Hochzeitsreisen

Hochzeitsreisen

[7] anschließen, obschon solche in allen Jahreszeiten unternommen werden, weil die Standesämter keine Ferien haben.

Da man als Bräutigam die Frau, welche man bekommt, nicht kennen lernte, so versuche man nicht, auf der Hochzeitsreise das Versäumte nachzuholen, da es zu spät ist.

Man gebe seiner jungen Frau auf der Hochzeitsreise[7] keinen Grund zur Eifersucht, da dies dann am leichtesten ist.

Da man an allen ihren Unterhaltungen teilnimmt, so gewähre man ihr jeden dahinzielenden Wunsch auf das zuvorkommendste.

Gerät man mit der jungen Frau in einen Streit, so gebe man nach. Nicht, weil der Klügere nachgiebt. Dies ist ein durchaus falscher Satz. Man gehe vielmehr nach, weil dies eine gute Übung für die Zukunft ist.

Man glaube nicht, daß es richtig sei, schon auf der Hochzeitsreise zeigen zu müssen, daß man Herr im Hause ist. Erstens ist man auf der Reise nicht im Hause, und zweitens lacht jede Frau über solche Versuche, ihr die Herrschaft zu nehmen.

Gleich nach jeden Zank schreibe man an die Angehörigen und Freunde, daß man sich sehr glücklich fühle. Hierzu bediene man sich der Ansichtspostkarten, damit man nicht ausführlich zu werden braucht. Nach dem fünften Zank versichere man an dieselben Adressen, daß noch kein dunkles Wölkchen den Himmel des Glücks getrübt habe. An diese Redensart hat man sich längst gewöhnt, niemand denkt sich etwas dabei, und sie verpflichtet zu nichts.

Wird der junge Gatte von seiner neuen Lebensgefährtin gefragt, ob sie seine erste Liebe sei, so bejahe er diese Frage. Natürlich glaubt sie ihm das nicht.

Wird die junge Gattin von ihrem neuen Lebensgefährten gefragt, ob er ihre erste Liebe sei, so bejahe sie diese Frage. Natürlich glaubt er ihr das.

Der junge Gatte mache keine Witze über seine Schwiegermutter, weil dies sehr geschmacklos ist, sondern zeige auf andere Weise, daß ihm nichts neues einfällt.

Au der Table d'hôte verschlinge das junge Paar sich nicht mit den Augen, sondern esse etwas, was[8] sättigt. Der Preis des Couverts bleibt derselbe, und es kommt später sicher die Zeit, wo man sich wundert, daß man einmal so dumm gewesen ist, sich nicht satt zu essen.

Der junge Gatte übertreibe die Galanterie nicht, damit sein späteres Verhalten nicht zu sehr auffalle, besonders wenn die Dame ein gutes Gedächtnis hat. Hat sie aber ein schlechtes Gedächtnis, so empfiehlt sich die Mäßigkeit auf diesem Gebiet schon wegen der größeren Billigkeit.

Auch wenn beide geschworen haben, sie hätten nie geliebt, ist es praktisch, gewisse Briefschaften vor dem Antritt der Hochzeitsreise einzuäschern. Denn nur die Asche, trotzdem sie weiblichen Geschlechts, ist diskret.

Wir kehren zu den Sommerreisen zurück.

Hat man das große Glück, vor der Stadt eine Villa zu besitzen, welche schöner ist, als irgend ein Haus, das man auf der Reise bezieht, so verläßt man sie in den ersten warmen Tagen, um alle Unbequemlichkeiten einer sogenannten Sommerfrische vorzuziehen. Dies ist allen Reichen ohne Ausnahme zu empfehlen, damit sie nicht übermütig werden. Auch pflegen die Einbrecher, welche mit Vorliebe unbewohnte Landhäuser ausplündern, sehr für solche Sommerreisen eingenommen zu sein. Ich weiß dies genau, und man braucht deshalb keine Erkundigung in Einbrecherkreisen einzuziehen.

Man nehme nicht zu viele Schmuckgegenstände in die Sommerfrische mit, obschon sie auch dort gestohlen werden können. Ist dies an einem Ort geschehen, wo es keine Zeitungen giebt, in denen man den Diebstahl bekannt machen und vor dem Ankauf der Wertsachen warnen kann, so bekommt man diese auch nicht wieder, wenn man sie von einem Dorfbeamten ausklingeln oder austrommeln läßt.[9]

Bevor man in der Sommerfrische eine Wohnung bezieht, lasse man sich vom Vermieter versichern, daß sie ungezieferfrei ist. Nachdem man diese Versicherung erhalten hat, ziehe man ein, um nachts eine um so größere Überraschung zu erleben, namentlich aber die Freude darüber, daß man sich mit Insektenpulver und ähnlichen Reiseutensilien versehen hat. Wer dergleichen nicht besitzt, merke sich was folgt: Wanzen in Betten vermeidet man am sichersten dadurch, daß man auf dem Sofa oder auf zwei Stühlen schlaft. Die Zahl der Schwaben verringert man gewöhnlich durch Töten dieser unsympathischen Haustiere. Flöhe werden dadurch zur Strecke gebracht, daß man ruhig wartet, bis sie sich, vom Springen ermüdet, irgendwo niedersetzen und arglos, wie sie sind, ergreifen lassen. Hat man sie ergriffen, so ist es eine Kleinigkeit für den Jäger, sie unschädlich zu machen. Gegen Ratten und Mäuse bediene man sich der Fallen, welche sich bequemer als Reisekatzen mitführen lassen. Bemerkt man nach dem Schlafengehen, daß sich eine Fledermaus im Zimmer gefangen sieht, so öffnet man alle Fenster und wartet, bis sie wieder herausgeflogen ist. Dann schließt man rasch die Fenster und schläft beruhigt ein.

Ist das Haus, von welchem aus man die Sommerfrische genießen will, durch Fliegen belebt, so wird man wohl selbst wissen, daß es gegen diese Plage kein besseres Mittel als Winterkälte giebt, welche allerdings fast unfehlbar wirkt, aber nicht abgewartet werden kann. Man bediene sich also aller bekannten Abwehrinstrumente und Kammerjägermittel, um einsehen zu können, daß alle nichts nützen. Da Fliegenflaschen, in denen der Spiritus jede Fliege, welche in ihn hineingeraten, betäubt und tötet, nicht aufzutreiben sein werden, sind die bekannten Fliegenstöcke zu empfehlen, welche gleichfalls selten zu haben sind, während sie in großen Städten zu Tausenden durch[10] den Kleinhandel vertrieben werden. Sind die Fliegenstöcke aber in der Sommerfrische herbeizuschaffen, so bilden sie, selbst von bethörten Fliegen bedeckt, sogar einen Zimmerschmuck, der in Sommerhäusern selten zu sein pflegt. Allerdings muß man sie nicht näher betrachten, da der Anblick des Stangenkletterns der angeklebten Fliegen, welches in einem vergeblichen Bemühen, loszukommen, besteht, kein erquicklicher sein kann.

Über die Mücken mache man sich keine Sorgen. Man trifft sie an allen Orten der Sommerfrische. Gegen ihre Stiche verkauft jede Apotheke einige Flüssigkeiten, mit denen man die Haut oder die Verletzungen derselben einreibt. Helfen sie nicht, so spare man sich den Weg in die Apotheke, da sie das Geld um keinen Preis zurückzahlt und weil sie ferner von der Unwirksamkeit der verkauften Mittel bereits vollkommen unterrichtet ist.

Fordern die Wirtsleute einen unverschämt hohen Mietspreis, so greife man zu, weil ihre Förderung am andern Tag eine noch unverschämtere werden würde, wenn die Wohnung dann überhaupt noch zu haben ist.

Findet man, daß die Wirtsleute grob sind, so sei man selbst höflich, damit sich die eigene Bildung hier um so schärfer von dem dunklen Hintergrund abhebe. In anderer Weise ist kein Nutzen aus der Grobheit der Wirtsleute zu ziehen. Andern läßt sich an ihr aber nichts.

Befindet sich in der Nähe der Sommerwohnung, in welcher man sich gründlich erholen will, eine klappernde Mühle, eine Schmiede, eine Kinderschule, ein Sägewerk oder dergleichen, so wird man sich nach etwa acht Tagen an den betreffenden Lärm so gewöhnt haben, daß man ihn kaum noch störend vernimmt, ja, daß man ihn später in der Heimat vermißt.[11]

Mit den Mägden und anderen weiblichen Dorfbewohnern lasse man sich in keine näheren Beziehungen ein. Sie sind sehr tugendhaft und haben schon ein Verhältnis mit einem muskulösen Standesgenossen, mit dem nicht zu spaßen, sondern nur zu raufen ist, was nicht jedermanns Sache zu sein pflegt.

Speist man im Freien, weil dies der Seele und dem Körper vorteilhaft ist, und es fällt eine Raupe in die Suppe, so gerate man nicht in Zorn, denn sie kann nichts dafür, und es ist ein Unglück für sie. Man fische sie heraus und werfe sie fort, ein anderer Rat fällt mir in diesem Augenblick nicht ein. Auch wohl später nicht.

Ist man ein Freund des Sports, so veranstaltet man ein Schneckenwettrennen im Garten hinter oder vor dem Sommerhause. Schnecken sind leicht aufzutreiben. Alsdann stellt man etwa zehn nebeneinander und beobachtet nun, welche von ihnen nach einer Viertelstunde zuerst den weitesten Weg zurückgelegt hat. Trägt diese Unterhaltung auch nicht zur Veredlung der Schnecken bei, wie dies bei den Pferden der Fall ist, so vergeht doch die Zeit angenehm, und dies ist ohne Zweifel in der Sommerfrische die Hauptsache.

Man verschiebe die Heimreise, wenn dies sich irgend ermöglichen läßt. Denn die Heimreise ist jedenfalls das Erfreulichste an einer Sommerreise, und indem man sie vertagt, genießt man also die Freude des Erwartens um so länger.

Befinden sich in der Nähe der Sommerfrische


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 7-12.
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