4. Zieh dich gut an, dann ziehst du an

[13] »Das ist ja heute mal wieder ein Sauwetter!« – stellt Klinkerbusch fest, als er gleich nach dem Aufstehen den Store im Schlafzimmer zurückzieht. Ein Blick auf das Barometer bestätigt seine Annahme, daß auf eine Besserung vorläufig nicht zu rechnen ist.

»Da ziehe ich meinen alten Sportanzug und das dunkle Flanellhemd an,« sagt er mehr zu sich selbst, als zu seiner Frau, die im Hintergrund steht.

Als er seinen Weg zum Geschäft antritt, sieht er wie ein Bergkraxler aus oder wie ein Jäger. Zu dem abgeschabten Lodenmantel mag der durchschwitzte grüne Hut passen. Die Jacke war mal neu – vor vielen, vielen Jahren, der kleine[13] Fettfleck neben der linken Außentasche ist immer noch da und der oberste Knopf scheint das Bestreben zu haben, sich bald selbständig zu machen.

Ganz zweifellos ist Klinkerbusch angesichts des überaus häßlichen Wetters durchaus praktisch gekleidet. Eine Erkältung wird ihm erspart bleiben und die guten Anzüge hängen schön trocken im Kleiderschrank. –

Im Geschäft ist es heute schön ruhig. Wahrscheinlich wegen des schlechten Wetters. So kann Klinkerbusch ungestört und unbehelligt in seinem Zimmerar beiten. Kurz nach zehn Uhr wird er aber durch den Fernsprecher aufgefordert, das Konferenzzimmer der Firma aufzusuchen, um dort mit einem Geschäftsfreund der Firma wegen einer Reklamation und wegen eines größeren Spezialauftrags zu verhandeln.


4. Zieh dich gut an, dann ziehst du an!

In diesem Augenblick kommt es dem guten Klinkerbusch natürlich zum Bewußtsein, daß er ausgerechnet heute, wo er mit einem immer sehr elegant gekleideten Kunden zu verhandeln hat, so schäbig aussieht. Fatal! Höchst fatal! Dieses Bewußtsein beherrscht ihn, wenn er auch dagegen ankämpft, während der ganzen Verhandlung. Er fühlt, daß die Überzeugungskraft seiner Worte, auf die es jetzt sehr ankommt, viel schwächer ist als sonst. Er merkt, daß er nicht über die Sicherheit verfügt wie bei andern Gelegenheiten. Immer wieder muß er an den kleinen Fettfleck und an den hängenden Knopf denken. Er ist peinlich davon berührt, daß der elegante Kunde ihm gegenüber oft minutenlang seine Blicke unabsichtlich auf den angeschmutzten Spitzen seiner klobigen Schuhe ruhen läßt. Wenn sich all seine Wahrnehmungen auch nur im Unterbewußtsein abspielen, so bringt ihn doch alles ein bißchen[14] aus der Fassung. Es hindert ihn an der erforderlichen Aufmerksamkeit und Sammlung. Und dabei ist Egon Klinkerbusch von Natur ein sehr energischer und zielklarer Mann.


*


Die offensichtliche Überlegenheit des andern in der Kleidung überträgt sich unwillkürlich auf die geistigen Vorgänge und auf das Konzentrationsvermögen des äußerlich Schwächeren, so sehr sich dieser auch dagegen sträubt. Es braucht übrigens nur eine Kleinigkeit am Anzug nicht in Ordnung zu sein, immer wird der Mensch, mindestens unterbewußt, daran denken, ob das der andre wohl merken und wie er darüber urteilen wird.

Das ist neben den ästhetischen einer der wichtigsten beruflichen Gründe, warum besonders jeder erwerbstätige Volksgenosse darauf achten sollte, daß er immer gut, ordentlich und vor allem peinlich sauber angezogen ist.

Wenn wir schon eingangs davon gesprochen haben, daß Takt und Herzensbildung die wichtigsten Voraussetzungen dafür sind, gern gesehen zu werden, so darf daraus natürlich nicht etwa der Schluß gezogen werden, daß die inneren Werte eines Menschen die Pflege des Äußeren entbehrlich machen. Von wie großer Bedeutung der Anzug des Menschen ist, das haben wir eben bei unserm Freund Klinkerbusch festzustellen Gelegenheit gehabt. Im übrigen wird man allgemein sagen können, daß ein ästhetisch veranlagter Mensch immer großen Wert darauf legen wird, gut, sauber und geschmackvoll gekleidet zu sein. So also kann man umgekehrt von dem Äußeren auf das Innere eines Menschen schließen.

Wir möchten nun noch von einer kleinen Begebenheit plaudern, die ebenfalls die Wichtigkeit des guten Anzuges im Wirtschaftsleben erkennen läßt und daneben den Vorzug hat, sehr humoristisch zu sein.

Die kleine Geschichte spielt in einem großen Berliner Hotel, wo ein namhafter Wirtschaftsvertreter aus Japan Wohnung genommen hatte, um am andern Morgen mit einer Abordnung aus Spanien im Konferenzzimmer des Hotels zu verhandeln.[15]

Als der Japaner nach dem Frühstück im Fahrstuhl herunter kommt, haben im Vestibül die spanischen Herren bereits zur Begrüßung Aufstellung genommen. Während er selbst im Cut erscheint, tragen die Herren aus Spanien graue Anzüge.

Der Japaner begrüßt die Herren der Abordnung, entschuldigt sich aber kurz darauf für kurze Zeit mit dem Bemerken, er habe auf seinem Zimmer noch etwas zu erledigen. Also fuhr er mit dem Lift wieder hinauf.

Oben legte er Cut, Weste und Hose ab, um sich aus Höflichkeitsgründen seinen grauen Reiseanzug anzuziehen.

Wieder rauscht der Lift mit dem Japaner nach unten. Wieder stehn unten die Herren aus Spanien, diese sind jetzt aber alle – im Cut.


*


Das Äußere eines Menschen wird von dem andern meist unterbewußt aufgenommen. Der Beobachter stellt in diesem Augenblick keine eingehenden Betrachtungen darüber an, daß vielleicht der Rock nicht sitzt, daß die Beinkleider zu kurz sind, daß die Krawatte zu aufdringlich ist usw. Man denkt überhaupt nicht, sondern man empfindet. Es handelt sich hier in der Tat um einen Vorgang im Unterbewußtsein, wie wir schon bei der Verhandlung bemerkt haben, vie Klinkerbusch etwas aus der Ruhe brachte.

Überhaupt das Unterbewußtsein! – Es spielt im Leben des Menschen, vornehmlich in seinem Verkehr mit andern Menschen, eine viel größere Rolle, als die meisten denken. Es kommt wirklich gar nicht so selten vor, daß ein Vorgang, der sich »nur« im Unterbewußtsein abspielt, für den Fortgang, ja, für die Entscheidung einer Sache, von größter Bedeutung ist. Das Unterbewußtsein ist nach den Gesetzen der Psychoanalyse eine Schicht des Bewußtseins, die für sich allein nicht erfaßt werden kann. Sie wird nur in ihrer Wirkung verspürt. Ihre Wirkung äußert sich darin, daß unterdrückte Wahrnehmungen oder Gemütsbewegungen wie Wunsch, Erlebnis, Erinnerung gewissermaßen im Hirn eingeklemmt oder verdrängt werden. Vom Unterbewußtsein aus üben diese dann auf das menschliche Fühlen, Wollen und Denken ihre Wirkung in oft störender[16] Weise aus. Das spielt – nebenbei gesagt – bei der Traumdeutung eine große Rolle.

Dazu ein interessantes Erlebnis. – Ich warte an einer Ecke auf die Straßenbahn. Ich habe es sehr eilig, denn ich darf zu der wichtigen Besprechung nicht zu spät kommen. Während ich mir intensiv den Standpunkt vergegenwärtige, den ich in der Konferenz einnehmen werde, sind meine Augen unentwegt auf das große Gemälde einer Kunsthandlung gerichtet. Bald werde ich nervös und ungeduldig. –

Da aber kommt schon die Straßenbahn. Ein Bekannter, der auch einsteigt und mich wohl vorher beobachtet hatte, meint:

»Sie waren wohl auch von dem herrlichen Gemälde begeistert. Sie schienen sich ja von dem Anblick kaum trennen zu können. Es ist we mit Zeitungopairklich ein Meisterwerk – –«

Ich bin in diesem Augenblick in großer Verlegenheit, denn ich habe wirklich keine Ahnung, was das Gemälde, vor dem ich so lange stand, überhaupt darstellt, obgleich ich es mit eigenen Augen sah. Ich mache einige zustimmende, allgemeine Bemerkungen und ziehe mich so leidlich aus dieser peinlichen Lage.

Als ich mich daheim mittags nach dem Essen so langsam entspanne, erinnere ich mich des Vorgangs am Vormittag und plötzlich sehe ich das herrliche Gemälde mit seinen kleinsten Einzelheiten, in seiner unübertrefflichen Farbenharmonie, genau so, als stände es tatsächlich vor mir.

Viele Menschen werden ähnliches erlebt und somit erkannt haben, daß die Bedeutung des Unterbewußtseins gerade im Verkehr mit den Mitmenschen nicht zu unterschätzen ist.

Nach dieser kurzen Abschweifung, die wir aber keinesfalls als nebensächlich beurteilt wissen möchten, wollen wir in unsern Betrachtungen über das Äußere des Menschen, der überall gern gesehen sein möchte, fortfahren.

Es sei besonders darauf hingewiesen, daß es keinesfalls notwendig ist, immer in einem neuen, eleganten Anzug besten Stoffs und erstklassiger Maßarbeit herumzulaufen. Im übrigen wollen wir uns als Grundsatz merken: ein viel getragener, aber immer gepflegter, sauberer und frisch aufgebügelter[17] Anzug macht zweifellos einen besseren Eindruck als ein ziemlich neuer, aber vernachlässigter und ungebügelter.

Daraus sind mehrere Lehren abzuleiten, auf die wir im einzelnen nicht einzugehen brauchen. Sie liegen auf der Hand. Eine aufmerksame Gattin wird immer darauf bedacht sein, daß der Ehemann in gut gebügelten Beinkleidern steckt. Aber die Behandlung des Anzugs ist auch seine Sache. Dazu einige kurze Winke:

Wenn du deine Garderobe nicht auf dem Leib hast, muß sie sachgemäß hängen. Mäntel, Röcke und Westen hängt man über Kleiderbügel, das Beinkleid hängt man mit dem Bund nach unten so auf, daß sich die Bügelfalten decken. Hänge ausgezogenes Zeug nicht sofort in den Schrank, es soll mindestens acht Stunden an einem freien Ort auslüften.

Trägt man seinen Hut nicht täglich, so findet er seine Ruhe in einem Karton oder in einer großen Papiertüte. Schuhe bewahrt man grundsätzlich mit Schuhspannern auf. Nur wenn sie mal sehr naß geworden sind, stopft man sie mit Zeitungspapier aus und läßt sie an kühler Luft trocknen. Wenn man seinen Regenschirm, der immer noch lebt, nicht gebraucht, soll er nicht dauernd im Schirmständer stehn, weil er dort verstaubt.

In deinem Kleiderschrank soll immer mustergültige Ordnung herrschen. – Wenn du in der glücklichen Lage bist, deine Anzüge im Alltagsleben wechseln zu können, so tue es, auch der Anzug will ab und zu Ferien haben, die er dir immer sehr danken wird. – Bekommst du einen Fleck in deinen Anzug, sorge für baldige Entfernung mit einem geeigneten Fleckentfernungsmittel. – Zeigt sich irgendwo eine schadhafte Stelle, denke daran, daß sie im Anfangsstadium leichter in Ordnung zu bringen ist als bei unerbittlichem Fortschritt des Ruins.

Ev wird so oft behauptet, man brauche viel Geld, um immer gut angezogen zu sein. Unsre Ratschläge dürften aber gezeigt haben, daß das keineswegs immer zutrifft. Wir sagten schon, daß der teuerste Anzug einen nachlässigen Eindruck machen kann, wissen auch, daß man durch richtige Überlegungen beim Einkauf, durch die richtige Wahl der[18] Kleidungsstücke vor dem Anziehen, durch sachgemäße Pflege und guten Geschmack auch mit wenig teueren Bekleidungsstücken beachtliche Wirkung erzielen kann.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 13-19.
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