der Kunstkenner

[72] vorgeführt und natürlich der, welcher sich einbildet, es zu sein, aber völlig ahnungslos ist und die Kunst in den Tag hinein kennt.

Der wirkliche Kunstkenner weiche ihm aus, falls er es nicht vorziehen sollte, mit einem Manne zu verkehren, in dessen Gesellschaft er nach kurzer Unterhaltung die Empfindung haben muß, er verstehe absolut nichts. Dies wird ihm der Moc-Kunstkenner klar beweisen.

Man wird von dem Moc-Kunstkenner erfahren, daß er viel über Kunst gelesen habe, Abonnent irgend einer Kunstzeitschrift sei und viele Photographieen von Kunstwerken besitze. Aber man wird auch zugleich bemerken, daß er, ausgestattet mit dem ganzen Wortschatz des Gelesenen und mit einem guten Gedächtnis für dessen Schlagworte, nichts gelernt und nichts vergessen hat. Dagegen imponiert er dadurch jeden, der nicht mehr als er von Kunst versteht, weil niemand unmöglich weniger als er von Kunst verstehen kann.

Man gewöhne sich in der Unterhaltung mit ihm an, fortwährend mit dem Kopf zu nicken oder ihm mit unartikulierten Tönen zuzustimmen. Denn jeder Widerspruch oder Versuch, ihn eines Besseren zu belehren, versetzt ihn in einen Zustand der Wut, welche unberechenbar zu sein pflegt. Besitzt man die Fähigkeit, Gedanken zu erraten, so wird man ihn »Dummkopf«, oder im besten Fall »Der Esel hat recht« denken hören.

Ist man Maler und hat man die ganz unmögliche Lust, zu erfahren, was man nicht ist, so wende man sich vertrauensvoll an den Moc-Kunstkenner, von dem man dann hört, daß man weder Raphael, noch[72] Murillo, weder Rubens, noch ein gewisser Müller ist. Mit letzterem spielt er nämlich häufig Skat, und er hat von ihm ein Bild zum Geburtstag erhalten, bei welcher Gelegenheit er beschlossen hat, ihn zu protegieren.

Möchte man erfahren, wer außer diesem gewissen Müller irgend etwas auf irgend einem Kunstgebiet leistet, so durchwandere man in seiner Gesellschaft die Räume einer großen Kunstausstellung. Schon nach einer halben Stunde ist man dahin belehrt, daß außer diesem gewissen Müller niemand etwas leistet und daß die Kunst überhaupt vollständig darnieder liegt. Unser Kunstkenner weiß nur zu gut, daß ein Kritiker nur dann etwas gilt, wenn er nichts gelten läßt und noch etwas weniger anerkennt. Er weiß, daß Lob und Anerkennung kein Aufsehen machen, daß nur der Tadler in der Gesellschaft geachtet wird und daß, wer lobt und anerkennt, allgemein als jemand, der absolut nichts versteht, verschrieen ist.

Besitzt man die Kopie irgend eines Bildes, einer Statue, eines Holzschnitzwerks oder eine ähnliche Fälschung, so ersuche man den Moc-Kunstkenner, ohne ihn einzuweihen, um sein Urteil, und er wird sich freuen, endlich das Werk zu sehen, von dessen Existenz er längst gewußt habe. Sollte er aber erklären, daß er eine schlechte Kopie habe, so ersehe man hieraus, wie viel Glück man im Raten haben kann. Es kommt nämlich ebenso vor, daß der Kunstkenner auch ein Original als ein Original erklärt.

Fragt man ihn, warum er nicht selbst male, bildhaue oder dichte, so wird er seufzen, daß er keine Zeit habe. Ja, wenn er Zeit hätte!

Trifft man ihn im Theater, wo eben ein neues Drama durchfällt, so wird man von ihm erfahren, daß es ein Meisterwerk ersten Ranges sei, dessen sich Schiller, Kleist und Grillparzer nicht zu schämen brauchten. Hat das neue Drama aber sehr gefallen,[73] so wird er es ein Machwerk nennen, das man hätte in Grund und Boden zischen sollen.

Man sage ihm nicht, daß er der größte jetzt lebende Kunstkenner sei, denn das weiß er längst.

Man sage ihm aber auch nicht, daß er keine Ahnung von dem habe, was er zu kennen behauptet, denn er wird überzeugt sein, daß man im Solde seiner Feinde stehe, die ihn um seine Unsterblichkeit beneiden.

Will man ein richtiges Urteil über Kunstwerke fällen, so sage man über sie das Gegenteil dessen, was unser Kunstkenner erklärt, und man wird das Richtige getroffen haben.

Will man ihn entzückt sehen, so erzähle man ihm, wie sich wieder einmal die Leiter einer Kunstsammlung durch einen Betrüger haben täuschen und blamieren lassen. Hat er sich aber selbst durch einen Betrüger täuschen und blamieren lassen, so wird er weniger entzückt sein und höchstens zugeben, daß sich der Klügste irren könne und daß Irren menschlich sei.

Wenden wir uns von dieser lustigen Person, die allerdings ausschließlich zu eigenem Vergnügen tobt, zu einer anderen, die in unserem gesellschaftlichen Leben eine ungleich wichtigere Rolle spielt und in ihrem Beruf, der ein äußerst mühevoller ist, sehr tüchtig sein muß. Ihr Beruf besteht darin, Paare zu bilden, zwei Menschen nichtsahnend zum Altar zu treiben, Amor ins Handwerk zu pfuschen, Herzen im Suchen zu unterstützen, Hero und Leander ohne Schwimmkünste des letztgenannten zusammenzubringen, Hände zu veranlassen, sich zum ewigen Bunde ineinander zu legen, Lippen, den Schwur ewiger Liebe und Treue zu leisten. Man sieht, daß


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 72-74.
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