Wie viele gute Menschen fand ich!

[157] Von dem Theater war ich nun zum zweiten Male ab und überließ mich ganz meiner häuslichen Ruhe. Ein hübsches Quartier hatte ich schon den 10. Juni bezogen. Ich richtete solches nach und nach, nicht prächtig, aber doch ordentlich, ein. Ich bedurfte keiner Marmortische, keiner Stühle, bezogen mit Damast und Samt. Oh, ich habe geweint auf seidenen Stühlen, ich habe geweint auf einem Holzstuhl. Die Tränen auf weicher Seide waren so bitter, wie die auf Holz. Ich habe gelernt, fröhlich zu sein bei dem Champagner, wie bei dem Glas Wasser. Und wäre die Frage, ob ich nicht öfter mehr von Herzen bei meinem Glas Wasser gelacht, wie bei dem Champagner. Ich war nun in meinem Weimar, und mein Vorgefühl, das ich in Bonn hatte, hat mich bis jetzt, da ich dieses niederschreibe, noch ebensowenig getäuscht wie damals, als ich Hamburg sah.

Was mir weh tat, war, daß ich nun nicht mehr die 42 Mark meiner Schwägerin und ihren Kindern lassen konnte. Doch Gott hatte gesorgt, der Vater der Kinder war nun Hauptmann und hatte seine Kompagnie. Auch das tat der gute Gott, um mich zu beruhigen, da ich solche für mich behalten sollte.[157]

Frankfurt und das letzte Theaterjahr hat zu viel gekostet.

Meine Arbeit fand Beifall. Die guten Mütter hier sprachen unter sich: an einer solchen Person fehlt es uns hier in Weimar, die unsere Kinder im Nähen unterrichten kann. Unsere Kinder gewinnen doppelt; denn die Kummerfeld ist eine rechtschaffene Frau. Man sprach davon mit mir, und mit tausend Freuden sagte ich ja. Der Preis, den ich das Quartal für ein Kind setzte, war so billig wie möglich. Doch ungeachtet des Vorteils, der mir dadurch zuwuchs, wußte ich meine Schuldigkeit, meine Pflicht. Nicht eher wollte ich meine Schule halten, bis ich auch die Erlaubnis von dem Durchlauchtigsten gnädigen Vater seines Volks, dem Herren seiner treuen Untertanen, Weimars geliebtem Herzog, hätte.

Sie kommt zwar nicht dazu, ihre Aufwartung zu machen, wird aber durch den gnädigen Bescheid beglückt, Seine Durchlaucht freue ihr Entschluß, hier zu bleiben.

Am 22. August 1785 war der erste Schultag. Mit vier Kindern wurde angefangen. Doch wurden es bald mehr. Nicht durch ihr Künstlertum, weder als alt- noch als neumodische Aktrice hat sie das Vertrauen der Eltern gewonnen, sondern nur durch ihre Rechtschaffenheit. Und nun wollen Rat Reichard und manche Neider sie nicht in Ruhe lassen, wollen verbreiten: verspottet, verlacht, verhöhnt, habe sie aus Verzweiflung die Bühne verlassen; doch sehne sie sich seufzend nach den Rollen einer Sara, Julie, Elfriede, Minna. Die Toren!

Setzet den Fall einer schweren Krankheit! Einzelne Beispiele sind mir bekannt, daß man sich der Kranken angenommen, bekannt von der Mad. Ackermann in Hamburg, die viel, viel an kranken und sterbenden Schauspielern getan, auch Herr Schröder, auch Herr Doebbelin; und Berlin erwarb sich den Ruhm.

Aber wie viel mehr Liebe ist ihr in Weimar zuteil geworden, da sie zweimal so schwer, so nahe am Rande des Grabes danieder lag.

Es blieb nicht allein bei dem Schicken und Erkundigen- lassen, wie ich mich befände. Nein, man erquickte mich, man dachte, man sann recht darauf, womit man mich laben könnte.

Ich bin allein, habe keinen Verwandten, der für mich Sorge trüge. Und ich, als eine Fremde, wie wurde ich gepflegt, gewartet! Da kamen meine Kinder, meine Schülerinnen, rangen ihre Hände, weinten um ihre Kummerfeld,[158] die Eltern konnten sie kaum in ihren Häusern trösten. Wie ich mich in etwas wieder zu erholen anfing, wie ersuchten sie mich, die guten Eltern, ja nicht Schule zu halten, mich zu schonen, mich nicht zu früh mit Arbeit anzugreifen! Keines zog mir was von dem Quartalgeld ab. Wie ich nach meiner Krankheit das erstemal ausging, redeten mich gute, ehrliche Bürger und Bürgerinnen, die ich nicht kannte, auf der Straße an und wünschten mir Glück, freuten sich, mich wiederhergestellt zu sehen, reichten mir ihre treuherzigen Hände, drückten die meinigen. Welch' Gefühl für ein Herz wie das meinige! Solches Gefühl konnte mir keine der besten, noch der größten Rollen geben. Hier hieß es nun nicht, ich sollte mit tanzen; auch nicht: es ist Verstellung, weil sie einige Zeit keine Schule halten will. Hier kam kein theatralisches Nachtragen zum Vorschein, von Eigennutz begleitet, nicht, um zu wissen aus Liebe zur Kranken, ob es sich bessert, o nein, ob sie bald wieder mitspielen kann, damit man ihr die Gage nicht umsonst gäbe. Wo man ihr Rollen schickt, daß die Schauspielerinnen wenigstens studieren sollen, wenn sie nicht spielen können. Was muß nach der Besserung manche für Vorwürfe leiden, wenn man glaubt, sie hätte das geringste versehen!

Wenn mich besonders meine erste Nervenkrankheit (die eine Folge des schrecklichen 19. Januar 1777 war, da man mich für betrunken hielt) an einem ganz fremden Ort betroffen hätte und ich unter keinen so ehrlichen Menschen gewesen, wie ich hier in Weimar an meinem Hausherrn, Herrn Witzel, und seiner Frau hatte und an meinen Freunden, die sich meiner annahmen –, zur Bettlerin hätte man mich machen können. Ich, die ich von mir in so vielen Tagen nichts wußte, nur eine Ohnmacht hatte, wie hätte man mich betrügen können! Wie hätte ich wissen können, wer bei mir war? Und nicht eine Nadel fehlte bei meinem Erwachen.

Und daß ich wieder erwachte, daß ich jetzt dieser Gesundheit genieße, wem verdanke ich's? Gott, ja, dem verdankt man alles. Aber man verdankt Gott auch den Arzt. Nicht mehr hier in Weimar ist dieser mir unvergeßliche Mann. Nach Jena ist er gezogen, dieser zum Medikus geschaffene Herr Hofmedikus Hufeland, jetzt Professor.

[159] Nie wird sie den Blick, den Ton, die Teilnahme vergessen, womit der unermüdliche, liebevolle Mann eines Morgens, die Hande faltend, rief: »Oh, Gott sei Lob und Dank! Sie haben Ihr Gedächtnis wieder.« Das kam aus dem Herzen eines Edlen, eines Menschenfreundes. – Zwischen dem Arzt und dem Schauspieler ist eine große Aehnlichkeit. Ein Arzt mag 99 Menschen das Leben gerettet haben: ein Todesfall unter seinen Patienten kann ihm den ganzen Ruf verderben.

Der Schauspieler erwerbe sich in 50 Städten Ruhm; er komme an einen Ort, da ihn Neid, Kabale oder Rache nicht aufkommen lassen, alles wird vergessen.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 157-160.
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