Karlsruhe.

[133] In Karlsruhe gefiel es uns allen recht gut. Und was müßte der auch für eine hölzerne Seele gehabt haben, dem es da nicht gefallen hätte! Der Markgraf, die Markgräfin, die Prinzen, die gnädigsten Fürsten, der ganze Adel: das Beispiel des Hofs, ebenso voller Huld und Liebe. – O wenn es doch die Vornehmen so alle recht wüßten, wie verehrungswürdig, wie groß sie dann erst sind, wenn ihr Rang, ihre Geburt, wohin sie Gott versetzt, sie nicht verleitet, auf diejenigen, deren Stand nicht die Würde und Vorzüge hat – herabzusehen, sondern sich als Menschen zu betragen. Sie bleiben ja, was sie sind. Vor denen neigt sich gewiß das Herz, wenn man sie voll stiller Ehrfurcht grüßt, vor den Stolzen aber nur der Rücken, und hätte man nur[133] mit einer guten Art aus dem Weg gehen können, würde man sich auch die Begegnung erspart haben. Oder es sind niedrige Schmeichler, die gewohnt sind, im Staube und vor dem Staub zu kriechen. Man denke nicht, daß ich etwa aus Eigennutz dieses schreibe, oder Geschenken wegen. Wahrlich, nein! Unsere Gage, 11 Gulden alle Woche von H. Ackermann, ausgenommen, wüßte ich keinen Pfennig von Karlsruhe zu nennen, den ich bekommen hätte. – Eigennutz war nie in mein Herz gekommen. Es war zu ehrliebend – zu stolz. Aber ein gutes Betragen gegen mich, ja, da hätte ich mein Leben für solche Menschen hingegeben. Ein freundliches Wort, ein leutseliges Danken, wenn ich mich neigte, oh, da war ich vor Freude außer mir. Laß Vornehme oder Niedere auftreten, die sagen können: ich habe vor ihnen gekrochen oder geschmeichelt. Wem ich gut war, dem sagte ich's, und wen ich nicht leiden konnte – und da war er wohl immer selbst schuld – dem sagte ich gewiß nichts, das ihm hätte schmeicheln können. Und wo ich gekonnt, wich ich gewiß aus, um ihm auch nicht einmal eine gezwungene Höflichkeit vorlügen zu müssen.

Gleich nach Neujahr gingen die maskierten Bälle bei Hof an, wo jeder unentgeltich zugelassen wurde. Muß doch einer Begebenheit gedenken, die einen sehr vergnügten Abend machte. Mein Bruder wurde zu dem Baron von Edelsheim berufen, der ihm sagte: »Der Fürst will mich künftigen Ball als Frauenzimmer sehen, und Sie mit ihrer Madem. Schwester sollen mich begleiten. Aber daß es ja vor allen verschwiegen bleibt, es weiß niemand was davon, als der Markgraf.« Gut, wir fuhren alle drei den Freitagabend nach dem Schloß. Unsere verkleidete Dame war so schön, so reizend; man konnte nichts Angenehmeres sehen. Nur etwas sehr groß, größer als alle Damen, doch voll Würde und Anstand. Um so mehr mußte sie jedem gleich in die Augen fallen, weil sie über alle hervorragte. Sie erschien in einem weißtaftenen Damendomino, geschnürt und mit bloßem Halse und Brust, halber schwarzer Maske, an welche eine Spitze von schwarzer Seide gesetzt war. Mein Bruder und ich waren beide kenntlich gekleidet. Alles, was uns[134] kannte und nicht kannte, lief auf uns zu und wollte wissen, wen wir bei uns hätten. Die Antwort war: wir kennten sie selbst nicht; sie wär in einer Portechaise gekommen, und weil sie keinen Herrn bei sich gehabt und doch so wohl aussah und gekleidet ist, hätte ihr mein Bruder seinen Arm auf der Treppe geboten, den sie angenommen, und so wär sie mit uns in den Saal gekommen. Wer es glauben wollte, der glaubte es.

Endlich kam die liebe Frau Markgräfin in den Saal. Auch sie sah gleich unsere Dame, sprach mit ihrem Schwager, dem Prinzen Ludwig, und kommt mit solchem auf uns zu. Ich dachte, ich wäre ein Kind des Todes. Noch hatte ich nicht die Gnade gehabt, mit der Durchl. Fürstin selbst zu sprechen; denn den Abend war der zweite Ball, und auf dem ersten war ich nicht gewesen. Wie solche noch ohngefähr sechs Schritte mochte entfernt sein, ließ ich meines Bruders Arm los und bückte mich vor derselben. Sie reichte mir ihre schöne Hand, die ich herzlich küßte; aber ich zitterte an Händen und Füßen vor den Fragen, die gewiß kommen würden. Sie war außerordentlich gnädig gegen mich, sprach vom Theater usw., bis sie mich etliche Schritte weiter von meinem Bruder und seiner Dame weggeführt hatte. Nun ging's an: »Meine Liebe, sagen Sie mir, was haben Sie für eine Maske bei sich?« – Ich fühlte ordentlich Fieberschauer; denn ich klapperte mit den Zähnen, und um das zu verbergen, fing ich an, ein bißchen zu husten, wußte nicht aus noch ein und wünschte 1000 Meilen entfernt zu sein. Nach der ziemlich langen Pause fing sie wieder an: »Haben Sie mich nicht verstanden?« – »Euer Durchlaucht – verzeihen – ich – ich – kenne – – sie nicht –« und muß geworden sein wie Scharlach unter der Maske; auch wäre ich nicht imstande gewesen, der Fürstin bei der offenbaren Lüge in die Augen zu sehen, und wenn's mein Leben gekostet hätte. Sie wendet sich zu dem Prinzen Ludwig und sagt zu ihm: »Sie kennt sie nicht.« Der Prinz: »Ihro Durchlaucht, glauben Sie dem verdammten Mädchen nicht, sie lügt uns allen was vor. Das ist eine kleine Hexe, die sich über uns alle lustig macht.« »Ihro Durchlaucht rekommandieren[135] mich schön. Wissen Sie denn schon was Böses von mir?« »Sind eine Hexe! Aber Geduld, will's gewiß erfahren, und dann, Mädchen, wo du gelogen – gib acht!« –

Sie verließen mich, und ich schöpfte nun freien Atem wieder. Der Spaß, daß Edelsheim nicht verraten wurde, dauerte über vier Stunden. – Endlich hörte ich murmeln, des Barons Sekretär stellte den Baron vor, weil solcher von dessen Wuchs war, tanzte aber nicht, weil er sich mit Kopfweh entschuldigte. Von ohngefähr sagte einer von den Herrschaften zu ihm auf Französisch, denn in der deutschen Sprache würde man ihn eher erkannt haben: »Ja, lieber Baron, wenn Sie sich nicht demaskieren, wird Ihr Kopfweh nicht nachlassen,« und hebt ihm den Bart von der Maske auf, und da war's verraten. – Sowie ich's hörte, gab ich meinem Bruder einen Wink, und der verlor sich mit seiner Dame. Bald kamen sie wieder, und der Baron als Matelot gekleidet. – Ich tat, als ob ich ihn nicht kannte, ohngeachtet er ohne Maske war. Sowie er mit den fürstlichen Personen ausgesprochen hatte, kam er zu mir und bedankte sich, daß ich so Wort gehalten. »Bester Baron, ich sage es Ihnen, ich weiß kein Wort davon, daß Sie meines Bruders Dame waren. Verlassen Sie mich, oder ich lauf fort und laß mich vor keinem Menschen mehr sehen.« – »Ja, Kind, das hilft nun nichts mehr. Die Markgräfin weiß es schon; kommen Sie, sie will Sie sprechen.« – »Das haben Sie schön gemacht, Herr Baron! Wo ist der Wagen, ich fahr nach Hause.« »Seien Sie kein Kind! Kommen Sie, Sie müssen zur Fürstin.« »Ach, Gott, stehe mir bei!« Er nahm mich bei der Hand, und ich folgte wie eine arme Sünderin, die sich ihrer Schuld bewußt ist. Zitternd stand ich nun vor der besten Frau. – Sie sah mich bedeutend an und drohte mir mit dem Finger, der Fürst und alle Prinzen waren bei ihr. – – »Ei! ei! – Das war was Schönes, auch mir nichts zu sagen!« »Ihro Durchlaucht – ja, ich weiß, ich habe gefehlt, bin strafbar und unterwerfe mich allem, was Sie über mich aussprechen werden. Nur ein Wort zu meiner Entschuldigung. Ein für allemal steht das weibliche Geschlecht[136] in dem grausamen Vorurteil, es könne nicht schweigen! Habe ich denn nun plaudern sollen? Ich tat's zur Ehre des ganzen weiblichen Geschlechts.« – »Ist ein liebes Mädchen,« sagte die huldreiche Dame und reichte mir die Hand hin, die ich küßte. Aber der Prinz Ludwig? Ja, der hub an: »Nun, was habe ich gesagt? Ist's nicht ein verdammtes Mädchen, das macht sich über uns alle lustig.« – »Nein, Ihro Durchlaucht, das ist denn doch zu arg. All mein Guts so böse auszulegen! Ich kann schweigen; die Herren können's nicht. Da steht der Herr Baron, der mir sein Wort gegeben, mich nicht zu verraten. Schön hat er's gehalten! Und Sie, Prinz, würden's auch so gemacht haben.« »Recht so,« sagte die Fürstin, »die Schulzen hat recht. Wer weiß, ob ich die Freude gehabt hätte, die mir mein Karl machen wollte, wenn ich den Baron gleich gekannt hätte. – Und nun, lieber Karl! Tanz mit meiner Schulzen hier vor Mir eine schöne Menuett!« Und so legte sie meine Hand in des Markgrafen seine, und wir tanzten.

Oh, ihr mir unvergeßlichen, glücklichen Zeiten, werde euch nie, nie vergessen. Voll Dank gedenke ich an euch zurück. Würde ich in solchen Augenblicken wohl Königinnen haben beneiden können? So können die Großen den gefühlvollen, dankbaren Geringen glücklicher machen, als Königinnen selbst sein können.

Daß ich, solange ich in Karlsruhe war, keine Maskerade versäumt, kann man denken. Nur daß die Freude nicht lange gedauert hat, denn die Abreise war nahe. Der Herr Baron erwies uns die Ehre, uns zweimal zu besuchen. Würde öfter geschehen sein, wenn er nicht auf Befehl des Fürsten eine Order gekommen hätte, wegzureisen. War ein Geschäft, das den Krieg betraf. – Ich gestehe es, das war mir eine sehr unangenehme Nachricht. Ich fühlte in meinem Herzen etwas, das ich noch nie gefühlt hatte, und auch nur da erst so ganz fühlte, da ich von seiner Wegreise hörte. Aber es war gut für mich. Der Baron hätte meinem Herzen gefährlich werden können. Ein Herr, schön wie ein Engel, voll Verstand. Die Bescheidenheit und Artigkeit selbst. Und ich 16 Jahre. – Doch er reiste, und ich sollte mein munteres, zufriedenes,[137] ruhiges Herz noch behalten. Er sagte bei dem Abschied: »Ich hoffe, noch eher wieder hier zu sein, ehe Sie wegreisen. Bedienen Sie sich, ich werde Order stellen, so oft Sie ausfahren wollen, meines Wagens nebst Pferden.« – Ein guter Geist gab es ihm ein, daß er gesagt, er hoffte, bald wieder zu kommen, sonst, fürchte ich, würde er es gemerkt haben, daß ich ihm etwas mehr wie gut war. Und jemanden zu lieben, ohne zu wissen, wird man auch geliebt, litten weder mein Stolz, noch meine Grundsätze. Gut! Er reiste, ohne daß er wußte, welchen Eindruck er in mein Herz gemacht; und ich wußte nichts weiter, als daß er mir mit Freundschaft und Achtung begegnet. Also, einige Tränen ausgenommen, die ich ganz stille und heimlich geweint, wurde ich bald wieder dieselbe, die ich war, und nahm mir vor, besser auf meiner Hut zu sein.

Nun kam der 28. Januar 1762, der Namenstag des Fürsten wurde gefeiert. Und es war die letzte Komödie und nachher Ball. Schon um 4 Uhr ging die Komödie an. Ich hatte im Prolog zu tun. Das Trauerspiel war »Die Trojanerinnen«, wo ich die Kassandra machte. Und weil nicht das Ballett »Die Maskerade« in Karlsruhe war gegeben worden, tanzte ich aus solchem das Pas de deux die 9 Charaktere mit meinem Bruder, um, so gut wie wir konnten, dem Hof die letzte Freude zu machen, daß wir beide den Abend den Fürsten neu uns zu zeigen die Ehre haben wollten. 8 Uhr war alles aus, ich eilte nach Hause, kleidete mich ganz um und fuhr nach dem Schlosse, wo ich um 9 Uhr schon da stand und mit Leib und Seele tanzte. Wie die Uhr 1 war, trat ich zur Markgräfin und wollte mich beurlauben. »Schon fort wollen Sie?« »Ja, Ihro Durchlaucht! Morgen muß ich reisen.« – »Bei meiner Ungnade, wo Sie eher fortgehen wie ich.« Voll Ehrfurcht neigte ich mich, küßte ihre Hand und tanzte lustig fort. Tanzte bis 3 Uhr, und da hatte ich keine Sohlen mehr unter den Schuhen. – Das war Not, und ich wußte keine mehr zu bekommen; denn alles war gepackt. Nun sollte ich tanzen. Erst nahm ich die Ausflucht zur Müdigkeit, die denn niemand glaubte; denn, war ich im Tanzen zu ermüden? Endlich sagte ich die Ursach. »Wie[138] ist dem abzuhelfen?« – »Ja, wenn Sie die Gnade hätten, und mir ein Spiel Tarockkarten wollten geben lassen!« – »Gleich sollen Sie sie haben.« Ein Page brachte mir zwei Spiele. Ich hurtig hinter ein Fenster und schneide mir Sohlen, die in die Schuhe, und nun ging's wieder frisch darauf los! So tanzte ich fort, bis es morgens 7 Uhr geschlagen hatte, – meine Kartensohlen waren alle durchgetanzt. – Die Musik hörte auf. Nun sah ich, daß alles nur eine Zeitlang dauert. Ich trat zur Fürstin, konnte aber kein Wort reden; denn Tränen erstickten jedes Wort. Diese liebreiche Dame küßte mich, und das sind ihre letzten mir unvergeßlich gebliebenen Worte gegen mich: »Mich freut es, daß es Ihnen hier so wohl gefallen und daß Sie ungern wegreisen. Leben Sie wohl! Sie nehmen meine völlige Freundschaft und Achtung mit, wegen Ihrer guten Aufführung und Betragen.« Mit meinen Tränen benetzte ich ihre Hände – wollte reden – konnte nicht – sah sie an und zeigte auf mein Herz. So ging ich von ihr, und in meinem Herzen flehte ich zu Gott: Segne diese herrliche Frau, ihren Gemahl, ihre Kinder und Kindeskinder für alle Liebe, die sie für mich hatten. Vergelten kann ich's ja nicht! – Alle Damen und Fräuleins hatten sich in einen runden Zirkel gestellt, und da mußte ich hineintreten. Eine nahm mich der andern aus dem Arm und küßte mich, bis ich rundum war. Sie weinten – ich schluchzte. Alle Sprache war weg. Meinem Bruder liefen selbst die Tränen aus den Augen, und holte mich; denn ich sah, ich hörte, ich fühlte nichts als meinen Schmerz, als die Bitterkeit des Abschieds. Und so schleppte er mich mehr, als daß ich ging, aus dem Saal, und wir fuhren nach Hause. Meine Mutter, die das vorher gedacht, – denn sie wußte, wo ich war – half mir aus den Kleidern, packte den Rest ein. Ich zog meinen Pelz an, warf mich aufs Bett und weinte. –

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 133-139.
Lizenz:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon