Von den Ministern

[17] aller Reiche und Länder haben sich, das muß man ihnen zum Lobe nachsagen, falls sie bereits ihr Portefeuille niedergelegt – in Deutschland nennt man dies: den Lucanus überstanden – haben, nur wenige an ausbrechenden Handgreiflichkeiten beteiligt. Ihre Stellung verbietet es ihnen, auch ermöglicht es ihnen die Lage der Ministerbank leicht, sich in Sicherheit zu bringen, wenn ihnen auf den Leib gerückt wird. Aber es ist auch in anderer Beziehung nicht leicht, in ihre Nähe zu kommen, da ihnen ihr wichtiges Amt[17] eine nicht gewöhnliche Zurückhaltung auferlegt. – Es bietet der persönliche Verkehr mit ihnen Schwierigkeiten, die zu überwinden nicht leicht sind, und einige Fingerzeige dürften somit nicht unwillkommen sein.

Ist man mit einem Manne befreundet, der plötzlich einen Ministerposten erhält, so beeile man sich, ihm zu dieser Ehre zu gratulieren. Denn es könnte sonst zu spät sein, da in den Ministerien überall ein ewiges Kommen und Gehen stattfindet. Wer heute Minister war, ist dies vielleicht vorgestern erst geworden.

Kennt man sein Programm nicht, so lobe man es, zu welchem Zweck man sich der Worte: vielversprechend, allen Parteien gerecht werdend und für das Land segensreich bedient. Auch versäume man nicht, hinzuzufügen, daß man schon immer behauptet habe, er sei der kommende Mann, besonders wenn einem das nie im Leben eingefallen, sondern wenn man mit dem ganzen Lande überrascht gewesen ist, als er plötzlich auch zu seiner eigenen Überraschung auf den Ministerposten gestellt wurde.

Duzte man sich mit ihm, bis er Minister wurde, so rede man ihn nun mit Sie und Exzellenz an. Wie man ihn kennt, wird er dies zwar unwillig anhören, aber dulden.

Erwartet man von ihm eine Förderung, eine Unterstützung in der Erfüllung einer Hoffnung, oder geschoben zu werden, so lege man ihm dieses ans Herz. Er wird sicher mit entgegenkommender Liebenswürdigkeit versprechen, die Sache im Auge zu behalten. Man erinnere ihn aber nicht an sein Versprechen, da er es wirklich nicht längst vergessen hat, um daran erinnert zu werden.

Wird man von ihm zu Tisch geladen, ohne selbst hochgestellt zu sein, so darf man sich auf einige sehr angenehme Stunden freuen. Denn es werden weder[18] Herrschaften vom Hofe, noch die Kollegen des Ministers eingeladen sein, so daß man sich in einer Gesellschaft befindet, zu welcher man mehr oder weniger paßt. Spricht man sich hierüber gegen den alten Freund mit Dank und Freude aus, so tue man dies auch, wenn man es wirklich so meint, was aber nicht der Fall zu sein pflegt.

Liest man in der Zeitung, daß der Freund und Minister ein Diner geben wird, an welchem die sämtlichen Minister und andere hohe Staatsmänner und Würdenträger teilnehmen werden, so hat man die Freude, über den betreffenden Tag frei verfügen zu können, da man zu diesem Diner nicht eingeladen ist.

Ist man mit dem Minister nicht befreundet, hat aber Gelegenheit, geschäftlich oder gesellschaftlich mit ihm in Verbindung zu treten, und ergreift man dann diese Gelegenheit, den Minister etwas sehr Wichtiges zu fragen, so höre man seine Antwort mit gespanntester Aufmerksamkeit an, denn man kann aus ihr lernen, wie man antwortet, wenn man nicht antworten will. Dies ist für das Leben nützlich und wichtig.

Wird aus dem Mann, der erst kürzlich der kommende gewesen, der gehende Mann, indem er auf allerhöchsten Wunsch aus Gesundheitsrücksichten um seinen Abschied bittet, so gratuliere man ihm zu seinem Wohlbefinden, da er völlig gesund ist. Denn als Gesundheitsrücksichten gelten: Unzufriedenheit des Landesfürsten, Ablehnung eines von dem Minister eingebrachten Gesetzes im Parlament, Änderung in der Politik, welche der Minister nicht billigt, oder auch die Nase des Ministers, welche der Landesmutter oder einer anderen Höchstkommandierenden nicht gefällt.

Wenn man Minister ist, so lache man über einen Witz der hohen und höchsten Hofherren besonders herzlich
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1. wenn er alt und längst bekannt ist, und wenn man schon vor mehreren Jahren nicht über ihn gelacht hat,

2. wenn dem Hofherrn auch sonst niemals ein neuer Witz einfällt,

3. wenn die alte Anekdote von dem Hofherrn so erzählt wird, daß man merkt, er habe die Pointe vergessen.


In letzterem Fall wage man nicht, den Fehler dadurch gut zu machen, daß man die richtige Pointe zum besten gibt.

Man schwöre, wenn man Hofdamen, namentlich ältere, begrüßt, daß sie vortrefflich aussehen, und daß man nicht allein, sondern daß die Gesellschaft ihre jugendlich blühende Erscheinung entzückend finde. Man fürchte selbst dann nicht in Ungnade zu fallen, wenn die älteren Damen finden, daß man hätte etwas enthusiastischer sich vernehmen lassen können.

Im Parlament und beim Empfang von Deputationen aller Art flechte man in seine Reden einige allgemein liberale Sätze, die ungemein gern gehört, rasch verbreitet und nicht für echt gehalten werden.

Hat man das Portefeuille niedergelegt, so sage man jedem, der es nicht wissen will, daß man Gott danke, die Last los zu sein. Dies hat das Gute, daß man von manchem wegen eines sich fühlbar machenden Schmerzes nicht bemitleidet wird.

Erhält man in der Abschiedsaudienz aus des Fürsten Hand einen hohen Orden, so nehme man ihn tiefgerührt an. Dies studiere man aber vorher ein, bis man ein Virtuose in tiefer Rührung ist, damit der Fürst, der häufig das Theater besucht, nicht die Komödie merke.

So schwierig man sich den Umgang mit eben ernannten oder eben entlassenen Ministern vorstellt, so[20] leicht stellt man sich irrtümlicher Weise den Verkehr mit einem


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 17-21.
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