II. Sprech-Couren.

Sprech-Couren sind diejenige Art der Couren, bei welchen die eingeladene Gesellschaft, nach Rang-Kategorien geschieden, in verschiedenen Zimmern aufgestellt ist, in welche Ihre Königlichen Majestäten einzutreten und die Versammelten zu begrüssen, auch viele derselben anzusprechen geruhen. Mit einer solchen Cour, der sogenannten Cour der Königin, beginnen regelnlässig die in jedem Jahre während des Carnevals stattfindenden Hof-Festlichkeiten. Ein jeder zum Besuche des Königlichen Hofes Berechtigte, welcher den gedachten Hof-Festlichkeiten beizuwohnen wünscht und diesen Wunsch durch rechtzeitige, vorschriftsmässige Meldung ausgesprochen, hat bei der Cour der Königin zu erscheinen, wenn er auch zu den nachfolgenden Hof-Festen eingeladen sein will. Da gegen diese Vorschrift nicht selten gefehlt wird, so ist hier grade der Ort, darauf aufmerksam zu machen, dass von den Hofbehörden zu den Carnevalsfestlichkeiten, abgesehen von einzelnen gerechtfertigten Ausnahmen, nur diejenigen Personen eingeladen werden, welche der Cour der Königin beigewohnt haben, und dass daher Diejenigen, welche dies unterlassen, sich nicht beklagen können, wenn selbst ihre späteren Meldungen unberücksichtigt bleiben. Die Cour der Königin hat ferner noch eine besondere Wichtigkeit dadurch, dass sie dasjenige Fest ist, auf welchem principiell die Vorstellung der Ihren Majestäten noch nicht bekannten Personen, sowohl fremder wie einheimischer, insbesondere auch der im[37] Laufe des verflossenen Jahres zu einer höheren Rathsklasse beförderten Räthe erster und zweiter Klasse zu erfolgen hat, wodurch freilich nicht ausgeschlossen wird, dass nicht auch einzelne Vorstellungen bei anderen Festen stattfinden können. In der Regel folgt dieser Cour unmittelbar ein Concert. Unter der Regierung Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV. fand nach der Cour der Königin noch eine zweite Cour statt, welcher sich ein Ball anschloss. Es werden indessen hier nur Couren, die, abgesehen von den durch die Oertlichkeit gebotenen Abänderungen, im Grossen und Ganzen dieselben sind, behandelt werden, nicht aber Concert und Ball, da deren Behandlung besonderen Abschnitten vorbehalten ist.

Um die Bewegung bei einer Cour zu veranschaulichen, mag hier eine Beschreibung der Cour folgen, welche am 21. Januar 1875 bei Ihren Majestäten in den Paradekammern, in der Bildergalerie und im Weissen Saale des Königlichen Schlosses zu Berlin stattfand. Laut der zu diesem Feste ergangenen, in der Beilage 5 mitgetheilten Hofansage war die Versammlung:


für das diplomatische Corps und die von denselben eingeführten Fremden – im Rittersaale;

für sämmtliche Damen, auch für die Ihren Königlichen Majestäten vorzustellenden inländischen, so wie für diejenigen vorzustellenden inländischen Herren, welche nicht zu den seit der letzten Cour zu einer höheren Rathsklasse beförderten Räthen erster und zweiter Klasse gehörten – in der Brandenburgischen Kammer;

für die Häupter der fürstlichen Familien und für die Excellenzen-Herren – in der Rothen (drap d'or-) Kammer;

für die Bevollmächtigten zum Bundesrathe – in dem Königszimmer;

für die Mitglieder des Reichstags – in der zweiten Vorkammer;

für die Mitglieder der Häuser des Landtags – in der ersten Vorkammer;

für die General-Majors, welche nicht der Cour-Aufstellung der Offiziere des Garde-Corps sich anzuschliessen hatten, ferner für die Räthe erster Klasse und für die Kammerherren – in der Braunschweigischen Kammer;

für die Räthe zweiter Klasse, für die in ritterschaftlicher Uniform erschienenen Personen und für die Geistlichkeit – in dem Braunschweigischen Saale;[38]

für die Ihren Königlichen Majestäten vorzustellenden, seit der letzten Cour zu einer höheren Rathsklasse beförderten Räthe erster und zweiter Klasse – in der neuen Galerie.


Ihre Königlichen Majestäten, sowie seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz und Ihre Königlichen Hoheiten die Prinzen des Königlichen Hauses hatten Sich in der Rothen Sammet-Kammer versammelt, während die Obersten Hof-, Ober-Hof-Vice-Ober-Hof- und Hofchargen, die General- und die Flügel-Adjutanten, der Hof Ihrer Majestät der Königin, sowie die Gefolge der Prinzlichen Herrschaften in die alte Kapelle eingetreten waren.

Um 8 Uhr, nachdem der Wirkliche Geheime Rath und Ober-Ceremonienmeister Graf Stillfried den Allerhöchsten Herrschaften die demgemässe Meldung gemacht hatte, begann die Cour. Ihre Königlichen Majestäten, umgeben von Ihren Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten dem Kronprinzen und der Kronprinzessin und von Ihren Königlichen Hoheiten den Prinzen und den Prinzessinnen des Königlichen Hauses, geruhten Allerhöchstsich, unter Vortritt der Obersten Hof-, Ober-Hof-, Vice-Ober-Hof- und Hof-Chargen, und gefolgt von den General- und den Flügel-Adjutanten, der Ober-Hofmeisterin, den Palastdamen, und den Hofdamen, so wie dem Ober-Hofmeister Ihrer Majestät der Königin, nach dem Rittersaale zu erheben und dort die Cour des diplomatischen Corps, an dessen Spitze der österreichischungarische Botschafter nebst Gemahlin, der französische Botschafter und der türkische Botschafter nebst Gemahlin sich befanden, entgegen zu nehmen. Sodann folgte in der Brandenburgischen Kammer die Cour der Damen, welche zahlreich erschienen waren, so wie die Präsentation einiger noch nicht vorgestellten Damen; und in der Rothen (drap d'or-) Kammer die Cour der Häupter der fürstlichen Familien und der Excellenzen-Herren. In dem Königszimmer, in welchem die Bevollmächtigten zum Bundesrathe aufgestellt waren, liessen Ihre Königlichen Majestäten durch den Staats-Minister, Präsidenten des Reichskanzler-Amts Dr. Delbrück Sich diejenigen Herren, welche Allerhöchstdenselben noch nicht bekannt waren, so wie durch den Oberst-Kämmerer Grafen von Redern einige inländische Herren vorstellen. Hierauf folgte die Cour in der zweiten Vorkammer, in welcher den Allerhöchsten Herrschaften durch den Präsidenten von Forckenbeck eine grosse Anzahl von Mitgliedern des Reichstages, ferner in der ersten Vorkammer, in[39] welcher durch den Grafen Otto zu Stolberg-Wernigerode verschiedene neue Mitglieder des Herren-Hauses und durch den Präsidenten von Bennigsen einige Mitglieder des Hauses der Abgeordneten präsentirt wurden, und sodann in der Braunschweigischen Kammer und in dem Braunschweigischen Saale. In der neuen Galerie wurden Ihren Königlichen Majestäten die schon gedachten, seit der letzten Cour zu einer höheren Rathsklasse beförderten Räthe, und zwar die Käthe erster Klasse durch den Oberst-Kämmerer Grafen von Redern vorgestellt, die Räthe zweiter Klasse hingegen auf Allerhöchsten Befehl durch den Ober-Tribunals-Vice-Präsidenten Dr. von Schelling genannt. Hierauf geruhten Ihre Königlichen Majestäten mit den Höchsten Herrschaften, um den Thee zu nehmen, in das Kurfürstengemach einzutreten, woselbst inzwischen, und zwar unmittelbar nach der Cour im Königszimmer, Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Kronprinzessin, Ihre Königlichen Hoheiten die Prinzessinnen Carl, Friedrich Carl, Albrecht, Marie, Elisabeth, Ihre Königliche Hoheit die Herzogin Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin und Ihre Hoheit die Prinzessin Marie von Sachsen-Meiningen erschienen waren.

Von dem Kurfürstengemache begaben Ihre Königlichen Majestäten mit Ihren Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten dem Kronprinzen und der Kronprinzessin und mit Ihren Königlichen Hoheiten den Prinzen und den so eben gedachten Prinzessinnen Sich zum Concert nach dem Weissen Saale, nachdem Ihre Majestäten zuvor in der Alten Kapelle und in der Bildergalerie die Cour des inzwischen erschienenen Offizier-Corps entgegen zu nehmen geruht hatten.

In Betreff der Präsentationen muss hier noch Folgendes bemerkt werden:

Die Ihren Königlichen Majestäten vorzustellenden Damen, die fremden, so weit deren Vorstellung nicht durch die Doyenne des diplomatischen Corps, oder durch die Gemahlinnen der Chefs der betreffenden Gesandtschaften erfolgt, und alle einheimischen werden durch die Ober-Hofmeisterin Ihrer Majestät der Königin beiden Allerhöchsten Herrschaften präsentirt, wenn Allerhöchstdieselben mit einander gehen. Ist dies nicht der Fall, und soll demgemäss die Vorstellung der Damen bei jeder der Allerhöchsten Herrschaften einzeln erfolgen, so übernimmt die Ober-Hofmeisterin Ihrer Majestät der Königin die Präsentation an Seine Majestät den König und die erste Palastdame[40] Ihrer Majestät der Königin an Allerhöchstdiese. Hinsichtlich der Herren sind laut Befehls vom 21. Januar 1857 zu präsentiren:


a) die Geschäftsträger fremder Höfe – von dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten an Seine Majestät den König und von den Ober-Hofmeister an Ihre Majestät die Königin,

b) die anwesenden fremden Herren Legations-Secretaire und Attachés – von den resp. Missions- Chefs (also auch von den Geschäftsträgern) an beide Allerhöchste Herrschaften,

c) die inländischen Herren – von dem Oberst-Kämmerer an Seine Majestät den König und von dem Ober-Hofmeister an Ihre Majestät die Königin.


Die Bevollmächtigten zum Bundesrathe werden Ihren Königlichen Majestäten durch den Kanzler des Deutschen Reiches resp. den Präsidenten des Reichskanzler-Amtes, die Mitglieder des Reichstages und der beiden Häuser des Landtages durch die betreffenden Präsidenten vorgestellt.

Die Präsentation der im Laufe des vorhergegangenen Jahres zu einer höheren Rathsklasse beförderten Räthe erster und zweiter Klasse an die Allerhöchsten Herrschaften liegt ob:


a) für die Räthe von Behörden des Deutschen Reiches – dem Kanzler des Deutschen Reiches resp. dem Präsidenten des Reichskanzler-Amtes,

b) für die Räthe des Ministeriums des Königlichen Hauses – dem Minister dieses Ministeriums und

c) für die Räthe von Behörden des Preussischen Staates – dem Präsidenten resp. dem Vice-Präsidenten des Staats-Ministeriums.


Der Anzug bei den grossen Hofcouren ist stets die höchste Gala, für die Damen also das Hofkleid (robe de cour), zu welchem, altem Herkommen zufolge, die Beibehaltung der Barbe als Kopfputz nothwendig er scheint. Im Uebrigen wird wegen des Anzuges der Damen hier noch auf Dasjenige Bezug genommen, was in Abschnitt I. dieses Werkes Pag. 10 darüber mitgetheilt ist. Die Herren erscheinen bei den Couren ebenfalls in grösster Gala, d.h. immer mit weissen Unterkleidern.

Alle Couren gehören ausschliesslich zum Ressort des Ober-Ceremonienmeisters, der demgemäss die Berufung der dabei erscheinenden Personen zu bewirken hat.[41]

Es dürfte hier übrigens der Ort sein, noch eines anderen, gewissermaassen den Couren zuzurechnenden Empfanges zu gedenken. An verschiedenen Höfen findet nämlich aus Veranlassung des eintretenden Jahreswechsels zur Beglückwünschung des Herrscherpaares entweder wirkliche Defilir-Cour, oder Aufwartung Seitens der höchsten Rang-Kategorien statt, und auch am Königlich Preussischen Hofe wurde früherhin, namentlich zur Zeit König Friedrich I., am Neujahrstage die gesammte Hofgesellschaft, so wie das diplomatische Corps empfangen. Dies geschieht jetzt nicht mehr, vielmehr finden die Neujahrs-Gratulationen bei Ihren Königlichen Majestäten seit Jahren fast ausnahmslos in der Art statt, wie z.B. am 1. Januar 1876. An diesem Tage wurde um 91/2 Uhr der Königliche Hof empfangen; um 93/4 Uhr erschienen die Mitglieder der Königlichen Familie; um 10 Uhr begaben die Allerhöchsten und die Höchsten Herrschaften Sich zum Gottesdienste; um 12 Uhr wurden die activen und die zur Disposition stehenden Generale nebst den Obersten, welche Generalsstellungen bekleideten, und die Commandeure der Leibregimenter, um 121/2 Uhr die hier anwesenden Fürsten und deren Gemahlinnen und um 1 Uhr die activen Staats-Minister empfangen.

Da hiernach dem grössten Theile der hoffähigen Gesellschaft nicht die Ehre zu Theil wird, bei diesem Anlasse von Ihren Königlichen Majestäten gesehen zu werden, so hat in neuerer Zeit, namentlich vom Jahre 1840 ab, die Ober-Hofmeisterin Ihrer Majestät der Köningin, damals Gräfin von Rheede, geb. von Krusemark, am Sylvesterabend alle diejenigen Personen, welche Ihrer Majestät ihre Glückwünsche darzubringen beabsichtigten, empfangen, diese Glückwünsche entgegengenommen und Allerhöchsten Ortes darüber berichtet. Dieser Empfang fand in ihrer im ersten Stockwerk des Königlichen Schlosses zwischen Portal No. 1 und No. 2 belegenen Wohnung, welche danach noch heute die Rheede'sche Wohnung heisst, statt, die Anfahrt war unter Portal No. 1, die Abfahrt unter Portal No. 2. Die Ober-Hofmeisterin wurde bei diesem Empfange von dem Ober-Hofmeister und den Kammerherren vom Dienste unterstützt.

Seitdem die Ober-Hofmeisterinnen nicht mehr im Königlichen Schlosse, sondern in einem Privatlogis wohnen, ist von jenem Brauch Abstand genommen worden, und man beschränkt sich darauf, bei der Ober-Hofmeisterin am Sylvester-Abende Karte abzugeben.

Quelle:
Stillfried-Alcántara, Rudolf von: Ceremonial-Buch für den Königlich Preußischen Hof I. - XII. Berlin 1877, S. 37-42.
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