Erscheinenden Geistern

[61] betrifft, so mögen namentlich für Gläubige, denen dieser Umgang neu sein sollte, einige nützliche und notwendige Bemerkungen eingeschaltet werden.

Erscheinen Geister Verstorbener, die man bei Lebzeiten gut gekannt hat, so vergesse man niemals, daß die ehemaligen Freunde, Bekannte oder Verwandte jetzt nicht mehr leben, sondern in ihrer Eigenschaft als nunmehrige Geister ganz anders zu behandeln sind. Man rede sie zwar nach wie vor mit Du an, erinnere sie aber nicht an die Streiche, die man früher mit ihnen gemacht hat. Es ist ihnen fatal, daran erinnert zu werden, besonders wenn noch andere Geister, die vielleicht etwas indiskret sind und drüber gerne plaudern, anwesend sind. Man biete ihnen keine Zigarre oder Prise an, laden sie nicht zu einer Partie Kegel ein, wolle sie nicht in eine Bar führen und erzähle ihnen nichts von seinen noch lebenden Kumpanen. Man hüte sich vor den gewöhnlichen Redensarten, mit denen man Freunde nach kurzer oder langer Trennung zu empfangen pflegt, als da sind: Na, wie geht's? Wo hast Du so lange gesteckt, Dickerchen? Du siehst unberufen gut aus. Du bist wohl höllisch solide geworden? Ganz abgesehen davon, daß sich solcher Alltagston im Verkehr mit Geistern nicht schickt, Geister lassen sich nicht auf solche Fragen ein, sondern hören an ihnen vorbei. Hat man eine Forderung an sie, oder ist man ihnen gar Geld schuldig, so spreche man nicht davon, da beides einem Geistgewordenen nur unangenehm sein kann, und wenn ein Geist sich zu der Bemerkung hinreißen ließe: Du bist doch noch immer so knotig, wie Du warst, als ich Dich noch persönlich kannte! oder einfach sagt: Halt's Maul! so macht dies, da man nicht allein mit ihm ist,[61] einen höchst peinlichen Eindruck, und man kann auch nichts erwidern, da alles, was Geister sagen, bekanntlich lautere Wahrheit ist. Also Vorsicht!

Erscheint der Geist einer Frau, deren Gatte man war, oder der Geist eines Mannes, dessen Witwe man ist, so rühre man die alten Geschichten nicht auf, wegen welcher man einst in Unfrieden lebte. Taktvolle Geister werden dies gewiß nicht tun, sondern sich auf Blumenspenden beschränken. Man lasse das Vergangene einfach vergangen sein. Ist man wieder verheiratet, so verschweige man dies, und wenn aus keinem anderen Grunde, so deshalb, weil man den Geist der Frau oder des Mannes nach einer vielleicht unglücklichen Ehe zu einer Äußerung der Schadenfreude verleiten konnte, was für beide Teile unpassend erscheinen würde.

Ist man von seiner verstorbenen Frau oder vom seligen Gatten geschieden, so lasse man, auch wenn der Spiritist darauf besteht, ihren oder seinen Geist überhaupt nicht erscheinen. Es dürfte beiden sehr unangenehm sein.

Man frage keinen Geist, wie es in der vierten Dimension aussehe. Er wird entweder der Wahrheit gemäß antworten, daß es daselbst gar nicht aussehe, oder er würde eine Beschreibung geben, die man nicht verstände. Sollte aber der Spiritist oder sein Medium illustrierte Fremdenführer durch die vierte Dimension, Photographieen von vierten Dimensions gegen den, Geistervolkstypen und öffentlichen Denkmälern, oder gar Ansichtspostkarten mit »Gruß aus der vierten Dimension« zum Kauf anbieten, so kaufe man einige solcher Bilder und Karten und bewahre sie sorgfältig auch für den Fall, daß man einst wegen eines Vergehens angeklagt wurde. Wenn die bezeichneten Kunstschätze im Besitz des Angeklagten gefunden werden, so würde es dem Verteidiger nur wenig Mühe machen, das Gericht zu[62] veranlassen, den Geisteszustand des Angeklagten untersuchen zu lassen, worauf die Freisprechung oder Internierung in einer schön gelegenen Heilanstalt zu erfolgen hätte.

Werden Geister berühmter Persönlichkeiten angemeldet, so zweifle man keinen Augenblick, daß es die echten sind, weil sie dies verdrießen und ihnen von der jetzt herrschenden Art und Weise, bedeutende Fremde zu empfangen, einen falschen Begriff beibringen würde. Erschiene also Napoleon und bemerkt man, daß er keine Sprache außer der deutschen kenne, so finde man dies nicht am Ende gar verdächtig. Ebenso verhalte man sich gegenüber dem Geist Shakespeares, falls dieser kein englisches Wort sprechen sollte, oder gegenüber dem Geist Dantes, wenn dieser sich an Stelle des Italienischen nur des Deutschen mit sächsischem oder ostpreußischem Accent mächtig zeigte. Der Spiritist würde sehr verstimmt werden, wenn darüber gespöttelt werden sollte, und vielleicht, um den Pessimismus nach Gebühr zu strafen, die Geistersitzung schließen, ohne das Eintrittsgeld zurückzuzahlen, und das ganze Vergnügen hätte ein Ende.

Besteht die Gesellschaft aus Herren und Damen und hört man, nachdem der Saal vollständig verdunkelt worden ist, zehn bis zwölf oder noch weniger Küsse und einige Schreie der Entrüstung, so rühren solche natürlich von Geistern her, namentlich von solchen, welche die irdischen Gebräuche noch nicht völlig abgelegt haben. Selbst schallende Ohrfeigen sind in dieser Weise zu verstehen und zu entschuldigen. Wenn es wieder hell geworden ist, so wird dies einstimmig bestätigt werden.

Sollte von irgend einem Geist eine Tellersammlung zur Linderung der Not, welche in der vierten Dimension herrscht, angeregt werden und das Medium diese Sammlung freundlich veranstalten, so spende man[63] nur eine Kleinigkeit vom Hosenknopf aufwärts, da die Bedürfnisse wirklicher Geister nicht groß zu sein pflegen.

Ist man ein liebenswürdiger Mensch, so setzt man sich in der Sitzung, läßt sich von dem Geistermeister bestreichen und stellt sich schlafen. Dies ist, wenn man das Schnarchen unterläßt, nicht schwer und macht nicht nur den anwesenden Gläubigen Vergnügen, sondern man hat selbst Spaß daran. Nur wenn Kunststücke gefordert werden, lasse man sich nicht auf den Schwindel ein. Bekommt man z.B. eine rohe Kartoffel, um sie als Apfel zu essen, so beiße man nicht hinein, dagegen riskiert man nichts, wenn man einen Apfel bekommt, um ihn in der Meinung zu verspeisen, man esse eine rohe Kartoffel.

Der moderne Knigge sieht hier ein, daß es nicht leicht sei, für den Umgang mit den Vertretern des Spiritismus einen erschöpfenden Leitfaden zu spinnen. Denn der anfangs so einfache Beruf des Spiritisten ist durch immer neu entdeckte Verbindungen mit dem Geisterreich ein so ausgedehnter geworden und es haben sich so viele Leute in dieser Branche etabliert, daß dieser interessante Geschäftszweig wie etwa der der Massage, der Photographie, der Eisenbahnlektüre, der Seifenfabrikation und vieler anderen Einnahmequellen kaum noch zu übersehen ist. Der Spiritismus ist allmählich ein Warenhaus der vierten Dimension geworden, in welchem alles zu haben ist, was ein halbwegs anspruchsvoller Mensch gebraucht, um mit der über- und unterirdischen Welt in reger Verbindung zu bleiben. Dem Spiritisten überall hier zu folgen, wurde daher den modernen Knigge zu weit führen, und Gläubige und Ungläubige werden so freundlich sein müssen, sich mit den gegebenen Fingerzeigen zu begnügen.

Ohne weiteren Zeitverlust wollen wir uns mit[64] anderen Zeitgenossen beschäftigen, mit denen umzugehen nicht so leicht ist, wie dies zu sein scheint. Einer dieser ist


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 61-65.
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