Liebenswürdige Wirte und gerngesehene Gäste.

»Wo verkehren Sie hier am meisten, Heer von Beer

»Entschieden bei X.'s Kennen Sie das Haus nicht? Das sind charmante Menschen, echt liebenswürdige Wirte!«

»Und inwiefern zeigen sie sich als solche?«

»Ich soll ihnen das Wort definieren, mein Bester? Ja, das ist nicht ganz leicht, das Rezept in seine Bestandteile aufzulösen, aus dem das Zaubermittel zusammengesetzt ist, das die Geselligkeit dort so anziehend macht. Sie wollen eben durchaus nicht selbst glänze, Schmeichelei und Lob ernten wie so manche, denen das Gesellschaftengeben eine Selbstverherrlichung und Reklame für die eigene Person bedeutet. Sie treten mit ihren eigenen Ansprüchen hinter die des Gastes zurück. Sie wissen aus jedem ihrer Gäste auf eine feine und was das Schönste ist ihm selbst nicht bemerkbare[210] Art das Beste an seinen geselligen Gaben und Talenten herauszulocken. Er fühlt sich zum thätigen Mitglied der Gesellschaft werden, sein Selbstgefühl hebt sich, und er bemüht sich ganz besonders, der guten Meinung, die seine Wirte von ihm zu hegen scheinen, gerecht zu werden.

Bei X.'s findet jeder seine Rechnung. Sie laden die Menschen so ein, wie sie zusammen passen. Excellenz B., die so leidenschaftlich Karten spielt, ist sicher, ihren Lchombretisch zu finden. Frau B., welche ihr musikalisches Talent gern anerkennen hört, wird von ihnen zum Vortrag aufgefordert. Jeder Gast bewegt sich, wie es ihm beliebt. Da bannt ihn kein: ›Ach, Herr Referendar, wollen Sie sich nicht in dieses Zimmer zur Jugend setzen?‹, da pocht kein: ›Kennen Sie schon diese neue Malerei von mir?‹ auf ein bewunderndes Lob. Ist eine Verlegenheitspause im Entstehen, so haben X. schon ein neues Thema in Bereitschaft.

Und wie liebenswürdig faßt Frau X. die kleinen Malheurs auf, die in jeder Gesellschaft vorzukommen pflegen! Herr von Z. zerbricht ein wundervolles Bierglas, – es war eines von dem sorgfältig gehüteten Dutzend mit eingeschliffenem Wappen – Frau X. verzieht keine Miene und läßt niemanden ahnen, daß es ihr leid thut, sondern wendet das Gespräch mit Gewandtheit auf etwas anderes. Frau X. bevorzugt auch nie einen Gast auffallend, was bei den übrigen oft das Gefühl des Ueberflüssigseins oder des Neides erzeugt, sie verteilt ihre Liebenswürdigkeiten gleichmäßig zwischen ihre Gäste.[211]

Und so anspruchsvoll es auch klingen mag, auch das Materielle ist in diesem Hause tadellos. Nicht daß es besonders üppig wäre, oder daß raffinierte Genüsse geboten würden, nein, dazu sind X.'s viel zu kluge Menschen. Sie wissen, daß nichts dem Gast unheimlicher und unsympathischer ist, als ein überreich gedeckter Tisch dort, wo die Verhältnisse es bekanntermaßen nicht erlauben. Aber was serviert wird, ist wohlschmeckend und in reichlichem Maße vorhanden. Pünktlich wird serviert; Frau X. lauft nicht unruhig hin und her, wodurch manche Frauen ihre Hausfraulichkeit zu dokumentieren glauben, was dem Gaste aber stets auf die Nerven fällt. Kein langes Zögern, bis das ›Sesam öffne dich,‹ der Ruf zu Tisch ertönt, lähmt die Stimmung des Gastes, kein allzu langes Ausdehnen der Tischsitzung hemmt seine Bewegungsfreiheit.

Wer X.'s besucht – Frau X. nimmt immer Besuch an, wenn's irgend angeht – wird, abgesehen von offiziellen Antrittsbesuchen, aufgefordert, etwas zu verweilen, abzulegen. Eine kleine einfache Erfrischung ist immer bei der Hand. Eine Tasse Kaffee, ein Glas Wein oder Bier, im Sommer Obst, im Winter Gebäck und Näschereien oder auch nur eine Cigarre – alles dies sind leicht beschaffte Kleinigkeiten und doch können sie, liebenswürdig angeboten, so unendlich viel zum Wohlbehagen des Gastes beitragen. Wie viele Menschen giebt es, die hierin gar so schwerfällig sind und aus lauter Bequemlichkeitsliebe den Schein der Ungastlichkeit auf sich laden.

Und noch etwas giebt's bei X.'s, das von ihrer[212] Herzensliebenswürdigkeit zeugt. Sie versetzen sich in die Lage von uns Junggesellen und wollen vermeiden, daß wir bei jedesmaligem Besuch ihres Hauses Trinkgeld geben. Daher geht der Hausherr selbst mit an die Hausthür, die Dienstboten erscheinen gar nicht. Ich denke mir aber, daß X.'s dieselben auf andere Weise entschädigen.

Und so kommt es, daß, wer in dem Hause ein- und ausgeht, gern dort verkehrt, ungern weggeht und sich aufs Wiederkommen freut.«

»Und sind diese Gäste, Herr von Beer, für all diese Aufmerksamkeit und Freundlichkeit auch empfänglich?«

»Es scheint so, denn sonst würden sie nicht so oft wiederkommen. Aber warum meinen Sie?«

»Nun, die Frage liegt doch sehr nahe, durch was und auf welche Weise sich diese Gäste zu gern gesehenen machen.«

Hat der Wirt Pflichten, so hat sie der Gast in doppeltem Maße. Vor allem soll er sich der größten Zuvorkommenheit gegen die Wirte und ihre Verwandten befleißigen. So darf und kann es nicht vorkommen, daß z.B. auf einem Hausball die Nichte des Hauses ohne Tänzer, ohne Tischherrn bleibt, daß die Hausfrau kein einziges Sträußchen in der Blumentour erhält, daß Wirt und Wirtin plötzlich allein stehen. Ganz falsch wäre es, nähme der Gast sie vollständig in Beschlag, heftete sich an ihre Sohlen und verlangte ihr fortgesetztes Interesse an seiner Person. Im Gegenteil, es ist seine Pflicht und Schuldigkeit, soviel es in seinen Kräften steht, sich der Allgemeinheit zu widmen,[213] seinen Teil zur Unterhaltung und dem Gelingen der Gesellschaft beizutragen. Ein froher Gast ist niemandes Last. Ein linkischer, schüchterner aber, der am Stuhle klebt oder sich in den Ecken herumdrückt, zu jeder Unterhaltung erst herangeholt werden muß, ist eine Qual für den Gastgeber. Wer zu einer Tanzgesellschaft geladen ist, weiß, daß der Hausherr auf ihn als Tänzer rechnet. Beleidigend ist es daher, wenn er sich in das Rauchzimmer verkriecht und sich seiner Pflicht entzieht. Sieht man, daß jemand etwas verliert, daß ihm etwas zu Boden fällt, so hat man sofort hinzueilen und ihm behilflich zu sein.

Will der Wirt einen Stuhl herbeiholen, ein Bild zur besseren Betrachtung von der Wand langen, so wird er es dir, lieber Leser, hoch anrechnen, wenn du diensteifrig herzueilst. An ihm ist es alsdann, sich der Hilfe der Dienstboten zu versichern und die deinige dankend abzulehnen. In kleinem Kreise wird z.B. dein Anerbieten, dem Hausherrn das Einfüllen der Bowlengläser, das Mischen des Grogs abzunehmen, gern acceptiert werden.

Mit den Dienstboten seines Gastgebers hat der Gast möglichst wenig zu reden. Sie vertraulich heranzuwinken, ihnen einen Witz zuzurufen oder sie gar in das Gespräch zu ziehen, gilt für unfein.

Wird man von den Wirten gebeten, ein Spiel zu arrangieren, einen deklamatorischen oder musikalischen Vortrag zu halten, so unterzieht man sich mit Aufopferung der Aufgabe.

Sich lange bitten zu lassen, ehe man sein Talent,[214] sei es nun ein künstlerisches oder die Gabe, Charaden aufzuführen, in den Dienst der Gesellschaft stellt, ist unartig. Trägst du ein Musikstück vor, so thue es, so gut du kannst, spiele oder singe ruhig weiter, wenn auch ein kleiner Fehler mit unterlauft. Die wenigsten merken es. Aber laß dich nicht durch etwaigen Beifall, der oft nur die Freude ausdrückt, daß der musikalische Genuß zu Ende ist, verführen, die Geduld der Zuhörer auf die Probe zu stellen.

Und noch eins! Wirst du von der Wirtin gebeten, zum Tanze zu spielen, so opfere dich für die andern und spiele. Ein lustiger Walzer, ein flotter Galopp bringt Stimmung in die Gesellschaft. Dein Spiel wird zum Zauberstab, der die Gesichter der Gäste und ihr Wesen verwandelt; zögere daher nicht, denselben zu gebrauchen.[215]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 210-216.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon