Frühkonzert,

[80] durch welches in größeren Städten die Inhaber öffentlicher Gärten schon in der Frühe die Bewohner an das Geldausgeben gewöhnen.

Wenn man in einer größeren Stadt während des ganzen Tages das Bedürfnis, Lärm zu hören, nicht vollständig zu befriedigen vermag, so beginne man den Tag mit dem Besuch eines Frühkonzerts, in welchem von einem halbwegs gut besetzten Orchester, sowie vom Publikum und von den Kellnern so viel Spektakel gemacht wird, daß man das Etablissement befriedigt, d.h. zur Genüge betäubt, verlassen kann.

Wer sich darüber beklagt, daß der Tag in einem Frühkonzert zu still begonnen habe, der spreche mit einem Ohrenarzt, welcher ihm vielleicht den Rat erteilen wird, mit einem Psychiater zu sprechen.

Man frage einen Musiker vom Frühkonzertorchester, ob er sich gern in einem Frühkonzert befinde, und er wird antworten, daß er das Publikum für verrückt halte.

Nach meiner Meinung ist das Frühkonzert etwas für Verräter. Denn, wie ein Bibelwort sagt, der Verräter schläft nicht. Er kann also in aller Frühe nichts besseres thun, als aufstehen und ein Frühkonzert besuchen. Man wird es ihm gönnen.

Wenn man versuchen will, festzustellen, ob man[80] am andern Tag Glück hat, oder nicht, so nehme man sich schon am Abend vor, am folgenden Morgen ein Frühkonzert zu besuchen. Vielleicht verschläft man's und hat den ganzen Tag Glück.

Man sage im Frühkonzert jedem, der es wissen will, daß man ein passionierter Frühkonzertbesucher sei. Sonst wird angenommen, man habe Wanzen, könne deshalb nicht schlafen und sei nun infolgedessen ein so frühzeitiger Musikfreund. Trifft dies zu, so sei man überzeugt, daß man im Frühkonzert von irgend einem anderen Ungeziefer geplagt wird.

Man nehme in das Frühkonzert aus der Apotheke ein Mittel gegen Mückenstiche mit. Es ist aber nicht so nützlich wie das Konzertprogramm, das man an der Kasse bekommt.

Wer verliebt ist und nichts lieber hat als ein Rendezvous, bei welchem ein Pärchen von allen Seiten scharf beobachtet wird, der entschließe sich rasch zu einem Stelldichein im Frühkonzert. Es wird ihm nichts zu wünschen übrig bleiben.

Ist man mit einem Kater aufgewacht und möchte ihn nicht los werden, so führe man ihn ins Frühkonzert und man wird ihn wohlbehalten wieder mit nach Hause bringen. Er braucht zu seiner Erhaltung kaum etwas mehr als um sieben Uhr in der Frühe ein Potpourri, und eine Ouverture gegen halb acht Uhr. Oft genügt schon das eine.

Eheleute, welche sich gerne schon in aller Frühe zanken, ist der Besuch des Frühkonzerts nicht zu empfehlen, da die Musik mit ihrem besänftigenden Wesen den ehelichen Streit nur stört, nicht beseitigt. Oft facht sie den Zank auch noch zu hellerer Flamme an, wenn das Orchester gewisse Nummern des Programms erledigt, deren Inhalt provoziert und reizt. Hier seien Ehepaare namentlich dringend gewarnt vor dem Prügelchor aus den Meistersingern, dem Gedankenaustausch[81] zwischen Ortrud und Telramund aus dem Lohengrin, den Zankduetts aus der Angot und den lustigen Weibern, dem Sängerkrieg und der großen Kampfscene aus dem dritten Akt der Hugenotten, welche schon Scheidungen zur Folge hatten. Sie sind daher nur Ehepaaren, welche sich mit Musikbegleitung trennen wollen, zu empfehlen.

Will man sich davon überzeugen, wie wenig fruchtbar auch ein Regen sein kann, so warte man solchen im Frühkonzert ab. Denn dieses wird dann im Saal fortgesetzt.

In vielen Familien wird von den Hausfrauen das Eintreffen des Sommers durch eine beliebte Ceremonie, genannt das


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 80-82.
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