Neapel

1817


Neapel, den 1. Februar [1817]


Neapel, ohne sich durch schöne Bauart auszuzeichnen, gehört doch durch seine Lage und manche Eigentümlichkeiten zu den schönsten Städten der Welt. Kommt man von Rom, so vermißt man den großen, durch das Studium der Antiken gebildeten und gereinigten Geschmack in den Gebäuden und anderen Werken der bildenden Kunst, der jene Stadt für ewige Zeiten zu der interessantesten für das Studium der Architekten, Bildhauer und Maler gemacht hat; man wird aber durch andre Vorzüge, die Rom abgehen, hinlänglich entschädigt. Die Stadt gewährt durch ihre amphitheatralische Lage einen sehr imposanten Anblick und gewinnt durch die flachen Dächer und die mit lackierten, bunten Ziegeln gedeckten Kuppeln und Türme ein für einen Nordländer sehr ungewöhnliches orientalisches Ansehen. Sie ist überdies eine der lebhaftesten Städte der Welt, wenigstens eine der lärmendsten; denn obgleich Wien und Hamburg, die beiden volkreichsten Städte, die ich bis jetzt sah, verhältnismäßig ebensoviele Einwohner haben mögen wie Neapel, so scheint dieses doch, teils durch die südliche Lebhaftigkeit, teils durch den Umstand, daß hier alle Stände mehr auf den Straßen müßig gehen, als zu Hause arbeiten, noch viel belebter als jene Städte. Der Lärm auf den Straßen ist wirklich über alle Beschreibung groß, und man wird, bis man sich ein wenig daran gewöhnt hat, davon völlig betäubt. Alle Handwerker haben ihre Werkstätten auf der Straße: Schmiede, Schlosser, Kupferschmiede, Tischler, Schneider und Schuster – alles sitzt vor den Häusern bunt durcheinander und arbeitet. Dazu das Rasseln der Wagen und Fiaker, die in den Hauptstraßen fast immer in zwei Reihen fahren, das wilde Geschrei der Verkäufer, die einer den[1] andern immer zu überbieten suchen, und endlich die Lebhaftigkeit der sich auf der Straße Begegnenden und Unterredenden, von denen ein Deutscher immer glaubt, daß sie sich heftig zanken, wenn sie doch nur vom Wetter oder unbedeutenden Stadtneuigkeiten reden. Auffallender wie in irgend einer Stadt der Welt ist aber auch der Kontrast zwischen dem Luxus in den Equipagen und der Garderobe der Vornehmen und dem Schmutz und der Blöße der ärmern Klasse, besonders der sogenannten Lazzaroni. Diese sieht man mitten unter der eleganten Welt in ganzen Familien auf der Straße liegen und sich von den halbnackten Körpern die Läuse absuchen. Einen ekelhaftern Anblick habe ich nie gehabt! Und doch gab es vor Murats Regierung, der alle rüstigen Lazzaroni unter die Soldaten steckte, hier von diesem Gesindel eine noch weit größere Menge.

Die nahen und fernern Umgebungen von Neapel sind groß und mannigfaltig. Ich werde von ihnen reden, sowie wir sie nach und nach besucht haben werden.


Neapel, den 3. Februar [1817]


Gestern machten wir unsern ersten Ausflug. In Gesellschaft unsrer schlesischen Landsleute, der Herren von Raumer, von Lattorf, Hagen und Kruse, fuhren wir zuerst nach Portici und besahen das Museum. In einer Reihe von Zimmern werden die in Herkulaneum und Pompeji gefundenen Gemälde und Zimmerverzierungen aufbewahrt, die man dort mit dem Gips aus der Wand genommen und hier in Rahmen mit Glastüren versehen aufgehängt hat. Die Farben haben sich auf den meisten vortrefflich gehalten, besonders ein sehr schönes Rot. Die Zimmerverzierungen, in Arabesken, kleinen Landschaften und Tierstücken bestehend, sind fast alle gut gemalt. Die aus Tempeln und öffentlichen Gebäuden genommenen größern historischen Gemälde haben großen Kunstwert und zeichnen sich durch Zeichnung und Kolorit aus. Einige davon sind wunderbar gut erhalten und scheinen erst kürzlich gemalt zu sein. Außer diesen Gemälden bewahrt man noch in einem Zimmer allerhand Eisengeräte, einen Helm sowie einige irdene Vasen und verschiedene Sorten von der glühenden Asche halb verbrannter Getreidearten, als Roggen, Gerste, türkischen Weizen, Bohnen u. dgl. m., auf. Man erkennt dieses Getreide sehr deutlich, und wir fanden es in Größe und Gestalt völlig dem unsrigen gleich. Alle übrigen Antiquitäten, die ehemals hier aufbewahrt wurden, sind jetzt in Neapel, und man ist willens, auch die Gemälde dorthin zu bringen.[2]

Da das Wetter sehr schön war, so bekamen wir Lust, sogleich den Vesuv zu besteigen. Da es für Frauen und Kinder fast unmöglich ist, die letzte steile Höhe zu erklimmen, so kehrten Dorette und die Kinder in Gesellschaft von Herrn Kruse nach Neapel zurück. Wir andern mieteten uns Esel für den Hin- und Herweg für den äußerst geringen Preis von vier Carlini (etwa 11 gGr.) und machten uns sogleich mittags zwölf Uhr auf den Weg. Anfangs geht es zwischen Weinbergen etwa anderthalb Stunden lang nur allmählich bergauf; doch wird der Weg schon beschwerlich, weil er sehr uneben und steinig ist. Wir sahen mehrere Weinberge statt der Hecken mit großen Aloestauden eingefaßt. Nach anderthalb Stunden kamen wir an eine Ebene, die in grauser Verwüstung vor uns lag und bis an den Fuß des eigentlichen Vesuv reichte. Nirgends eine Spur von Vegetation, allenthalben nur aufeinander geschobene Lavamassen! Unser Weg führte uns nun links quer hinüber zu einem Bergrücken, der wie eine Insel mitten aus dieser furchtbaren Wüstenei hervorragt. Auf diesem liegt die sogenannte Einsiedelei, ein aus zwei Stockwerken bestehendes Gebäude, wo wir uns mit Brot, Wein, Käse und Früchten erquickten und die herrliche, schon ziemlich ausgebreitete Aussicht genossen. Nach kurzer Ruhe machten wir uns in Gesellschaft von zehn Engländern, die wir hier vorfanden, wieder auf den Weg, der immer auf der Schärfe des Bergrückens bis an den Fuß des Kegels fortläuft. Dieser Teil des Weges ist der bequemste, immer zwischen niedrigem Gebüsche von süßen Kastanien, mit dem Blick auf die mit schwarzer Lava bedeckte Ebene. Nach einer halben Stunde gelangten wir zu der steilsten Anhöhe, an deren Fuß die Esel zurückbleiben müssen. Nun fängt ein saueres Stück Arbeit an. In tiefer Asche ohne festen Grund gleitet man bei jedem Schritte so weit wieder zurück, daß man oft kaum einen Zoll vorwärts zu kommen vermag; und dabei ist der Berg so steil, daß man auch die Hände zu Hilfe nehmen muß. Glücklicherweise läuft fast von der ganzen Höhe ein Lavaguß herab, der wie ein Felsenriff aus der Asche hervorragt. Hat man diesen erst erreicht, so geht es leichter, weil man nun wieder einen festen Tritt hat. Sollte man immer wie im Anfang in der Asche waten, so würde man einen ganzen Tag allein zu dieser Anhöhe gebrauchen. Eine gute Stunde gebrauchten wir indessen doch auch, ob wir gleich mit frischen Kräften und mit der Begierde, bald oben zu sein, unsre Wanderung antraten. Oben angelangt, sahen wir wieder eine kleine Ebene vor uns, wo an vielen Stellen zwischen den Lavafelsen ein weißer Schwefeldampf aufstieg. Der Boden war hier mehr oder weniger heiß, und die Fußtritte klangen hohl. Nachdem wir schnell[3] darüber weggeeilt waren, hatten wir noch eine, jedoch kleinere Anhöhe zu ersteigen und sahen dann in mäßiger Entfernung die beiden jetzt feuerspeienden Kegel vor uns. Wir setzten uns zwischen den Lavafelsen auf den Boden und befanden uns da wie in einer geheizten Stube, indem eine große Hitze aus der Erde quoll, die uns aber, da sie keine Betäubung verursachte, sehr angenehm war, da wir alle sehr geschwitzt hatten. Nachdem wir einige Zeit hier geruhet hatten, tat jemand aus der Gesellschaft die Frage, ob man nicht zwischen den beiden Kegeln hinauf bis dicht an den Krater vordringen könne? Alle Führer antworteten aber mit Nein und versicherten, es sei gefährlich, sich noch mehr demselben zu nähern. Soviel sahen wir wohl selbst, daß es nicht möglich sein würde, von unserm Standpunkte gerade hinaufzusteigen, weil wir sonst Gefahr gelaufen wären, von dem Rauche des zur Linken gelegenen Kraters erstickt zu werden. Allein einen Weg links um die Krater herum zu finden und dann von der Windseite zu dem einen hinaufzusteigen, schien uns in dem Bereiche der Möglichkeit zu liegen, und so machten wir uns auch sämtlich auf den Weg; nach einigen Einwendungen folgten auch die Führer. Wir waren aber kaum ein paar hundert Schritte gegangen, so warf der eine der Krater mit einem fürchterlichen Gekrach eine ungeheuere Menge glühender Steine aus, von denen einige nicht allzuweit von uns niederfielen. Dieses Ereignis brachte schnell die ganze Karawane ins Stocken; nach einigem Bedenken machten sich indessen die Vordersten doch wieder auf den Weg, und wir übrigen folgten. So gelangten wir nach einem mühevollen Wege hinter den links gelegenen Krater und fingen von da an den Kegel zu ersteigen. Dies war aber die beschwerlichste Arbeit des ganzen Tages, weil wir jetzt, bis an die Knie in der Asche, eine sehr steile Anhöhe erklimmen mußten. Nach vieler Mühe sahen wir uns indessen doch endlich oben und standen nun auf dem schmalen Rande des Kraters, der wie ein Trichter, etwa zweihundert Fuß an der obern Öffnung im Durchmesser, gestaltet ist. Nachdem wir einige Minuten hier verweilt und den Ausbrüchen des andern Kraters, der unterm Winde vor uns lag, zugesehen hatten, wurde der, bei welchem wir standen, plötzlich ganz von Rauch befreit, und wir konnten nun in die grause Tiefe hinabschauen. Da sahen wir in dem Grunde des Trichters zwischen Felsenmassen große Schlünde, aus denen die Flammen hervorbrachen; doch da gleich wieder Rauch darauf folgte, so war dieser Blick nur von kurzer Dauer. Einer der Engländer bekam sogar Lust, in einem Augenblick, wo der Rauch von dem Krater, auf dessen Rande wir standen, nicht stark war, auch zu dem andern hinüberzulaufen,[4] um einen Blick in dessen Tiefe zu werfen. Er hatte aber kaum den Rand erreicht, so erfolgte ein glücklicherweise nicht sehr starker Ausbruch, vor dem er kaum noch Zeit genug hatte, sich wieder zu uns zu retten. In demselben Augenblicke fing auch ein dritter Krater hinter uns an zu lärmen, und nun war es hohe Zeit, uns aus dem Staube zu machen. Jener warf zwar nur Asche aus, wurde aber durch den Schrecken, den er uns eingejagt hatte, unser Erretter vom völligen Untergange; denn kaum waren wir wieder auf unserm alten Lagerplatze, so warf der bis jetzt sehr ruhige Krater, an dessen Rande wir gewesen waren, eine solche Menge glühender Steine aus, und zwar gerade nach der Seite hin, wo wir gestanden hatten, daß wir sämtlich erschlagen und verschüttet worden wären, hätten wir uns noch fünf Minuten dort oben verweilt. Nachdem wir uns von unserm starren Schrecken erholt hatten, mußten wir uns eingestehen, daß es sehr vorwitzig war, uns trotz der Warnung der Führer so weit hinauf zu wagen.

Wir lagerten nun wieder auf unserm warmen Platze und verzehrten die mitgebrachten Vorräte. Es war ein schauerlicher Gedanke, bei anbrechender Nacht, weit entfernt von allen lebenden Wesen, hier auf einer vielleicht nicht sehr dicken Kruste, die doch über kurz oder lang einmal einbrechen wird, über einem Feuermeer zu schweben, rund umgeben von der schrecklichsten Verwüstung. Mehrere aus der Gesellschaft machten die Bemerkung, daß es doch eine wahre Torheit sei, sein Leben so dem Ungefähr anzuvertrauen, um eine eitle Neugierde zu befriedigen. Diese Betrachtungen hinderten indessen nicht, daß wir die mitgebrachten Eier, die die Führer zu unsern Füßen in der heißen Asche kochten, mit vielem Appetit verzehrten und uns dazu einen Trunk Lacrimae Christi trefflich schmecken ließen.

So erwarteten wir die Nacht, sahen die Sonne ins Meer untertauchen und hinter den Kratern den Vollmond aufgehen, dessen gelbes Licht zu dem roten Feuer derselben einen herrlichen Kontrast bildete. Zu unsrer Rechten erblickten wir zu gleicher Zeit den Widerschein der aus einer Seitenöffnung des Berges hervorbrechenden Lava, wohin man aber ohne große Gefahr nicht gelangen kann.

Um sieben Uhr machten wir uns auf den Rückweg, der anfangs, weil wir auf der Schattenseite des Berges hinabsteigen mußten, sehr beschwerlich und wegen der Dunkelheit auch gefährlich war. Wie wir dann aber die steile Stelle erreicht hatten, führten uns die Führer auf einen andern Rückweg, wo wir in hoher Asche mit Riesenschritten sehr schnell hinabrutschten. Unten fanden wir unsre Esel, auf denen wir im[5] herrlichsten Mondenscheine nach Portici zurückritten. Abends um zehn Uhr langten wir höchst vergnügt über den äußerst interessant verlebten Tag wieder in Neapel an.


den 7. Februar [1817]


Bei dem fortdauernd schönen Frühlingswetter machen wir täglich einen Spaziergang, um uns mit den nahen Umgebungen der Stadt bekannt zu machen. Der Kinder Lieblingsspaziergang ist auf den Hafendamm, auf dem der Leuchtturm steht, weil sie teils das bunte Leben im Hafen selbst sowie der Anblick der verschiedenartigsten Schiffe, vom Kriegsschiff von hundert Kanonen an bis zur Fischerbarke herab, unendlich ergötzt, teils der Weg dahin das Treiben der niedern Volksklassen recht lebendig dem Auge vorüberführt. Vom S. Carlo-Theater bis zum Hafen ist nächst der Toledostraße das größte Gedränge; da befinden sich in geringer Entfernung alle die kleinen Winkeltheater, die den ganzen Tag über spielen, und zu deren Besuch auf einer Erhöhung ein paar Geiger und ein Hanswurst unaufhörlich einladen. Zwischen ihnen stehen die Buden der Marktschreier, die hoch auf einem Tische ihren zahlreichen Zuhörern und Käufern ihre Medikamente anpreisen. Auf dem Hafendamme, wo es kein Wagengeräusch gibt, schlagen die Puppenspieler ihre ambulierenden Theater auf, und die Improvisatoren unterhalten die Neapolitaner von den Heldentaten ihrer Vorfahren. Zuweilen liest ein solcher auch vor und erklärt nachher das Gelesene. Hier wimmelt es aber auch von unverschämten und ekelhaften Bettlern und verschmitzten Taschendieben, so daß man sich vor denselben nicht genug in Acht nehmen kann. Bei den ersten Spaziergängen dahin habe ich jedesmal mein Taschentuch eingebüßt. Erwartet man hier die Nacht, so gewährt der Vesuv mit seinem roten Feuer im Kontraste zu dem weißen Leuchten des Pharus einen herrlichen Anblick.

Das Ziel eines zweiten, ebenso interessanten Spazierganges ist der königliche Garten an der Chiaia. Er zieht sich in einer beträchtlichen Länge dicht am Meere hin und besteht aus drei sehr breiten Alleen und kleinen englischen Anlagen zu beiden Seiten. Es zieren ihn viele schöne Statuen und Gruppen von Marmor; in der Mitte steht der berühmte farnesische Stier, eine vortreffliche Antike von einem griechischen Meister, an beiden Seiten viele vortreffliche Kopien antiker Meisterwerke, wie die des Apoll von Belvedere, des Sabinerraubs und anderer. Von elf Uhr an versammelt sich hier an schönen Tagen die Beau monde, um zu schauen und sich beschauen zu lassen. Geht man an der Chiaia[6] immer weiter, so kommt man bald auf die Straße, die durch die Posilip-Höhle nach Pozzuoli führt. Diese wenigstens tausend Schritt lange Durchfahrt quer durch einen beträchtlich hohen Berg ist wohl die merkwürdigste in ihrer Art; denn die durch den Felsen gesprengten Passagen auf der Straße über den Simplon sind nur Kinderspiel gegen dieses Werk. Der Eingang auf dieser Seite zwischen himmelhohen Felsen ist besonders romantisch; schon von weitem hört man den Donner der durchfahrenden Wagen, und man behauptet, daß in der Nacht, wenn hier alles einsam ist, selbst die in den Straßen der Stadt fahrenden Wagen einen donnerähnlichen Widerhall in diesem Felsenwege verursachen. Das Innere der Höhle ist Tag und Nacht mit vielen Laternen erleuchtet. Am Eingange und in der Mitte befinden sich Kapellen, bei welchen die Durchpassierenden um Almosen gebeten werden. Über dem Eingang hoch auf Felsen zeigt man eine kleine Höhle, wo der unsterbliche Dichter Virgil begraben sein soll.

Vor einigen Tagen bestiegen wir auch das Fort S. Elmo, von wo man eine köstliche Aussicht über die ganze Stadt und den weiten Meerbusen hat. Auch die zwar viel beschränktere, aber wegen der Nähe des Hafens sehr interessante Aussicht vom Leuchtturm haben wir bereits genossen.


den 12. Februar [1817]


Gestern Abend sind wir von einer herrlichen Ausflucht nach den Inseln zurückgekommen. Am Sonntag mittag fuhren wir in Gesellschaft unsrer drei schlesischen Landsleute in einer eigens gemieteten Barke nach Ischia. Zuerst mußten wir das Vorgebirge Posilipo umschiffen, dann lag Nisida und Procida ganz nahe, Cap Misen etwas zurück und Ischia in weiterer Ferne in gerader Richtung vor uns. Diese Inseln und Vorgebirge mit ihren steilen, himmelanstrebenden Felsen am Meerbusen und mit ihrer üppigen Fruchtbarkeit im Innern gewähren jeden Augenblick, je nachdem man sich wendet, neue Ansichten, bald lieblichen, bald kühnen großartigen Charakters. Procida besonders, einer der bevölkertsten Punkte des ganzen Erdbodens, gewährt vom Meer gesehen eine herrliche Ansicht, weil die ganze Insel nur eine große Stadt zu sein scheint. Da der Wind uns ziemlich heftig entgegenwehete, so kam die Nacht heran, ehe wir Ischia erreichen konnten. Der schöne Abend ließ uns aber die Verspätung nicht bedauern. Die Sterne leuchteten mit einem Glanze, wie sie in Deutschland wenigstens nie gesehen werden; besonders glänzte die Venus in einem so klaren Lichte, daß dieses auf dem Meere einen Schein warf wie sonst der Mond, und man recht[7] deutlich einen Schatten bemerken konnte. Auch das Meer leuchtete bei jedem Ruderschlage mit einem Schein, dem der Johanniswürmchen gleich. Gegen acht Uhr landeten wir endlich an der nördlichen Küste der Insel und fanden in dem schönen Hause eines Geistlichen ein bequemes Nachtlager.

Am andern Morgen machten wir uns bald auf den Weg, um das Innere der Insel zu sehen und den Epomeo zu besteigen. Da es auf Ischia weder Wagen noch Fahrstraßen gibt, so setzten wir uns sämtlich auf Esel, die uns bequem und sicher auf der steinigen und unebenen Straße forttrugen. Wir kamen durch sehr fleißig angebaute Ebenen nach –, einer kleinen, aber lebhaften Stadt am Ufer des Meeres; dann immer am Fuße des Epomeo zwischen Weinbergen an die entgegengesetzte Seite des Berges, wo er bequemer zu ersteigen ist. Nachdem wir auf steinigten Wegen bis zur Hälfte hinaufgekommen waren, wurde zur Erfrischung der Tiere eine Stunde Halt gemacht und dann die zweite, noch beschwerlichere Hälfte zurückgelegt. Leider hatte sich aber unterdessen der Himmel umwölkt, und, auf der Bergspitze angelangt, wurden wir in eine dichte Nebelwolke eingehüllt. Wir traten in eine geräumige, aus mehreren Zimmern, Gängen und einer Kapelle bestehende Eremitage; sie ist der bei Freiburg in der Schweiz ähnlich und ebenso wie jene von zwei fleißigen Einsiedlern in den Felsen gehauen. Hier erwarteten wir sehnsuchtsvoll, daß es sich aufklären würde, und hatten auch einige Male freie Blicke durch die Wolken auf die Fläche der Insel, die wie eine Landkarte in weiter Tiefe vor uns lag; allein die Fernsicht nach Neapel, Capri und Sorrento blieb uns verdeckt. Wir mußten uns endlich wieder auf den Weg machen, ohne von oben diese herrliche Aussicht, die vielleicht eine der schönsten der Welt ist, genossen zu haben, und glaubten schon unsre beschwerliche Tour ganz nutzlos, als sich plötzlich, nachdem wir wieder etwas niedriger unter der Wolkenlage angekommen waren, die ganze prachtvolle Ansicht der Inseln, Vorgebirge und Meerbusen mit dem rauchenden Vesuv im Hintergrunde unsern entzückten Augen darstellte. Lange blieben wir in diesen einzig herrlichen Anblick versunken, und als dann endlich die scheidende Sonne zum Aufbruch mahnte, kehrten wir auf dem kürzesten, aber steilsten Wege, wo wir uns der Esel nicht bedienen konnten, zu unserm vorigen Nachtquartier zurück. Der Epomeo, der vor 450 Jahren noch ein feuerspeiender Berg war, trägt auf dieser Seite, die noch viel wilder als die entgegengesetzte ist, Spuren ehemaliger vulkanischer Ausbrüche. Der Weg führte uns beinahe fortwährend über nun fast verwitterte Lava. Auf den Felsen sahen wir häufig Levkojen in der Blüte,[8] die hier und auch bei Neapel wild wachsen. Am Wege blüheten Veilchen und andere, bei uns nicht einheimische Blumen, sowie in den Gärten der Mandelbaum. Zuletzt kamen wir noch an einen Ort, wo sich warme Bäder befinden, die im Sommer von den Neapolitanern häufig besucht werden. Zu Hause erwartete uns eine reich besetzte Tafel, an der wir es uns nach all den Beschwerden des Tages trefflich schmecken ließen. Besonders behagte uns ein feuriger weißer Ischiawein von 1811.

Am andern Morgen um acht Uhr schifften wir uns wieder ein und landeten zuerst am Cap Misen, wo wir den größten unterirdischen Behälter von süßem Wasser, aus dem die römische Flotte versorgt wurde, und die cento camere des Nero, wahrscheinlich Gefängnisse für Kriegsgefangene, besahen. Dann ließen wir uns quer über den Meerbusen nach Pozzuoli übersetzen und begannen dort eine neue Wanderung nach Altertümern. Beim Hineinfahren in den Hafen waren wir an den noch stehenden Pfeilern und Bogen der Brücke des Caligula vorbei gekommen, die dieser über den Meerbusen schlagen wollte. Obgleich nur von Backsteinen erbaut, trotzen diese Überbleibsel, durch ihren vortrefflichen Kitt zusammen gehalten, nach so vielen Jahrhunderten den ewig sich daran brechenden Wogen des Meeres.

Unser Cicerone führte uns zuerst nach der Solfatara, einem runden, flachen, ringsum mit Felsen umgebenen Felde, augenscheinlich ein ehemals eingestürzter Krater. Das unterirdische Feuer brennt aber noch fortwährend, denn an vielen Stellen dringt Rauch aus der Erde und setzt wie auf dem Vesuv Schwefel an. Der Boden ist an diesen Orten glühend heiß, und die Fußtritte klingen hohl. Unser Führer warf einen großen Stein auf die Erde, wodurch der Boden weit im Umkreise erschüttert wurde und einen hohlen, sehr starken Ton von sich gab.

Von da gingen wir zu einem ebenfalls unterirdischen Wasserbehälter, der dem auf Cap Misen ähnlich ist; dann sahen wir Ruinen von einem Amphitheater und mehreren Tempeln und gelangten zuletzt zu dem interessantesten Altertum der ganzen Gegend – zu den wiederaufgegrabenen Ruinen des Serapistempels nahe am Meere. Es ist über alle diese Altertümer so viel geschrieben worden, daß es überflüssig wäre, hier etwas darüber zu sagen. Die Ruinen des Serapistempels sind aber so interessant und geben einen so anschaulichen Begriff von seiner ehemaligen Pracht und Größe, daß es ihretwegen schon allein der Mühe lohnt, eine Reise hierher gemacht zu haben. Gegen Abend kehrten wir in einem Wagen durch die Posilip-Höhle nach Neapel zurück.
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den 15. Februar [1817]


Da ich jetzt einige Male das S. Carlo-Theater besucht habe, so getraue ich mir ein Urteil darüber niederzuschreiben. Beim ersten Besuche ging es mir damit wie mit der Peterskirche, es schien mir nicht so groß, als es wirklich ist, und ich mußte mir wiederholt versichern lassen, daß es um vier Schuh breiter und, ich weiß nicht, um wieviel länger sei als das Mailänder, ehe ich daran glauben konnte. Als aber der Vorhang aufgezogen wurde und ich das Verhältnis der Menschen gegen die auf den Dekorationen gemalten Gegenstände sah, merkte ich wohl, daß ich hier ebenfalls durch die guten Verhältnisse der kolossalen Einzelheiten getäuscht worden war. Hier zum ersten Male kamen mir die Pferde nicht unverhältnismäßig groß gegen das übrige vor, und die Menschen, welche man in der äußersten Tiefe des Theaters sah, standen noch in richtigem Verhältnisse gegen die sie umgebenden Gegenstände. Für das Ballett und die Pantomime kenne ich daher kein passenderes Lokal, und es lassen sich hier militärische Evolutionen von Infanterie und Kavallerie, Gefechte, Seestürme u. dgl. geben, ohne ins Kleinliche und Lächerliche zu fallen; für die Oper ist das Haus aber zu groß. Obgleich die Sänger, Madame Colbran und die Herren Nozzari, Benedetti usw. sehr starke Stimmen haben, so hört man doch nur die höchsten, mit Anstrengung herausgeschrieenen Töne; aller zarte Gesang geht durchaus verloren. Dies soll nun freilich vor dem Brande nicht der Fall und das Theater damals eben so sonor wie das Mailänder della Scala gewesen sein. Man schreibt diese nachteilige Veränderung drei Ursachen zu: 1) ist das Proscenium um einige Schuh erweitert worden; 2) die Decke nicht mehr so gewölbt wie ehemals, und 3) hemmen die hoch vorstehenden Stukkaturverzierungen den Ton und werfen ihn nicht zurück. Ist das Haus wirklich ehemals so sonor gewesen, so hat man es bei dem neuen Bau gewaltig verballhornt, und man täte sehr gut, all den unnötigen Plunder von Verzierungen und Vergoldungen, der überdies gewaltig schwer und nicht im besten Geschmack ist, je eher, je lieber hinauszuwerfen, um die ehemaligen Vorzüge wieder zu gewinnen.

Die erste Oper, die ich sah, war »Gabriella di Vergi« vom Grafen Carafa, der ehemals bloß Dilettant war, jetzt aber, als ein unbemittelter, jüngerer Sohn der Familie, Künstler geworden ist und als solcher sein Brot zu gewinnen sucht. Die Oper hat mir sehr wohl gefallen, ohne mich gerade besonders anzuziehen. Der Stil ist gleich und würdevoll, das Orchester aber zu überladen, und die Singstimmen sind zu sehr gedeckt. Die Aufführung war sehr präzis, sowohl von Seiten der[10] Sänger als auch des Orchesters. Letzteres ist unter der genauen, feurigen, nur etwas zu lauten Direktion des Herrn Festa sehr gut eingespielt, hat aber zu wenig Nuancen von Piano und Forte; besonders sind die Blasinstrumente im Piano immer zu stark. Von den Sängern läßt sich weiter nichts sagen, als daß sie gute, starke Stimmen haben. Ob sie sich aber durch guten Vortrag auszeichnen, kann man in diesem Theater nicht beurteilen; denn entweder hört man sie schreien, oder man hört sie gar nicht. Nach der Oper gab man das von Duport in Szene gesetzte Ballett »Aschenbrödel« mit einem großen Aufwand in Dekorationen, Garderobe und Komparserie. Außer Duport und seiner Frau zeichneten sich noch die Tänzer Vestris, Taglioni(?) und einige Tänzerinnen aus, deren Namen ich nicht weiß. Die Musik war beinahe die nämliche, die wir bei demselben Ballett in Wien hatten; eine neu hinzukomponierte Polonaise vom Grafen Gallenberg, dem hiesigen Ballettkomponisten, zeichnete sich durch Originalität und Lieblichkeit aus. –

Eine andre Oper, ebenfalls von einem Dilettanten, Herrn Carlo Saccenti, wurde vor acht Tagen gegeben, nachdem man länger als drei Monate daran studiert und probiert hatte. Der König, der den Komponisten gewaltig protegiert, hatte sie zur Eröffnung des S. Carlo-Theaters bestimmt, und Mayr, den der Impresario hieher berufen hatte, um eine neue Oper für diesen Zweck zu schreiben, mußte mit der seinigen zurück stehen. Da man aber später sah, daß es unmöglich sein würde, sie zur bestimmten Zeit einzustudieren, so ließ man von Mayr noch in der Geschwindigkeit eine Kantate schreiben, mit welcher das Theater sodann am 12. Januar wirklich eröffnet wurde. Diese Kantate soll nach dem Urteile der Kenner, obgleich sehr schnell geschrieben, doch viel schöne Musik haben; da aber der Text, der den Brand des Theaters zum Gegenstande hat, sich sehr wenig zur Komposition eignete, mußte sie wohl etwas kalt geraten. So konnte es nicht fehlen, daß bei der geringen Aufmerksamkeit des Publikums, welches durch die brillante Beleuchtung des Hauses und die Pracht und spanische Etikette, in welcher der Hof der Eröffnung des Theaters beigewohnt, zerstreut wurde, auch die Aufnahme der Kantate sehr kalt sein mußte. Eigentlich mißfallen hat sie aber nicht. Nachdem dieselbe in Szene gesetzt war, begann man von neuem an der Oper von Saccenti zu studieren. Alles, was von diesen Proben ins Publikum kam, klang sehr widersprechend. Seine Freunde meinten, er habe ein Werk gemacht, das durch seine Originalität und Vortrefflichkeit eine gänzliche Reform in der Gesangskomposition herbeiführen würde, die Sänger[11] und Musiker hingegen, daß sie in ihrem Leben noch nichts Verrückteres, Langweiligeres und Inkorrekteres gesungen und gespielt hätten. Die Unparteiischen vermuteten, es würde die Wahrheit, wie gewöhnlich bei so verschiedenen Urteilen, in der Mitte liegen; ich überzeugte mich aber bald in einigen Proben, denen ich beiwohnte, daß die Musiker in ihrem Urteile vollkommen recht hatten. Man würde mit aller Mühe kaum etwas Unzusammenhängenderes, Inkorrekteres und Verrückteres von Musik zusammenbringen, wenn man auch mit Fleiß darauf ausginge, allen bis jetzt durch Erfahrung bewährten Regeln von Rhythmus, Periodenbau, Harmonie und Instrumentierung entgegenzuhandeln. Da war keine Spur von Gesang oder vernünftiger Fortführung einer Idee; alle drei Takte etwas anderes mit den inkorrektesten Modulationen. Gleich in der Introduktion kommen drei häßliche Quinten hintereinander vor. Auf Erinnern eines der Musiker hat sie der Komponist sehr sinnreich mit dem Beispiele jenes englischen Matrosen verteidigt, der angeklagt wurde, drei Weiber genommen zu haben, nach den Gesetzen aber frei gesprochen werden mußte, weil in ihnen nur das Verbot, zwei Weiber auf einmal zu nehmen, enthalten, von dreien aber nicht die Rede war; auf gleiche Weise, meint der Komponist, sei es verboten, zwei Quinten aufeinander folgen zu lassen, aber drei höben das Verbot auf.

Endlich nach noch unzähligen Proben fand die Aufführung in Gegenwart des Hofes und bei voll gedrängtem Hause statt. Trotzdem daß hier im Theater bei Anwesenheit des Hofes eine sehr steife spanische Etikette herrscht, die z.B. befiehlt, daß beim Eintritt des Königs in die Loge der Vorhang aufgezogen werden muß, wodurch die armen Sänger in die Lage versetzt werden, sich während der ganzen Dauer der Ouvertüre beschauen zu lassen, ohne sich in dem Geist ihrer Rollen bewegen zu können; die ferner jede Äußerung von Beifall oder Mißfallen verbietet; trotz diesem Zwang, der ein unbefangenes Urteil hemmt, wurde die Oper in optima forma ausgepfiffen; tags darauf, wo ich der zweiten Aufführung beiwohnte, ebenfalls, ohne daß es auch nur einer von den Freunden des Komponisten gewagt hätte, zu klatschen. Mit dieser zweiten Vorstellung, der auch ich beiwohnte, wurde die Oper auf ewige Zeiten begraben. Sie heißt »Aganadeca«, der Dichter Signore Vincenzo de Ritis. Die Dichtung nach Ossian soll nicht ohne Verdienst sein, und man bedauert, daß sie keinem bessern Komponisten in die Hand gekommen ist. Dieser ist übrigens noch nicht zur Erkenntnis gekommen; er gibt der wenigen musikalischen Bildung des neapolitanischen[12] Publikums die Schuld und will sein Werk nach Deutschland schicken. Apollo und die Musen geben ihren Segen dazu!


den 20. Februar [1817]


Vorgestern ist der Karneval geschlossen worden und die Fasten haben begonnen. Nach dem Lärm der letzten Karnevalstage tut die nun eingetretene Stille recht wohl, obgleich die Abende auch ein wenig langweilig werden, da sämtliche Theater auf vier Tage geschlossen sind. Nächsten Sonntag werden sie aber von neuem wieder eröffnet. Im S. Carlo-Theater wird man statt der sonst gebräuchlichen Oratorien dieses Jahr Opern wie gewöhnlich geben, doch ohne Ballett[e], die in dieser Zeit ganz verboten sind. Im Theater Fiorentino sahen wir eine Oper von Guglielmi dem Sohn, »Paolo e Virginia«, die ziemlich gefallen hat. Sie hat viele recht artige Musikstücke, ohne daß sich indessen etwas besonders auszeichnete. Recht italienisch abgeschmackt ist aber die Musik zum dritten Akt, wo Paul während des Meersturmes eine Arie in der gewöhnlichen Form mit den ebenso gewöhnlichen, faden Zwischenspielen singt und sich in Trillern und Passagen abarbeitet, während er weit gescheiter täte, seiner Geliebten zu Hilfe zu eilen. Dieser Meersturm ohne eine passende Musik war daher das Lächerlichste, was ich je auf dem Theater gesehen habe, und ließ gar keine Teilnahme an der Handlung bei dem Zuschauer aufkommen. Freilich war auch die Maschinerie auf diesem Theater gewaltig kleinlich und kindisch. Unter den Sängern zeichneten sich die Damen Chabran und Canonici sehr aus. Erstere hat eine schöne Sopranstimme, viel Geläufigkeit und gute Schule, letztere dieselben Vorzüge bei einer kräftigen Contrealtstimme. Besonders gut haben sie ihre Duette zusammen einstudiert. In diesem Theater fanden wir bei vollem Hause und bei einer schon oft wiederholten Vorstellung zum ersten Male in Italien ein aufmerksames, ruhiges und empfängliches Publikum. Das Haus ist geräumig und hübsch dekoriert, die Szene aber sehr schmal und eng. – Der Komponist dieser Oper ist vor ein paar Tagen gestorben. Er war sehr kränklich und wollte doch nicht, dem Verbot des Arztes gemäß, sich der Arbeit enthalten und wurde so ein Opfer seiner Kompositionslust.

Den Schluß des Karnevals hatte ich mir weit lustiger gedacht, als wie ich ihn gefunden habe. Der ganze Spaß bestand darin, daß sich halb Neapel zu Wagen und zu Fuß, maskiert und unmaskiert in der Straße Toledo zusammendrängte, dort auf- und abwogte und sich mit Gipskügelchen warf. Die Masken in den Wagen hatten hierzu ganze Körbe voll solcher Kügelchen und Schaufeln, um sie bis zu den Balkonen hinaufzuschnellen.[13] An der Linken waren sie mit einem Schilde von Blech bewaffnet, um die Würfe andrer Masken aufzufangen. Da die Kügelchen oft von ziemlich grobem Korn waren und mit aller Kraft geworfen wurden, so fiel der Spaß für die unmaskierten Personen ziemlich derb aus, und manche Dame mag wohl an Hals und Armen blaue Flecken davongetragen haben. Demungeachtet entstand nirgends Streit, da die Maskenfreiheit aller Unart zur Entschuldigung dient. Auf den Maskenbällen im S. Carlo-Theater soll es ziemlich langweilig gewesen sein; an Charaktermasken hat es zwar nicht gefehlt, wohl aber an Witz und Geschick, um die Charaktere dem Kostüm gemäß durchzuführen.


den 26. Februar [1817]


Ich habe zweimal das Konservatorium besucht. Das erstemal wohnte ich einem Übungskonzerte der Eleven bei, wo mehrere Ouvertüren oder erste Sätze von Symphonien von einem derselben, der zu gleicher Zeit auch erster Geiger ist, probiert wurden. Sie waren nicht ohne Phantasie geschrieben, in der Form und in der Instrumentierung aber ganz den Ouvertüren von Rossini nachgebildet, die doch gewiß nicht als Muster dienen sollten. Die Exekution war sehr mittelmäßig; es fehlt den jungen Leuten, besonders den Geigern und Violoncellisten, ganz an Schule; sie wissen weder, wie sie die Geige, noch wie sie den Bogen halten sollen, und spielen weder rein noch deutlich! Es kann auch bei dem schlechten Unterrichte, den sie erhalten, nicht anders sein; der einzige hiesige Geiger, welcher eine gute Schule hat, Festa, ist nicht beim Konservatorium angestellt. Auch ist es sehr zu tadeln, daß die jungen Leute nicht unter Aufsicht und Anführung ihrer Lehrer ihre Übungskonzerte halten; ihrem ersten Geiger und Direktor, der selbst noch Schüler ist, fehlt es durchaus an Ruhe und Übersicht. Er hudelt die Allegrotempi so, daß an gar keine Deutlichkeit zu denken ist. Unter den Blasinstrumenten zeichnet sich ein Hornist, ein Knabe von elf Jahren, sehr vorteilhaft aus. Bei der zweiten Musik, der ich beiwohnte, traten auch ein paar Sänger auf, die aber weder gute Stimmen, noch gute Methode hatten. Alles, was ich bis jetzt hörte, bleibt weit unter dem, was die Mailänder Eleven leisteten. Herr Zingarelli, Direktor des hiesigen Konservatoriums und Lehrer der Theorie und des Gesanges, mag als Opernkomponist manche Verdienste haben; allgemein behauptet man aber, daß seit seiner Anstellung das Konservatorium sehr in Verfall geraten sei. Daß er zum wenigsten nicht weiß, wie ein Orchester geführt und eine Symphonie exekutiert werden muß, beweist er dadurch, daß er den Skandal so ruhig in seiner Gegenwart geschehen[14] läßt. Von den Verdiensten unsrer deutschen Komponisten hat er gewaltig verkehrte Begriffe. Bei einem Besuche, den ich ihm machte, sprach er lange von Haydn und einigen andern unserer Komponisten sehr ehrenvoll, ohne auch nur ein einziges Mal Mozarts zu erwähnen; ich brachte also die Rede auf diesen, worauf er äußerte: ja, auch dieser sei nicht ohne Anlagen gewesen, er habe nur zu kurze Zeit gelebt, um sie gehörig ausbilden zu können; wenn er noch zehn Jahre fort studiert hätte, so würde er wohl einmal etwas Gutes haben schreiben können.


den. 3. März [1817]


Eine schon vor mehreren Jahren geschriebene Oper von Mayr ist wieder in Szene gesetzt worden. Sie heißt »Cora« und hat dasselbe Sujet wie Kotzebues »Sonnenjungfrau«. Die Musik hat zwar einige schöne Stellen, im ganzen genommen jedoch die Erwartung, die ich von Mayrs Musik hatte, nicht befriedigt. Er ist denn doch auch gewaltig tief in die italienische Manier hineingeraten und verleugnet fast ganz den Deutschen. Seine Art, den Gesang zu führen und zu instrumentieren, ist rein italienisch. Verwundern darf man sich darüber freilich nicht, da er seit seinem vierzehnten Jahre in Italien lebt und nie für andere als italienische Zuhörer geschrieben hat. Ich glaube, daß er sich, seinem angebornen Talent unbeschadet, bloß dadurch über die Andern emporgehoben hat, daß er sich von jeher alle vorzüglichen deutschen Werke zu verschaffen suchte, sie studierte und benutzte, und zwar letzteres wohl manchmal ein wenig zu sehr. Er wird in ganz Italien und besonders hier sehr geschätzt und geliebt und verdient es auch in jeder Hinsicht und ist als Mensch noch immer der rechtschaffene, schlichte und bescheidene Deutsche. Sein Vaterland liebt er sehr und scheint nur zu bedauern, daß ihn das Schicksal nicht seine Karriere als Komponist in Deutschland machen ließ. In seinem Bergamo, wo er Kapellmeister ist, will er sich jetzt ganz zur Ruhe begeben und sodann nur noch für seine Kirche schreiben. Er versicherte mir, daß ihn bloß die Ehre, zur Eröffnung des S. Carlo-Theaters zu schreiben, habe bewegen können, sein Asyl noch einmal zu verlassen, daß aber die Oper: »Die Rache der Juno«, die er nun beendigt habe, sicher seine letzte Arbeit für das Theater sein solle. In der »Cora« ist das Lieblingsstück des Publikums der Schlußgesang, bestehend in einem Thema in drei Variationen im Stile der frühern Pleyelschen; einer der Sänger singt das Thema, David die erste Variation in Achteln, dann Nozzari die zweite in Triolen und zum Schlusse die Colbran die dritte in Sechzehnteln. Da es gut gesungen wird, so gefällt es dem Publikum sehr, und die Kritik muß schweigen.
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den 6. März [1817]


Gestern abend gab im Theater Fondo Herr Pio Cianchettino Konzert. Er ist Neveu und Schüler von Dussek und spielte auch zwei Konzerte von diesem Meister ganz in dessen Manier. Obgleich sein Spiel rein, deutlich und selbst ausdrucksvoll war, so bewährte sich doch auch hier wie überall die Erfahrung, daß das Pianoforte als Konzertinstrument die Zuhörer ganz kalt läßt und dies in dem Maße mehr, als das Lokal größer ist. Mir selbst ging es ebenso; denn wiewohl ich das Piano sehr liebe, wenn ein ideenreicher Komponist phantasiert, so läßt es mich als Konzertinstrument doch auch völlig kalt, und ein Pianofortekonzert kann meiner Meinung nur den Effekt machen, wenn es wie die Mozartschen geschrieben, wo das Piano nicht viel mehr bedacht ist wie jedes andere Orchesterinstrument. Die Sänger Madame Chabran und die Herren David, Nozzari und Benedetti zeichneten sich sämtlich aus und wurden lebhaft applaudiert. Die Vorzüge derselben lernt man erst recht kennen, wenn man sie in einem kleineren Lokale, als das S. Carlo-Theater ist, hört. David und Nozzari sind fast vollendete Sänger zu nennen; sie haben beide sehr schöne Stimmen, ersterer einen sehr hohen Tenor, letzterer einen hohen Bariton, merkwürdige Geläufigkeit und viel wahren Ausdruck. Benedetti hat eine sehr schöne Baßstimme, singt aber etwas kalt. – Da das Konzert nicht sehr besucht war, so mag der Ertrag wohl nicht bedeutend gewesen sein.


den 7. März [1817]


Wir haben wieder einige etwas weitere Spaziergänge gemacht, die höchst interessant waren. Das Ziel des einen war das Camaldulenserkloster, welches ungefähr zwei Stunden von dem Mittelpunkte der Stadt entfernt auf einer Anhöhe liegt. Bis an den Fuß des Berges fuhren wir; da der Fahrweg aber nicht weiter führt, so mußten wir die Höhe ersteigen. Die Aussicht aus dem Klostergarten ist vielleicht die reichste und schönste der Welt. Auf der einen Seite sieht man Ischia, Capri, Procida, Nisida und die Vorgebirge, die wir auf unserer neulichen Partie besuchten, vom blauen Spiegel des Meeres umflossen; auf der entgegengesetzten Seite Capua, Caserta und im Hintergrunde die beschneieten Gebirge; auf der nach Neapel einen Teil der Stadt selbst, den ganzen Meerbusen mit den gegenüberliegenden Küsten und zur Linken den rauchenden Vesuv; auf der vierten Seite endlich die Küsten und vorspringenden Vorgebirge bei Gaëta bis nach Terracina. Da das Wetter uns sehr begünstigte, so war dies einer der herrlichsten Tage, die wir je im Genusse der schönen Natur verlebt haben. Die Mönche, deren[16] wir einige zu Gesicht bekamen, schienen nicht mit uns in gleicher Laune zu sein; denn sie hatten alle ein finsteres Ansehen. Emilie bemerkte dies und äußerte ihre Verwunderung, warum sie nicht lieber ihr großes Haus an Leute aus Neapel vermieteten, die mehr Sinn für die herrliche Aussicht hätten, und die ihnen gern so viel zahlen würden, daß sie sich in der Stadt einmieten könnten.

Einen kürzern, aber nicht weniger interessanten Spaziergang machten wir auf der neuen Straße nach Rom, die unter Murat angefangen wurde, nach seiner Entthronung aber unvollendet liegen blieb. Sie führt über einen Berg, von dem man die herrlichste Ansicht der Stadt hat, und es ist sehr zu bedauern, daß sie nicht vollendet ist, da dann doch der Reisende noch vor seinem Eintritt in Neapel eine würdige Idee von der Stadt bekommen hätte, während er jetzt auf der alten Straße, die durch eine enge Bergschlucht führt, nicht eher etwas von Neapel sieht, als bis er den schmutzigsten und unansehnlichsten Teil der Stadt betreten hat, der ihn lange im Zweifel lassen wird, ob er sich auch wirklich in dem weltberühmten Neapel befinde.

Auch haben wir einen sehr vergnügten Tag auf der Villa des Bankier Heigelin zugebracht, die in der Nähe der Strada Nuova ebenfalls auf einem Berge liegt, und von der man eine prachtvolle Aussicht genießt. Der alte Heigelin, ein liebenswürdiger, braver Deutscher, hat diese seine Schöpfung mit so viel Herrlichkeiten als Grotten, Ruinen, Tempeln, Bassins usw. ausgeschmückt, daß man auf einen so kleinen Raum wirklich nicht mehr zusammendrängen könnte. Obgleich nun das Ganze wohl ein wenig kleinlich im Geschmack ist, so bietet es doch im einzelnen viel Vorzügliches dar. Für uns Nordländer hatten namentlich die vielen fremden Gewächse, die meist schon in voller Blüte standen, das größte Interesse.


den 11. März [1817]


Gestern Abend fand unsere Akademie statt. Da mir der Impresario der Hoftheater, Barbaja, ein höchst eigennütziger Mensch, für die Theater zuviel Geld abforderte, für Fondo nämlich 100 neapolitanische Ducati und für S. Carlo gar 200, so nahm ich lieber seinen Vorschlag an, mein Konzert im Redoutensaale des S. Carlo-Theaters zu geben, welchen er mir mit der Erleuchtung gratis anbot. Dieser scheinbar uneigennützige Vorschlag war übrigens ebenfalls auf seinen Vorteil berechnet, indem der Redoutensaal und die angrenzenden Zimmer das Lokal für die Hasardspiele sind, die er gepachtet hat, und zu denen er[17] durch mein Konzert die angesehenste und reichste Gesellschaft der Stadt hinziehen wollte. Diesen Nutzen, der mir keinen Nachteil brachte, konnte ich ihm wohl gönnen. Da der Saal nicht sehr groß ist, so setzte ich den Eintrittspreis wie in Rom auf einen Piaster und hatte ein zwar nicht größeres, aber weit empfänglicheres Publikum als dort. Hierdurch begeistert und durch das sehr genaue Akkompagnement unter Festas Leitung aufs trefflichste unterstützt sowie durch das für mein Instrument so vorteilhafte Lokal, spielte ich aber auch besser als in allen übrigen Städten Italiens. Außer meinen Sachen wurden ein Duett von Mayr und ein Terzett von Cherubini von den Herren David, Nozzari und Benedetti gesungen. Es ergingen am Abende selbst von allen Seiten Aufforderungen an mich, ein zweites Konzert im Theater zu geben.


den 18. März [1817]


Heute früh besuchten wir die Studii, d.h. das Gebäude, wo die Kunstschätze aus Pompeji und Herkulaneum und schon früher gemachte Sammlungen von Statuen und Gemälden aufbewahrt werden. Auch befindet sich die Bibliothek in ebendemselben Gebäude. Da es unmöglich ist, an einem Tage alles zu sehen, so wählten wir für heute die Statuen und die Bibliothek. Unter den erstern sind sehr viel ausgezeichnete und durch Gipsabgüsse vervielfältigte berühmte Statuen aus der Farneseschen Sammlung sowie die in Pompeji gefundenen zwei Statuen zu Pferde von vorzüglichem Kunstwerte. In dem einen Zimmer befinden sich zwei Schränke voll antiker Bronzen, ebenfalls aus Pompeji und Herkulaneum, bestehend in Lampen, kleinen Hausgöttern und allerlei Hausgerät. Diese Sachen so wohl als auch die Statuen in Marmor sind vollkommen gut erhalten und scheinen kaum so viel Tage alt zu sein, wie sie Jahre haben; nur alles Eisen ist ganz von Rost zerfressen, wie z.B. die Griffe und Ringe an mehreren Gefäßen von Bronze.

Die Bibliothek befindet sich in einem sehr schönen, großen Saale und mehreren angrenzenden Zimmern. Auf dem Boden des Saales ist die Mittagslinie gezogen, und durch ein kleines Loch in der Wand fällt darauf der Mittagsstrahl. Wenn man an einem gewissen Punkt in die Hände klatscht, antwortet ein Echo mehr als dreißigmal sehr schnell hintereinander. Es entsteht wahrscheinlich durch die Fenstervertiefungen, die sich oben nahe an der Decke befinden.

Zuletzt besuchten wir die Zimmer, wo die Papyrusrollen aufbewahrt und aufgerollt werden. Sie sehen vollkommen wie Kohlen aus, und man würde sie auch dafür halten, wenn man nicht auf dem Schnitt die über[18] einander liegenden Blätter erkennen könnte. Ein völlig aufgerolltes Manuskript, auf Leinwand gezogen, hängt unter Glas und Rahmen an der Wand. Da das Papier ganz schwarz gebrannt ist, so sind die Buchstaben kaum zu erkennen, und man muß die Geduld, den Scharfsinn und die Sprachkenntnis desjenigen bewundern, der den Sinn zu enträtseln wußte. Man zeigte uns das gedruckte Werk, in welchem die Ausbeute dieses zuerst aufgerollten Manuskripts der gelehrten Welt mitgeteilt wurde. Es betrifft einen Traktat über Musik. Jede Seite ist in drei Kolumnen abgeteilt. Auf der ersten sieht man in Kupferstich eine genaue Abbildung des aufgerollten Papyrus mit allen Lücken und Rissen; auf der zweiten den Inhalt mit neuen griechischen Buchstaben, das Fehlende ergänzt, und zwar mit roten Lettern, und auf der dritten eine lateinische Übersetzung davon. Man rollt jetzt wieder ein Manuskript auf, scheint aber nicht sehr damit zu eilen, denn wir fanden nur einen einzigen Menschen damit beschäftigt. Die Verfahrensart ist sehr einfach. Man klebt mit Gummi kleine Streifen einer feinen Haut dicht neben oder vielmehr halb aufeinander auf die verkohlten Rollen und löst dann das Papier nach und nach behutsam ab. Die Arbeit geht zwar langsam von statten, man hätte aber doch schon weit mehr aufrollen können. Besäße ein deutscher Fürst diese kostbaren Überbleibsel alter Gelehrsamkeit, so wären sie schon längst sämtlich entziffert.


den 22. März [1817]


Da ich die Mühe scheuete, ein zweites Konzert zu arrangieren, so nahm ich gern den Vorschlag des Impresario an, zweimal im S. Carlo-Theater zwischen den Akten der Oper für die Summe von 300 Ducati zu spielen. Vorgestern Abend fand dies zum ersten Male statt. Ich war besorgt, daß die Violine das kolossale Haus nicht ausfüllen könne, wurde aber bald darüber beruhigt, da man mir bei der Probe sagte, selbst in den entferntesten Winkeln des Hauses würde jeder Ton deutlich gehört. Auf alle feinern Nuancen mußte ich indessen natürlicherweise Verzicht tun. Obgleich das Haus sehr gefüllt war, so herrschte doch, während ich spielte, die größte Stille. Nach dem zweiten Musikstücke wurde ich herausgerufen.

Gestern Abend spielte ich im Casino nobile in einem sehr schönen Saale mein Konzert in Form einer Szene und einen Potpourri mit Begleitung des Pianoforte. Da das Lokal für Musik sehr vorteilhaft war, so machten beide Sachen viel Wirkung auf die Zuhörer. Das Übrige des Konzertes, in Sinfonien und Harmoniemusik bestehend, war nicht von Bedeutung.[19]

Ich habe vergessen, eines Konzertes der Madame Paravicini zu erwähnen, dem wir im Teatro Nuovo am vorigen Mittwoch beiwohnten. Sie spielte in den Zwischenakten einer Komödie das erste Violinkonzert von Rode in d-moll, einen Potpourri von Kreutzer und zum Schlusse ein Adagio und Rondo von demselben. Ich bin es schon gewohnt, mein Instrument von Frauenzimmern mißhandeln zu hören, so arg wie von Madame Paravicini aber habe ich es noch nicht erlebt. Dies nahm mich um so mehr Wunder, da sie sich einigen Ruf erworben hat und voller Prätentionen ist; so hat sie z.B. erzählt, sie habe Rode in Wien gehört, er habe bei ihr aber nur Mitleid erregt. Hier war nun die Reihe an ihr, Mitleid zu erregen, wenn man es für Arroganz und Ungeschicklichkeit überhaupt haben kann. Sie hat eine sehr vorzügliche Violine von Stradivari und zieht im Gesange einen leidlichen Ton heraus; dies ist aber auch ihr ganzes Verdienst. Übrigens spielt sie in schlechtem Geschmack, mit überladenen und gehaltlosen Verzierungen, und die Passagen undeutlich, unrein in der Intonation und überhudelt in den Bogenstrichen. Der Beifall war sehr lau und äußerte sich nur dann, wenn der Prinz Leopold, ihr Beschützer, zu klatschen anfing. – Weit interessanter wie ihr Spiel war die Komödie, die vortrefflich gegeben wurde. Besonders zeichnete sich Herr de Marini aus, der überhaupt einer der vorzüglichsten jetzt lebenden Schauspieler ist. Das Theater ist zwar kleiner als Fiorentino und Fondo, aber auch sehr hübsch. Ich habe einige Male meine Quartetten und Quintetten in Privatgesellschaften zu hören gegeben, die mir sehr vorzüglich von den Herren Dauner und Sohn, Onario, ein junger talentvoller Geiger, dem ich einige meiner Sachen einstudiert habe, und Fenzi (ehemals in Kassel), ein ausgezeichneter Violoncellist, akkompagniert wurden. Sie gefielen sehr, und Mayr versicherte, er habe nie einen größern musikalischen Kunstgenuß gehabt. Das zweite Mal machten wir sie bei der Marquise Douglas, die selbst sehr vorzüglich Piano spielt und ehemals auch vorzüglich gesungen haben soll. Sie und ihr Mann sind die ersten Engländer, bei denen ich wahren Sinn für Musik gefunden habe.


den 23. März [1817]


Beim Durchblättern des Tagebuches bemerke ich, daß ich auch zweier Aufführungen von Messen, die der Fürst Esterhazy aus Wien auf seine Kosten geben ließ, zu erwähnen vergessen habe. Die erste, vom alten Umlauf in Wien, zeichnete sich durch nichts Besonderes aus; die zweite aber von Haydn in d-moll, welche mit vieler Feierlichkeit und großem militärischen Pompe am Geburtstage des Kaisers gegeben[20] wurde, gewährte großen Kunstgenuß. Die Damen Chabran und Canonici und die Herren Nozzari und Benedetti sangen die Solopartien ganz vorzüglich, und Chor und Orchester zeichneten sich ebenfalls sehr aus. Unglücklicherweise wurden fast alle Tempi auf ausdrückliches Verlangen des Fürsten gar zu schnell genommen und dadurch vieles verdorben.


Mailand, den 22. April [1817]


Durch die vielen Geschäfte in den letzten Tagen unseres Aufenthaltes in Neapel und die eilige Rückreise, fast ohne Aufenthalt, vom Schreiben abgehalten, bin ich sehr in Rückstand gekommen und habe daher vieles, selbst von Neapel noch, nachzuholen.

Mayrs neue Oper wurde endlich vierzehn Tage vor Ostern, nachdem man sie nochmals umgetauft hatte, in Szene gesetzt, mißfiel aber gänzlich, so daß sie nur drittehalb Vorstellungen erlebte und wahrscheinlich auf ewig ruht. Am dritten Abend gab man nämlich nur noch den ersten Akt und dazu noch einen Akt von Paërs »Sargino«. Das Sujet und die Musik von Mayrs Oper sind beide gleich uninteressant und langweilig. Letzterer fehlt es besonders an allem Leben und Feuer; sie ist so alltäglich und in die Länge gezogen, daß man sie, ohne einzuschlafen, kaum anhören kann. Bei der Generalprobe ist dies mir, dem Grafen Gallenberg und noch mehreren andern wirklich begegnet. Mayr scheint sich erschöpft zu haben, was bei der ungeheuren Menge von Opern, die er geschrieben hat, kein Wunder ist. Es ist wirklich hohe Zeit für ihn, als Opernkomponist abzutreten, um den einmal erworbenen Ruhm nicht wieder einzubüßen, und er hätte vielleicht recht gut getan, den letzten Ruf nach Neapel nicht anzunehmen. Am Abende nach der ersten Vorstellung seiner Oper reiste er nach Bergamo ab.

Die Ankunft der Madame Catalani setzte um diese Zeit alle Musikfreunde Neapels in große Bewegung. Sie benutzte auch gleich diesen Enthusiasmus und kündigte wenige Tage nachher eine Akademie im Theater Fiorentino zu siebenfach erhöheten Preisen an. Am Tage vor dem Konzerte erhielt ich nur noch mit Mühe, und weil ich sie früher bestellt hatte, zwei Billetts, das Stück zu 22 Carolin, zum Parterre. Nie ist wohl ein Publikum in einer gespannteren Erwartung gewesen als das neapolitanische an diesem Abende. Auch meine Frau und ich, die wir uns seit Jahren darnach gesehnt hatten, diese bewunderte Sängerin zu hören, konnten kaum den Augenblick ihres Auftretens erwarten. Endlich erschien sie, und eine Totenstille verbreitete sich im Hause. Sie trat mit einem etwas kalten und prätentiösen Air vor und grüßte weder den Hof noch das Publikum, was sichtlich eine unangenehme Sensation[21] machte. Vielleicht hatte sie erwartet, mit einem Applaudissement empfangen zu werden, was aber in Neapel nicht Sitte ist, und so mochte sie verstimmt sein. Als sie aber nach ihrem ersten Gesange sehr stürmischen Beifall hatte, wurde sie freundlicher und blieb es den übrigen Abend. Sie sang viermal, zwei Arien von Pucitta, »Ombra adorata« von Zingarelli (oder, wie die Neapolitaner behaupten, von Crescentini, dessen Name auch auf dem Zettel stand) und Variationen über das tausendmal variierte »Nel cor non più mi sento.« Die Arien von Pucitta waren höchst erbärmlich; das berühmte ombra adorata kann nur schön gefunden werden, wenn man nicht an den Text denkt; die Variationen waren alltäglich, wurden aber pikant durch die Art ihres Vortrags. Sie gewährte uns durch ihre immer reine Intonation, durch die Vollendung, mit der sie alle Arten von Gesangsverzierungen und Passagen macht, und durch ihre eigentümliche und besondere Art zu singen großes Vergnügen; das Ideal einer vollendeten Sängerin, das wir in ihr zu finden erwarteten, erreicht sie aber nicht. Ihre Stimme, die den beträchtlichen Umfang von Neapel bis Neapel hat, ist in der Tiefe und Mitte noch voll und kräftig, der Übergang zur Kopfstimme bei Neapel aber sehr merklich, und drei bis vier Töne in dieser Gegend sind viel schwächer als die tiefern und höchsten, daher sie auch alle Passagen, die in diesen Tönen vorkommen, nur mit halber Stimme macht, um die Ungleichheit zu verbergen. Auch fehlt ihrer Stimme der jugendliche Klang, was indessen bei einer Frau, die sicher 40 Jahr alt ist, nicht verwundern darf. Ihr Triller ist von besonderer Schönheit; sie macht ihn gleich rein sowohl auf dem halben als ganzen Tone. Eine besondere Art von Lauf durch die halben Töne, eigentlich die enharmonische Skala, weil jeder Ton zweimal vorkam, wurde als etwas ihr ganz Eigentümliches sehr bewundert. Ich habe ihn aber mehr merkwürdig als schön gefunden; denn er klang mir fast wie das Heulen des Sturmes im Schornstein. Eine andere Art von Gesangsverzierung, welche an und für sich gewöhnlich ist, machte sie aber auf eine Art, die ihr großen Reiz verlieh. Sie würde sich in Noten ungefähr so ausdrücken lassen:


Neapel

wobei aber noch zu bemerken ist, daß sie bei jeder Sechzehntelpause Atem schöpfte, wodurch diese Stelle etwas sehr Leidenschaftliches bekam.[22] Unter den Variationen war eine mit synkopierten Noten, die durch ihren besondern Vortrag auch etwas sehr Eigentümliches und Interessantes erhielt, und eine andere in Triolen legato machte sie in höchster Vollendung. Was wir an ihrem Gesange aber hauptsächlich vermißten, war Seele. Im Rezitativ singt sie ohne Ausdruck, ich möchte sagen nachlässig, und im Adagio läßt sie kalt. Wir waren auch nicht einmal ergriffen, sondern hatten nur das Gefühl von Freude, das man immer hat, wenn man mechanische Schwierigkeiten mit Leichtigkeit besiegen hört oder sieht. Und so war allen Zuhörern in unsrer Nähe zu Mute.

Einiger unangenehmer und störender Angewohnheiten, die sie aber schwerlich mehr ablegen wird, muß ich noch erwähnen; daß sie erstlich bei Passagen, besonders wenn sie dieselben stark macht, jeden Ton, ich möchte sagen, herauskauet, wodurch ein Stocktauber, wenn er sie singen sähe, instand gesetzt werden würde, Achtel von Sechzehnteilen und hinauf-und herablaufenden Passagen voneinander zu unterscheiden. Im Triller hauptsächlich ist die Bewegung des Unterkinns, an dem man jeden Schlag abzählen könnte, sehr auffallend und entstellend. Zweitens gerät ihr ganzer Körper bei leidenschaftlichen Stellen in eine südliche, aber höchst unweibliche Beweglichkeit, an der ein Tauber ebenfalls die Figuren, die sie eben singt, abnehmen könnte. Am 2ten Morgen darauf hörten wir sie noch einmal in der Probe zu ihrem zweiten Konzerte, wo sie fünfmal sang und dieselben Vorzüge entwickelte, aber ebenfalls nicht ein einziges Mal durch gefühlvollen Vortrag ergriff. Sie kam mir hier weit anspruchsloser und liebenswürdiger vor; auch war sie sehr artig gegen das Orchester und die Personen, die sich zum Zuhören hereingedrängt hatten, so daß ich um so leichter glaube, was man mir versicherte, daß ihr prätentiöses Air bei ihrem öffentlichen Auftreten mehr Verlegenheit als Stolz sei und daher komme, weil sie ihre Furcht bemänteln wolle. Ein junger Mensch, der während ihres Konzertes hinter den Kulissen gestanden hat, versicherte, sie habe bei ihrem ersten Hinaustreten am ganzen Körper gezittert und vor Beklemmung kaum atmen können. Hier in Mailand hat sie, wie man mir sagt, nicht allgemein gefallen; auch waren die letzten Konzerte weit weniger besucht wie die ersten. Ein Teil des Publikums war auf Seiten der Grassini, die wir hier nun auch gehört haben, von der ich aber erst später sprechen werde. Die Anbeter der letzteren hatten der Catalani einen boshaften Streich gespielt, indem sie die ihr nachteiligen Beurteilungen in der Musikalischen Zeitung von Hamburg und Leipzig beim ersten Konzerte am Eingange hatten verkaufen lassen. Die[23] Catalani selbst, in der Erwartung, ein Sonett oder etwas der Art zu ihrem Lobe zu finden, kaufte auch ein Exemplar davon.

Am Tage nach dem ersten Konzerte der Catalani in Neapel wurde im S. Carlo-Theater Rossinis »Elisabetta« gegeben, in welcher die Colbran ihre Hauptrolle hat. Da jedermann wußte, daß es bei ihr darauf abgesehen war, mit der Catalani zu wetteifern, so war das Haus ungewöhnlich stark besucht, sowohl von Anhängern, als auch von Widersachern der Colbran. Letztere hatten am Abend vorher das Konzert der Catalani die Exequien der Colbran genannt, und man war daher sehr gespannt auf den Erfolg des heutigen Abends. Gleich bei ihrem ersten Auftreten wurde sie mit einem Pfeifenkonzert, aber auch zugleich mit einem heftigen Applaudissement empfangen. Da sie aber diesmal wirklich ganz vorzüglich sang und spielte, so wurden der Klatscher immer mehr und der Pfeifer weniger, und am Ende wurde sie fast einstimmig herausgerufen. Sie steht der Catalani in Stimme und allem Mechanischen weit nach, singt aber mit wahrem Gefühl und spielt mit vieler Leidenschaft. Die Komposition dieser Oper gehört unter die vorzüglichsten von Rossini, hat aber neben den Vorzügen auch alle Schwächen der andern. – Man unterhielt sich im Theater über einen lächerlichen Zug vornehmer Großtuerei der Catalani, welche einige Abende früher, als sie das Theater zum ersten Male besuchte, ihren Sekretär während des Zwischenaktes auf das Theater schickte und der Colbran und den übrigen Sängern sagen ließ, sie sei vollkommen mit ihren Leistungen zufrieden!


Freiburg im Breisgau, den 20. Juni 1817


Da ich seit Mailand wieder nicht zum Schreiben habe kommen können, so fahre ich erst heute fort, von unserm Aufenthalt in Neapel und unsrer Rückreise wieder zu schreiben.

Durch die Zwischenkunft der Madame Catalani wurde es unmöglich für mich, zum 2ten Male im S. Carlo-Theater noch vor Ostern zu spielen. Nachdem ich Gewinn und Verlust gegeneinander abgewogen hatte, zog ich es vor, auf dieses zweite Mal zu verzichten, um nicht die heilige Woche in Rom zu versäumen. Wir sahen daher nur noch im Fluge das, was uns noch Merkwürdiges übrig war, und rüsteten uns dann schnell zur Abreise. – Einen ganzen Tag widmeten wir dem Besuche von Pompeji. Wir waren so glücklich, dazu einen heitern, ziemlich warmen Tag zu treffen, im Laufe des Monat März eine wahre Seltenheit! Während von Mitte Januar bis Ende Februar das schönste Frühlingswetter fast[24] ununterbrochen gedauert hatte, wurde es anfangs März plötzlich wieder Winter. In den Tälern fiel ein kalter Regen mit Sturm und auf den Bergen ein so hoher Schnee, daß man sie nicht mehr besteigen konnte. Auf dem Vesuv soll er drei bis vier Schuh hoch gelegen haben. Der Monat März ist aber gewöhnlich sehr kalt und der eigentliche Wintermonat der Neapolitaner.

Die Ruinen von Pompeji, die dadurch, daß sie fast 2000 Jahre mit einer leichten, trockenen Asche bedeckt waren, weit besser erhalten sind als alle freistehenden Überbleibsel aus jener Zeit, haben auch auf uns einen tiefen, ja wirklich schauerlichen Eindruck gemacht. Während man durch die Ruinen des Kolosseums und anderer antiker Prachtgebäude in Rom einen Begriff von dem Kunstgeschmack, dem Reichtum und der Prachtliebe der Alten bekommt, wird man hier durch die Ansicht von einfachen kleinen Privathäusern, die fast ebenso unversehrt wie am Tage der unglücklichen Katastrophe sind, mit ihrem bürgerlichen Leben und Treiben bekannt gemacht und kann sich durch den Augenschein von manchen, unsrer Lebensweise fremden Gebräuchen, die uns die alten Schriftsteller beschreiben, unterrichten. Betritt man das Innere eines solchen Hauses, was wahrscheinlich einem Wohlhabenden aus dem Mittelstande gehört haben mag, so findet man eine Reihe kleiner, niedlicher Zimmer, alle so al fresco gemalt wie die aus der Wand geschnittenen Gemälde aus Herkulaneum, die in Portici aufbewahrt werden. Die Ausgänge dieser Zimmer, die selten Fensteröffnungen, sondern nur eine Tür haben, wodurch Luft und Licht hineindrang, gehen in den Hof, der durch eine verdeckte, überbauete Galerie eingefaßt ist. In der Mitte des Hofes befindet sich ein Springbrunnen, neben diesem, ehemals wahrscheinlich im Schatten von Bäumen, ein runder Eßtisch von Marmor, umgeben von Marmorbänken zum Liegen bei Tisch, mit Erhöhungen für den Ellenbogen, und an einer Seite des Hofes ein oder auch mehrere geschmackvoll dekorierte Bäder. Alle diese Häuser hatten nur ein Stockwerk und waren viel kleiner als unsre Wohngebäude. Ewig schade ist es, daß man die dort gefundenen Gerätschaften nicht auf ihrem Platze lassen konnte! Man hätte sich sonst einen ganz deutlichen Begriff von der Lebensweise der ehemaligen Bewohner dieser merkwürdigen Stadt machen können. Das Pflaster in den Straßen ist noch ganz wie damals, und man sieht sowohl die Eindrücke von den Wagen, als auch die Spuren der Fußgänger auf den Straßen. Über den Läden findet man noch mit griechischer Schrift, mit dem Pinsel auf die Wand gemalt, die Waren bezeichnet, die da zu Kauf standen; auch an einer Straßenecke eine Ankündigung aus jener Zeit. In den Läden, wo Öl verkauft wurde,[25] sieht man noch jetzt kolossale irdene Krüge in die vordere Wand eingemauert, aus denen beim Verkauf geschöpft wurde. Ebensolche hohe Krüge, nur mit sehr engem Halse, findet man auch in mehreren sehr gut erhaltenen Kellern, in welchen der Wein aufbewahrt wurde. In einem derselben wurde das Gerippe einer Frau gefunden, und zwar so von Asche umgeben, daß man die Formen ihres Körpers daran erkennen konnte. Ein Stück dieser Form, in welchem ihre Brust abgedrückt ist, wird in Portici aufbewahrt. In ihrer Hand fand man einen großen ledernen Beutel mit Münzen.

Am besten erhalten ist die sogenannte Gräberstraße, wo man auf beiden Seiten fast nur Grabmäler erblickt, die bald in ägyptischer Pyramidenform, bald im römischen Stile gebaut sind. In diesen Grabdenkmälern hat man Vasen gefunden, in denen die Asche und Gebeine der verbrannten Toten aufbewahrt wurden. Die Inschriften an diesen Grabdenkmälern sind bald griechisch, bald lateinisch und fangen sehr oft mit dem Anruf an: »Wanderer, stehe still« usw., was hier in einer sehr belebten Straße sehr am Platze war, auf unsern gewöhnlich sehr abgelegenen Kirchhöfen aber, wo man dies nachgeahmt hat, ziemlich unpassend erscheint.

Was man in Pompeji an öffentlichen Gebäuden als Theatern, Tempeln, Kasernen usw. bewundert, ist zwar nicht von der Größe, Pracht und Schönheit der in Rom, Pozzuoli und andern Gegenden, übertrifft aber doch alles an Bedeutung, was man in neuern Zeiten in einer Provinzialstadt zu sehen bekommt. Wo fände man jetzt wohl in einer solchen einen großen Zirkus zu öffentlichen Spielen und sogar zwei Theater! Von den letztern war das eine überbauet und diente wahrscheinlich zum Lustspiele; das andre, mit einer Bühne, dem Orchester und einem runden, sehr hohen Amphitheater, kann uns einen Begriff von dem Lokale geben, wo die römischen Schauspieler, zur Verstärkung des Schalls mit Masken versehen, die Trauerspiele vor einem Publikum von 10–15000 Zuschauern aufführten. Aber auch die Tempel, deren prächtigster jetzt eben aus dem Schutte aufgegraben wird, geben von der Prachtliebe und dem guten Geschmack der Alten einen anschaulichen Begriff.

Die Weinberge und Ländereien, die über dem noch unaufgegrabenen Teile der Stadt liegen, sind bereits vom vorigen Könige von Neapel angekauft worden. Würde daher mit Eifer fortgearbeitet, woran aber bei der jetzigen Regierung, die all dergleichen sehr schläfrig betreibt, wohl zu zweifeln ist, so könnte in wenigen Jahren die ganze, so höchst interessante Stadt offen daliegen und von dem Rande, der sie umgibt,[26] mit einem Blick übersehen werden. Jetzt sind die verschiedenen bereits aufgegrabenen Teile noch durch lange Strecken, auf denen geackert und geerntet wird, wie durch Berge, die man übersteigen muß, getrennt, und man ist sehr überrascht, wenn man nach einem Gange über ein solches Feld wieder einen neuen Teil der Stadt in der Tiefe liegen sieht, der mit den Weinreben, Bäumen, Feldern und Bauernhütten auf der Höhe so seltsam kontrastiert. Unbegreiflich bleibt es aber doch, wie der gewiß zwei Stunden entfernte Krater eine solche Menge von Asche auswerfen konnte, daß eine ganze Stadt im Augenblick so hoch damit überschüttet wurde. Denn Lava ist nie bis hierher gekommen. An den umgestürzten und durcheinander geschleuderten Säulen des jetzt aufgegrabenen Tempels sieht man indessen doch auch deutlich, daß ein Erdbeben zur Zerstörung der Stadt mitgewirkt haben muß.

Am Tage vor unsrer Abreise aus Neapel besuchten wir auch noch einmal die Studii und betrachteten die große Sammlung etrurischer Vasen von den mannigfaltigsten Formen und erfreueten uns dann ebensowohl an der reichen, herrlichen Gemäldesammlung, worin uns die aus Sizilien kürzlich zurückgebrachten Bilder von Raffael besonders entzückten. Am 29. März traten wir unsre Rückreise nach Rom an. Der Morgen der Abreise war sehr stürmisch und unangenehm für mich; denn erstlich hatte ich einen Disput mit dem Vetturino, der uns als fünfte Person einen schmutzigen, stinkenden Kapuziner in den Wagen setzen wollte, bis wir ihn nach vielem Hin- und Herreden in das Kabriolett komplimentierten, und dann sollte meine Familie am Tore nicht passieren, weil ihrer in dem neuen neapolitanischen Passe, den man nehmen muß, um wieder zum Lande hinauszukommen, nicht erwähnt war. Ich zeigte vergebens meinen alten Paß vor, worin Frau und Kinder aufgeführt waren. Erst auf mein Versprechen, alsbald zurückzukehren, um für uns einen andern Paß zu holen, ließ man mich von der Stelle. Ich kehrte daher zum Minister zurück, während Frau und Kinder unbehindert weiter reisten. Dort fand ich alles noch im tiefen Schlafe; doch mit guten Worten und dem bei Italienern noch weit wirksameren Gelde brachte ich es bald dahin, daß man mir einen neuen Paß ausfertigte. Mit diesem warf ich mich in eine Karriole und jagte meiner Familie nach, die ich auf halbem Wege nach Capua erreichte und dadurch aus einer großen Besorgnis um mich riß. Unter die Plackereien, von denen der Reisende in Italien beinahe aufgerieben wird, gehört auch die Strenge mit den Pässen, die oft ins Lächerliche fällt. Wir erlebten später den Fall, daß ein Reisender diesseits Parma an der lombardischen Grenze wieder[27] nach Livorno zurückgeschickt wurde, weil sein Paß vom dortigen österreichischen Konsul nicht unterschrieben war.

In einem zweiten Wagen, der den unsrigen begleitete, fuhr ein Engländer, der eine besondere Geschicklichkeit hatte, die schönen Ansichten in wenig Minuten aufzunehmen. Er bediente sich dazu einer Maschine, die ihm die Landschaft im Kleinen aufs Papier warf. Zwischen Velletri und Albano, wo wir einen Teil des Weges zu Fuß machten, um die ganz herrliche Landschaft und die milde Luft besser genießen zu können, sahen wir seinem Verfahren zu, was besonders den Kindern unendliche Freude machte. Er zeigte uns nachher die Sammlung seiner Ansichten, deren er allein von der Gegend von Neapel mehr als zweihundert hatte, und gab mir seine Adresse: Major Cockburn in Woolwich neun Meilen von London.

Quelle:
Spohr, Louis: Lebenserinnerungen. Tutzing 1968, S. 1-28.
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