Innsbruck.

[89] Den 3. März 1780 reiste ich fort. Ohngeachtet der noch rauhen Jahreszeit hatte ich eine sehr glückliche Reise. Es ging Tag und Nacht fort; nur in Augsburg mußte ich mich der Post wegen 24 Stunden aufhalten. Herr Seipp und Herr Bulla waren mir entgegengefahren. Ich gestehe es, die Aufmerksamkeit gefiel mir. Glücklich, gesund und wohl kam ich den 11. in Innsbruck an. O das schöne Innsbruck! O die herrliche Gegend! Wenn die Menschen so sind, wie ihr Land, so bist du in deinem Element. – Das Mannheimer Beispiel konnte mich doch nicht verführen, und ich gab H. Seipp einen Louisd'or von dem Reisegeld zurück, den ich übrig behalten hatte. »Das heißt gewirtschaftet,« sagte er. Aber wie konnte ich meines Vaters Sinnspruch vergessen: »Besser Unrecht leiden, wie Unrecht tun«?!

Die Gesellschaft wurde erst errichtet, alle Mitglieder waren neu. Herr Seipp und Herr Bulla standen in Kompagnie. Der Herr Graf von Ferraris führte die Oberdirektion. Das Militär war abonniert. Aufrichtig gesagt, nie habe ich mich erkundigt, was und wie viel Herr Seipp und Herr Bulla hatten. Ich wußte sonst von weiter nichts als das: Wenn ja nicht so viel einkäme, wie die Ausgabe wäre, es die Noblesse aus ihren Mitteln ersetzte. Sehr selten soll Innsbruck ohne Theater gewesen sein. Sie haben sowohl große italienische Oper, wie deutsches Theater gehabt. Wie viel mußte es der Noblesse in den Fasten gekostet haben?! Aber auch entsetzlich muß die Wirtschaft gewesen sein. Man sah es an der Garderobe. Von allem war etwas da, das andere war weg. Ich konnte nicht umhin, dem Herrn Grafen von Ferraris zu sagen, wie ich zum ersten Male die Garderobe sah: »Bei der Garderobe fällt mir die Unterredung des Wirts mit Just in der ›Minna von Barnhelm‹ ein. Von der einen Seite wäre das Zimmer des Majors noch tapeziert, und ehe der Nachbar die Aussicht verbaut, solche vortrefflich[89] gewesen.« Für Frauenzimmer waren 6 Robenleibchens da, aber nur eine Schleppe und mehr kein Rock dazu. Zu einem neuen Stück hatten sie unter anderen Kleidern auch ein schwarzsamtenes Mannskleid, mit rosa Atlas gefüttert und mit sehr hübschen Knöpfen von venezianischem Schmuck, machen lassen. Prächtig muß das Kleid ausgesehen haben. Nun hatte der ganze Rock noch 6 Knöpfe. Und auch die verloren sich nach und nach zu Ringen. Den letzten, den der Rock hatte, bat ich mir von Herrn Grafen von Ferraris aus zum Angedenken, und ich habe ihn noch.

Der Herr Graf erzählte mir, daß, wenn ein gutes neues Stück zu einem festlichen Tage wäre gegeben worden, auch alles neu dazu gemacht wurde, für Schauspieler und Ballett, sogar Flor, Blumen, Schmuck, Band, Federn – kurz: alles. So wurde einmal auch ein großes Türkenballett gegeben. Die Tänzer sollten auch türkisch beschuht sein. Einmal war's gemacht worden. Da man es wiederholen wollte, hatte nur noch der Ballettmeister und die erste Tänzerin ihre türkischen Tanzschuhe; alle übrigen Tänzer und Tänzerinnen hatten sie zu Pantoffeln im Hause aufgetragen. Nun mache man sich einen Begriff von dem Ganzen der Garderobe, die so viele Tausende muß gekostet haben.

Die Gesellschaften, die da waren, reisten immer im Sommer auf einige Monate weg, und da wurde die Garderobe mitgegeben. Nie kamen die Mitglieder der Gesellschaft alle wieder zurück. Die Aufseher der Garderobe waren nicht aufmerksam genug. Und dann, was sollte der Schneider einwenden, wenn die Frauenzimmer sagten: »Das Kleid gehört mir, das hat mir der oder der Herr Graf auf meinen Leib machen lassen und mir geschenkt.« »So kamen wir um unsere Garderobe, die uns so viel Geld gekostet hat.« So sagte mir der Herr Graf von Ferraris und mehrere. Und zweifeln konnte ich nicht an der Wahrheit.

Das ganze Personal zu Komödie und Ballett war 18 Personen stark. Unter diesen 18 war es beschaffen, wie bei jedem Theater. Es waren gute, mittelmäßige, schlechte; doch der letzteren nur wenige. Dafür aber fand ich Madame Paartl, wie ich sie noch auf keinem Theater gesehen. Ihr[90] Hauptfach waren die komischen Mütterrollen. Wenn die Frau zuweilen aufmerksamer in ihrer Akzentuation gewesen wäre, besser wie sie hätte keine wieder nach ihr werden können. So viel Natur, Gewandtheit; nicht ein Schatten von Uebertreibung. Kurz, ich sah noch bis jetzt, da ich dieses schreibe, keine Paartl in komischen Alten-Rollen. Sie war noch eine hübsche Frau. Um komisch sein zu wollen, hatte sie nicht nötig, ihr Gesicht zu beschmieren, das bei mancher komisch sein wollenden Schauspielerin oft aussieht, als wenn sie aus dem Schornstein gekrochen und der Zuschauer sich dabei Runzeln denken soll. Hohes oder blasses Rot auf den Backen und, weil sie sehr blond war, nicht sogenanntes rotes Haar; schwarze Augenbrauen, das war ihre ganze Malerei. Und Pech klebte sie auf einige ihrer schönen Zähne, daß es aussah wie Zahnlücken. Das war ihre ganze Veränderung, die sie mit ihrem Gesicht vornahm. Nun konnte sie aber sicher sein, daß sie mit diesem Gesicht machen konnte, was sie wollte. Auch in ihren ernsthaften Müttern und jungen Weibern war sie brav. Gern mußte man mit ihr spielen. Sie verdarb einem nichts, es mochte komisch oder ernsthaft sein. Und, wie gesagt, schade, daß die Frau über manches Feine, das oft in einer Rolle liegt, so leicht wegglitt, nicht mehr Aufmerksamkeit auf den wahren Sinn des Wortes legte. Groß würde man sie als Künstlerin mit Recht haben nennen können. Den österreichischen Dialekt, ja, den hatte sie; inzwischen ist der nicht so auffallend, wenn mehr so sprechen, als wenn er einzeln dasteht. Und ich weiß Beispiele, wo man auch den einzelnen in acht Tagen gewohnt war. – Herr Seipp wußte, was er sagte und spielte manche Rolle sehr gut, wußte, wie jede Rolle sollte gespielt werden, übernahm aber keine (es hätte ihn denn die höchste Not treiben müssen), von der er wußte, sie kleidete ihn nicht. Auch die Tänzer waren gut, Madame Simoni vorzüglich.

Kurz, dem Ganzen fehlte insoweit nichts, als daß sie sich zusammen recht einspielen mußten. Lust war bei allen, Fleiß nicht minder, und wir waren vergnügt. Keinem einzigen von den Schauspielern, die sich nicht in Ober- und Niedersachsen und am Rhein- oder Mainstrome aufhalten,[91] will man Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wahrlich, habe ich sie auch nicht so gut gefunden, so habe ich sie doch nicht schlechter gefunden, wie bei manchem großen Theater.

Und das Publikum? O, es gibt überall Kenner. Den Innsbruckern, Augsburgern und Linzern, da ich mich in diesen drei Städten drei Jahre aufgehalten, muß ich's zur Gerechtigkeit nachsagen: von Kabalen wußten sie nichts. Sie hoben nicht einen Schauspieler und Schauspielerin hervor, und wenn es auch ihr Liebling war, um den Nebenschauspieler zu stürzen oder Gelegenheit zu geben, daß sie sich des vorzüglichen Beifalls wegen hassen mußten, wenn sie sich nicht von selbst untereinander hassen wollten.

Ich war engagiert für die ersten Rollen im Lust- und Trauerspiel. Aber hätte es mir in den Sinn kommen können, im »Französischen Hausvater« die Cäcilie nicht spielen zu wollen, da ein ganz junges Frauenzimmer da war, die sich für die Sophie besser schickte wie ich? Es war Madem. Haller, jetzige Madame Scholtz, die Talente hatte und große Fortschritte tat. Und wenn sie so fortgefahren, muß sie jetzt eine unserer vorzüglich guten Schauspielerinnen geworden sein. Ich habe sie gewiß nicht unterdrückt, im Gegenteil sie aufgemuntert und zurechtgewiesen. Und wenn ich nicht auch sie zu den Undankbaren zählen soll, so muß sie gestehen, daß sie das nicht geworden, wenn sie nicht fast drei Jahre neben mir gespielt und aufmerksam zugesehen hätte, wie ich meine Rollen genommen und ausgearbeitet habe.

Oder hätte der »König Lear« und »Die sechs Schüsseln« nicht sollen gegeben werden, weil ich in dem ersten nicht die Regan hätte machen wollen und in dem zweiten nicht die Frau von Schmerling?! Letztere Rolle kam Mad. Paartl zu. Sie aber sagte: »Ich komme des Französischen wegen nicht mit der Rolle fort; ich bitte Sie, machen Sie sie.« Und nun spielte ich sie denn. Kurz, nie waren Schauspielerinnen friedfertiger und einiger zusammen.

Die Trägerin der ersten Rollen war eben nicht eifersüchtig auf allen Ruhm.

Wir spielten in Innsbruck vom 27. März bis zum 25. Juni. In dieser Zeit habe ich geliefert 32 neue Rollen[92] und acht von meinen alten, die ich in Leipzig, Hamburg und Gotha einstudiert hatte.

Auch wir machten eine Sommerreise und nahmen die Garderoben mit, denn wir sollten den Herbst wieder nach Innsbruck zurück. Die Reise war mir lieb, um in etwas mich zu erholen. Denn ich war nie gewohnt, nach dem Souffleur zu spielen. Ich mußte meine Rolle und das ganze Stück wissen, um meinen Charakter ganz zu treffen, jedes Wort, das von mir in dem Stück gesagt wurde. In fünf Stücken war ich frei. Folglich hatten wir 45 Stücke im ganzen, und ehe die gespielt waren, konnte man mit mehr Muße studieren. Die Reise war also notwendig. Ich wenigstens hätte es nicht ausgehalten, ohne krank zu werden. Die anderen konnten sich, ob sie es gleich auch hart hatten, eher durch den Souffleur helfen, aber das konnte ich nicht. Eher extemporierte ich in leichten Lustspielen und wendete mein Gedächtnis auf Stücke von Wichtigkeit.

Keiner klagte. Was eine Gesellschaft tun kann, wenn sie will und alles zusammen einig ist, davon will ich ein Beispiel anführen. Herr Bulla war verreist, und Herr Seipp bekam das Stück »Der Adjutant«. Wer kennt das sehr hübsche Stück nicht?! Sehr stark sind die Rollen nicht, aber sie wollen studiert sein, wenn das Stück gut gehen soll. Herr Seipp sagte: »Es bringt Geld in die Kasse und kann gewiß einige Male gegeben werden.« Das hörend, sagt ich: »Nun laßt uns wetteifern, wer seine Rolle am besten kann.« »Das wollen wir einmal sehen,« sagten die anderen. Wir hatten drei Proben, und manchen Auftritt probierten wir einzeln so oft, bis er ohne Anstoß ging. Und in Zeit von drei Tagen lieferten wir unseren »Adjutanten« ohne Anstoß. Wohl zu merken, daß in den drei Tagen neben dem Studieren auch gespielt wurde. Der Souffleur hatte wenig zu tun. Mad. Paartl spielte den Adjutanten brav, ich die Wilhelmine gewiß mit aller der Feinheit, wie sie gespielt werden muß, Mad. Seipp das Mädchen mit aller der Naivität, die in der Rolle liegt, Herr Seipp den General mit Gefühl und Wahrheit. Ich habe das Stück nicht und kann mich nicht auf alle die Namen besinnen. Aber jeder leistete das, was er sollte.[93] Der allgemeine Beifall, den wir hatten, lohnte uns reichlich, und schwer würde es dem geworden sein, der hätte entscheiden sollen, wer der vergnügteste von uns war. Wir gaben es kurz hintereinander dreimal.

Hier war man nicht einseitig und selbstsüchtig und wurden nicht nur Ariadnen, Medeen, Pygmalions und Polyxenas gegeben.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 89-94.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon