Der Königsmörder

Der Königsmörder.

[105] Hieraus ist zu ersehen, daß nicht der Königsmörder gemeint ist, der, ein Anarchist, ein Nihilist, oder ein Wahnsinniger, auf offener Straße einen regierenden Fürsten überfällt und tötet. Dies ist in gewissem Sinn ein ehrlicher Mörder. Indem er einen Fürsten tötet, setzt er sein eigenes Leben aufs Spiel, wird auf frischer Tat ergriffen und büßt sein Verbrechen unter dem Beil des Henkers oder im Kerker. Vielleicht versucht er, sich durch die Flucht dem irdischen Richter zu entziehen, aber dies gelingt ihm nicht. Er wird gepackt, gelyncht und vor Gericht gestellt. Von diesem Augenblick an verkehren nur die Richter mit ihm, denen der moderne Knigge keine Fingerzeige für den Umgang mit ihm zu geben braucht.

Der Königsmörder, von dem hier die Rede sein soll, ist der Königsmörder serbischer Linie. Bein Abschlachten behauptet er, die Verfassung zu schützen und sich den Dank des Vaterlandes zu verdienen.

Man sage ihm nicht, daß er trotzdem ein Mörder sei, denn es kommt ihm auf einen Mord mehr oder[105] weniger nicht an, und man ist im Handumdrehen gleichfalls über den Haufen geschossen. Allerdings pflegt er auch für diesen Mord keine Belohnung zu verlangen, oder auf eine angebotene zu verzichten, dies ist indes für keinen Erschossenen oder Erstochenen eine Beruhigung oder Erquickung, sondern ändert absolut nichts an der blutigen Tatsache.

Vor allem vermeide man es, mit einem Königsmörder in der guten Gesellschaft, namentlich in aristokratischen Kreisen zusammenzutreffen, oder, wenn man der Gesellschaft nicht ausweichen kann, mit ihm in ein Gespräch verwickelt zu werden. Denn er würde doch jedenfalls von seinem Mord erzählen und als Retter und Beglücker des Vaterlandes bewundert sein wollen. Ist man nun der Meinung, daß ein Vaterland durch Mord weder gerettet, noch beglückt werden kann, und hat man den Mut, dies auszusprechen, so wähle man die Worte mit aller Vorsicht für den Fall, daß sich keine Unfallstation, oder kein Krankenhaus in der Nähe befinden sollte, da man sicher sein kann, von dem Königsmörder tödlich, oder doch so verwundet zu werden, daß man mehrere Nadeln, oder gar einer Amputation dringend bedarf.

Trifft man mit mehreren Königsmördern zusammen, so entferne man sich, wenn man in ein Gespräch mit ihnen verwickelt wird, von derjenigen Seite des Saales, an welcher sich die Fenster nach dem Park oder nach der Straße befinden. Die Königsmörder pflegen nämlich, wie dies im Belgrader Konak geschehen ist, die von ihnen Verwundeten oder Gemordeten aus dem Fenster zu werfen, falls sie die Absicht haben, das Vaterland gründlicher zu retten, als nötig erscheint.

Der Bürgerliche nehme nicht an, daß er in der Gesellschaft des Königsmörders nichts zu fürchten habe. Hat der geborene Königsmörder auch nur[106] einen König oder ein Königspaar umgebracht, so schont er auch die Bürgerlichen oder, wenn er Offizier ist, die Standesgenossen nicht. Der Bürgerliche hüte sich also, z.B. Karten mit ihm zu spielen, einerlei welches Spiel er vorschlagen sollte. Leicht kommt es beim Kartenspiel zu einer Meinungsverschiedenheit, welche gewöhnlich in einen Wortwechsel ausartet, und hat dann der Bürgerliche einen König in der Hand, oder gar ausgespielt, so benützt der Mörder diesen Umstand, in einen unbändigen Zorn zu geraten und auf die bezeichnete Karte einen scharfen Schuß abzugeben, welcher irrtümlicherweise den Bürgerlichen niederstreckt. Falls also der Bürgerliche von dem Königsmörder zu einem Kartenspielchen eingeladen wird, lehne er mit dem Bedauern, nicht spielen zu können, die Einladung einfach ab, entferne sich aber sofort und zwar, wenn möglich, aus der Schußweite.

Es kann vorkommen, daß man trotz aller Vorsicht plötzlich mit einem Königsmörder zusammentrifft. Da er gewöhnlich ein Mann in gesicherter Stellung ist, so ist man sehr oft der Gefahr ausgesetzt, ihn unter den Gästen eines sogenannten vornehmen Salons zu treffen und ihm vorgestellt zu werden. Diesen Augenblick benutze man, ihm zu erzählen, was ihn vielleicht vom Morde zurückhält, oder ihm doch Mäßigung auferlegt. Man stelle sich z.B. schwerhörig und antworte ihm auf gleichgültige Fragen nach dem Befinden, oder ob man viel ins Theater gehe:

»Im Gegenteil, ich gehe niemals ohne einen geladenen Revolver aus, selbst in der Gesellschaft nehme ich ihn mit. Geht man spät nach Hause, so kann man, da die öffentliche Sicherheit viel zu wünschen übrig läßt, angegriffen werden, und dann darf man nicht wehrlos sein.« Oder:[107]

»Man muß heutzutage auf der Hut sein. Bedroht mich jemand, so schieße ich ihn nieder. Ich bin zum Glück ein guter Schütze.«

Wehrlosen Frauen ist zu raten, sich Königsmördern fern zu halten, auch wenn diese gute Tänzer oder fertige Don Juans sein sollten. Denn wir wissen, daß in Belgrad eine völlig wehrlose Frau zum Wohl des Vaterlandes abgeschlachtet worden ist und daß die Königsmörder für diese patriotische Tat den Dank der Volksvertretung erwarteten.

Will man der Sicherheit halber einen Königsmörder, mit dem man verkehrt, schmeicheln, um ihn freundlich zu stimmen, so nenne man den ersten Mörder, Kain, einen Feigling, weil er sein Opfer im offenen Felde und nicht im Schlaf überfiel. Auch sei es eine Feigheit Kains gewesen, daß er allein und nicht mit einem zahlreichen Verein von bewaffneten Mördern einen einzelnen Mann getötet hat. Sofort wird man von dem betreffenden Königsmörder als ein Ehrenmann geachtet und zur Teilnahme an dem nächsten Mord notiert werden.

Sollte man dies vermeiden wollen, was ja sehr begreiflich wäre, so sage man dem Königsmörder, daß man einen Mord nur für eine Belohnung begehen werde. Da er bekanntlich nur zum Wohl des Vaterlandes mordet, so wird man wieder ausgestrichen und der Verachtung aller Königsmörder preisgegeben.

Plaudert man mit einem Königsmörder und entdeckt man an ihm eine kostbare Uhr oder einen Diamanten, so spreche man nicht über diese Schmucksachen. Es könnte ihn unangenehm berühren, daß sie dadurch profaniert werden, denn die Schmuckgegenstände sind vielleicht Erinnerungen an die begangenen Morde, Andenken, von denen die Erben der Ermordeten nichts wissen.

Wir verlassen nun den Königsmörder und wenden[108] uns demjenigen Manne zu, der den Thron einnimmt, welchen die Königsmörder leergemeuchelt haben.

Man nehme an, daß


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 105-109.
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