Abendgesellschaften.

[74] Ich gehe gewiß nicht fehl, wenn ich annehme, daß den meisten jungen Mädchen nach der Rückkehr ins Elternhaus vorläufig die großen gesellschaftlichen Zirkel verschlossen bleiben. An anderen kleinen Gesellschaften, Kaffees, Tees und Abendgesellschaften können sie natürlich teilnehmen. Im allgemeinen wird es ihnen, wenn sie die bereits angegebenen Verhaltungsregeln beobachten, ein leichtes sein, auch in ihrem Benehmen bei solchen Gelegenheiten den an sie gestellten Anforderungen zu genügen, da die dafür geltenden Vorschriften größtenteils in dem schon Gesagten enthalten sind.

Dennoch möchte ich noch einiges ergänzen.

Zwischen Tees und Abendgesellschaft (Soiree) unterscheidet man nach der Zahl der teilnehmenden Personen, indem man gewöhnlich Gesellschaften mit mehr denn 25 Teilnehmern mit dem Namen Soiree bezeichnet. Hinsichtlich der Toilette bei diesen kleineren oder größeren Gesellschaften ist zu unterscheiden, daß sie bei ersteren einfacher sein soll als bei letzteren. Junge Mädchen tragen einfache Kleider, keine Blumen, sondern nur farbige Bänder im Haar.[74]

Ist die Gesellschaft eine größere (Soiree), so empfiehlt sich leichte Seide, Papeline usw.; als Kopfputz einzelne Blumen und Bandschleifen.

Bei den kleineren Gesellschaften serviert in der Regel die Hausfrau selbst und wird dabei von den Töchtern oder einigen jungen Mädchen unterstützt. Die Art und Weise, wie hier vorgegangen wird, ist eine verschiedene; in unseren Kreisen machte man es folgendermaßen, und ich glaube, daß diese Weise auch empfehlenswert ist:

Die Mutter goß den Tee ein, eine der Töchter stellte die gefüllte Tasse auf ein kleines Tellerchen und dieses neben Zuckerschale usw. auf ein Tablett, um es sodann zu präsentieren. Der fertig servierte Tisch stand in einer Ecke in der Nähe der Hausfrau, die dort ihres Amtes waltete. Selbstredend wurden zuerst die älteren Damen, dann die Herren bedient.

Bei größeren Gesellschaften wird der Tee sitzend oder auch stehend, nicht am Tische eingenommen. Die übrigen Speisen werden an kleinen Tischchen gereicht.

Es ist auch vielfach Sitte, den Tee nicht im Salon, sondern im Speisezimmer an einem eigens dazu gedeckten Tische zu nehmen, was sich in mancher Beziehung als angenehmer für die Gesellschaft erweist. Es werden dann auch dort die übrigen, an Teeabenden üblichen Gerichte genossen und im Salon nichts mehr gereicht.

Die Zeit dieser Gesellschaften ist bei uns die gewöhnliche Abendzeit.
[75]

Man versucht gern, die Abendgesellschaften durch verschiedene Unterhaltungen besonders lebhaft und anregend zu gestalten, und fast immer hat dann ein junges Mädchen auch ihr Scherflein beizutragen.

Zu diesen Unterhaltungen gehören namentlich: musikalische Vorträge, lebende Bilder Theateraufführungen und deklamatorische Vorträge.

Bist du imstande, auf dem Klavier etwas vorzutragen, so lasse dich nicht lange bitten und nötigen; es liegt dieser Weigerung gewöhnlich eine gewisse Eitelkeit zugrunde. Manches junge Mädchen har eine ganze Menge von Gründen für seine Weigerung auf Lager; dennoch willfahrt es schließlich der Bitte, ohne zu bedenken, daß es dadurch die Unhaltbarkeit seiner Gründe klar beweist.

Spiele jedoch nur kürzere Stücke, denn es ist für gewöhnlich anzunehmen, daß wenigstens einige der Anwesenden unmusikalisch sind, und diese würde das lange Spielen ermüden und langweilen.

Hüte dich sehr, während des Vortrages eines anderen dich lebhaft zu unterhalten und Mangel an Teilnahme zu verraten, es wäre dies nicht nur eine Taktlosigkeit gegen den Vortragenden, sondern gegen die ganze Gesellschaft. Wenn du singst, sorge, daß du den Anwesenden nicht den Rücken zuwendest.

Nimm die Noten in die Hand, auch wenn du auswendig singst, da dies dem Körper eine bessere Haltung gibt. Auch kann es leicht Sängerin und Begleiter stören, wenn erstere über die Schulter auf das Notenblatt guckt.[76]

Tritt nicht zu nahe an die Vortragenden heran; es ist dies bei vielen eine recht unangenehme Gewohnheit, die den Genuß deinerseits kaum erhöht, den anderen Teil jedoch leicht verwirren kann.

Schließlich sei noch bemerkt, daß der Vortragende sich durch den Eintritt eines verspäteten Gastes nicht unterbrechen lassen soll. Da dieses zu späte Erscheinen trotzdem bei den anderen Anwesenden einige Störung verursachen würde, mache es dir zur Regel, nicht während eines Vortrages einzutreten.


Kleine theatralische Aufführungen haben manches für, doch auch einiges gegen sich. Die Wahl des Stückes überläßt man am besten einer erfahrenen älteren Dame. Am meisten zu empfehlen sind meines Erachtens kleine Lustspiele.

Laß dich jedoch nie herbei, in einer Herrenrolle zu erscheinen; sollen Stücke, in denen Herren vertreten sind, aufgeführt werden, so mögen auch Herren die Rollen übernehmen.

Sei, wenn die Rollen verteilt werden, recht bescheiden und anspruchslos; ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit, daß einst eine »reiche Bankierstochter« sich gekränkt fühlte, weil man ihr die Rolle eines Kammermädchens zugedacht. Es war eine Lächerlichkeit ihrerseits, die auch allgemein gerügt wurde.

Wird dir eine Rolle angeboten, so darfst du wohl überlegen, ob du imstande bist, dieselbe durchzuführen. Hast du sie aber angenommen, so tue auch dein möglichstes,[77] sie im Interesse der ganzen Gesellschaft gut wiederzugeben.


Bei lebenden Bildern entspricht der Erfolg nicht immer der Erwartung der Darstellenden wie der Zuschauer Vor allem möchte ich dabei betonen, daß größere Gruppenbilder auszuschließen sind, da eine größere Anzahl von Personen auch größere Ansprüche an Raum. Beleuchtung usw. stellt und oft zu gedrängt sich ausnimmt.

Am geeignetsten sind allgemein bekannte Bilder, die einen Gegenstand behandeln, der jedem auf den ersten Blick klar ist, oder, wenn Kinder mitwirken, deutsche Volksmärchen.

Auch hier gilt selbstredend für ein junges Mädchen: nimm keine Rolle an, bei der du Herrenkleider anlegen müßtest.

Bei den Proben, welche sowohl die Aufführung von Theaterstücken wie das Aufstellen lebender Bilder erfordern, und die leicht eine zu animierte Stimmung der Beteiligten herbeiführen, beobachte doch stets eine große Bescheidenheit; nichts verletzt mehr als ein ungebundenes Benehmen bei einem jungen Mädchen.


Deklamatorische Vorträge werden meistens von Herren gehalten; ich sehe schon deshalb nicht gern, daß Damen sich dazu hergeben, weil die vortragende Person selbstredend den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller Anwesenden bildet. Und für ein junges Mädchen ist es doch nicht angenehm noch geraten, in[78] so sichtlicher Weise die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Eine Ausnahme ist es, wenn junge Mädchen bei Hochzeiten u. dgl. Festlichkeiten entweder einzeln oder zu mehreren etwas Komisches vortragen; doch auch hier heißt es vorsichtig sein und Schranken ziehen. Im Munde eines Herrn ist manches erlaubt und auch für das Ohr einer Dame zulässig, was sich im Munde eines jungen Mädchens wenigstens befremdend und burschikos, wenn nicht unangenehm und verletzend ausnehmen würde.

Überhaupt kann Tante Lisbeth nie genug betonen, daß immer und überall weibliche Anmut die schönste Zierde eines jungen Mädchens ist. Ich selbst habe es nur zu oft erfahren, daß bei ihm ein allzu freies Auftreten und männliche Allüren und Gewohnheiten auf die Dauer abstoßend wirken. Vielleicht »amüsiert« man sich anfangs darüber, aber gar schnell wird diese Empfindung ganz anderen Gefühlen weichen; niemand verkehrt gern mit solchen Damen, die zartfühlenden Personen tausenderlei Verlegenheiten bereiten, die sie selbst zwar kaum oder gar nicht bemerken, die jedoch von jenen um so tiefer empfunden werden.[79]

Quelle:
Tante Lisbeth: Anstandsbüchlein für junge Mädchen. Regensburg 4[o.J.]., S. 74-80.
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