Kunstausstellungen und Gemäldegalerieen

[90] sind einige Ratschläge nicht als überflüssig zu bezeichnen.

Tritt man vor ein Gemälde, so blicke man zuvörderst in die rechte Ecke desselben, indem man sich dahin bückt, um den Namen des Malers zu entziffern. Man interessiert sich gar nicht für ihn, aber es ist so allgemein gebräuchlich.

Sieht man ein Porträt, so sage man: Sehr ähnlich! auch wenn man das Original nicht kennt. Man deutet nur damit an, daß man Menschen kennt, die sich malen lassen können. Anders, wenn man das Porträt einer oder eines Bekannten sieht. Dann erklärt man, es sei unähnlich, es fehlten die richtige Haltung und der seelische Ausdruck. Dadurch macht man auf die Umstehenden den Eindruck, man sei streng, aber gerecht.

Versteht man von der Malerei nichts, so spare man nicht mit kurzen, aber inhaltreichen Äußerungen. Hierzu merke man sich Ausdrücke, wie: Satte Farben, mangelhafte Perspektive, unnatürlicher Luftton, verzeichnet, die Figuren heben sich nicht ab, schmutzige Fleischfarbe u.s.w. An Statuen finde man einen zu langen oder zu kurzen Schenkel, einen zu kurzen Hals, Mangel an Originalität, an Büsten vermisse man das Wesen der oder der Dargestellten. Lob ausgeschlossen.

Beim Anblick von Centauren und in Fischschwänzen auslaufenden Frauen sage man, was einem einfällt. Im ganzen Saal ist keiner, der schon solche Mißgeburten lebend gesehen hat.

Sieht man das Bild eines Malers, der nichts kann und augenscheinlich selbst nicht weiß, was es darstellt, so vergesse man nicht, daß der betreffende[90] Maler jedenfalls eine Schule gegründet hat, und äußere sich also respektvoll über das Bild. Denn gewöhnlich steht in der Nähe ein Mitglied dieser Schule, was unter Umständen sehr unangenehm werden kann.

Man halte die Landschaft, welche ein anderes Mitglied der bezeichneten Schule ausgestellt hat, für einen Seesturm, oder für eine Liebesscene, je nachdem man aufgelegt ist. Es stimmt immer.

Will man sich einem anwesenden Sezessionisten angenehm machen, so nenne man jeden Künstler, der etwas leistet, einen alten Stümper. Sofort gilt man als ein kunstsinniger Mann.

Findet eine Dame eine sehr korpulente Eva ausgestellt, so glaube sie nicht, daß Eva vom Apfelgenuß so korpulent geworden ist, und fürchte sich auch in Zukunft nicht, Äpfel zu essen. Eva wird immer korpulent gemalt.

Sieht man das Bild einer nur mit einer Schlange bekleideten Frau, so ist es von Meister Stuck und stellt die Sünde vor. Ist solches Bild von einem Andern ausgestellt, so ist es ein Druckfehler im Katalog, auch wenn es keiner sein sollte.

Der Verliebte soll sich nicht einbilden, eine Ausstellung sei nur zu Rendezvous eröffnet. Sie hat ja wenig praktischen Nutzen, aber ausschließlich zu Rendezvous ist sie denn doch nicht vorhanden.

Auch wenn man Vergolder ist, soll man ein Gemälde nicht allein nach dem Rahmen beurteilen.

Wenn man keine Lose zur Ausstellungslotterie kaufen will, so sehe man sich die zur Verlosung angekauften Kunstwerke an. Vielleicht wird man dadurch in seiner Absicht bestärkt.

Ist man ein Friedensfreund und will von einer Schlacht nichts wissen, so betrachte man ein Schlachtenbild. So sieht keine Schlacht aus.[91]

Als Maler nehme man keine Einladungen zu Diners und Soupers an. Man kann dabei verhungern.

Nimmt man von einem Maler Abschied, so wünsche man ihm gesegnete Malzeit, nicht weil, sondern damit er was zu essen hat.

Man stehe nicht vor den Bildern der Impressionisten. Denn diese Bilder kann man nur als solche erkennen, wenn man ziemlich weit zurücktritt, und die Zurücktretenden pflegen sich auf die Füße der anderen zu stellen, während die Entschuldigung den Schmerz nicht wesentlich mildert.

Kann man dazu den nötigen Dummen auftreiben, so wette man mit diesem oft so wichtigen Menschen, daß sich in der Kunstausstellung badende Nymphen vorfinden. Die Wette ist gewonnen. Nymphen baden immer, daher findet man sie auch so sauber. Überhaupt bedecken gescheite Maler ihre Leinwand mit nackten Frauengestalten häufiger, als dies umgekehrt der Fall ist, da das Nackte die stärkste Anziehungskraft bildet. Selbstverständlich betrachtet man diese Bilder immer nur aus Interesse an der Kunst.

Ähnlich verhalte man sich im Skulpturensaal, wo der kalte Marmor meist unbekleidet aufgestellt ist, und zwar ist hier das Nackte gewöhnlich noch um einen Grad nackter als in den Ölsälen. Ich erinnere nur an den nackten Jüngling, der sich noch obenein einen Dorn auszog, obwohl dieser an der Splitternacktheit nichts geändert hatte.

Man traue den Damen nicht, welche an solchen Bildern und Marmorwerken mit niedergeschlagenen Augen vorübergehen. Auch denen nicht, welche sie aufsuchen. Man traue überhaupt den Damen nicht.

Der Maler beklage sich nicht, daß sein Werk im Dunkeln hängt und nicht gesehen wird. Er kann nicht wissen, wozu dies gut ist.

Wenn man ein guter Mensch ist, so lobt man[92] ein ausgestelltes Bild nicht so laut, daß es ein Maler hört, der es nicht gemalt hat, denn es ärgert diesen, und man soll den Nebenmaler nicht kränken.

Man bewundere kein Bild aus der neuesten Schule, indem man ausruft: »Welch ein herrlicher Sonnenuntergang!« Es ist vielleicht ein Fruchtstück. Man halte auch nicht ein Bild derselben Herkunft für die »Drei Hexen vor Macbeth«, der Katalog nennt es vielleicht: »Das Urteil des Paris«. Man benutze überhaupt den Katalog fleißig. Was man für eine Kleopatra hält, die zur Schlange greift, ist vielleicht eine Aalhändlerin in der Markthalle.

Hat man einen Begleiter, der alles lobt, was man häßlich, und alles tadelt, was man schön findet, so äußere man bald das Gegenteil dessen, was man denkt, und man wird die Zeit, die man in der Ausstellung zubringt, ganz angenehm verbringen. Es giebt Besucher, die immer das Gegenteil sagen, um als Kenner zu gelten, und mit denen man sehr diplomatisch verkehren muß.

Will man ein Bild kaufen, so ziehe man keinen Künstler zu Rate. Er ist vielleicht ein Freund des Fabrikanten, der den Rahmen geliefert hat.

Von den Kunstausstellungen zu den


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 41906, Bd. I, S. 90-93.
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