Vom Arrangement einer Gesellschaft.

[113] »Ilse, Liebste, sag, kannst und willst Du mir helfen?« Frau von Mehren tritt in das kleine, gemütliche Wohnzimmer, wo Frau Ilse Bernhard, deren Bekanntschaft wir bereits in dem Abschnitt »Besuche machen und Besuche empfangen,« gemacht haben, an ihrer Staffelei sitzt. Frau B. eilt rasch ihrem Besuch entgegen: »Wie kannst Du erst fragen, Nelly! Natürlich, so viel Du willst. Aber,« die Freundin zu dem Ecksofa leitend, »sag', was giebt es denn? Krankheit wohl gottlob nicht, denn Du siehst blühend aus wie eine Rose, – etwa eine häusliche kleine Scene mit bevorstehender Versöhnung? Nein, bei Euch beiden unmöglich! Also, laß mich nicht länger raten, mach schnell, schnell!«

»Adolf will, daß wir nächste Woche eine Gesellschaft geben. Er meint, es sei dringend nötig, und man solle bald einladen, anstatt solche Gastschulden mit sich herumzuschleppen.«[113]

»Ganz recht, bald, und wenn das Gebotene noch so einfach ist, eingeladen zu werden, berührt tausendmal angenehmer als ein kostbares Fest nach Jahresfrist.«

»Und D.'s und S. s und X.'s und noch eine ganze Menge anderer sollen eingeladen werden.«

»Nun, mein Herz, wenn es weiter nichts ist, das ist ja eine Kleinigkeit!«

»Eine große Gesellschaft, dies Schreckgespenst selbst älterer Hausfrauen, nennst Du eine Kleinigkeit?«

»Ja, Du wirst gleich sehen, wie ich es meine.« Sie sucht aus ihrem Schreibtisch ein unbeschriebenes Heft hervor. »Hier, unser Hilfsbüchlein!«

»Eine gedruckte Anleitung zum Gesellschaftengeben? O, das ist herrlich! Aber – es ist ja ganz leer!«

»Warte nur, wir wollen es bald füllen! Also hier auf diese erste Seite schreibst Du die Liste der Einzuladenden, wobei Du natürlich die Größe Deines Eßzimmers berücksichtigen mußt und überlegen, wieviel Du bequem an Deinem Tisch unterbringen kannst, wohlverstanden bequem, denn es giebt nichts Ungemütlicheres, als wenn die Geladenen so gedrängt sitzen, daß sie bei jeder Bewegung in Furcht schweben müssen, ihre Nachbarn zu belästigen.

Eine gleiche Liste giebst Du dem einladenden dienstbaren Geist mit nebst Bleistift, und er notiert sich darauf bei dem betreffenden Namen gleich ›ja‹ oder, ›nein‹. Ueber Einladungen bist Du orientiert?« Frau Nelly nickt. »Also zu etwas anderem. Auf der nächsten Seite stellst Du Dir ein Menu zusammen. Das kannst Du[114] zu Hause allein machen. Daneben schreibst Du die Portionenangabe und den Kostenüberschlag. Dies wird Deinem Manne besonders gefallen.

Eine weitere Seite füllst Du nach endgültiger Entscheidung mit den notwendigen Bestellungen aus. Sind dieselben ausgeführt, so bemerkst Du es kurz daneben. Auf diese Weise kommst Du nicht in die fatale Lage, daß im letzten Moment, ehe die Gäste kommen, sich dieses oder jenes als vergessen herausstellt.

Was die Bewirtung anbetrifft, so laß Dir gesagt sein, daß Du als neu in die Gesellschaft Eintretende nicht die andern übertrumpfen darfst. Du könntest sonst den Triumph des Abends schwer büßen. Gieb seine, vielleicht noch wenig bekannte Gerichte, reichliche Portionen, aber wenig Gänge, die nicht aufdringlich und nicht mit zu viel Künstelei angerichtet sind. Ich begegnete unlängst auf einem Diner einer Schüssel, auf welcher unter einem mit bunten, kleinen Lämpchen besetzten Bogen Lohengrin stolz im Kahn daherfuhr. Mein Auge suchte umsonst des Leibes Speise, bis mich der Lohndiener mit einem diskreten Lächeln darauf aufmerksam machte. Der Nachen enthielt Kaviar! O Ironie der Gegensätze! Auch daß das Eis in Form erleuchteter Häuschen, z.B. einer Mühle mit schwingendem Rad, das durch ein Uhrwerk getrieben wird, oder als Rotkäppchen, gar als Fisch – Hummer aus Erdbeereis, welche Anstrengung für die Phantasie! – angerichtet wird, will mir wenig gefallen. Alle derartigen Kunstwerke, die darauf schließen lassen, daß[115] sich die Hände des Koches allzu innig mit der Speise befaßten, sind wenig geschmackvoll.

Die Weine wird Dein Mann besorgen, aber rate Du ein wenig zur Einfachheit. Herren sind leicht geneigt, um ein Lob ihres Weinkellers zu ernten, Flaschenbatterien ins Feuer zu führen. Mancher Vorgesetzte oder Höherstehende vermerkt es (mit einem gewissen Recht) übel, wenn sein Untergebener mit ihm rivalisieren will. –

Dies folgende Blatt in dem Hefte ist für die Tischordnung bestimmt. Mach sie beizeiten und mit Ueberlegung.

Hast Du so vorgearbeitet, so magst Du ganz ruhig sein und erst die letzten drei Tage vor der Gesellschaft mit den andern Vorbereitungen beginnen.

Diesen Schlachtplan für die letzten Tage will ich Dir diktieren, Liebling, also schreibe:

Erster Tag: Die Wohnung wird reingemacht. Ich nehme an, daß alle Zimmer in jedem Monat einmal gründlich gereinigt werden. Es handelt sich hier also nur um ein reinigendes Nachsehen und Aufräumen. Alle kleinen Schäden, ein lose sitzender Bildernagel, eine abgesprungene Verzierung, zersprungene Glasglocken und Cylinder werden repariert resp. durch neue ersetzt. Die Thürangeln werden geölt. Die Lichter werden aufgesteckt, wobei Du die Leuchter am Klavier nicht vergessen darfst, die Besuchslampen gefüllt und an ihren Platz gestellt. Das Heizmaterial wird revidiert und für reichlich gespaltenes Holz und für Zündhölzer gesorgt. Am Nachmittag wird Glas, Silber und Porzellan herausgegeben,[116] wenn möglich in einem unbenutzten Raum gereinigt und geputzt und Fehlendes beschafft. Willst Du Dir Glas, Porzellan und Bestecke mieten, wie es jetzt vielfach Gebrauch ist, besonders wenn man bei größeren Festen das eigene Geschirr schonen will, so schreibe Dir dies jetzt auf und sende einen gleichen Zettel zu dem betreffenden Gesellschaftsunternehmer oder der Lohndienervereinigung. Ich habe diese Sitte der gemieteten Gesellschaftsrequisiten aber nie schön gefunden und rate Dir zu versuchen, mit eigenen Sachen, eventuell unter Zukauf eines Dutzend halbechter Bestecke, die nur für Gesellschaftszwecke reserviert bleiben, auszukommen. Das Mieten ist, von eben Gesagtem abgesehen, verhältnismäßig so teuer, daß bei häufigem Veranstalten von Gesellschaften der aufgewendete Betrag den Anschaffungskosten fast gleichkommt. Gleichzeitig wird der Eßtisch probeweise ausgezogen, ob auch alles richtig funktioniert. Ergiebt sich, daß etwas nicht in Ordnung ist, so läßt es sich nun noch reparieren. Ist der Tisch ausgezogen, so stelle probeweise diejenigen Dekorationsstücke auf, die am festlichen Tage darauf zu stehen kommen. Du hast Dir zwar schon in Gedanken ein Bild Deiner Tafel gemacht, aber die Wirklichkeit verlangt oft ein anderes Arrangement. Auch welche Vasen und Körbe mit Blumen zu füllen sind, läßt sich auf diese Art am besten entscheiden. Nehmen wir an, Du beschließest diesen Tag mit dem Gang zum Blumenhändler, dem Du Deine Bestellung machst, aber ich rate Dir, stets eine frühere Stunde für die Ablieferung des Bestellten anzugeben, als wirklich nötig.

[117] Zweiter Tag. An diesem Tage wird alles eingeholt, was für die Gesellschaft gebraucht wird, so daß die Dienstboten am letzten Tage nicht aus dem Hause zu gehen brauchen und man noch in der Lage ist, etwa nicht Passendes umzutauschen. In der Küche werden die nötigen Vorbereitungen getroffen, es werden die kalten Schüsseln hergerichtet, die Kompotts zubereitet und das Backwerk beschafft. An diesem Tag muß auch das Mittagessen für den nächsten Tag gekocht werden, das dann nur aufgewärmt zu werden braucht und die Vorbereitungen für das Gesellschaftsessen nicht stört. In einem der Küche benachbarten Raumestelleman einige Tische zum Absetzen des gebrauchten Geschirrs und zum Hinstellen der für die Mahlzeit erforderlichen Schüsseln zurecht. Daneben fehle nicht eine oder zwei emaillierte Wannen sowie reichlich Küchentücher zum Abwischen des Silbers und der Gläser, das noch am Gesellschaftsabend vorgenommen werden muß, da sonst, z.B. in der Stahlschneide der Messer. welche etwas Saueres berührten, häßliche Flecke entstehen.

Lege Dir alles, was Du für Deine Toilette bedarfst, bis auf Brosche und Taschentuch schon an diesem Tage bereit.

Hast Du zu einer Mittagsgesellschaft gebeten, so magst Du zu Deiner eigenen Beruhigung bereits am Abend dieses Tages decken. Das Eßzimmer darf bei Gesellschaften nur ganz wenig geheizt sein. Durch die Lampen, die Lichter und die Gäste kommt es bald zu einer angenehmen Temperatur. die der Genuß des Weines bei den einzelnen Personen noch erhöht. Das Stillsitzen[118] in einem aus guter Absicht zu stark geheizten Raum wird geradezu zur Tortur. Du heizest also am Tage der Gesellschaft am besten gar nicht mehr im Eßzimmer. Somit steht dem Decken am Abend des zweiten Tages, nachdem das Zimmer gründlich aufgeräumt und naß aufgewischt worden ist, nichts im Wege. Entferne alle kleineren Möbel, sofern sie nicht gerade in einer Ecke sicher stehen, aus dem Speiseraum. Du gewinnst dadurch an Raum für die Gäste wie für die servierende Dienerschaft.

Das Decken der Tafel geschieht folgendermaßen. Ueber den feststehenden ausgezogenen Eßtisch breitest Du eine Decke aus Wollfries (auch Moulton läßt sich verwenden). Dieselbe verhindert das Klappern der Teller sowie das Durchbrennen warmer Teller bis auf die Tischplatte und fehlt heute in keinem besseren Hausstande. Das Tafeltuch muß so groß sein, daß es an allen Seiten der Tafel mindestens! 2 Meter herabhängt und die Unterlage völlig deckt. Auf das Tuch legt man reichgestickte Decken oder Läufer oder beides in der Weise, daß der Läufer in die Mitte kommt und an den Enden der Tafel je eine kleine viereckige Decke übereck aufgelegt wird.

Man hat reichgewirkte Gedecke, welche quer über die Tafel laufende waschechte, goldgemusterte Streifen zeigen, seidenes Tischzeug, gemalte Tischläufer aus weißer Malseide oder Atlas mit Landschaftsbildchen in Delfter Manier oder einzelnen zerstreuten Blütenzweigen, kurz, die Mode bestrebt sich heute, im Gegensatz zu vergangenen Jahrzehnten, die Tafel so farbenprächtig wie nur möglich[119] zu gestalten. Zu Zeiten unserer Mütter galt schneeweißes Porzellan und gewöhnliches Glas für das Feinste. Heute wählt man das Geschirr in den graziösen Formen des Rokoko, geschweifte Teller und Schüsseln mit Goldarabesken und übersäet mit Blumen; das mattsilberne Besteck zeigt die charakteristischen Formen desselben Stils. Das Messer schmiegt sich in der Rundung des Griffs der Hand an. Man verziert das rote Kelchglas für Moselwein, den topasfarbenen Römer mit Emailmalerei, das Portweinglas mit Goldeinfassung am Rande, der Sektbecher für das erste Glas deutschen Schaumweins zur Suppe schimmert in verschiedenen Farbenschattierungen. Für seinen Bordeaux giebt man weitausladende bauchige Gläser, die nur zur Hälfte vollgeschenkt werden, und in denen das Bouquet des Weines am schönsten zur Geltung kommen soll.

Die ganze Tafeldekoration wird heute niedrig gehalten, so daß die Konversation mit dem vis-à-vis durch nichts gehindert wird. Die Mitte der Tafel nimmt eine längliche Jardiniere aus Silber oder Glas ein, mit frischen abgeschnittenen oder eingepflanzten Blumen gefüllt. Künstliche Blumen, wie sie in Frankreich durchaus tafelfähig sind, erkennt unsere deutsche Festtafel nicht an. Dann folgen Kompottschalen, Armleuchter mit Kerzen, deren Licht durch kleine Schirmchen, in der Farbe zur Blumendekoration passend, gedämpft wird, Porzellanschalen mit Fuß, zum Service passend, mit Dessertgebäck oder Bonbons, niedere Vasen mit Blumen, Krystallschalen mit frischem Obst, und ist die Tafel sehr lang, so schließen sich nochmals Kompottschalen und[120] niedere Blumendekoration an. Selbstverständlich entnimmst Du dieser Schilderung einer vornehmen Tafel, was Du für Deinen Zweck brauchst.

Daß jedes Gedeck aus Teller mit Serviette und Tafelbrötchen, Messer, Gabel, Löffel besteht, daß der Kompottlöffel auf einem kleinen Kompottteller, der zur Linken des großen Tellers steht, das Messer für Käse quer vor dem Gedeck liegt, daß das Fischbesteck rechts neben dem Messer liegt. sind alles Dinge, die Du so gut weißt wie ich. Die Gläser, ein Rotwein-und ein Weißweinglas, das niedere Sektglas und die Schale oder der Kelch für Champagner stehen zu einer Gruppe vereinigt rechts von dem Teller nach der Mitte des Tisches zu. Bessere Weine werden, wie Du ja bereits weißt, in Gläser gefüllt von der Dienerschaft angeboten. Man benutzt hierzu besonders elegante, kleine Brettchen aus Silber. geätztem Metall, aus hellem mit Brandmalerei verziertem Holz in ovaler oder modern schmaler Form, welche die Gäste am wenigsten geniert. – Die Karaffen mit dem Tischwein stehen auf gläsernen Flaschenuntersätzen. Originalflaschen stellt man aufgekorkt auf silberne Untersätze und versieht sie mit Zierkorken. Man stellt die Weinflaschen in hübschem Abstand auf. Es braucht nicht jeder Herr eine Flasche zu seiner Linken zu finden, man berechne dabei mehr den Gesamteindruck.

Daß man roten und weißen Wein aufstellt, ist allgemein bekannt. Jenachdem die Gäste Süddeutsche oder Norddeutsche sind, wirst Du Weiß- oder Rotwein überwiegen lassen. Auf dem Büffet oder der Kredenz[121] müssen mindestens zwei gefüllte Karaffen zum Ersatz der geleerten bereitstehen. Ein Nachfüllen würde die Bedienung zu sehr aufhalten.

Ueberhaupt kann ich Dir nur raten, alles zum Wechseln bestimmte Gerät übersichtlich und abgezählt der Dienerschaft in ihrem Beisein zurechtzustellen. So allein prägt sich ihnen der Zweck vieler ihnen unbekannten Gerätschaften ein. Hat man ein Buffet, eine Kredenz und einen Serviertisch im Zimmer, so benutzt man ersteres nur als Dekorationsstück und stellt dort alle Prunkstücke des Silberschrankes auf. Bei kleineren Gesellschaften mag man auch das Brett mit den Kaffeetassen und das Liqueurservice dort bereitstellen. Auf die Kredenz kommen Teller, Gläser und Bestecke, und der Serviertisch endlich dient nur zum Abstellen.

Doch kommen wir nach diesen Mühen des Tischdeckens wieder zu den allgemeinen Obliegenheiten des zweiten Tages zurück! Gut ist es, wenn die Hausfrau noch ein Viertelstündchen Zeit findet, um auf einen Zettel die Reihenfolge der Obliegenheiten für den nächsten Tag den Dienstboten aufzuschreiben. Es erleichtert dies ungemein die Arbeit. da sie sich, so orientiert, die Arbeit einteilen und bei Verrichtung des einen Geschäfts schon das nächste bedenken können.

Dritter Tag. Frühmorgens wird in den Gesellschaftsräumen geheizt und dann Staub gewischt. Obstschalen und Kompottieren werden gefüllt, die Butter- und Käseschüssel wird angerichtet, der Wein aus dem Keller geholt und aufgekorkt. Rotwein und Südwein soll Zimmertemperatur haben; man stellt ihn daher in[122] einen gewärmten Raum. Weißwein bleibt im Kalten, da er mit 6–10 Grad serviert werden soll. Sekt wird nur drei Stunden vor dem Gebrauch eingekühlt. Es folgen Vorbereitungen in der Küche und Herrichten eines geheizten Garderobenraumes für die Damen, in dem weder eine Waschtoilette mit allem Zubehör fehlen darf noch ein Tischchen mit Spiegel und davor brennenden Kerzen; Stecknadeln, eingefädelte Nähnadeln mit schwarzem und weißem Zwirn, Kamm, Bürste, Haarnadeln, kölnisch Wasser, ein Reservetaschentuch, frisches Wasser nebst Gläsern und eine gefüllte Brennmaschine nebst Streichhölzern müssen zur Hand sein. An der gewissenhaften Art, wie dieser Toilettenraum hergerichtet ist und alles, wonach eine Dame verlangen könnte, enthält, erkennt man die umsichtige Wirtin. Ist es möglich, eine Chaiselongue in das Zimmer zu stellen, um so besser. Die abgelegten Sachen breitet das bedienende Mädchen über das Bett, auf Stühle, Tische oder benutzt Garderobehaken und Kleiderständer. Das Mädchen muß unterwiesen werden, daß es gewandt ablegen hilft und auch beim Ausziehen der Galoschen behilflich ist. – Nummern resp. Marken für die Kleidungsstücke zu verteilen, ist für gewöhnlich im Privathaus nicht Sitte und nur in der Massengarderobe bei öffentlichen Veranstaltungen oder bei ganz großen Festen z.B. beim Ball des Regierungspräsidenten am Platze.

Die Herren legen, falls nicht Raumüberfluß auch ihnen ein Zimmer, z.B. dasjenige des Sohnes, anweist, auf dem Korridor ab. Man sorge dafür, daß dort ein Spiegel, eine gute Kleiderbürste sowie ein Kissen[123] mit Stecknadeln bereit liege. Daneben stellt man den silbernen Teller mit den Tischführungskarten. Das Auflegen der Tischkarte nach der Tischordnung wird ebenfalls noch am Vormittag dieses Tages besorgt.

Hat man in dieser Art und Weise alles zu richtiger Zeit vorbereitet, so kann man sich selbst noch eine Ruhepause gönnen, um zum Empfang der Gäste frisch und munter zu sein. Du kannst einen Spaziergang mit Deinem Manne machen, der ganz entzückt sein wird, daß Dein Hausfrauentalent die ganze Sache so spielend arrangiert hat, und sehr stolz dazu.«

»Wie ich mich bereits auf dies Lob freue! Die Männer loben so selten, findest Du nicht auch?«

»Gewiß, sie ahnen eben nicht, daß ein Wort der A nerkennung zur rechten Zeit für die Fran eine Zauberkraft besitzt, die ihr das Härteste leicht, das Unangenehmste erträglich macht.«

»Da hast Du recht!-Doch nun leb' wohl! Mein Mann wird schon ungeduldig sein, daß ich gar so lange wegbleibe. Die Einladungen sollen noch geschrieben werden –«

»Nein, so leicht kommst Du mir nicht fort, mein Kind. Habe ich es nun einmal übernommen, Dich auf alles aufmerksam zu machen, an was eine Frau denken soll und muß, so mußt Du mir auch erlauben, erschöpfend zu sein.«

»Noch mehr?« Die kleine Frau faßt mit einem allerliebsten Ausdruck des Entsetzens an ihre Schläfen.

»Ja, hier diese letzte Seite im Hefte verlangt noch beschrieben zu werden. Regeln für das Servieren, hast Du das?[124]

1. Die Bedienung bei einem Gesellschaftsessen muß tadellos sein. Die Hausfrau darf nirgends mit Wort oder Blick eingreifen. Da die wenigsten Dienstboten dies verstehen, mietet man sich Lohndiener, welche man jedoch hinsichtlich des Trinkens beaufsichtigen muß, oder Lohndienerinnen, eine aus Norddeutschland stammende, sehr in Aufnahme kommende und empfehlenswerte Sitte. Diesen sowohl wie dem eigenen Gesinde giebt man eine Stunde vor Beginn der Gesellschaft ein kräftiges, warmes Abendbrot mit Thee, nach der Gesellschaft Bier oder Wein. Den männlichen Bedienten giebt man eine zugekorkte Flasche, Wein zum Mitnehmen. Die gemietete Dienerschaft hat beim Tischdecken zu helfen, es eventuell selbständig zu übernehmen. Ich rate Dir jedoch, daß Du wenigstens dabeibleibst. Der kundige Gast erkennt auf den ersten Blick, ob der Tisch nach Gasthofsmanier oder nach dem Geschmack der Hausfrau gedeckt ist. Den Kutscher läßt man nicht mit servieren. Das Stallparfüm ist unerträglich für viele und verrät sich trotz aller Gegenmittel.

2. Die Bedienung der Gäste geschehe geräuschlos. Man lasse leichtes Schuhwerk, eventuell mit Gummisohlen, tragen. Die männlichen Dienstboten erhalten weiße, baumwollene Handschuhe. Die Mädchen tragen eine große, weiße Achselschürze, sogen. Servierschürze, und legen eine gefaltete Serviette unter die heiße Schüssel.

3. Angeboten wird stets von links. Man läßt bei der vornehmsten Dame beginnen. Ist jedes Gericht zweimal angerichtet, so wird bei den zwei würdigsten[125] Damen mit dem Reichen begonnen. Alsdann wird die Reihenfolge strikt eingehalten mit der Ausnahme, daß bei kleineren Essen dem Hausherrn zuletzt serviert wird. Bei großen Diners fällt dies fort. Bei freundschaftlichen Essen läßt man einmal bei dieser, das andere Mal bei jener Dame beginnen, damit sich keine zurückgesetzt fühlen kann. Die Wirtin muß die Herrschaften, denen zuerst gereicht werden soll, den Dienstboten genau bezeichnen, sonst entstehen peinliche Situationen. Der Servierende nimmt mit der linken Hand von der linken Seite des Gastes den Teller ab und stellt mit der rechten Hand den reinen Teller von rechts vor den Gast hin.

4. Auf den Teller gelegte Bestecke dürfen nie dem Gast zurückgegeben werden. Man reicht die neuen Bestecke entweder auf dem reinen, für warme Speisen stets gewärmten Teller oder legt sie zu des Gastes rechter Seite neben den Teller. Es wird sich bei größeren Gesellschaften selten vermeiden lassen, daß Teller oder Bestecke während der Mahlzeit gereinigt und wieder gebraucht werden. Man spült sie mit kochendem Wasser ab, legt sie aber alsdann in kaltes Wasser, ehe man sie abtrocknet, d.h. sobald die Teller nicht zu den Speisen heiß sein müssen, damit nicht durch die Wärme dem Gaste verraten werde, daß sie unausgesetzt im Gebrauch sind.

5. Beim Anbieten von besseren, in Gläser eingefüllten Weinsorten, von denen Damen nur einmal und von einer Sorte nehmen sollten, nennt der Servierende den Namen des Weins, nicht schreiend laut,[126] sondern mit natürlicher Stimme, für das Ohr von höchstens zwei Personen berechnet. Man muß mit Geduld diese Worte einstudieren, damit aus dem ›79er Steinberger, Königliche Domaine,‹ oder dem ›Grand vin Mouton Rotschild‹ nicht ›neun und siebzig Steine von der Königlichen Tenne‹ oder ›Graue Mutter Rotschild‹ werde. Die Dienerschaft hat beim Nachgießen dieser Weine zu fragen: ›Befehlen der Herr Rat?‹ Champagner wird ohne weiteres Fragen so lange weiter eingeschenkt als die Tafel währt, oder bis der Gast abwinkt.

6. Die Bedienung hat die Schüsseln in richtiger Höhe zu reichen, damit der Gast bequem zulangen kann.

7. Jedes Gericht sei mit passendem Gerät zum Nehmen versehen. Fällt dasselbe zu Boden oder in die Schüssel, so bringt die Bedienung ein anderes.

8. Ehe das Eis resp. süße Speise serviert wird, kehrt die Dienerschaft mit einer Serviette die Brotkrumen vom Tisch auf einen Teller. In kleinem Kreis benutzt man auch silberne Tafelbesen und Schaufel.

9. Reicht die Bedienung nach beendeter Tafel im Salon den Kaffee, so geschieht dies in der Weise, daß ein Brett mit eingegossenen Tassen, Sahne und Zucker bestellt wird. Es ist neuerdings Mode geworden, daß der Servierende nur ein kleines Brett, worauf neben Zucker und Sahne nur drei bis vier Tassen Platz finden, in die eine Hand nimmt, in der andern die silberne Kaffeekanne trägt und erst vor dem Betreffenden, damit der Kaffee ganz heiß sei, eingießt. Liqueur wird ebenfalls in eingegossenen Gläsern angeboten.[127] Der Diener hat dabei zu fragen: ›Befehlen gnädige Frau Curaçao?‹ oder wie der Name des Liqueurs heißt. Kaffee wird zum zweiten Mal angeboten, indem der Diener mit der Kanne herantritt und fragt: ›Befehlen das gnädige Fräulein?‹ ›Befehlen der Herr Assessor?‹

Bier wird ebenfalls erst vor dem Gast eingeschenkt. Sobald der Betreffende das Glas genommen hat, stellt der Diener einen Gläseruntersatz auf den Tisch. Die kleinen Butterbrote, welche bei Gelegenheit eines Diners kurz vor dem Weggang der Gäste, etwa um 10 Uhr, angeboten werden, serviert man auf folgende Weise: Man stellt entweder vor jeden Gast einen kleinen Teller mit zierlichem Serviettchen und reicht eine wohlarrangierte Schüssel Sandwiches herum, oder man placiert die Butterbrotschüssel gemeinsam mit den Tellerchen auf einem Theebrett, bietet dieses jedem Gaste an und läßt ihn sich selbst bedienen und den Teller vom Tablett nehmen.

10. Alles, was die Dienerschaft überreicht, ein Glas Wasser, eine reine Gabel oder ein Brötchen, muß auf einem Tellerchen liegend angeboten werden.

11. Während des Speisens tritt die Bedienung an die Thür, ins Nebenzimmer oder, falls Du fremde Ohren als Zeugen beim Tischgespräch nicht liebst, worin ich ganz mit Dir übereinstimme, liebe Nelly, sie entfernt sich ganz. Ist sie zugegen, so hat sie ruhig, mit herabhängenden Armen dazustehen. Daß der Diener z.B. die Hände auf dem Rücken kreuzt, ist unpassend.

12. Der den Wagenschlag der vorfahrenden Gäste öffnende Diener muß von der Hausfrau instruiert werden,[128] zu welcher Stunde die Wagen zu bestellen sind. Es ist Sitte, daß die Gäste bei ihrer Ankunft fragen: ›Zu wann sind die Wagen bestellt?‹ Der Diener muß also die Antwort bereit haben. Da man hiermit gewissermaßen den Zeitpunkt angiebt, wann man die Gesellschaft beendet sehen möchte, so überlege man sich die Stunde genau. Bei einem Diner, das um 6 Uhr beginnt, wird der Wagen auf 10 oder 11 Uhr bestellt, bei einer um 8 Uhr beginnenden Gesellschaft auf 111/2 Uhr. Schließt sich Tanz an, so fahren im ersteren Falle die Wagen um 12 Uhr, im letzteren um 1 resp. 2 Uhr vor. niemals später. Zusätze auf der Einladungskarte wie: ›Man bittet, den Wagen nicht vor 1 Uhr zu bestellen!‹ sind unpassend.«

»Fertig, liebe Ilse, mein Papier ist zu Ende!«

»Ja, Schluß! Hoffentlich habe ich nichts vergessen! Und nun von Herzen gutes Gelingen zum guten Vorsatz! Und wenn Du jetzt als Minister des Innern Deinem Herrn und Gebieter referierst und Ihr Eure Beschlüsse faßt, so bedenke immer: Die vornehmste Art, Gesellschaften zu geben, besteht darin, daß man nur so viele einladet, als man bequem unterbringen, mit eigenen Sachen bewirten und mit eigenen Dienstboten bedienen kann!«[129]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 113-130.
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