Ferien

[61] nicht auszuspannen und sich nicht zu erholen. Sie suchen den Frauen zu gefallen, spielen Karten, unternehmen große Fußtouren, hören alte Anekdoten an und unterhalten sich über Politik, bis die Ferien zu Ende sind und die Berufsarbeit wieder beginnt, in der sie sich dann langsam von den Anstrengungen der Ferien ausruhen.

Wenn man kein Talent zum Ausspannen und zum Erholen hat, so thut man gut, die Ferien unbenutzt zu lassen, da diese sowohl für den Körper, als auch für die Kasse zu anstrengend sind.

Selbst wenn man noch jung ist, strengt das Verliebtsein in den Ferien zu sehr an, um als Erholung gelten zu können. So schön Schiller diesen Herzenszustand schildert, so ist dieser doch bei näherer Betrachtung nicht von körperlicher und seelischer Anstrengung frei. Des Jünglings Alleinirren, das Hervorbrechen der Thränen und das Fliehen aus der Brüder wilden Reihn, indem er zugleich ihren Spuren folgt und das Schönste auf den Fluren sucht, sind unmöglich mit dem Begriff des Ausspannens zu vereinbaren.[61]

Ist man verheiratet, so ist die Frage, ob man in Gesellschaft der Familie oder allein ausspannen soll, nicht so einfach zu beantworten. Es kommt hierbei auf den Grad der Verheiratung an. Ist der Gatte sehr oder gar ungemein verheiratet, so ist es der Ausspannung von Vorteil, wenn der Gatte allein seine Ferien verbringt, wenn er gewissermaßen in stiller Zurückgezogenheit von der Werkeltagsarbeit genesen will oder soll.

Auf manchen Gatten wirkt schon eine leider oft so kurze Trennung von vier Wochen wie ein Wunder, wenn der Gatte in zu reichem Maße verheiratet ist. Schon in der ganz wie neu erscheinenden Zärtlichkeit in den Briefen und auf den bunten Postkarten spricht sich die Wohlthat deutlich aus, welche eine Trennung darstellt, ohne daß die zum Ausdruck kommende Sehnsucht echt zu sein braucht. Sind die beiden Orte telephonisch verbunden und plaudert der Gatte mit seiner Frau mittels dieser herrlichen Erfindung, so wird auch der Fernstehende zugeben müssen, daß sich in diese oft fünf Minuten ununterbrochen währende Unterhaltung kein Mißton drängt, wie er so gern im persönlichen Verkehr ohne eigentlichen Grund und zu beiderseitigem Bedauern oft schon nach ein- oder zweiminutlicher Plauderei zu kommen pflegt.

Es ist hier nicht der Ort, alle Ehepaare zu fragen, ob eine dann und wann stattfindende Trennung das eheliche Glück empfindlich stören, ja, ob eine solche nicht am Ende gar als eine nützliche Unterbrechung geschätzt werden würde. Eine solche Frage würde schon deshalb keine rechte Bedeutung haben, weil vielen Gatten von ihren besseren Hälften verboten würde, eine ehrliche Antwort zu geben. Trotzdem würde sich ganz gewiß eine imposante Majorität für eine Trennung in den Ferien aussprechen.

Als allzu Verheirateter wird man natürlich vor[62] keine leichte Aufgabe gestellt, wenn man der Gattin und dem etwaigen Kindersegen gegenüber eine Trennung durchsetzen soll. Mit den beschönigenden Redensarten »Toujours perdrix«, »Variatio delectat« und der Versicherung, daß der ewig blaue Himmel nur gewinnen könne, wenn sich einmal für kurze Zeit eine andere Farbe hineinmische, ist wenig gethan, weil sie nicht immer ohne weiteres für ehrlich gehalten werden. Man spiele daher mit dem Arzt unter einer Decke. Ist der Arzt selbst verheiratet, so bedarf es keiner weiteren Motivierung, um die nötige Trennung herbeizuführen.

Hat man diese durchgesetzt, so unterlasse man es nicht, während der Vorbereitungen zur Reise mit Bedauern von dieser Trennung zu sprechen. Dasselbe ist auch der Gattin zu empfehlen. Beide haben dies aber nicht zu übertreiben, damit das Erreichte nicht dadurch gefährdet werde, daß der eine oder der andere Teil im letzten Moment dem Jammer ein Ende macht und sich entschließt, mit in die Verbannung zu ziehen.

Als Ort, wo man die Ferien verbringt, ist kein naheliegender zu wählen, da die Verkehrsmittel heute zu leicht namentlich die Sonntage unsicher machen und die Familie zu Besuchen verführen. Jedenfalls wird es in naheliegenden Ausspannorten die litterarische Aufgabe des Gatten oder der Gattin sein, das Wetter so schlecht zu machen und die vorhandenen Vergnügungen so erbarmungslos herabzusetzen, daß den Adressaten die Lust zur Visite vergeht.

Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß nur Männer wegen übermäßiger Ehe nach einer längeren oder kürzeren, meist aber längeren Trennung zu verlangen das Recht oder das Bedürfnis haben sollen. Ist es bisher nicht betont worden, daß ebenso die Frau und ebenso häufig wie der Mann zu der[63] Einsicht gelangen kann und auch thatsächlich zu der Überzeugung gelangt, daß sie fast zu sehr verheiratet sei und daß eine Erholung erfreulich wirken könne, so soll dies hier ausdrücklich geschehen. In der Ehe gilt der Grundsatz: Gleiches Unrecht für alle.

Hört man eine Frau in den Ferien beklagen, daß sie allein in die Sommerfrische geschickt oder allein zu Hause geblieben sei, so stelle man ihr das Zeugnis aus, daß man von ihr höchst taktvoll zum besten gehalten worden sei.

Hört man einen Mann in den Ferien darüber jammern, daß er sich einsam fühle und außer sich darüber sei, daß seine Gattin ohne ihn reiste oder allein zu Hause blieb, so bitte man ihn, daß er sich für seine Komödie einen anderen Dummen aussuchen möge.

Trifft man in der Ferienfrische


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 61-64.
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