Ball

[12] verwenden lassen, besonders da ein solcher immer mit einem Abendessen verbunden zu sein pflegt. Doch[12] steht der Ballbesucher als solcher und nicht als Tischgast ganz anderen Fragen gegenüber, die sich nicht ganz leicht erledigen lassen. Der Ballgast ist vor allem von dem Aberglauben erfüllt, daß er zu seinem Vergnügen eingeladen sei, und er bestreitet sogar, zu denjenigen zu gehören, die lediglich eingeladen werden, weil sie im Tanzgeruch stehen und weil sich die eingeladenen jungen Mädchen austanzen wollen. Er darf aber nicht eitel und muß fest davon überzeugt sein, daß er, wenn er nicht tanzen könnte, überhaupt nicht eingeladen worden wäre. Natürlich wird ihm das Gegenteil versichert. Die Wirtin, welche selbstverständlich vom lieben Himmel mit mehreren heiratsfähigen Töchtern heimgesucht worden ist, sagt ihm allerlei in diesem Sinne, so z.B. nach dem berühmten Lessingschen Wort, er wäre auch das größte Ballgenie geworden, wenn er unglücklicherweise ohne Beine wäre geboren worden, aber sie sagt ihm das nur, weil sie genau weiß, mit welchem Mißtrauen die Balleinladungen in den Kreisen junger tanzkundiger Männer betrachtet werden.

Der Ball hat sich für diese jungen Männer in der Neuzeit dadurch bedeutend milder gestaltet, daß unsere Damen vom Backfisch aufwärts nur noch vom Radeln unterhalten sein wollen und auch eigentlich von nichts anderem reden. Als das Rad das Ewig-Weibliche noch nicht ganz ausfüllte, war die Ballstellung des Ewig-Männlichen dadurch eine etwas strapaziöse, daß der Ballgast mit seiner Dame irgend etwas plaudern mußte, um sich nicht gar zu unrettbar zu blamieren. Er half sich ja oft mit dem Ödesten, mit dem Theater, aber dieses Kunstgebiet war doch häufig sehr abgegrast, und der Plauderer merkte meist, daß eben schon ein anderer dagewesen war, der genau dasselbe gesagt hatte. Da erschien das rettende Rad, und mit dem Augenblick, wo es begann, die Köpfe[13] und Herzen der weiblichen Welt vollständig auszufüllen, war namentlich für den Radler, der gleichfalls nichts als das Rad kannte, nichts leichter als eine fesselnde Unterhaltung mit einem jungen Mädchen, ja, er brauchte kaum noch viel zu reden, sondern nur das intelligente junge Mädchen plaudern zu lassen.

Nachdem der Ballgast eingetreten ist, bedeckt er die Tanzkarten der Damen mit seinen Autographen. Dadurch bekundet er, daß er die Stellung nicht überschätzt, die ihm als Ballgast angewiesen ist, und daß er keinen höheren Wert zu haben glaubt als den, mit den Beinen diejenigen Bewegungen zu machen, aus denen der Tanz besteht. Bildet er sich ein, etwas anderes zu sein als ein Walzer-Gymnastiker und Redowa-Parterrekünstler und irgend einer anderen Fähigkeit die Einladung zu verdanken, so täuscht er sich bitter und wird im Lauf des Abends in der grausamsten Weise geduckt.

Er bleibe im Tanzsaal und mache keine Versuche, in das Rauch- und Spielzimmer zu entkommen. Gelänge es ihm, so würde es ihm nichts nützen, denn er würde doch alsbald von der Wirtin verfolgt, harpuniert und in den Ballsaal zurücktransportiert werden, woselbst er dann nach einem Moment des Genusses zügelloser Freiheit die Gefangenschaft um so drückender empfinden wird.

Stürzt man im Tanze mit seiner Dame nieder, so fühle man sich nicht blamiert, sondern sei im Gegenteil überzeugt, daß man einige Tage lang in den Kreisen des Ballgebers einen interessanten Gegenstand des Gesprächs bildet, was man ohne den Sturz wahrscheinlich niemals werden würde. Man beute auch deshalb den Sturz nicht egoistisch dahin aus, daß man angiebt, man müsse ausspannen und könne den ganzen Abend nicht wieder tanzen. Dies wäre nach dem Gesagten überaus undankbar.[14]

Im Zusammentreffen mit älteren und energisch aussehenden Frauen sei man von Vorsicht beseelt, wenn auch Goethe sehr richtig sagt, der Umgang mit Frauen sei das Element guter Sitten. Es giebt eine große Anzahl Frauen, die nur eine gute Sitte kennen: das Stiften von Ehen, und die hierin schon die glänzendsten Erfolge aufzuweisen haben. Sehr viele Ehen sind auf Bällen angestiftet worden, und wenn Eheleute mit guten Gedächtnissen auf den Ursprung ihres so schönen Bundes zurückgehen, so werden sie wahrscheinlich auf einen Ball stoßen, auf welchem eine gewohnheitsmäßige Heiratsstifterin irgend ein Herz baldowerte, das noch frei war und dessen sie sich sofort annahm. Wer also Lust verspürt, unverlobt den Ball zu verlassen, sei, wie gesagt, älteren Frauen gegenüber vorsichtig. Sie haben entweder selbst Töchter, oder haben eine Freundin, die vor Töchtern nicht schlafen kann, und ein junger Mann hat doch keinen Begriff davon, wie rasch er mit der Mutter sprechen und verlobt sein kann. Die Hand eines jungen Mädchens ist im Handumdrehen vergeben, und wenn dann am anderen Morgen der Ballgast im verlobten Zustand aufwacht und es nicht gewesen sein will, so nützt dies in den allerseltensten Fällen.

Den Dienern und Mädchen, welche in den Tanzpausen Getränke herumreichen, weiche man aus. Es sind mandelmilchgebende Gestalten, und wenn sie trinkbare Erfrischungen bieten, so sind dies entweder völlig beruhigte Wässer, oder lammfromme Weine, die zwar den Durst löschen, aber dem Trinker gleichzeitig die Fähigkeit nehmen, die an der späteren Tafel erscheinenden besseren Jahrgänge zu genießen. Sollte man aber dann noch Durst haben und finden, daß der Wein knapp sei, so freue man sich. Denn nicht nur ist der Kater am anderen Morgen eine große Last, sondern bei scharfem Trinken kommt man leicht in die Lage,[15] über alte Anekdoten zu lachen, die von einem beliebten Gast erzählt werden, und von solchem Lachen bis zum Selbsterzählen ähnlicher antiquarischer Scherze ist nur ein Schritt, und beides ist ein Beweis dafür, daß man an einem empfindlichen Mangel eigenen Witzes leidet.

Es kommt auf Bällen vor, daß irgend ein junger Mann dem Klavierspieler die Tasten entreißen und sich zum


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 41906, Bd. I, S. 12-16.
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