Theaterspiel,

lebende Bilder, musikalische und

deklamatorische Vorträge.

[216] Ueberall da, wo das gesellschaftliche Leben lebhaft pulsiert, wird während der Winterszeit das Schlagwort »Theaterspielen« fallen. Findet sich eine Familie, die ihre Wohnung zu Aufführungen hergeben will und sich überhaupt dafür interessiert, so wird aus dem schönen Traum wohl auch Wirklichkeit. Wer aber auch immer das Inscenieren übernimmt, der muß sich auf hundert und tausend kleine unerwartete Zwischenfälle, auf allerlei kleinen und großen Aerger gefaßt machen und die Eigenschaft besitzen, trotz Widerspruch und Einrede von allen Seiten seine künstlerische Idee durchführen zu können.

Die Wahl des Theaterstückes erfordert Verständnis für Bühnenwirksamkeit und für den Geschmack der Zuhörer. Klassische Stücke und Stücke von mehr als zwei Akten gehören nicht in das Repertoire der Liebhaberbühne.[216] Derjenige, der Theater spielt, will sich bei den Proben bereits mehr amüsieren als anstrengen, der Zuschauer will es erst recht.1

Hat man nun mehrere Stücke zur engeren Wahl gestellt, so suche man sich ein Bild zu machen, durch welche Personen unserer Gesellschaft dieses oder jenes Stück am besten verkörpert werden könnte. Ist man so über Rollenbesetzung im voraus mit sich einig, so bitte man die Betreffenden durch ein liebenswürdiges Briefchen, eventuell durch einen Besuch, ob sie dir ihre Mitwirkung bei einer Aufführung leihen und die Rolle in dem und dem Stück spielen wollen. Hast du mehrere Exemplare des Stückes, so fügst du eins davon bei, damit der betreffende Herr oder die betreffende Dame, auch deren Eltern, sich durch Lektüre der Rolle über die Annahme entscheiden können. – Dieses Verfahren ist unstreitig als der angenehmere Weg vorzuziehen. Schrecklich ist es, wenn in einer einberufenen Versammlung über die Besetzung dieser oder jener Rolle abgestimmt wird. Da setzt diese Clique für ihren sehr hübschen, aber ein[217] wenig unbeholfenen, langsamen »Stern« die Rolle der ersten Liebhaberin durch, für die sie sich nach Ansicht der Arrangeurs »so gar nicht eignet«; über die Zumutung, eine ältere, rundliche Wirtschafterin zu spielen, entrüstet sich die gesamte junge Mädchenwelt. Und gar die Bedienten- und Väterrollen, die mag man noch so anpreisen, als hochkomisch und humoristisch ausbieten es erfolgt kein einziges Gebot, die Herren wollen alle Liebhaber oder Komiker spielen. Ja, wer da nicht den Kopf und den Gleichmut verliert, der ist zu beneiden! Zum Glück giebt es auch einsichtsvolle Naturen, die keinerlei Empfindlichkeit zeigen, wenn sie nicht mit der Hauptrolle bedacht werden, die ihre kleine Rolle der Allgemeinheit unterordnen, ja, die sogar zum Besten des Ganzen ein Opfer ihrer Eitelkeit bringen.

Nehmen wir an, wir hätten diesmal nur mit solchen zu thun. Die erste Leseprobe findet so bald als thunlich statt. Dann folgt eine Pause von einigen Tagen, während der die Darsteller ihre Rollen lernen, und nun beginnt eine kürzere oder längere Reihe von richtigen Proben, zu denen bereits die Bühne genau so hergerichtet sein sollte wie am Abend der Aufführung, denn nur wiederholte Uebung in stets gleicher Umgebung verleiht jene Sicherheit auf den Brettern, welche die Liebhaberbühne anstrebt. Viele glauben, sie brauchen ihre Rolle nicht zu lernen. Sie vertrauen auf ihre Zungengewandtheit und Geistesgegenwart und den Souffleur. Es ist dies eine bedauerliche Unart gegen den Arrangeur wie gegen die Mitspielenden, die nicht ernst genug gerügt werden kann.[218]

Wir können uns hier nicht mit Ratschlägen für die Herrichtung der Bühne etc. beschäftigen, raten aber, die Aufstellung derselben einem in dieser Branche arbeitenden Geschäft zu übertragen, dessen Angestellte die scenischen Einrichtungen, das Auf- und Zuziehen des Vorhangs u.s.w. überwachen. Wir haben schon manche niedliche Aufführung durch allerlei derartige Mißgeschicke nicht gerade scheitern – das läßt die fröhliche Stimmung und die Geistesgegenwart der Schauspieler gar nicht zu – aber Einbuße erleiden sehen.

Daß junge Damen, falls die Proben nicht in einem befreundeten Hause stattfinden, in Begleitung ihrer Mutter resp. einer älteren Dame erscheinen, versteht sich von selbst.

Das zwanglose Zusammensein und Zusammenspiel zeitigt eine gewisse Vertraulichkeit. Junge Mädchen werden durch ihr eigenes Benehmen darauf halten, daß die Theaterfreiheit auf die Bühne beschränkt bleibt. Kuß und Umarmung, wie sie das Stück vorschreibt, darf stets nur markiert werden. Wird das Theaterstück durch einen Schauspieler eingeübt, so wird das junge Mädchen diesen als Herrn der Gesellschaft, also artig, nicht etwa von oben herab wie einen bezahlten Hilfsarbeiter (selbst wenn er's wäre), aber mit großer Zurückhaltung zu behandeln haben. Ihm Verehrung oder gar Schwärmerei bei dieser Gelegenheit beweisen zu wollen, ist völlig unstatthaft. Nie sollte, wenigstens in Gesellschaft von Herren und Damen, sich eine Dame zu einer Herrenrolle verstehen. Sie mag Beifall erzielen, aber ein Stückchen der ihrer Weiblichkeit bisher gezollten Achtung geht verloren.[219]

Jungen Herren raten wir, im Hause der Damen, welche mitwirken, bald ihren Besuch zu machen, falls sie bisher dort noch nicht verkehrten.

Da, wo gewandte Leute mit schauspielerischem Talent in unserem Bekanntenkreis fehlen, oder wo es sich darum handelt, eine größere Anzahl von Personen zu beschäftigen, greift man fast immer mit Erfolg zur Darstellung von lebenden Bildern.

Dieselben stellen keinerlei Anforderungen an den Darsteller außer der Sorge um ein Kostüm und sichern ihm, falls er nicht gerade das tragische Malheur hat, daß ihn während des hochgezogenen Vorhangs ein Niesen anwandelt, reichen Beifall für wenig Anstrengung. Bei der Wahl der Bilder und der dieselben verkörpernden Personen versichere man sich eines künstlerischen Beirats, dessen Forderungen alle Aufführenden unbedingt zu folgen haben. Ohne solche Autorität gerät der arme Regisseur in eine bedrängte Lage... Meine Tochter soll die Blinde von Piglheim darstellen. Wie kann man ihr so etwas zumuten! Ich bitte Sie, dann muß sie ja die Augen schließen, und – die Zuschauer sehen dieselben nicht, jammert hier eine Mutter in beschwörenden Tönen.

»Mein Profil macht sich aber von dieser Seite bedeutend besser,« versichert die eine jugendliche Schöne, während die andere gar erklärt, Empire stände ihr einmal nicht, und sie käme als Königin Luise in Rokokokostüm.

Armer Arrangeur, wie willst du die Geister bannen, die dein Enthusiasmus für die Kunst beschwor![220]

Und nun gar, wenn schnödes Mißverständnis oder gar Bosheit die Kritik in die Hand nimmt, wie wird es dir da erst zu Mute! Frau A. war einst in einem lebenden Bild die Verkörperung des Monats Oktober mit Rebenkranz und Römerpokai. Frau B., die der hübschen Frau ob ihrer Vorzüge gram war, erklärte seitdem mit sauersüßer Miene, wenn sie einen Zeitpunkt als Markstein im rollenden Zeitstrom bezeichnen wollte: »Wissen Sie damals, meine Liebe, als Sie Gambrinus waren!«

Bei theatralischen Aufführungen und lebenden Bildern ist es absolut nötig, daß die Darsteller sich schminken. Der natürliche Teint erscheint bei Lampenlicht farblos. Auch hier gilt es fest sein gegenüber den Erklärungen der Damen, die sich zu »so etwas nie im Leben« verstehen wollen. Ein ungenügend oder nicht passend geschminktes Gesicht verdirbt oft den Eindruck des ganzen Bildes.

Für wohlversehene Garderobenräume, am besten für Herren auf der einen und für Damen auf der andern Seite der Bühne, muß bestens gesorgt werden.

Finden derartige Aufführungen in Privatgesellschaften statt, so wird man der Ueberraschung der eingeladenen Zuschauer halber stets bemüht sein, sie möglichst geheim zu halten. Den bevorstehenden Genuß als Lockmittel bei der Einladung zu gebrauchen, verbietet die Rücksicht auf die gefälligen Künstler. Sehr hübsch ist es, wenn beim Empfang an die Gesellschaft gezeichnete oder gemalte Programms verteilt werden. Zur Belebung des Gesellschaftsbildes und zur Erhöhung der Stimmung trägt es nicht wenig bei, wenn die Mitspielenden im Kostüm bleiben.[221]

Um der freundlichen Wirtin, die Thalia eine Heimstätte geboten, zu danken, wählen die Schauspieler einen Sprecher, der in einem launigen Toast die Verehrung der Wandertruppe ausspricht. – In einem Verein wird dem Arrangeur ein Hoch ausgebracht entweder von einem der Mitwirkenden oder von einem älteren Herrn der Gesellschaft. Auch dem künstlerischen Beirat oder dem Schauspieler, der die Einstudierung übernommen, wird eine Aufmerksamkeit darzubringen sein, welche in einem eleganten Gebrauchsgegenstand, Rauchservice, Bowle, Kartentisch und ähnlichem, ist es eine Dame, in einem Arrangement von Topfpflanzen bestehen mag.

Die Sorge für die Kostüme bleibt dem Darsteller überlassen. Man füge sich hier den Wünschen des Regisseurs und sorge beizeiten für die Garderobe.

Den wenigsten Anspruch auf technische Beihilfe und Bühnenhintergrund machen alle musikalischen Darbietungen. Vorbereitete musikalische Aufführungen finden in Form von Matineen oder als Abendkonzerte statt.

Matineen kennt fast nur die Großstadt mit ihrer späten Mittagsstunde und hier speziell jene Klasse von reichen Leuten, die gern von sich reden machen und sich als Mäcene preisen hören.

Zur Veranstaltung von musikalischen Aufführungen ist der Besitz eines sehr großen Zimmers oder eines Saales, in welchem das Instrument Platz findet, und der aller schweren Teppiche und Vorhänge, die den Schall aufsaugen, entraten kann, durchaus notwendig.[222]

Zu Matineen pflegt man sich meist der Mitwirkung eines Berufskünstlers zu versichern, der durch besondere Artigkeit auszuzeichnen ist.

Die Toilette ist für Damen wie Herren elegante Besuchstoilette: beide lassen Mantel, Schirm und Galoschen im Ablegeraum. Die Ausübenden tragen Gesellschaftstoilette und werden im Wagen der Wirte abgeholt. Wird das Erscheinen einer Fürstlichkeit erwartet, so tragen die Herren Frack und weiße Binde, Chapeau claque, Ordensrosette oder -kettchen und mittelfarbene Handschuhe. Die Damen legen alsdann eine helle, hohe, wollene oder seidene Toilette mit elegantem Konzerthütchen und mittelfarbene Handschuhe an und nehmen den Fächer in die Hand. Das Opernglas in Privatkreise mitzubringen, ist ganz unstatthaft und fordert zu einem sehr unvorteilhaften Urteil heraus. Bei Gelegenheit der Besprechung des Theaterbesuches ist erwähnt, daß es lediglich zur Betrachtung der Bühne dienen soll.

Die musikalischen Genüsse der Matinee dauern 1–11/4 Stunde; in den Pausen begrüßt sich die Gesellschaft. In einem Nebenraume ist ein Buffet mit Erfrischungen, etwa Frühstücks- und Rot- und Weißwein, warme kleine Pasteten, verschiedene mundgerechte Sandwiches, Cakes, Thee, Kaffee, Bouillon etc. aufgestellt.

Finden musikalische Aufführungen des Abends statt, so schmiegen sie sich in den Rahmen der Abendgesellschaft ein. Vor dem Abendessen, Souper oder Buffet ist die Stimmung der Gäste ruhigem Zuhören geneigter.[223] Länger wie 1–11/2 Stunde sollte man die Geduld der Gäste aber nicht auf die Probe stellen. Auch der wohlerzogenste Mensch kann ein musikalisches Plus nicht gut ertragen, und die lange Sitzung rächt sich durch körperliches Unbehagen. Die Verteilung eines Programms ist empfehlenswert. Die Wahl der einzelnen Nummern muß dem Verständnis und dem verschiedenartigen Geschmack des Zuhörerkreises angepaßt sein. Die Aufführenden wie das Gastgeberpaar sind berechtigt, lautloses, aufmerksames Zuhören zu erwarten. Daß mit dem Beifall nicht gegeizt werden darf und soll, erfordert die Artigkeit, nur beachte man als Gast das Gastgeberpaar, welches das Zeichen zum Beifall zu geben hat. Manchmal wünscht dieses keinen lauten Beifall und ersetzt das Klatschen durch Lobsprüche und dankende Worte. Macht sich nach der Souperpause das Bedürfnis nach Fortsetzung bemerkbar, aber auch nur dann, also auf den ausgesprochenen Wunsch der Gäste, so mag noch weiter musiziert werden, indem man die Vorliebe dieses oder jenes Gastes artig berücksichtigt. Es müssen jedoch, besonders bei einer größeren Gesellschaft, Räume für diejenigen zur Verfügung stehen, die sich dem Zwang des Zuhörens entziehen wollen.

An improvisierte musikalische Vorträge wird keiner den gleichen Maßstab anlegen, wie an die eben geschilderten Aufführungen. Trotzdem zögern gar viele, ihr Talent oder ihr Talentchen in den Dienst der Geselligkeit zu stellen, und lassen sich endlos bitten, ehe sie die Noten aus der Manteltasche herein in den Salon[224] holen. Musik erfreut die meisten Menschen. Wer musiziert, erobert sich die Herzen. Dem Musikalischen öffnen sich Häuser und Kreise, die ihm wohl sonst verschlossen blieben. Wer also den Zauberstab zu schwingen versteht, der gebrauche ihn auch!

Selbstverständlich wollen wir nicht der Eitelkeit das Wort reden und der Selbstsucht, mit der die sogenannten Genies des Bekanntenkreises den armen Zuhörern arg zusetzen können. Maßhalten ist zu allen Dingen nütze.

Wir möchten bei dieser Gelegenheit betonen, daß eine schöne und richtige Deklamation – eine passende Wahl vorausgesetzt – verhältnismäßig mehr Beifall findet, da jeder, auch der Unmusikalische, sie versteht, als das Herunterarbeiten eines schwierigen Klavierparts. Die Deklamation erfordert auch weniger mechanische Uebungen, weniger Anstrengung bei der Erlernung und gewährleistet demnach auch denen, die keine Gelegenheit hatten, ein Talent in jahrelangem Studium heranzubilden, Aussicht auf gesellige Erfolge.2

Fußnoten

1 Eine reiche Auswahl von Lustspielen, Schwänken, humoristischen Aufführungen aller Art – diese kommen ja hier fast ausschließlich in Betracht – bietet »Famos! Der neue Familien- und Vereinshumorist« von dem Kgl. Hofschauspieler P. Rüthling und desselben Herausgebers. Dilettantentheater für Damen. Beide ausschließlich für Dilettanten bestimmte Sammlungen zeichnen sich vor andern ähnlichen Werken dadurch aus, daß alles Mittelmäßige oder Zweideutige aus ihnen verbannt ist und nur solche Stücke Aufnahme gefunden haben, welche wirkungsvoll sind und doch keine zu großen Anforderungen an die mimischen Talente der Spieler stellen. (Anm. d. Verl.)


2 Eine reiche Auswahl heiterer und ernster, nicht allzubekannter Deklamationen findet man in den beliebten Sammlungen von Hugo Edward »Für gesellige Stunden« und Klara Eppert: »Deklamatorisches Schatzkästlein für Damen.« (Verlag von Levy & Müller in Stuttgart.)


Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.].
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