7. Vornehme Gesinnung zeigt sich in echter Volksgemeinschaft

[35] Es wäre nun ein grober Fehler, wollten wir auf Grund unsrer bisherigen Betrachtungen zu der Auffassung kommen, daß nur der elegant gekleidete Herr Aussicht hätte, von der Mitwelt beachtet und gewürdigt zu werden. Dieser Standpunkt der unsozialen Ewiggestrigen verdient schärfste Zurückweisung. Jeder ehrliche und aufrichtige Volksgenosse unsrer Zeit erkennt die Notwendigkeit und die Berechtigung einer wahren Volksgemeinschaft an und wird stets bemüht sein, an der Verwirklichung dieser ethischen Forderung mitzuarbeiten.

Es ist leider nicht zu bestreiten, daß der Kastengeist, der einstmals in Deutschland so gehegt und gepflegt wurde,[35] wie in keinem andern Lande, ein bedauernswert zähes Leben hat. Trotz aller beispiellos großen Erfolge und Fortschritte auf sozialem Gebiet glaubt noch so mancher Arbeiter des Hirns, über dem der Hand zu stehn. Dagegen wird ein wirklich kluger und weitblickender Volksgenosse die Auffassung nachdrücklich vertreten, daß jede Arbeit ihres Lohnes wert ist und daß jeder Arbeiter auf Anerkennung des Wertes seiner Arbeit vollen Anspruch erheben kann.

Menschen, denen heute noch die Achtung vor dem Arbeiter fehlt, sind des Segens nicht wert, den wir der Tätigkeit des Arbeiters zu danken haben. Das sind die innerlich meist hohlen Hochmütigen, denen es eine gehörige Portion Überwindung kostet, sich zu einem Gespräch mit einem Arbeiter »herabzulassen«, die damit dann aber glauben, ihre Schuldigkeit gegenüber der Volksgemeinschaft getan zu haben und in ihrer Verblendung den Gedanken entschieden zurückweisen, auch einmal mit einer Arbeiterfamilie gesellig zusammenzusein.

Da verteidigen sich denn diese aufgeblasenen und kurzsichtigen Zeitgenossen damit, daß für den geselligen Verkehr doch der Bildungsgrad maßgeblich sein müsse und daß man sich als ein Angehöriger der »gebildeten Stände« doch nicht mit einem Arbeiter an einen Tisch setzen könne.

Hallo! – Auf dieses Stichwort haben wir gerade gewartet. Zunächst müßte uns dieser Spießer erst mal darüber aufklären, welche Art der Bildung er im Auge hat, ob er an Herzens- oder an Geistesbildung denkt. Aber vielleicht weiß er das selbst nicht.

Die Herzensbildung hat mit der Erziehung, die unterschiedlich gewesen sein wird, ebenso wenig zu tun wie mit dem äußeren Menschen. Das sagt schon die Begriffsbestimmung. Herzensbildung wird angeboren. Sie wird vom Schicksal geformt und vom Menschen selbst gepflegt. Liegt also der geringste Grund zu der Annahme vor, die Herzensbildung einer Arbeiterfrau sei geringer zu werten, als die einer andern?

Wenn man aber mit derartigen unbewiesenen Thesen hausieren geht, könnte man nicht mit gleichem Recht die gegenteilige Behauptung aufstellen? – Nein, von einer[36] Unterschiedlichkeit in der Herzensbildung kann in den Schichten unsres Volkes keine Rede sein. Eine andre Frage ist es aber, in welchen Kreisen mehr Herzensbildung gepflegt wird und wo das Interesse für ideelle Dinge durch Auseinandersetzung über materielle Dinge verdrängt wird. Wir möchten in diesem Falle nicht Richter sein. Urteilen mag jeder, der sich dazu auf Grund aufmerksamer Beobachtungen berufen fühlt.

Und wie steht es mit der Geistesbildung? – Jetzt wollen wir einmal Mäuschen sein und uns hinter dem Büfett eines sehr hell erleuchteten Zimmers verkriechen, in dem getafelt, getrunken und viel gesprochen wird. Wir belauschen diese Unterhaltung lustiger Männer und Frauen, die sich wahrscheinlich alle für »sehr gebildet« halten. Welch überaus »geistreiche« Themen werden da behandelt, wie werden aber auch die lieben Mitmenschen durch den Kakao gezogen, welch gewagte Witze fliegen da unter dem Einfluß des Alkohols über den Tisch! Schon liegt unser Gesamturteil vor, das wir aus diesen und jenen Gründen mit dem berühmten, wohltätigen Mantel der Liebe zu decken wollen. Wir denken auch nicht daran, so etwas zu verallgemeinern. Daß solche Beobachtungen aber immer noch reichlich gemacht werden können, ist unzweifelhaft.

Und von solchen Veranstaltungen hält man den Arbeiter, Handwerker, einfachen Beamten usw. fern, weil er den geistigen Ansprüchen nicht gewachsen ist? – Sollten da nicht der einfache Geist und Sinn einer Arbeiterfrau genügen, um mitzutun? – Allerdings weiß man nicht, ob diese überhaupt Neigung verspürt, auf diese Weise die Zeit zu verbringen? Wer wollte den Mut aufbringen, darüber ganz allgemein geringschätzig oder gar wegwerfend zu urteilen? – Jeder Deutsche weiß, in welch erfreulichem Ausmaß die NSG. »Kraft durch Freude« zusammen mit Schulungen der verschiedensten Art bestrebt ist, die Arbeiterschaft und andre Volkskreise mit geistigen Anregungen und geistigem Material in der verschiedensten Gestalt zu versehen. Es ist erstaunlich, welch beachtliche Erfolge mit diesen mustergültigen Einrichtungen bereits erzielt sind. In der Tat hat sich das kulturelle Niveau des durchschnittlichen Arbeiters wesentlich gehoben und es wird zweifellos weiter steigen.[37]

Was also bleibt noch übrig, wenn man Unterschiede zwischen einer ehemals »privilegierten« Gesellschaftsklasse und dem Arbeiter konstruieren will? – Wir hören etwas von Umgangsformen und Garderobe. Auch dazu ein Wort. Es ist nicht zu leugnen, daß ein Arbeiter oder kleiner Handwerker, die abends nach schwerer, harter Arbeit zu Haus der Ruhe und Entspannung bedürfen, nicht über die Routine verfügen, sich so elegant auf dem glatten Parkett zu bewegen, wie jener Salonlöwe, der dazu von Kindheit an Gelegenheit hatte. Aber das darf und soll uns doch kein Hinderungsgrund sein, auch einmal mit der Familie eines einfacheren Menschen zusammenzusein.

Und schließlich die Anzugsfrage. Da liegen die Dinge natürlich ähnlich. Es versteht sich von selbst, daß der Arbeiter nicht in seinem Arbeitszeug zu irgendeiner geselligen Veranstaltung erscheint, denn auch er hat seinen Sonntagsanzug. Und wenn dieser auch nicht von allerfeinstem Stoff und Schnitt ist, wenn er vielleicht auch nicht den neuesten Gesetzen der Mode entspricht, so ist er doch gepflegt, heil und sauber. Möglich, daß das Oberhemd nicht zur Farbe des Anzugs oder der Krawatte paßt. Auch darüber wird man hinwegsehen. Überlegen wir einmal: Ein Arbeiter ist Vater von fünf kleinen Kindern. Er ist fleißig, solide und sparsam, seinen Lohn verwendet er hauptsächlich dazu, die Kinder gut zu ernähren, gut zu kleiden und gut zu erziehen. Da fehlt denn natürlich oft das Geld für einen neuen Anzug oder für einen Mantel, den die Frau vielleicht dringend braucht. Wollen wir diese Volksgenossen deswegen gering einschätzen? –

Bedeutet es nicht gerade einen Umsturz volkswichtiger Begriffe, wenn etwa ein älterer Junggeselle oder ein kinderloser Ehemann über den Anzug dieses kinderreichen Vaters geringschätzig lächelt, weil er schon ein bißchen abgetragen ist? –

Die geistige und soziale Umschichtung in unserm Volk geht unaufhaltsam ihren Weg. Wer Volksgemeinschaft übt, wer es ehrlich mit seinen Volksgenossen meint, fördert diese Entwicklung. Wer sich dagegen aufzulehnen versucht, läuft Gefahr, von ihr unbarmherzig überrannt zu werden.[38]

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 35-39.
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