B. Haltung der übrigen Körperteile.

[38] 1. Den Kopf trage in natürlicher, ungezwungener Weise gerade und aufrecht. Lasse denselben nicht seitwärts nach rechts oder links hinabhängen, bewege ihn nicht zu rasch hin und her wie eine Wetterfahne, trage ihn aber auch nicht starr und steif wie eine Bildsäule; blicke nicht nach rückwärts.

2. Trage ihn nicht steif aufgerichtet und zu hoch. Wer sein Haupt in gesuchter und steifer Art hoch trägt, macht sich lächerlich und setzt sich dem Verdachte aus, ein stolzer, hohler und aufgeblasener Kopf zu sein.

3. Laß den Kopf aber auch nicht zu sehr zum Boden hängen; ein zu Boden gedrücktes Haupt verrät oftmals ein böses Gewissen, ist das Zeichen eines Scheinheiligen, eines Heuchlers und Kriechers.

4. Wer einen Menschen kennen lernen will, schaut zuerst auf dessen Gesicht. »Aus dem Gesichte,« sagt die Heilige Schrift, »erkennt man den Mann und aus den Mienen den Verständigen.« Von dem Gesichte, als dem edelsten und sprechendsten Teile des menschlichen Körpers, schließt[38] man auf das Innere. Namentlich beruht auf der Miene ungemein viel; in ihr drückt sich Geist und Herz aus, sie ist der Spiegel der Seele, der alles, auch die innersten Bewegungen der Seele, Liebe und Haß, Freude und Trauer, Geduld und Ungeduld, Vergnügen und Langeweile, Zufriedenheit und Entrüstung treu und klar wiedergibt. Daher sei

5 Deine Miene heiter, offen, freundlich, liebevoll und wohlwollend; sie sei dagegen nicht dünkelhaft oder gleichgültig, drücke nicht Verachtung aus, denn dadurch verletzt man die christliche Nächstenliebe; sie sei auch nicht düster und verdrießlich.

6. Deine Miene entspreche den jeweiligen Verhältnissen. Zeige eine heitere Miene in Gesellschaft solcher, die sich über ein glückliches Ereignis freuen; sei mitleidsvoll gegenüber Unglücklichen. In ihrer Gesellschaft sich munter und fröhlich zu geberden, wäre taktlos. Ebenso wäre es höchst unschicklich, wollten wir scherzen und spaßen, wenn uns ein persönliches Unglück trifft, oder ein solches unser Vaterland oder unseren Heimatsort heimsucht.

7. Verzerre das Gesicht nicht und schneide keine Grimassen; es ist dies ebenso häßlich wie ungezogen.

8. Lache auch nicht über alles und jedes; zu allem lachen ist Sache der Thoren.

9. Hüte Dich besonders vor lautem Lachen. Der Thor lacht, der Weise lächelt. Merke überhaupt: Zur rechten Zeit ernst sein und zur rechten[39] Zeit lachen, geziemt dem wohlerzogenen, anständigen Manne.

10. Die Stirne sei frei und glatt. Eine freie und glatte Stirn zeugt von gutem Gewissen. Lege sie nicht in Falten; eine gerunzelte Stirne gibt dem Menschen ein ernstes, strenges, mürrisches oder aber ein bedächtiges, zu sehr beschäftigtes Aussehen; beides aber stößt ab.

11. Das Auge ist der Spiegel der Seele; aus dem Auge leuchtet die innere Verfassung des Menschen. Du wirst daher sorgfältig über Deine Augen wachen, sie beständig im Zaume halten und dafür sorgen, daß sie stets Bescheidenheit, Wohlwollen und Sanftmut widerstrahlen. Dein Blick sei daher

a) offen, frei und unbefangen. Ein offener, freier und unbefangener Blick läßt auf ein gutes Gewissen schließen. Schlägst Du dagegen die Augen übertrieben schüchtern nieder oder weichst dem Blicke Deines Gegenüber aus, so ist das ein Zeichen von Unordnung im Inneren und Angst;

b) er sei fest. Einem anderen fest ins Auge blicken, ist ein Zeichen, daß man sich nicht zu fürchten braucht und Entschlossenheit und Charakter besitzt. Du darfst aber Deinem Gegenüber nicht zu steif und starr ins Auge blicken, ihn, wie man sagt, fixieren, das wäre höchst unanständig, ja frech;

c) er sei heiter und freundlich, nicht düster, mürrisch und verdrießlich. Ein heiterer Blick zeugt von innerer Zufriedenheit, ein mürrischer[40] und verdrießlicher dagegen beleidigt den Nächsten und hindert einen geselligen Verkehr mit demselben.

12. Nimm Dich auch vor folgenden Fehlern in acht:

a) Laß Deine Augen nicht unstet überall umherirren, das ist ein Zeichen von Zerstreutheit.

b) Bewege sie nicht zu rasch, das gibt dem Gesichte ein unheimliches, wildes Aussehen.

c) Oeffne Deine Augen nicht übermäßig weit, als wolltest Du Dich über alles verwundern.

d) Blicke nicht tückisch und verschmitzt, das thun nur boshafte Menschen und Duckmäuser.

e) Ziehe die Augenbrauen nicht in die Höhe, das gilt als Zeichen von Hochmut und Stolz.

f) Versündige Dich nicht durch lüsterne und gierige Blicke auf schamlose Bilder und Statuen, oder durch unziemliche Neugierde, indem Du alles begaffst.

g) Verdrehe die Augen nicht scheinheilig und richte sie nicht in heuchlerischer Frömmelei zum Himmel.

h) Schaue nicht Personen des anderen Geschlechts scharf ins Gesicht; das wäre unbescheiden, anmaßend, ja, vielleicht sündhaft.

13. Den Mund halte stets leicht geschlossen und laß die Zunge nicht blicken. Unterdrücke womöglich das Gähnen und laß Dir ja nicht beikommen, auf offener Straße zu summen oder nach Art eines Fuhrmanns zu pfeifen.

14. Die Arme lasse man, wenn die Hände nicht beschäftigt sind, frei und leicht herabhängen[41] oder lege die Hände beim Sitzen leicht auf den Schoß, wie schon oben (Seite 36) bemerkt wurde.

15. Ueble Gewohnheiten, die als durchaus unanständig abzulegen sind, sind:

a) Die Hände auf die Stuhllehne zu legen oder aneinander zu reiben;

b) sie unter dem Rock oder in den Taschen zu verbergen;

c) sie über dem Kopf oder auf dem Rücken zusammenlegen, in die Hüften stemmen oder die Daumen in die Armlöcher zu stemmen;

d) sie gähnend auszustrecken;

e) heftig mit ihnen fechten und gestikulieren.

f) Das Gesicht betasten, den Bart streichen, in die Haare fahren, in den Ohren oder in der Nase bohren, an den eignen oder eines anderen Kleidern zupfen, mit der Uhrkette spielen.

g) Die Faust ballen oder mit den Fingern knacken.

h) Mit der Tischdecke oder den Fransen und Quasten der Möbel spielen.

i) Auf der Tischplatte oder an den Fenstern trommeln.

Den Schluß dieses Abschnittes mag bilden, was ein hervorragender Anstandslehrer sagt: »Der wahrhaft höfliche Mensch,« so lauten seine Worte, »wird nicht bloß in der Oeffentlichkeit, wo er sich unter den Augen seiner Mitmenschen befindet, sondern auch im Geheimen, wenn er allein ist, diese Regeln über das Gehen und Stehen, das Sitzen und die übrige Haltung treu beobachten. Der Gedanke, er bewege sich vor dem allmächtigen Gott und in der Gegenwart seines heiligen Schutzengels,[42] genügt ihm, sich so anständig und bescheiden zu verhalten, wie inmitten der gewähltesten Gesellschaft. Dann erst ist die Löslichkeit wahrhaft, d.h. der richtige, natürliche Ausdruck der inneren Herzensgüte, und verleiht dem Menschen jene Vollendung, die allen gefällt, und jenen geheimnisvollen Zauber, der die Herzen gewinnt und zur Nachahmung mitfortreißt.«

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 38-43.
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