»Emilia Galotti« und Herr Kunst.

[144] Endlich, endlich kam »Emilia Galotti« zum Vorschein. Was gab ich mir für Mühe! Madame Regglen, die so ganz die Emilia vorstellen konnte, der es aber an einer Freundin[144] gebrach, die sie zurecht wies, weiß es: Ich nahm sie vor, und gewiß, sie sagte kein Wort anders, als sie's sagen mußte. Nicht alle Männer, und wenn sie noch so viele Talente haben, sind imstande, Schauspielerinnen zu bilden, zu unterrichten. Herr Regglen hatte Rollen, die so leicht keiner besser spielen wird, aber seiner Gattin konnte er das nicht sagen, was ich ihr sagen konnte. Auch Herrn Kunst überhörte ich seine Rolle, machte ihn aufmerksam auf jede Schönheit, die in der Rolle liegt und die ich oft so meisterhaft spielen sah. So, so nahm Herr Brockmann die Rolle, so sagte er dies, so sagte er jenes. Kurz, ich wünschte, daß ein einziges Mal ein gutes Stück gut gegeben würde.

Herr Neumann war Galotti und spielte ihn, wenn nicht wie Ekhof, Borchers und Schröder, doch so, daß man ihn nach solchen auch mit Wohlgefallen spielen sehen konnte. Herr Frankenberg den Rat Camille Rothe. Nie sah ich die Rolle besser spielen. Und die Rolle, die so oft das Schicksal hat, bei den besten Theatern durchzufallen, hatte einmal das Glück, meisterhaft durch ihn gegeben zu werden. Herr Regglen war Graf Apiani – ich hätte gewünscht, daß er auch Marinelli hätte sein können. Nicht so gut wie in Eisenach hatte ich zu meiner Claudia alle Töne in meiner Gewalt. Denn das Durchgehen der Rollen mit der Emilia und dem Prinzen hatte mich so angegriffen, daß ich (noch nach der Hauptprobe im Theater) in meinem Zimmer sagte: »Nun kann und darf ich nicht ein Wort mehr reden. Oder ich selbst kann heute kein Wort sagen. Was tut mir meine Brust weh!«

Es war den 19. Dezember. Nie waren die Weimaraner, solange unter der Bellomoschen Direktion gespielt worden, zufriedener weggegangen wie den Abend. Ei, was hat unsre kleine Regglen ihre Emilia schön gespielt! Wie hat sich die Frau gebessert! So sagten einstimmig alle, die sie hier und in Eisenach die Rolle spielen sahen. Aber wer kann sagen, daß ich gesagt: »Das ist mein Werk!«? Wenn auch meine Rolle nicht so gut noch gegangen wäre, wie sie ging, so hätte ich mich doch freuen müssen. In mir war nie Neid. Ich war auch vor Freude außer mir und sagte zu Herrn Bellomo:[145] »Nun, wie steht's? Ich dachte, in Weimar liebt man keine Trauerspiele? Wollen keine sehen? Ist noch, solange wir hier sind, der Beifall so groß, so einstimmig gewesen wie heute?«

Madame Ackermann ließ sich den Abend krank nach dem Theater bringen. Ihre Figur und Anstand war ganz Orsine, aber sie spielte sie nur nicht. Mit der Rolle hat sie oft gewechselt, wie sie sie nachahmen soll. In Eisenach stand mir der Verstand still, wie sie sie nahm. Diesen Abend war sie krank. Und wie ich sie von ihr zum dritten Male spielen sah, nahm sie Orsine wie das Fräulein von Rosenhayn im »Flatterhaften Ehemann«. Sie wurde bei dem Auftritt, wie sie kam, mit Applaus von einigen empfangen. Man machte die Anmerkung darüber: weil sie doch krank die Rolle spielte und dem Publikum den Abend die Freude nicht verdorben hätte, das Stück zu sehen.

Inzwischen war ihr der Beifall des Empfangs und Weggehens in der Rolle nicht genug, und das Stück, trotz allem Wünschen und Verlangen des Publikums und der vollen Einnahme, die Herr Bellomo gewiß gehabt hätte, blieb liegen bis den 9. Juni 1785. Und er gab die »Schöne Weimaranerin«, den »Bettelstudenten«, die »Irrungen«, »Fürst und Bauer« und »Tod, Teufel und Schildwache«, daß er sich einmal wieder satt lachen konnte.

So kam das Jahr 1785 heran. Ich bekomme Briefe aus Hamburg mit der Nachricht, daß Herr Schröder von Wien abginge und selbst in Hamburg das Theater wieder übernehmen würde; ich hatte es in der Garderobe gesagt. Herr Kunst kommt zu mir und sagt, wie er wünschte, bei Herrn Schröder engagiert zu werden. Was er unter solch einem Manne lernen könnte! Wollte gern Verzicht auf all die guten Rollen bei Bellomo tun, wenn er da ein Plätzchen haben könnte. Bat mich um alles in der Welt willen, ich möchte seinetwegen schreiben. Ich tat es nicht gerne und wollte Herrn Bellomo, so wenig er sich auch um mich verdient gemacht, doch nichts vorsätzlich zuleide tun. Auch sagte Herr Kunst: »Meine Zeit halte ich aus bei Bellomo.« Unter Zeitaushalten[146] verstand ich immer ein rundes Jahr wenigstens. Ich sagte, ich wollte schreiben. Herr Kunst schien mir nicht zu trauen, weil er mochte gemerkt haben, ich zweifelte, ob, wenn er engagiert würde und man ihn eher verlangte, er bis Michaeli bei Herrn Bellomo bleiben würde. Er wollte also meinen Brief selbst auf die Post geben. Sein Mißtrauen war mir lächerlich. Denn wenn ich nicht hätte schreiben wollen, hätte ich's gewiß gesagt.

Ich schrieb; jedes Wort konnte ich verantworten. In Hamburg kannte man Herrn Kunst von Person. Er hatte schon da gespielt. Folglich sagte ich, er wäre besser geworden, hätte bei Herrn Großmann und Herrn Bellomo die Rollen der ersten Liebhaber spielen müssen und könnte unter Anführung des Herrn Schröder noch in einigen Rollen ein brauchbarer, guter Schauspieler werden. Seine Sitten wären hier tadelfrei gewesen, und jedermann hätte Achtung für ihn und sähe ihn gern spielen, weil er sich viele Mühe gäbe und fleißig wäre. Herr Kunst kam, und ich gab ihm mit folgenden Worten den versiegelten Brief in die Hand: »Hier, Herr Kunst, empfangen Sie aus meiner Hand Ihr Engagement bei Herrn Schröder und zugleich meinen Abschied bei Bellomo.«

Das wollte Herr Kunst nicht glauben; ich aber setzte es ihm so auseinander, daß er zwar bei seinem Nichtglauben blieb, aber bei sich denken mußte, es könnte doch wohl sein. Es kam Antwort zurück, und Herr Kunst war engagiert. Er rechnete die Gage nach, und vor Freude über das Engagement fiel er, gegen das Fenster gewendet, nieder auf die Knie und tat ein feierliches Dankgebet gegen den Himmel, daß Gott so für ihn sorgte. Tränen standen in seinen Augen. Mir sollte es der liebe Gott vergelten. »Ja, wenn ich auch nicht von jeher meinen guten lieben Gott gehabt hätte, hätte es bös um mich ausgesehen.« Nie würde er es mir vergessen usw.

Herr Kunst sollte bald kommen. Aber ich wünschte, daß er bis Michaeli bleiben möchte. Und so versicherte er, er wolle es nun schon machen. – Wie er es gemacht, weiß ich nicht; denn er und Herr Bellomo kamen bis aufs Prügeln[147] zusammen. Letzterer schalt ihn nach seiner Art einen Esel. Herr Kunst fing das Wort auf und sagte: »Ein Esel kann nicht mehr auf Ihrem Theater spielen,« und so ging er Knall und Fall ab. – Und in 14 Tagen darauf hatte denn auch ich meine Entlassung von Herrn Bellomo, die mir denn gar nicht unerwartet kam.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 144-148.
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