16. Wie? – Meine Steuererklärung soll nicht stimmen?

[112] Es ist sonderbar, wieviele Volksgenossen noch heute eine unerklärliche Scheu davor haben, zu einer Behörde zu gehn. Wahrscheinlich ist daran eine Auffassung aus Zeiten des alten Obrigkeitsstaates schuld, wo der Staat als Vorgesetzter des Staatsbürgers galt. Es ist richtig, daß der Volksgenosse meist nur dann in unmittelbare Beziehungen zum Staat tritt, wenn er persönlich mit einem Amt zu tun nat. Heute aber sind die Begriffe Staat und Volk die gleichen. Im Staat ist die Organisation der Volksgesamtheit zu erblicken. Der Beamte, mit dem der Volksgenosse verhandelt, ist nichts andres, als ein Vollzieher des Volkswillens. Er ist nicht Vorgesetzter des Volksgenossen, der zu ihm ins Zimmer oder an seinen Schalter tritt, sondern sein Betreuer. Dem Volksgenossen soll im Amt nicht befohlen, sondern seine Interessen sollen gefördert werden. Wenn er allerdings irgendwie gegen das Interesse der Volksgemeinschaft gehandelt hat, so muß er die Folgen tragen. Das ist selbstverständlich.

Das Verhalten der Volksgenossen einer Behörde oder einem Beamten gegenüber ist noch sehr unterschiedlich. Alle können und müssen noch viel lernen. Vor allem muß aber bei dem Beamten sowohl, wie bei dem zum Amt kommenden Volksgenossen guter Wille, richtige Einstellung und Sachlichkeit gefordert werden.

Da nun mal das praktische Leben der beste Lehrmeister zu sein pflegt, wollen wir jetzt zwei Volksgenossen auf ihrem Gang zum Finanzamt begleiten.

Wenn Paul Knurrbusch morgens genügend Zeit hat, mindestens eine Viertelstunde genießerisch am gutgedeckten Frühstückstisch zu verbringen, so ist er im allgemeinen ein sehr verträglicher und sogar liebenswürdiger Mensch. Wohlverstanden: im allgemeinen. Es gibt auch Ausnahmen.[112] Jedenfalls ist er heute bester Laune, als er den Duft des herrlichen, frischen Bienenhonigs verspürt, den er mit einer gewissen Andacht auf die untere Seite seines knusprigen Morgenbrötchens befördert. Plötzlich aber verfinstern sich seine Züge. Das fällt der Gattin sofort auf. Sie braucht nicht nach dem Grund zu fragen. Paul kommt schon damit heraus.

»Eben fällt mir ein, daß ich heute zum Finanzamt muß. Die haben gestern angerufen und behaupten, meine Steuererklärung sei nicht in Ordnung. Lächerlich. Ich habe alles doch so genau gemacht. Die wollen anscheinend meine Mehrkosten für Mittagessen nicht anerkennen. Ich habe doch so oft keine Zeit gehabt, zu Hause zu essen. Da habe ich immer in der Kneipe meinem Geschäft gegenüber das Mittagessen eingenommen. Das sind doch selbstverständlich Betriebsausgaben, denn wenn ich mein Geschäft nicht hätte, wäre ich immer zum Essen hierhergekommen. Nun habe ich mich übrigens ganz genau erkundigt und festgestellt, daß man unter Betriebsausgaben solche Aufwendungen zu verstehen hat, die durch den Betrieb veranlaßt sind. Na, Ilse, was sagst du nun? – Ist das auswärtige Mittagessen nun durch den Betrieb veranlaßt oder nicht? – Hahaha! Ich werde den Brüdern aber gehörig aufs Dach steigen. Es ist unerhört, einem so die Zeit zu stehlen. Als ob ich weiter nichts zu tun hätte, als zum Finanzamt zu laufen. Sooo klein sollen die Leutchen werden!«

Anfangs hat Paul Knurrbusch langsam gesprochen, aber allmählich geriet er in Zorn und dann in Wut. Ilse, die fürsorgliche Gattin, hatte mehrmals versucht, ihn zu beruhigen, aber er ließ sie nicht zu Worte kommen. Paul ißt heute nicht halb so viel wie sonst zum Frühstück. Der Appetit ist ihm vergangen. Er hat ihn sich selber geraubt.

Eine knappe Stunde später betritt Paul Knurrbusch die Räume des Finanzamts. Gehörig aufgepustet erreicht er das Zimmer, in dem seine steuerlichen Angelegenheiten bearbeitet werden.


(Fortsetzung folgt.)
[113]

»Guten Morgen, Frau Nachbarin. Gut, daß Sie kommen. Ich muß Sie nämlich mal wieder um eine kurze Vertretung bitten. Es dauert höchstens eine kleine Stunde. Ich muß nämlich heute zum Finanzamt. Sehen Sie mal, ich habe hier eine Vorladung bekommen. – Hier ist alles in Ordnung, vielleicht übersprengen Sie nochmals die Radieschen, hier unter dem Rotkohl liegt noch viel Wirsingkohl und der Sellerie liegt da hinten rechts in der Kiste.«

Die herbeigerufene Frau Quicklich liest inzwischen die Vorladung und fragt nun: »Was wollen die denn auf dem Finanzamt von Ihnen?«

»Ach, das möcht' ich selbst wissen. Ich habe doch alles immer richtig angegeben. Das könnt' ich beschwören. Mein Gott, mein Gott, ich hab' 'ne schreckliche Angst. Die ganze Nacht habe ich nicht eine Minute geschlafen.«

Frau Quicklich hält noch immer die Karte in der Hand, auf der sie liest: »In Ihrer Umsatzsteuerangelegenheit ist eine Rücksprache erforderlich. Sie werden daher gebeten, sich innerhalb dreier Tage hierher – Zimmer 48 – zu bemühen. Es handelt sich um die Höhe Ihres Umsatzes im vorigen Kalenderjahr.« –

»O Gott, wie höflich, beinahe liebenswürdig! Da brauchen Sie doch keine Angst zu haben, Frau Bläulich, Sie werden nicht kommandiert, nicht einmal ersucht, sondern gebeten. Das klingt so, als ob sie zu einem Nachmittagskaffee eingeladen würden. Sie sollen doch auch nicht kommen, sondern ›sich bemühen‹. Müssen das nette Herren da im Finanzamt sein.«

»Ich habe aber doch nichts ausgefressen, habe nie was verheimlicht, alles immer richtig angegeben,« klagt Frau Bläulich in weinendem Ton, und schon trudelt ihr heimlich ein Tränchen über die rundliche Wange.

»Aber wer behauptet denn das?« versucht sie Frau Quicklich zu beruhigen. »Regen Sie sich doch nicht auf, das ist ja 'ne ganz harmlose Sache – –«

Eine knappe Stunde später betritt Frau Bläulich die Räume des Finanzamts. Ängstlich und total verschüchtert erreicht sie das Zimmer, in dem ihre steuerlichen Angelegenheiten bearbeitet werden.


(Fortsetzung folgt.)
[114]

Ehe wir den aufgepusteten Herrn Knurrbusch und die ängstliche Frau Bläulich weiter begleiten, fragen wir: Warum auf der einen Seite Wut, auf der andern Seite Angst? – Beides ist durchaus entbehrlich und durchaus überflüssig. Welch seltsame Vorstellung machen sich beide, jeder auf seine Art, von einer staatlichen Behörde? – Warum machen sich beide das Leben unnötig schwer?

Jeder Volksgenosse sollte sich doch zunächst einmal sagen: Die Behörde ist nicht gegen mich, sondern für mich. Mir soll nicht befohlen, sondern geholfen werden.


16. Wie - Meine Steuererklärung soll nicht stimmen

Schon aber treffen wir wieder auf Knurrbusch, der nun seinem Bezirksbearbeiter gegenübersteht. Er wischt den Schweiß von der Stirn und muß erst so richtig zu Atem kommen. Nachdem er aber gehörig Luft geholt hat, legt er los und führt in anmaßendem Tonfall etwa das aus, was er der teuren Gattin während des fast im Munde stecken gebliebenen Frühstücks vorgetragen hat. Es brodelt bedenklich im Kessel und der zusammengepreßte Dampf sucht nach einem Ventil. Und dieses Ventil hat Knurrbusch jetzt gefunden.

Der Herr Steuerinspektor läßt sich den Steuerpflichtigen zunächst aussprechen und aus – poltern. Dann sucht er ihn durch stoische Ruhe und besondere Höflichkeit zu entwaffnen. Er klärt ihn darüber auf, daß das Mittagessen regelmäßig zu den Privatausgaben gehöre, auch dann, wenn es aus geschäftlichen Gründen in einer Gaststätte eingenommen werde. Als Knurrbusch weitere Einwände macht, zeigt ihm der Steuerinspektor eine Entscheidung des Reichsfinanzhofs vom 22. April 1936, in der die Rechtsbeschwerde des Steuerpflichtigen in gleicher Sache abgewiesen ist.[115]

Jetzt schämt sich Knurrbusch. Und nun lernen wir ihn wieder als sympathischen Zeitgenossen kennen, denn mit Worten der Entschuldigung und des Dankes für die Belehrung verläßt er das Amtszimmer.

Damit hat Knurrbusch nicht nur korrekt, sondern auch klug gehandelt.

Etwas ganz andres spielte sich im Zimmer 48 ab, das soeben Frau Bläulich betreten hat. Sie ist eine grundehrliche und wahrheitsliebende Frau. Das weiß der Bezirksbearbeiter, der seine Steuerpflichtigen viel besser kennt, als diese meinen. Frau Bläulich hat selten etwas mit Behörden zu tun. Daher wohl diese Ängstlichkeit und die Scheu vor allem, was amtlich ist.

Ihr Herz klopft laut, als sie eintritt. Der Beamte bittet sie freundlich, zunächst einmal Platz zu nehmen, dann nimmt er die Karte an. Er wird nicht ungeduldig, wenn sich Frau Bläulich auch etwas ungeschickt ausdrückt. Er redet ihr freundlich zu und stellt schon fest, daß die anfängliche Scheu von ihr abfällt und daß sie allmählich Vertrauen zu dem Beamten gewinnt.

Der in der Umsatzsteuererklärung angegebene Jahresumsatz stimmt nicht mit der Summe der vier Voranmeldungen überein. – In wenigen Minuten ist die Differenz geklärt, und schon ist alles in Ordnung.

Erleichtert kehrt Frau Bläulich in ihren Gemüseladen zurück und sagt der zwischen Weiß- und Rotkohlköpfen thronenden Vertreterin:

»Das war aber ein netter Herr, da auf dem Finanzamt.«

»Na also,« erwidert Frau Quicklich.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 112-116.
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