Aufregungen wegen Soltau.

[206] Inzwischen hatte sich schon in Soltaus Briefen eine zunehmende Leidenschaft für sie kundgegeben. Vergebens hatte Karoline ihn durch den Hinweis auf ihre noch nicht erloschene Liebe zum Major (der noch unvermählt war) abzukühlen versucht. Jetzt hört sie zu ihrem größten Schreck – sie glaubt, das Haus solle über ihr einfallen –, daß er katholisch zu werden im Begriff stehe. Sofort ist sie sich klar, daß man ihrer Einwirkung diesen Uebertritt schuld geben werde, und voll Furcht vor übler Nachrede, verbietet sie ihm ihr Haus. Am nächsten Tage schon wird er von seinem erzürnten Vater nach Bergedorf geholt. Dem Stubenarrest aber entzieht er sich und macht den Versuch, sich zu ertränken. In Hamburg heißt es, er sei tot, und gibt es einen großen Lärm. Karoline muß an dem schrecklichen Tage eine lustige Rolle spielen, beherrscht aber ganz gegen ihre Gewohnheit ihre furchtbare Aufregung und faßt jeden, der sie beobachtet, scharf in die Augen. Gerade vor den Hamburger »Katzen- und Papageienköpfen« in Schande zu stehen, ist ihr entsetzlich. Bald, nachdem sie erfahren, daß er gerettet, bekommt sie von ihm einen kühlen Absagebrief, an dessen leidenschaftlichem Ausrufungszeichen hinter der Anrede die Schulzen merkt, wie der Vater hinter dem Schreibenden, womöglich mit dem Stock, gestanden. Ganz aus dem Häuschen kommt sie, ganz »dabs im Kopf« wird sie, als es in der Stadt heißt, sie habe mit Hilfe von Geheimschrift, von Charakteren mit Soltau korrespondiert. Ackermann, der ihr mit Bedauern von solchem Klatsch berichtet, erlebt einen Sturm von Leidenschaft, angesichts dessen er ein bewundernd-gutmütiges »Bist ein verdammtes Mädchen« nicht zurückhalten kann, und spricht von Advokaten. Doch will sie von diesen Rechtsverdrehern nichts wissen und setzt eine Schrift auf, in der sie den Sachverhalt ausführlich darstellt und in der folgende Zeilen vorkommen:

»Noch bin ich imstande, mich auf eine mühsame, doch tugendhafte Art zu ernähren. Keine Flüche ruhen auf den[206] Meinigen, in mir selbst glücklich bringe ich meine Tage zu. Und sollte ich diese Glückseligkeit um einen jungen Menschen haben verscherzen wollen? Ich, die auf der Bühne die Tugend lobt, das Laster straft, ich selbst sollte anders denken, als ich die Menschen lehren will? Verwünscht sei von mir der Gedanke, die Verführerin eines jungen Menschen zu sein! Wie müßten mich der Fluch eines Vaters, die Tränen einer Mutter, das Klagen einer gekränkten Familie und die Reue eines Sohnes treffen!«

Fertig ward sie, aber abschreiben mußte ich sie im Theater. Es wurde gegeben den Tag »Das Herrenrecht«. Sowie ich fertig war, gab ich solche zum Schluß des letzten Aktes an Herrn Ackermann, und Herr Ackermann gab solche dem Herrn Syndikus Schubach in der Loge. Alle Tage lauerte ich, vor Gericht zu erscheinen, aber es kam kein Mensch, und mit einmal wurden alle Mäuler gestopft. Erst einige Jahre darauf erfuhr ich, daß der Herr Syndikus meine Schrift im Rat verlesen, und daß solche ins Archiv gekommen und noch da sei.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 206-207.
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