Juristenball

[46] antworte man, um sich gefällig zu zeigen, auf die Frage nach dem Befinden, man könne nicht klagen. Alsbald fällt auch dem Frager einer seiner ältesten Scherze ein, den anzubringen ihm, um für geistvoll zu gelten, Bedürfnis ist. Erst dann wird er allmählich ruhiger.

Wenn man zufällig einer der größten jetzt lebenden Künstler ist und längst im Verdacht steht, unsterblich zu werden, so bilde man sich nicht ein, daß man einem jungen Mädchen auf einem Ball willkommen sei. Jeder junge Mann, und sei er auch keineswegs einer der größten jetzt lebenden Kommis, ist einem jungen Mädchen willkommener. Tritt der unsterbliche Zeitgenosse trotzdem an das junge Mädchen heran, so schreibe er es sich selbst zu, wenn sie einst ihren Enkeln erzählt, sie erinnere sich, daß er ihr einmal einen Abend gründlich verdorben habe.

Ist man Raucher, so stecke man die Cigarren, welche am Schluß der Tafel herumgereicht werden, für den Portier ein und rauche die eigenen, die man mitgebracht hat.

Will man eine Dame umarmen, so warte man, bis das elektrische oder Gaslicht zur Vorführung von Schattenbildern oder eines Kinematographen abgedreht wird. Man ist dies dem anwesenden Gatten oder Bruder der Dame schuldig. Wird man trotzdem bei dem allgemein beliebten Umarmen erwischt, so spiele man den wilden Mann. Nützt dies nichts, so wisse man, wo die nächste Sanitätswache ist.

Findet man im Saal eine Bühne aufgeschlagen, so daß ein Festspiel zu erwarten ist, so beruhige man sich. Das Festspiel kann ja vielleicht beinahe kurzweilig sein.

Ist man an eine sehr unterhaltende Tischnachbarin[46] geraten, so gehe man nach Tisch in eine Restauration nebenan und erhole sich dort von dem Glück, das man gehabt hat.

Da die stark bevölkerten Feste in sehr großen Lokalitäten stattfinden, in welchen die Verwaltung mit großem schwarzem Finger auf den Weg zum Tunnel weist, so möchte ich, indem mir dies einfällt, auf einen verzeihlichen Irrtum belehrend aufmerksam machen, der leicht vermieden werden kann. Man sieht oft Paare auf diesem Wege hinabgehen. Bei diesen handelt es sich aber um eine Verwechslung mit dem Tunnel auf Eisenbahnfahrten. Im Gegenteil ist der Tunnel der großen Festlokalitäten sehr hell erleuchtet. Man trinkt daselbst Bier und raucht. Die Paare können sich daselbst sehr angenehm unterhalten, aber, wie gesagt, einen Tunnel im Reisesinne finden sie hier nicht.

Man gehe dann und wann an einem flirtenden Paare dicht vorüber, um sicher die Worte »Fishing for compliments« zu hören. Es sind dies zwar keine ganz neuen Worte, aber man vernimmt sie doch zuweilen gern, weil sie bekunden, daß einmal wieder einer Dame oder einem Herrn absolut nichts besseres eingefallen ist.

Ist man Schriftsteller, so wird man häufig dadurch von einem Gast hervorragend ausgezeichnet, daß er wohlwollend ersucht, oder fordert, ihm die Bücher, die man herausgegeben hat, auf einige Tage zu leihen. In solchem Fall sei man nicht kleinlich, sondern nenne dem Gast eine Buchhandlung, in welcher die Bücher käuflich zu erwerben sind.

Wird einem jungen Manne von einem bedeutend jüngeren Fräulein versichert, ihre Mutter würde sich sehr freuen, wenn er sich ihr vorstellte, so habe er dies nicht gehört. Nicht jeder ist einer Mutter gewachsen.

Ist man Gatte, hat seine Frau am häuslichen Herd gelassen und ist allein auf dem Fest erschienen,[47] so wird man am anderen Morgen nach besonders eleganten Ballkostümen gefragt. Für diesen Fall erleichtert es die Antwort, wenn man besonders gründlich diejenigen Damen betrachtet, welche ziemlich wenig bedeckt sind. Das ziemlich Wenige behält man leichter im Gedächtnis.

Hat man sich mit solchen Gastinnen sehr eingehend und gut unterhalten, so berichte man seiner Frau das Gegenteil.

Man schnupfe weder bei Tisch, noch beim Tanz, es sei denn, man ist ein Knote.

Tanzmeister und solche Gäste, welche eine Quadrille kommandieren, schreien immer, als stäken sie am Spieß oder bildeten sich zu Extrablatt-Verkäufern aus. Über solche Brüller beklage man sich nicht, weil dies absolut nichts nützt. Man behandle sie im Gegenteil mit Schonung, weil sie sonst noch ärger brüllen. Höchstens frage man sie: Sagten Sie was? oder: Wie meinten Sie?

Man sei, wenn irgend möglich, Reserveleutnant, verheimliche dies aber nicht, um nicht aufzufallen.

Alle Drucksachen, Albums, die Tischkarte und andere zur Verteilung gekommene Festgaben gebe man sorgfältig in der Garderobe ab, nachdem man den daselbst angestellten Frauen die Nummer angegeben hat. Da man die bezeichneten Sachen später nicht wiederfindet, so ist man sie los und braucht sich nicht mit ihnen den Heimweg zu erschweren.

Hierher gehört auch der alljährlich im Opernhaus stattfindende


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 41906, Bd. I, S. 46-48.
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