Einladungen,

ihre Annahme und Absage.

[100] Ingenieur Herbert sitzt beim Frühstück. Neben seinen Teller hat die fürsorgliche Wirtin die eingegangene Post gelegt. Ein ganzer Haufen! Der Anblick gewisser großer, weißer Couverts zaubert ein zufriedenes Lächeln auf sein Antlitz. Es sind die programmmäßigen Folgen seiner neulichen Antrittsbesuche. Der Brieföffner fährt die Längsseite des ersten Couverts entlang. Auf weißem Karton leuchtet ihm die gedruckte Aufschrift entgegen:


Größe der Karte: 111/2 : 17 Ctm.
Größe der Karte: 111/2 : 17 Ctm.

[100] »Nett,« denkt er, »diese Trennung der Frau von dem Titel des Mannes! Wie angenehm berührt einen das bei der herrschenden Titelsucht der Damen!«

Aus dem zweiten Umschlag fällt ihm eine andere Einladung heraus:


Größe der Karte: 10 : 141/2 Ctm.
Größe der Karte: 10 : 141/2 Ctm.

Ein Tanzabend in Aussicht! Ob er sich wohl wieder so gut amüsieren wird wie auf dem letzten Ball? Ob die kleine »Apfelblüte« auch bei B.'s verkehrt? –


Größe der Karte: 91/2 : 15 Ctm.
Größe der Karte: 91/2 : 15 Ctm.

[101] Eines der stadtbekannten berühmten Diners! Das »im Ueberrock« beweist aber, daß die Gastgeber die Bequemlichkeit und das Behagen ihrer Gäste im Auge haben. Aber noch ist die Reihe der Briefschaften nicht erledigt. Waren die bisher gelesenen Einladungen schon weithin durch das größere Kartenformat als solche kenntlich, so lassen die beiden letzten briefähnlichen Umschläge ihren Inhalt nicht so leicht erraten.


Einladungen, ihre Annahme und Absage

»Ah, mein jung verheirateter Kollege! Wie richtig, zu einer kleineren freundschaftlichen Einladung die Billetkarte (auch unter dem Namen der carte de correspondance bekannt) der vorgedruckten, Ansprüche erweckenden Karte vorzuziehen! Eine besondere Höflichkeit, den Namen des Eingeladenen voranzustellen!«

Er greift zum letzten Brief, einem Oktavbriefbogen:

Frau Gerichtsrat Rohn wird sich freuen, Herrn Ingenieur Herbert am 16. d. M. um 5 Uhr zu einem ein fachen Mittagessen in kleinem Kreise bei sich zu sehen.

Bitte Ueberrock.

U. A. w. g.
[102]

Eine Einladung in das Haus der kleinen »Apfelblüte!« Reizend! Natürlich wird er umgehend persönlich danken. Der Kaffee mundet ihm mit einem Mal doppelt gut. Was für ein sonniger Morgen! Aber wäre das nicht ein wenig zudringlich, schon wieder hinzugehen, nachdem er erst vorige Woche dort Besuch gemacht? Es ist immerhin die erste Einladung. Die Regeln seines guten Mütterchens, das bei ihm von früh an auf gute Sitte gehalten, fallen ihm ein: »Sei höflich, aufmerksam, zuvorkommend, aber alles bis zu einem gewissen Grade. Deine Liebenswürdigkeit darf von andern nie als Zudringlichkeit aufgefaßt werden können.«

Mit einem Seufzer denkt er an die Lehre. Der Dank für die Einladung wäre ein so schöner Vorwand gewesen, seinen Besuch zu wiederholen! Nun, er wird nach der Gesellschaft hingehen. Wenn auch der sogenannte Quittungsbesuch ein wenig aus der Mode gekommen ist bei den blasierten jungen Herren, er findet es ganz in der Ordnung, sich nach einer Einladung, etwa nach 5–10 Tagen, zu erkundigen, wie das Fest der Gastgeberin bekommen ist. Und er weiß von Hause, wie angenehm es die Dame des gastfreien Hauses berührt, wenn die jungen Herren diese Höflichkeitspflicht pünktlich erfüllen.

Doch nun ans Beantworten!

Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige. Wetteifern wir mit ihnen darin! Zuerst die Antwort an die Gerichtsrätin.

Er nimmt einen Oktavbriefbogen. Eine Karte oder gar eine Visitenkarte würde ein Verstoß gegen die Form[103] sein. Geschäftsmäßige, gedruckte Annahme-und Absagekarten sind erst recht unpassend. Für den, der uns die Ehre oder Freude einer Einladung erweist, müssen wir den Augenblick zu finden wissen, um ihm mit eigener Hand zu danken. Der Ingenieur beginnt zu schreiben:


Hochverehrte, gnädige Frau!


Ihrer sehr gütigen Einladung zum 16. d. M. (um Mißverständnissen vorzubeugen, wiederholt man besser das Datum) werde ich mir erlauben, bestens dankend Folge zu leisten.

Mit gehorsamster Empfehlung habe ich die Ehre zu sein, gnädige Frau,

Ihr ganz ergebenster

Stuttgart, den......

Herbert,

Ingenieur.


Gern möchte er sich der Tochter empfehlen lassen, aber nein, das geht nicht, das wäre ein Grad von Vertraulichkeit, zu der ihn die kurze Bekanntschaft noch nicht berechtigt.

Nun ein paar Zeilen an den Kollegen auf einer Visitenkarte:


Lieber Dellert!


Für Ihre und Ihrer Frau Gemahlin freundliche Einladung zum 14. d. M. verbindlichen Dank! Gern werde ich derselben folgen. Mit der Bitte, mich Ihrer Frau Gemahlin empfehlen zu wollen, bin ich mit freundschaftlichem Gruß für Sie

Ihr

Stuttgart, den......

Herbert.
[104]

»Jetzt an das Diners gebende Paar!« Die Leute sind ihm ziemlich fremd. Er greift zu einem Briefbogen und schreibt:


Herrn und Frau K. Sandens liebenswürdiger Einladung zum 12. d. M. wird sich erlauben mit ergebenstem Dank Folge zu leisten

Stuttgart, den......

Herbert,

Ingenieur.


Nun die Adresse: »Herrn K. Sanden und Frau Gemahlin.« Richtet sich doch sein Dank an beide!

»Ob ich zum Konsul B. gehe? Aber nein, die Einladung lautet ja auf den gleichen Tag wie zu Rohns. Also rasch abgeschrieben!«


Hochverehrter Herr Konsul!


Für Ihre und Ihrer Frau Gemahlin gütige Einladung zum 16. d. M. sage ich meinen aufrichtigen Dank. Zu meinem Bedauern kann ich derselben nicht folgen, da ich zu diesem Tag bereits eine andere Einladung angenommen habe.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Stuttgart, den......

Herbert,

Ingenieur.


»Daß ich nicht vergesse, im Lauf der nächsten Zeit, etwa 5–8 Tage nach der versäumten Gesellschaft, dort einen Entschuldigungsbesuch zu machen!«

An den Regierungspräsidenten wird die Annahme der Einladung auf einen Briefbogen größeren Formats geschrieben:
[105]

Hochzuverehrender Herr Graf!


Ew. Hochgeboren erlaube ich mir für die gütige Einladung zum 5. März meinen gehorsamsten Dank auszusprechen. Ich werde mir erlauben, derselben Folge zu leisten und zeichne als Ew. Hochgeboren

ganz gehorsamster

Stuttgart, den......

Herbert,

Ingenieur.


»Aber wie, hier liegt ja noch ein Brief! Sollte ich den vorhin in der Freude über die zuletzt geöffnete Einladung zu lesen vergessen haben?


Größe der Karte: 12 : 14 Ctm.
Größe der Karte: 12 : 14 Ctm.

Diese Einladung zum Jour fixe verlangt keine Zu-oder Absage. Man geht, wenn man will und kann, und dankt beim nächsten Sehen für die liebenswürdige Aufforderung. Nun schnell ins Bureau! Die gesellschaftlichen Pflichten rauben mir sonst die kostbaren Tagesstunden.«[106]

In gleicher Stunde hat Käthe Rohn Einladungen erhalten. Die Einladungen in Pausen zu versenden, ist gefährlich, da sich manche als »nacheingeladen« verletzt fühlen könnten.

»Mama, sag mir doch, was soll ich Frau v. Bach schreiben?«

»Aber Käthe, das mußt Du doch allein wissen! – Nein? Nun, Du richtest Deine Antwort natürlich an die Dame des Hauses. Du schreibst etwa so:


Sehr geehrte, gnädige Frau! Ihrer sehr gütigen Einladung zum 16. Februar werde ich mit vielem Vergnügen Folge leisten. Nehmen Sie meiner Mutter und meinen besten Dank dafür und übermitteln Sie ihn gütigst auch Ihrem Herrn Gemahl. Mit besten Empfehlungen von meiner Mutter und mir

Ihre

dankbar ergebene

Käthe Rohn.


Wie, auch zu W.'s hast Du eine Einladung? Das giebt ja eine bewegte Woche! Da Du die Dame nur oberflächlich kennst, schreibst Du:


Für die gütige Einladung von Herrn und Frau W. zum 17. d. M. sagt besten Dank und wird derselben gern Folge leisten

Käthe Rohn.


So, nun hübsch flink an den Schreibtisch! Bedenke, die Leute warten auf Deine Antwort! Für den Fall, daß es eine Absage wäre, könnten sie statt Deiner eine andere Dame auffordern. Wer einladet – wir sprechen ja aus Erfahrung – möchte so bald als[107] möglich erfahren, auf wen er rechnen kann, um seine Bestellungen und Vorbereitungen machen zu können.« –

Acht Tage später, Vorabend des von Bach'schen Festes. Frau Konsul von Bach, ein Paket Briefe in der Hand, in das Zimmer ihres Mannes tretend: »Gewiß wieder Absagen! Daß die Leute es nicht lassen können, noch in der letzten Minute abzusagen!«

»Frau H. bedauert, aber heftige Migräne... – Assessor von Mehren ist leider durch die Vertretung eines erkrankten Kollegen verhindert, aber seine Frau wird kommen; das ist nett und auch durchaus passend. In ein bekanntes Haus kann eine junge Frau auch einmal ohne Gatten kommen.« – »Doch die Tischordnung muß wieder geändert werden. Mehren sollte Frau Bernard führen.« – »Referendar Albert wird sich erlauben, der gütigen Einladung Folge zu leisten.« – »Ein bißchen spät besinnt er sich darauf. Nein, dies Hangen und Bangen, dies Zählen, ob die Herren reichen, und ob einer übrig ist, es verleidet einem die ganze Vorfreude. Mit den Familien geht es noch,« monologisiert Frau v. Bach weiter. »Schick' ich den Lohndiener mit den Einladungen herum, so erhält er wenigstens Bescheid, ›die Herrschaften werden sich die Ehre geben,‹ ›Herr und Frau H. bedauern, sie sind bereits versagt,‹ und ich weiß, woran ich bin. Was mögen nur Sandens haben? Geradezu unhöflich klingt die Bestellung, sie wären außerstande, der Einladung Folge zu leisten.«

Ueberlassen wir es der Frau Konsul, die Sorgen, warum Sandens wohl abgesagt haben, weiterzuspinnen,[108] und beschäftigen wir uns noch einen Augenblick mit dem Absagen.

Wer jede Absage für eine persönliche Beleidigung auffaßt, quält sich selbst. Die Zeit wird ihn lehren, daß er diesem und jenem Unrecht mit diesem Verdacht gethan. Sagt jedoch eine Persönlichkeit zweimal hintereinander ab ohne stichhaltige, ernste Verhinderung, so wird man allerdings vermuten können, daß sie den Verkehr mit uns nicht wünscht. Gewißheit ergiebt sich in diesem Fall dadurch, daß sie keinen Entschuldigungsbesuch macht oder erst nach sehr langer Pause kommt. Jemanden, der uns derart zeigt, daß er in keine näheren Beziehungen zu uns treten will, werden wir selbstverständlich nun nicht mehr einladen. Trotzdem brauchen wir uns nicht verletzt zu fühlen. Viele Leute wollen ihren Kreis nicht erweitern, können in ihren pekuniären Verhältnissen keine Geselligkeit pflegen, und ihre Absage gilt der Sache, nicht der Person. Gänzlich falsch wäre es daher, wollten wir bei einem gelegentlichen Treffen den Beleidigten spielen, wohl gar den Betreffenden nicht mehr kennen.

Mit der Motivierung einer Absage müssen wir auf jeden Fall vorsichtig sein. Erklärt man, bereits versagt zu sein oder selbst Gäste zu haben, so darf man sich nicht im Theater, im Restaurant oder auf der Straße zeigen. Thut man es unter dem Vorwand, nicht wohl zu sein, so darf man andern Tags nicht verwundert thun, wenn jemand nach unserm Befinden fragt, und kommt man nicht, weil man Besuch von auswärts erwartet – beiläufig gesagt, eine Lieblingsentschuldigung[109] junger Herren – so muß man diesbezügliche Fragen zu beantworten wissen.

Absagen können das beliebteste Gastgeberpaar treffen. Sie sind eine Kalamität, aber keine Schande.

Wer nun viele Absagen erhielt, wird, um die Ausführung seiner geplanten Gesellschaft zu sichern, auf die Aushilfe verfallen, diese oder jene noch nachträglich einzuladen.

Um einer solchen späten Aufforderung jeden Stachel zu nehmen, spreche man dieselbe nur mündlich aus oder, falls unser Besuch nicht angenommen wurde, durch ein höfliches Billet, dem man die Einladungskarte auf jeden Fall beilegt.

Jeder, der selbst Gesellschaften giebt, wird eine solche Nacheinladung begreifen und richtig beurteilen. Empfindlichkeit zu zeigen, beweist geringe Erfahrung.

Daß man nur nähere Bekannte nachbittet, versteht sich von selbst. Vorgesetzte ladet man nie nachträglich ein.

Wir kommen nun noch zur Beantwortung der Frage: Ist es statthaft, Leute, mit denen man bisher nicht verkehrte, ohne weiteres bei Gelegenheit einer Gesellschaft einzuladen?

Viele Familien betrachten ein Tanzfest, das sie zu geben beabsichtigen, als gegebene Gelegenheit, ihren Bekanntenkreis zu erweitern.

Sie machen bei dieser und jener Familie Besuch und senden tags darauf die Einladung. Dieses Vorgehen will uns wenig richtig erscheinen, es ist aber[110] hier und da so gebräuchlich, daß wir es erwähnen zu müssen glaubten.

Daß Familien bei Herrschaften, welche bereits die Einladungen zu einer Gesellschaft ergehen ließen, noch Besuch machen, ist unstatthaft.

Das Erzwingenwollen eines Verkehrs ist stets gefährlich. Die unverhüllte Absicht, mit diesem oder jenem in Beziehung zu treten, wird immer bei einigen Anstoß erregen oder Ablehnung finden. Man macht als Fremder Besuche und wartet ab, wer uns einladet, wer nicht. Wir haben durch dies Recht der freien Wahl viel vor den Engländern voraus. Dort kommen die ortsansässigen Familien zuerst zu dem Neuzugezogenen und begrüßen ihn, und er muß geduldig den Verkehr hinnehmen, der sich ihm bietet. –

Dr. S. giebt ein Tanzfest. Es fehlt ihm an Tänzern, und da er von der Jagd her Lieutenant A. und Hauptmann B. kennt, sendet er ihnen eine Einladungskarte.

»Wie kommt der Dr. S. dazu, mich einzuladen, obgleich ich ihm nie einen Besuch gemacht habe?« Und der Bursche eilt und bestellt, daß der Herr Hauptmann »leider dienstlich verhindert sei.«

Wollte Dr. S. die Herren bei sich sehen, so standen ihm zwei Wege offen. Entweder er machte den Herren persönlich Besuch, oder er ließ ihnen durch einen Dritten sagen, daß er sich über ihren Besuch freuen würde. Junge Herren zum Besuchmachen auffordern zu lassen, ist durchaus statthaft und bei Tanzgesellschaften, die durch Herrenmangel eventuell scheitern können, überall[111] üblich. Daß der Hausherr den betreffenden Herren baldigst und zwar möglichst vor der betreffenden Gesellschaft persönlich einen Gegenbesuch abstatten muß, wollen wir nicht unerwähnt lassen. Manche Herren glauben, sich dies schenken zu können, und senden mit der Einladung ihre Besuchskarte. Ein erster Besuch eines jungen Herrn ist stets persönlich zu erwidern, und wir haben Regierungspräsidenten und Generäle bei ihren jüngsten Referendaren und Lieutenants eintreten sehen. Ein wiederholter Besuch, z.B. der Antrittsbesuch bei Beginn des Winters, kann durch Uebersendung einer Besuchskarte erwidert werden.[112]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 100-113.
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