Vorstellung, denn es ist eine Unart gegen Darsteller und Zuhörer, die letzten Scenen durch einen verfrühten Aufbruch zu stören. Wer dringend nötig hat, zeitiger zu Hause zu sein, dem bleibt nichts übrig, als am Schlusse des vorletzten Aktes zu gehen, um den Kunstgenuß anderer nicht zu beeinträchtigen.

Die Sachen aus der Garderobe zu holen ist für eine Dame wenig angenehm, darum ersuche sie ihren Begleiter oder einen bekannten Herrn um diese Gefälligkeit. Ist sie fatalerweise auf sich allein angewiesen, so mische sie sich nicht in das erste Gedränge, sondern warte geduldig, bis der Hauptstrom sich verlaufen hat.

Viele halten es für unschicklich, wenn eine Dame ohne Begleitung das Theater oder Konzert besucht. Wir teilen diese Ansicht[60] nicht; denn wir möchten die alleinstehende Dame nicht um jeden Kunstgenuß bringen und erwähnen nur, daß sie nicht zu jung sein darf, um selbständig einer Vorstellung beizuwohnen und auf einem Parkettplätze am besten aufgehoben ist, weil sie hier am unbemerktesten bleiben kann. Angenehmer ist es allerdings, wenn wenigstens zwei Damen sich zusammenthun, und bei einigem guten Willen kann man leicht mit seinen Bekannten die entsprechenden Verabredungen treffen. Immer ist es selbstverständlich, daß einzelne Damen sich noch viel vorsichtiger und zurückhaltender zu benehmen haben, als wenn sie in Herrenbegleitung wären. Beim Heimwege bedienen sie sich am besten eines Wagens. Wer diese Mehrausgabe zu vermeiden wünscht, lasse sich durch irgend jemanden abholen, um den Anstand zu wahren.

Von der Oper und dem Konzerte gilt im allgemeinen dasselbe, wie vom Theater. Niemals vergesse man aber, daß die Ouvertüre bereits den Beginn der Kunstleistung bildet, und daß es höchst unschicklich ist, den Genuß derselben durch Schwatzen auch für andere unmöglich zu machen. Mit dem ersten Musiksatze beginnt die Pflicht zu schweigen. Ruhe und Aufmerksamkeit dürfen den Zuhörer keinen Augenblick verlassen; denn selbst das leise Mitsummen der Melodie ist für die Nachbarn etwas ungemein Lästiges, das sie verdrießlich ertragen, weil sie den Störenfried nicht ohne weiteres an die Luft setzen können.

Bei Konzerten zweiter Güte, besonders bei solchen, die im Freien stattfinden, ist es Sitte, daß die Dame sich mit kleinen Handarbeiten versehen. Wir billigen diese Art nicht, weil sie uns wie ein ostentatives Zurschaustellen der Arbeitsamkeit erscheint. Außerdem sollte man der Musik seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen, was eine Beschäftigung, und sei sie auch rein mechanisch, kaum zuläßt.

Rührscenen sind im Zuschauerraume thunlichst zu vermeiden und können höchstens bei ganz jungen Leaten entschuldigt werden. Am schlimmsten ist es freilich, wenn man die Nachbarn mit Gefühlsausbrüchen über Stück, Musik und Darstellung behelligt. Die Verschiedenheit der menschlichen Charaktere bürgt nicht einmal dafür, daß unsere Auffassung einen Widerhall findet, und wir können uns durch unsere Mitteilsamkeit einer ernsten Unannehmlichkeit aussetzen; im günstigsten Falle machen wir uns lächerlich.[61]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 58-62.
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