Der Ton macht die Musik

[84] Wer überall gern gesehen sein möchte, wird immer nach Vervollkommnung und Verfeinerung seiner Sprache wie seiner Ausdrucksweise trachten. Zweierlei verdient besonders berücksichtigt zu werden: Einmal überlege man stets, was man zu sagen hat. Unüberlegte Worte haben schon oft großes Unheil angerichtet. Wie manches harte und unangebrachte Wort, das unsern Lippen entschlüpft ist, möchten wir zurücknehmen. Aber weder eine Richtigstellung noch[84] eine Entschuldigung löschen den ersten Eindruck ganz aus. Zweitens achte man darauf, wie man selbst redet. Das ist nicht leicht, es erfordert viel Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung. Der Ton macht die Musik und es können mancherlei Äußerungen oder Behauptungen durch entsprechenden Tonfall sehr verschiedene Gesichter haben.

Ein Mensch mit Herzensbildung wird stets das Bestreben haben, natürlich zu sprechen. Allzuviel mit Fremdwörtern zu spielen, um sich damit ein »gelehrtes« Ansehen zu geben, ist nicht ganz ungefährlich. Man kann sich dabei schon einmal vergreifen und riskiert damit, sich zu blamieren. Einen unnatürlichen und gezierten Eindruck macht es ferner, sich in seiner Sprechweise demjenigen anzupassen, mit dem man sich gerade unterhält, indem man sich bemüht, irgendwo mal aufgeschnappte Fachausdrücke aus dem Gebiet des andern seiltanzen zu lassen, um damit zu dokumentieren, daß man von der Wissenschaft des andern auch was »versteht«. Man muß immer unterscheiden, ob man an einer Unterhaltung mehr aktiv oder mehr passiv beteiligt ist. Wenn man in der Hauptsache zuhört, soll man möglichst zurückhaltend sein.

Da unterhält sich beispielsweise ein junger Kaufmann, der einige Jahre in der Schule lateinischen Unterricht gehabt hat, mit einem Juristen. Um auf den Kern der Sache zu kommen, erklärt er, daß er sogleich »in medias res« gehn wolle, er kenne den ganzen Zusammenhang recht gut, denn »omnia mea mecum porto« (Alles Meinige trage ich bei mir), aber immerhin »non omnia possumus omnes« (Alles können nicht alle wissen), er spreche nicht »pro domo« (für sein Haus), aber »homo sum, humani nil a me alienum puto« (Ich bin ein Mensch, drum gilt nichts Menschliches mir fremd). –

Das ist nichts weiter, als ein Renommieren mit lateinischen Brocken, die ihm nichts weiter als nur geistiges Stückwerk sind. Wenn er sich überhaupt ein lateinisches Zitat einprägen will, dann sei es dieses:

»Duo cum faciunt idem, non est idem

(Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe.)

Ein Stück Weltklugheit und gesellschaftlicher Gewandtheit besteht darin, zu schweigen und aufmerksam zuzuhören,[85] wenn von Dingen die Rede ist, die man nicht versteht, anstatt sich den Anschein geben zu wollen, alles das selbst zu beherrschen. – Auch das Zuhören ist eine Kunst.

Ein allzu häufiges Anwenden der deutschen klassischen Zitate kann sich ebenfalls zum Nachteil des Sprechers auswirken. Das wird sich im allgemeinen nur ein literarisch hochstehender Mensch leisten können, der nicht nur die Quelle, sondern vor allem auch den Sinn des angewandten Zitats genau kennt. Wer aber Zitate nur darum anwendet, um sich einen Mantel geistiger Bildung umzuhängen, wird bald durchschaut.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 84-86.
Lizenz:
Kategorien: