Von Debütrollen.

[127] Nun hatte ich zehn Tage Ruhe, wieder zu mir selbst zu kommen. In der Zeit kam Madame Gensike mit ihrem Mann und Herrn Dunst an. Gott sei Lob und Dank! Aber auch sie, die noch keine Mutter gespielt hatte, mußte mit der Auguste und Herr Dunst mit dem Herrn von Troppau anfangen. Den 23. wurde das Stück gegeben.

Daß wir mißfallen, kann ich eben nicht sagen. Jeder, sogar ich, wessen ich mir nach meinen drei gespielten Rollen nicht schmeichelte, erhielt in zwei Auftritten lauten Beifall. Aber so wie ich mich aufs Publikum habe verstehen lernen, war das Stück für die meisten Zuschauer zu fein. Pflicht und Schuldigkeit ist es von jeder Direktion, wenn der Schauspieler Gast- oder Debütrollen spielt, ihm die zu geben, die er verlangt. Will man das nicht, gut, man lasse ihn, wo er ist, oder erlaube ihm nicht, zu spielen, und sage: es ist bei[127] unserm Theater nicht der Brauch, Gastrollen spielen zu lassen. So blamieren sich wenigstens nicht die Direktion und die Schauspieler, die bei solcher Direktion sind. Kommt aber ein Schauspieler und verlangt eine Rolle und man erlaubt ihm, zu spielen, und in dem verlangten Stück fehlt wirklich eine Rolle, so muß der [festangestellte] Schauspieler oder die Schauspielerin, die sie übernehmen können, so viele Lebensart haben, sie zur bestimmten Zeit einzustudieren und zu liefern.

Madame Koch, geborene Giraneck, kam nach Gotha. Sie wollte Gastrollen spielen, eine darunter war der Philint in dem »Triumph der guten Frauen«. Es fehlte die Juliane und die Frau Agatha. Schwierigkeiten setzte es unter den Damen. Zur Juliane hatten sie nicht Zeit genug zum Studieren und die Frau Agatha war keine ihrer Rollen. Von Madame Boeck, deren Rolle der Philint war, konnte man nicht verlangen, daß sie die Agatha spielen solle. Ich wußte, wie gewöhnlich, von nichts. Was konnte ich wissen, die ich selbst nicht lange in Gotha gewesen, welche Stücke einstudiert waren und welche nicht. An einem Nachmittag war ich zu Herrn Ettinger eingeladen, und wie ich an die Tür trat, hörte ich von mehr als sechs Stimmen zugleich schreien: »Oh, die Kummerfeld tut es gewiß!« Nun trete ich ein und frage: »Was tut die Kummerfeld gewiß?« Mir wird der Vorfall erzählt. »Das leugne ich nicht, daß es mich verdrießt, daß ich jetzt der Notnagel sein soll, daß ich die letzte bin, die man frägt, ob sie will. Wann soll das Stück sein?« »Uebermorgen.« »Nun, Madame Koch, so sorgen Sie, daß ich noch heute die Rolle bekomme, damit ich sie noch diese Nacht einige Male durchlesen kann. Morgen studiere ich sie, und übermorgen soll das Stück sein, damit ich dem Hof die Freude mache und Ihnen den Spaß nicht verderbe.« Viele Gesellschaft war bei Herrn Ettinger, auch Freund Gotter. Man strafe mich Lügen, wenn ich mich besser zu machen suche, als ich wirklich war. Ich fordere alle auf, die mich die Juliane spielen sahen, ob ich meine Rolle studiert hatte oder nicht, ob ich Madame Koch oder den anderen[128] etwas verdorben. Madame Meyer, die nur zum Soufflieren engagiert war, spielte die Agatha. Auch sie war gut und verdarb gewiß nicht das Stück durch ihr Spiel.

Welch einen Vorrat von Debüt- und Gastrollen-Anekdoten habe ich gelegentlich gesammelt. Weiß Gott, es macht vieler Herren und Damen Herzen wenig Ehre. »Mahomet, der falsche Prophet«, das schwere Trauerspiel wurde in Gotha gegeben. Madame Mayer wurde krank und konnte nicht soufflieren. Keiner war da, der das Stück imstande gewesen, zu soufflieren. Die es gekonnt hätten, mußten im Stück spielen. Ich will euch aus der Not helfen. Her mit dem Stück! Will's die Nacht durchlesen und mir bekannt machen. Ich nahm's. Las es die Nacht zweimal durch. Den Morgen mit zur Probe! Den Abend saß ich im Souffleurloch und soufflierte. Hat einer durch mich gefehlt, oder ist ein Fehler vorgegangen? Und wie soufflierte ich? Das laß' mir einer nachmachen, so zu soufflieren, daß der Schauspieler jedes Wort und der Zuschauer kein einziges hört auf so einem kleinen Theater. Eine andere, weil sie nicht die Palmire zu spielen bekommen, würde sich gefreut haben, wenn durch einen unkundigen Souffleur das ganze Stück wäre verdorben worden.

Doch ich wende mich wieder nach Bonn. Wer sollte es glauben, daß es möglich sei? Oder wer will den gordischen Knoten lösen, warum? Seit manchen Jahren hatte Herr Großmann das vortreffliche Engagement in Bonn, hatte in den Jahren gute, verdienstvolle und brave Schauspieler, die alle Stücke, auch die schwersten, mit Ehre vorstellen konnten. Nun werden wir hingeschleppt wie zur Marterbank. Die alten, guten Leute müssen Rollen spielen, wo sie sich selbst untereinander bei Proben und vor der Komödie und während der Komödie auslachten. Diesen allen tat es keinen Schaden; denn das Publikum wußte es, sie hatten ihre Fächer, wo sie sich mit jedem messen konnten. Sie hatten sich also gut foppen. Aber die Neuen? Mit vielen Kosten wurden sie verschrieben, ansehnliche Gagen gegeben. – Und nein! Sie[129] sollen nicht gefallen, ebensowenig wie ich, die ich 15 Gulden die Woche hatte.

Vier Großmannsche oder Dengelsche – letzteres weiß ich nicht genau – Rollen habe ich genannt. Man soll sie aber alle wissen. Die fünfte war in dem »Einsiedler« die Hedwig, eine Liebhaberin, die ich gewiß nicht bekommen, wenn ein guter Bissen an der ganzen Rolle gewesen. Zu der war ich nicht zu alt, noch zu häßlich. Es machte aber: es war nichts an der Liebhaberin. Ich schrieb es auch zur Großmannschen Beherzigung darunter. Zweimal wurde der »Einsiedler« gegeben.

Die sechste in der »Gegenseitigen Probe« die Madame Barneck. Das war doch einmal eine! Vorher wurde Gotters »Marianne« gespielt. Herr Dengel der Präsident! Madame Neefe die Präsidentin! Demoiselle Flittner, Tochter von Madame Großmann: Marianne. Ein Kind von unnennbar vielen Verdiensten, das alles leistete, was man von einem jungen Frauenzimmerchen, das noch keine 15 Jahre zählte, verlangen konnte. Nur eine Marianne konnte sie noch nicht spielen. Aber sie mußte sie machen, damit man ja nicht in Madame Gensike die ehemalige Gensike wieder sehen sollte. Herrn Dunst gaben sie den Geistlichen, weil er für die Rolle des Waller engagiert war. Dagegen machte den Waller Herr Kunst. Und Herr Beck – den guten Beck steckten sie in den Fähndrich.

Nun unparteiisch! Wer alle die Leute zu der Zeit kannte und noch kennt – stand ein einziger auf seinem Platz? Jetzt kann Madame Unzelmann, die von allen die einzige ist, nicht nur eine Marianne, sondern gewiß größere und schwerere Rollen spielen. Daß sie es aber vor zehn Jahren noch nicht konnte, wird doch wohl keiner in Abrede stellen. Ihre eigene Mutter, die schöne Mad. Großmann – Gott habe sie selig – stand in der Szene und schimpfte und ärgerte sich; denn ganz und gar fiel das schöne Stück durch. Ich stand mit Madame Gensike in einer Szene dicht nebenan und sagte: »Ist doch kurios, das Stück gefällt nicht, und wir spielen doch nicht mit.« Madame Gensike winkte mir, daß[130] Madame Großmann es hören könnte. Ich sagte aber: »Ich weiß es wohl; darum sag ich's.« – Das Stück war mit ein Nagel zu Mad. Großmanns Sarg, denn so voller Wut und Aerger hatte ich sie nie gesehen – und war ihrer Entbindung so nahe.

Nun kam Herr Großmann selbst zur Gesellschaft, und ich bekam die siebente Rolle. Da hätte ich nun freilich Bahn brechen können; denn welche Schauspielerin sollte das nicht in der Rolle der Anna im »Deutschen Hausvater«? Pfui, pfui über den gottserbärmlichen, miserabeln Großmann muß jeder Rechtschaffene mit mir sagen. Die achte in »Gasner dem Zweiten« die Frau Doktorin; auch eine saubere Rolle!

Die neunte sogar in einem Trauerspiel, »Leichtsinn und Verführung«, die Frau Kammerherrin. Wer in einer »Marianne« und überhaupt alle die guten ernsthaften Mütter spielte, hätte die Frau Kammerherrin auch machen können. In dem Stück schämte ich mich, daß ich nicht die Augen aufschlagen konnte. Denn nie sind mehr Tränen in einem Trauerspiel gelacht worden, wie in dem. In der Leseprobe machte ich gegen meinen Willen ein Bonmot. Ich frug, ob denn nun auch das eine Frauenzimmer noch närrisch würde. Alle warfen die Rollen hin und fingen an zu lachen und zu schreien, und mir war's doch so wenig lächerlich zumute.

Wie der eine unter der Musik zum Galgen oder Schafott geführt worden, lieber Himmel, vergib mir's, was habe ich da geflucht! Alle schämten wir uns, einzeln saßen wir an Tischen, auf Stühlen und Bänken herum, und glücklich, die mit dem Publikum lachen konnten. Keiner von uns allen zeigte sein Gesicht. Wir deckten uns zu mit Schnupftüchern; nie waren solche notwendiger, als bei dem traurigen Trauerspiel. Und dazu war's besetzt, trotz der Marianne.

Weil ich mich in der Mutter Anna so signalisiert hatte, so hat Herr Großmann gedacht, er beleidigte mich, wenn er mir die Mutter Anna im »General Schlenzheim« nicht gegeben hätte. Es war also meine zehnte Rolle. Sicher, hätte ich mich auch zum ersten Male um eine Rolle gezankt, so war's um die gewesen. Und was das Beste war, man gab[131] mir ein Kleid dazu, das sich eher für ein Hannchen in der »Jagd«, als für eine Bauernfrau geschickt hätte, die schon 50 Jahre verheiratet ist. Ich richtete aber auch meinen Kopfputz danach ein. Nun war's mir einerlei; denn aufgesagt war mir bereits. Den Kopfputz und was ich zu dem Anzug bestimmt hatte, ließ ich in meinem Korb liegen, da ich das Kleid sah, und holte mir geschwind einen zu dem Kleid schicklicheren. Ich war darauf gefaßt, daß mir Herr Großmann was sagen sollte; den hätte ich nach Hause geschickt. Aber er wagte es nicht, und das war mir leid.

Die elfte war in der, »Rechnung ohne Wirt« die Wilhelmine. Der Endzweck, den die Rolle erreichen muß, ist, daß das Publikum lacht. Den erreichte Madame Neefe in der Großmutter und ich in der Tante. Man lachte und applaudierte uns beiden, wie wir uns eine nach der andern sehen ließen.

Die zwölfte und beste unter all dem Schofel und Auswurf von Rollen war in der »Juliane von Lindorak« die Marianne. Was man aus der Rolle machen konnte, machte ich. Der Beifall des Kurfürsten und des ganzen Publikums bewies es. Keiner erlangte den Abend ein so allgemeines Applaudissement wie ich. Beweis, wie ich muß gespielt haben. Und solchen Beifall von einem Publikum, dem mich die Großmannsche Direktion zum Ekel und Abscheu gemacht haben mußte. Das beweist, daß ich trotz der niederträchtigen Großmannschen Behandlung Schauspielerin war.

Die zwölf Rollen und dreizehnmal mitgespielt, nebst ein paar Statistenauftritten, kosteten dem Herrn Kurfürsten 315 Gulden. Ich konnte nichts dafür, daß ich so das Geld aus der Schatulle mußte mit stehlen helfen. Hätte mich der gute Herr gekannt, er hätte mir meiner Geduld wegen noch 315 Gulden dazu geschenkt. So aber schätzte er mich nur nach den Rollen und dem Wert, nach dem er mich kennen lernen sollte und mußte. Herr Großmann verlangte noch Zulage für das Spektakel, das er dem Herrn für das viele Geld gab. Der Herr Kurfürst konnte es nicht begreifen, daß Herr Großmann nicht auskam, da die Gesellschaft um[132] hundert Prozent schlechter war wie sonst. Er erkundigte sich nach den Gagen, die der eine und der andere hatte. Es kam auch auf mich, und nun hieß es: »15 Gulden die Woche!« »15 Gulden! Das verdient die Frau nicht.« Und da hatten Seine Kurfürstliche Gnaden recht. Alles das erfuhr ich erst nachdem ich von Herrn Großmann weg war.

Nun hieß es also, ich hätte nicht gefallen. Die Worte des Herrn Schröder mußte ich in Bonn zum ersten Male wieder hören, die er mir in Hamburg schrieb, ich wäre nicht in den neun Jahren, die ich von dem Theater fort gewesen, mit demselben fortgeschritten –, hören von so einem Männlein wie Großmann, nachdem ich schon wieder über sechs Jahre dabei war. Und wie und was ich gespielt, habe ich bereits gesagt. So kann man durch ein Wort dem Menschen nach vielen Jahren Tort antun, wenn ein Großmann in der Welt ist, der Gebrauch davon macht. Und wie hat er's benutzt! Doch litt ich geduldig und verließ mich auf ein höheres Wesen, das die Schicksale aller Menschen in Händen hat, litt und war still. Nun aber, da man mich noch nicht, trotzdem ich keinem mehr im Licht und Wege stehe, ungehudelt lassen kann, nun mag auch daraus entstehen, was da will. Nun zeige ich, wer ich war, und wer die waren und sind, die mich gedrückt.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 127-133.
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