Maikäfer

[104] statt, welche sehr schädlich sind. Man findet sie überall, wo sie nicht sein sollen, und sie erscheinen alle drei oder vier Jahre in großer Masse. Leider hat sich ihnen noch nicht die Sammelwut wie den Marken, Liebigbildern und Postkarten zugewendet, was wohl darin seinen Grund hat, daß der Sport der Maikäfersammler ungemein nützlich wäre. Man hat berechnet, daß, wenn alle Markensammler statt der Marken Maikäfer sammelten und einer immer wenigstens eine mit Maikäfern gefüllte Cigarrenkiste mehr als der andere aufzuweisen suchte, das sogenannte Maikäferjahr völlig unschädlich vorübergehen würde.

Ist man sehr human, so tritt man dem Maikäferhandel kräftig entgegen, welcher von jungen Spekulanten auf offener Straße getrieben und allgemein als Tierquälerei gebrandmarkt zu werden pflegt. Man wird den Handel zwar nicht vernichten, aber sagen können, daß man human gewesen, oder versucht hat, zu beweisen, daß man die Fahne der Humanität hochzuhalten oder zu schwingen bestrebt ist. Aber nützlicher würde man sich machen, wenn man in die Firma der Maikäferhändler einträte und mit ihnen die Zahl der schädlichen Kerbtiere verminderte, und man wäre dann nicht nur nützlich, sondern auch human gewesen.

Geht man mit einer Dame spazieren und erbleicht sie mit einem Schrei des Entsetzens aus gepreßtem[104] Herzen, weil sie sieht, daß ein Vogel im Fluge einen Maikäfer erwischt hat und ihn verspeist, so tröste man sie damit, daß es auch einen schlimmen Eindruck auf einen gefühlvollen Maikäfer machen würde, wenn er sie einen Vogel verspeisen sähe. Hierauf sei man gegenüber dieser Dame vorsichtig, da sie wahrscheinlich auch bei anderen Gelegenheiten lügen wird.

Entfaltet nun der Sommer alle seine Reize und wird er so schön, wie sich eines solchen die ältesten Leute nicht zu erinnern vermögen, wobei nicht vergessen werden darf, daß sich die ältesten Leute niemals durch ein tadelloses Gedächtnis auszuzeichnen pflegen, so darf man mit einigem Bedenken an die


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1905, Bd. II, S. 104-105.
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