Freiburg.

[121] In der Fasten verließen wir das liebe Straßburg und kamen nach Freiburg im Breisgau. Der viele Adel, die Bürger aus der Stadt und die jungen Studierenden, alles besuchte unsere Komödie. In so kurzer Zeit habe nicht ich allein, sondern verschiedene von der Gesellschaft so viele und die verschiedensten Bekanntschaften bekommen. Der größte Teil der Noblesse bestrebte sich recht, mir Freude zu machen. Da war kein Stolz, daß sie von hoher Geburt und reich waren, und gaben zu erkennen, daß sie jeden Stand schätzten, wenn man sich dessen nicht unwert machte. Ich konnte mir kein besseres und herrlicheres Leben wünschen. Hier freute ich mich meiner Jugend. Alles liebte mich, keinen Tag war ich zu Hause, wenn nicht Theater war. Bei der Gräfin Jüranz, Gräfin Stadion, Fr. Zweyer, Josephie und verschiedenen anderen mehr war ich wie ein Kind vom Hause, auch bei angesehenen, wohlhabenden Bürgern; unter anderen H. Dominicus Gäß, wo mein Bruder die Kinder im Tanzen unterrichtete, erzeigte er uns mit seiner vortrefflichen Gattin viele Freundschaft. Dort hätte ich gewünscht, zu leben und zu sterben. Jeder Tag gab mir neues Vergnügen. Gott lohn's euch, die ihr noch lebt! Ach, viele davon sind tot und in der[121] Ewigkeit. Wenn ich nicht solche Menschen, solche wahre Menschen gefunden hätte, was würde ich denn von der Last, die auf mir lag, bei meinem harten Stückchen Brot gehabt haben? Zur Not mich satt zu essen; denn selbst konnte man sich kein Vergnügen erlauben, das nur halbwegs Geld gekostet hätte, ohne Schulden zu machen oder seine Nebenmenschen zu betrügen. Zu den Zeiten bezahlten die Freunde des Theaters die Schauspieler dadurch, daß sie ihnen Agriment machten. Nun werden sie freilich besser bezahlt, aber weniger geachtet. Freilich sind die Schauspieler selbst mit schuld, aber doch auch nicht alle. Jetzt herrscht unter den Reichen und Vornehmen mehr Stolz und unter dem Mittelstand mehr Armut und Hoffart. In den Jahren wußten die Bemittelten besser, die Gutdenkenden von den Schlechten zu urteilen. Aber das alles ist nun jetzt vorbei. Gibt's noch welche, aber sie sind sehr dünn gesät.

Eines Vorfalls will ich doch gedenken. Mir wurden einige Male Gedichte, Lieder und Briefe ins Haus geschickt, worin, Gott weiß, rasende Liebe zu mir, aber kein Gran gesunder Menschenverstand war. Nachdem ich mich über die Wische herzlich satt gelacht hatte, befahl ich ausdrücklich, man solle nichts wieder an mich annehmen. Denn, Dank sei's dem Himmel, noch war ich nicht verliebt geworden, konnte wohl einen lieber leiden, als einen andern, aber verliebt war ich nicht. Und wollte Gott, ich wär's niemals geworden. So viele Seligkeit die wahre Liebe auch gibt, so macht sie doch immer unglücklich. Doch wir alle sollen die Schuld der Natur büßen. Geduld! Noch ein paar Jahre weiter gerückt, und man wird auch mich hellerlichterloh brennen sehen. – Da alle die schriftlichen Zudringlichkeiten ohne Unterschrift waren, gab ich mir auch gar nicht die Mühe, nachzuforschen. Doch sagte ich auch niemand was davon; denn bei all meiner Munterkeit war ich nie boshaft, mich über jemand lustig zu machen, der's nicht verdient hatte. Nur unter uns dreien hatten wir unsern Spaß. Endlich bemerkte ich, daß ein großer, hagerer, schwarzer, sehr tiefsinnig aussehender, noch junger Mensch mir immer, wenn ich ausging, auch im Weg stand. Ich mochte in die Kirche gehen[122] oder zur oder von der Probe oder nach der Komödie und wieder hinaus, die Figur stand da. Nachgerade fing ich an, mich vor ihm zu fürchten; denn die Augen und Blicke und Seufzer, womit er mich ansah, machten mich schaudern. Ich sagte zu meiner Mutter: »Mama! Wetten wollte ich, das ist der Mensch, der mir die Briefe und Verse zugeschickt, und weil ich nie geantwortet und gar keine mehr annehme, so verfolgt er mich auf diese Art. Der Mensch ist toll oder wird's, und, weiß der Himmel, ich kann doch nichts dafür. Der könnte mir hier alle Freude verbittern und mich wünschen machen fortzureisen.« »Du bist nicht gescheit!« war meiner Mutter Antwort.

An einem Nachmittag bin ich mit meiner Mutter allein, kommt mein Bruder mit eins zu uns ins Zimmer gestürzt. »Nun, das war ein Auftritt!« sagte er. »Das hol der Teufel! Den Schreck vergesse ich so bald nicht.« »Was gibt's?« »Ja, da bin ich oben in meinem Zimmer; Herr Berger, mein Scholär (Cholair) kommt und sagt zu mir: ›Herr Schulze, zum Tanzen ist's heute gar zu heiß. Da haben Sie Ihr Billett, und wir wollen ein bißchen Docotillic spielen.‹ Ich war's zufrieden, und wir sitzen da und spielen. Auf einmal tritt ein Mensch ins Zimmer. So im Hereintreten fällt ihm Karolinens Porträt in die Augen, fällt in der Stube auf die Knie davor nieder, weint laut und gebärdet sich wie ein Besessener, steigt auf einen Stuhl, küßt dem Bilde die Hand, murmelt in den Bart, daß man kein Wort davon verstand, und geht rücklings, wie ein Krebs, zum Zimmer wieder hinaus, ohne mich und Herrn Berger angesehen zu haben. Der Mensch muß toll sein und, Gott weiß es, ich habe vor niemand mehr in der Welt Entsetzen, als vor närrischen Leuten.« Ich wußte nicht, sollte ich lachen oder weinen. Wenn ich aber die Wahrheit sagen soll, so tat ich beides zugleich. Mein Bruder wurde noch böser, als ich lachte und so wenig Respekt vor seinem Schreck hatte. »Nimm dein verfluchtes Porträt aus meinem Zimmer und gib mir das meinige! Das fehlte mir noch, daß mir tolle Menschen auf die Stube kämen!« »Da, da hast du deines![123] Was kann ich dafür? Ich habe ihn nicht heißen kommen.« Mein Bruder brummte und verließ so mein Zimmer.

Nach der Beschreibung war's derselbe, vor dem ich mich lange gefürchtet. Nun erfuhr ich, daß ein lustiger Schäker, den der arme Mensch zum Vertrauten seiner Leidenschaft gemacht, ihm den Rat gab, er sollte bei meinem Bruder Lektion im Tanzen nehmen, und da könnte es denn kommen, daß er mich vielleicht zu sprechen bekäme. Das tat er denn auch, aber bei dem Anblick des Bildes vergaß er Tanzmeister, Lektionnehmen und alles. Ich wollte, daß er von seinem Uebel genesen wär; aber einen Hang zur Schwermut soll er von Jugend auf gehabt haben. Nun kam Liebe dazu, und ich erfuhr, als ich weg war, daß solche endlich zur vollen Raserei gekommen, daß man ihn schließen mußte, und nach einem Jahr ist er im Tollhaus gestorben. Daß ich Gott oft gedankt, nie mit dem Menschen ein Wort gesprochen zu haben, weiß ich. Und war froh, nichts mit Willen getan zu haben, diese unglückliche Leidenschaft in ihm zu nähren.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 121-124.
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