Von der Unterhaltung.

[63] »Sagen Sie mal, Verehrtester, wie hoch kommt Sie nun die Flasche von dem bessern Wein, den Sie uns eben vorgesetzt haben?«

»Wieviel Miete bezahlen Sie eigentlich? Viel können Sie doch für die alte Baracke nicht geben. Es ist ja ein ganz nettes Haus und im Sommer gewiß recht hübsch mit dem großen Garten – aber wissen Sie, ich möchte nicht drin wohnen!«

»Soll ich Ihnen einmal einen guten Rat geben? Aendern Sie Ihre Zimmereinteilung! Sie ist höchst unpraktisch mit dem Eßzimmer in der Mitte, nicht wahr?«

»Ihre Einrichtung ist ja allerliebst, aber wie konnten Sie Grün nehmen! Das ist ja längst unmodern!«

So sollst du nicht reden, lieber Leser. Der erste Sprecher war zudringlich. der zweite grob, der dritte gehörte zu der gefürchteten Klasse der freiwilligen Ratgeber, der vierte endlich war einer von denen, die stets in jede vergnügte Stimmung, in jedes erhöhte Gefühl einen Tropfen Gift tröpfeln müssen. »Aber wie denn sonst?« fragst du. »Worüber soll ich reden?«[63]

Da kann ich dir kein anderes Rezept geben als: Lies fleißig, bilde dich weiter, halte dir bekannte Tageszeitungen und Zeitschriften, damit du über alle brennenden Fragen orientiert bist und, kommt die Rede darauf, an der Unterhaltung teilnehmen kannst. Ich kann dir in Folgendem nur raten, wie du dich nicht benehmen, was du vermeiden sollst. Wenn du dir dies einprägst, die kleinen Winke zum Bessermachen, die dazwischen eingestreut sind, beherzigst und in deinem ganzen Bestreben natürlich bleibst, was unbedingt erforderlich ist, so wirst du schon Erfolg haben.

Konversation machen, causer pour causer, die Unterhaltung in der Gesellschaft, die geschmeidig, anmutig sich allen Personen und Verhältnissen anfügt, die spielend alle Gebiete streift, ohne sie mit der Gründlichkeit des Forschers zu behandeln, die überall und für jeden und jedes das richtige Wort findet – das ist eine Kunst, vor der so mancher Gelehrte, so manche gehaltvolle Natur die Waffen streckt. Es ist nicht jedem gegeben, sich mit Leichtigkeit auf dem Gebiet der Unterhaltung zu bewegen. Es giebt schwerfällig denkende Naturen, die erst mit dem Erfassen einer Sache zustande kommen, wenn die übrigen sie bereits durchkostet haben.

Uebung thut auch hier viel, und jemand, der mit Eifer die Kunst der Unterhaltung pflegt, ohne geschwätzig zu werden, sich bemüht, mit jedem ein Gespräch zu beginnen und für jeden ein passendes Gesprächsthema zu finden, wird darin merkliche Fortschritte machen.[64]

Vor allem verbanne das holde Ich aus deiner Unterhaltung. Auf andere Interessen einzugehen, die eigene Person zurückzustellen, das ist die wahre Rücksichtnahme. Dein Egoismus verleitet dich zu der Annahme, daß alles, was dich betrifft, von der größten Wichtigkeit auch für andere ist. Diese Annahme ist allenfalls im intimsten Familienkreise berechtigt. Die Welt hat nur ein Achselzucken für denjenigen, der nur von sich redet. In diese Kategorie gehören z.B. auch die Mütter, die in ihrem Egoismus die Gesellschaft mit den Bonmots ihrer Kinder und der Schilderung ihrer neuesten Fortschritte füttern. Daß es nicht nur takt-, sondern auch herzlos kinderlosen Leuten gegenüber ist, fortgesetzt von den Freuden der eigenen Kinderstube zu erzählen, sei hier ausdrücklich erwähnt. Es ist kaum glaublich, wie viele gerade hierin sündigen. Die gute Sitte verlangt doch von uns, daß wir Sachen, die unserm Gegenüber unangenehm, peinlich oder gar traurig sein könnten, in unserm Gespräch zu vermeiden suchen.


Für so manches Freundesleid

Halte man den Trost bereit,

Dem die feinste Heilkraft eigen –

Nämlich Schweigen!

Frida Schanz.


Hat man aber, ohne es zu wollen, einen wunden Punkt berührt, fühlt man, daß man etwas gesagt hat, was den andern getroffen, gekränkt, so versuche man nicht langatmige Entschuldigungen und Erklärungen, die die Sache nur noch aufbauschen und verschlimmern. Man leite das Gespräch rasch auf ein anderes Gebiet.[65] Merkt man aber, daß der andere wirklich übel nahm, was uns wider Willen entschlüpfte, so versuche man bei nächster Gelegenheit (eventuell mache man dem Betreffenden einen Besuch oder schreibe ihm) sein Bedauern mit der Bitte um Entschuldigung auszusprechen. Sich zu entschuldigen da, wo es not thut. ist durchaus keine Schande, wie so viele denken, die lieber in schweigendem Groll jahrelang nebeneinander herlaufen, ohne ein rechtes Wort zur rechten Zeit zu finden. Wer sich dagegen beständig unnütz entschuldigt, macht das französische Sprichwort: »Qui s'excuse, s'accuse,« (wer sich entschuldigt, klagt sich an) manchmal wahr.

Wer dagegen übelnehmerisch ist, suche sich von dieser Untugend zu befreien. Man kommt nicht weit, wenn man jedes Wort auf die Goldwage legt, pikiert thut und den Gekränkten markiert. Man nehme von vornherein an, daß niemand die Absicht habe, uns zu kränken. Geschieht es unabsichtlich, so entschuldige man den andern vor uns selbst.

Absichtliche Kränkungen kommen in der vornehmen Gesellschaft, welche für alle schroffen Gefühle und Ansichten glatte und verbindliche Formen verlangt, nicht vor. Nur in Ausnahmefällen werden sie anzutreffen sein, in Fällen, die mit der Waffe in der Hand oder vor dem Richter ihren Austrag finden, und deren Besprechung nicht in den Rahmen unserer Plaudereien gehört.

Nur den einen Rat laß dir geben, lieber Leser: bleibe kaltblütig und ruhig. Du stehst dadurch stets üb er deinem maßlosen, heftigen oder leidenschaftlichen Feinde.[66]

Eine andere Untugend, die ihre Wurzel mehr oder weniger im Egoismus hat, besteht in dem leidigen Renommieren. Der eine prahlt laut, übertreibt, vergrößert sein Thun, seine Erfolge, seine Besitztümer. Der andere erzählt so nebenbei tausend kleine Züge, die ein möglichst günstiges Licht auf seinen Hausstand, auf sein Portemonnaie zu werfen geeignet sind.

Mit seinem Bekanntenkreis zu renommieren oder den Namen hochstehender Persönlichkeiten, mit denen uns ein Glückszufall mehr oder weniger vertraut werden ließ, in die Unterhaltung einzuflechten, gilt mit Recht als taktlose Reklame für die eigene Persönlichkeit der man außerdem ein Armutszeugnis ausstellt.

Unbeliebt macht sich, wer alles besser wissen will. »Erlauben Sie, das weiß ich ganz genau!« und nun beginnt die Verurteilung des eben Gesagten. Ist man anderer Ansicht, so bittet man mit den Worten: »Darf ich meine Ansicht über diesen Punkt kurz aussprechen?« oder »Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach liegt der Fall so!« um Gehör. Glaubt man, daß der andere sich im Irrtum befindet, so versuche man mit einem »Verzeihen Sie, lag die Sache nicht etwa so?« ihn schonend darauf aufmerksam zu machen.

Belehren zu wollen, ist in diesem Falle gar nicht angebracht. Man schweige, wenn man sich zu wenig in Uebereinstimmung mit dem Gehörten befindet, um zustimmen zu können. Schweigen kann unter Umständen beredt sein. Ein Disput, eine wissenschaftliche oder geschäftliche Auseinandersetzung, ein Vortrag, gehört in den Lehrsaal oder in das Arbeitszimmer, nie aber in[67] die Gesellschaft. Der gute Ton verlangt von uns, daß wir Dienstsorgen zu Hause lassen und in Gesellschaft nur konversieren mit dem Bestreben, andere zu erfreuen und zu erheitern. Möchten doch die Damen diese Vorschrift auch auf die häuslichen Sorgen und kleinen Miseren des täglichen Lebens ausdehnen, welche sie leider so oft zum Gegenstand der Unterhaltung auch in Gesellschaft machen, während man doch denken sollte, sie würden die Bearbeitung dieser Themen gern einmal auf ein Stündchen aussetzen!

Konversieren! Ja, wer versteht diese Kunst? Wir betonten soeben schon: wenige Menschen! Und doch macht nichts so beliebt und bekannt in der Gesellschaft, als eine gute Unterhaltungsgabe.1

Man muß, will man sich beliebt machen, stets solche Gesprächsthemen anschlagen, die unserem Gesprächspartner nahe liegen, ihn interessieren. Er wird aus sich herausgehen, sich erwärmen, selbst reden, und da sich fast jeder gern reden hört und du ihm dazu verholfen hast, sein Licht leuchten zu lassen, so wird er dich als guten Unterhalter preisen.

Zu den gefürchtetsten Gesellschaftern gehören die Menschen, welche die Eigenschaft an sich haben, an allem und jedem zu nörgeln, alles schlecht zu machen. »Die Sängerin N. ist entsetzlich! Diese Gaumentöne!« »Die Küche im Kasino ist unter aller Kritik. Da sollten Sie mal zu uns nach S. kommen.« Wer an allem etwas auszusetzen[68] hat, der hat es sicherlich zu Hause nicht besser. Er verrät den Neuling an Erfahrung. Man wird immer finden, daß der wirklich guterzogene, vielgereiste, vielgebildete und vielerfahrene Mensch in seinem Urteil mild und gemäßigt, in seinen Ansprüchen einfach ist.

Vorschnelle Urteile sind oft von den peinlichsten Folgen begleitet. »Wer ist diese auffallende Erscheinung? Sehen Sie nur! Wie kann jemand in dem Alter sich so anziehen!« ruft ein junger Mann beim Eintritt einer neuen Erscheinung in den Saal aus. Seine Partnerin wird verstimmt, kühl, verabschiedet ihn wohl auch. Er hatte ihre Schwester vorschnell verurteilt, nur nach dem äußern Eindruck rechnend, was um so unangenehmer für ihn war, da sie, wie er später erfuhr, eine sehr begabte und erfolgreiche Dichterin war. – Ist man fremd in der Gesellschaft, so vermeide man ganz besonders, Anwesende zum Gesprächsthema zu wählen, und orientiere sich erst über die etwaige Verwandtschaft der Betreffenden untereinander. Zeugt es an und für sich schon von Interesselosigkeit und geistiger Armut, über den lieben Nächsten herzuziehen, so könnte ein Fall eintreten, wo der Neuling sich durch eine nicht zu entschuldigende Bemerkung unmöglich in der Gesellschaft macht.

Wir fühlen uns verpflichtet, hier einige Worte über die häßliche Angewohnheit des Klatschens zu sagen. Leider bestehen zwei Drittel unserer Salongespräche aus Reden über den lieben Nächsten. Les absents ont toujours tort (Die Abwesenden haben stets unrecht), ist ein wahres Sprichwort! Durch an und für sich vielleicht[69] harmlose Klatschereien ist schon unsäglich viel Unheil entstanden, und die traurigsten Begebnisse lassen sich auf das kleine Wörtchen, das so kurz und doch von so einschneidender Wirkung ist, »man sagt« zurückführen.


Ist das Wort dem Mund entflohen,

Du ergreifst es nimmermehr,

Fährt die Reu' auch mit vier Pferden

Augenblicklich hinterher.


Ein Wort ist eine Macht. Es kann auch eine anklagende Macht gegen dich selbst sein. Denke daran, lieber Leser, ehe du an die Verurteilung deines Nächsten gehst.

Sehr unfein ist es, an seinen Vorgesetzten in Gesellschaft Kritik zu üben. Zwar muß derjenige Vorgesetzte noch geboren werden, über den seine Untergebenen nicht etwas zu sagen wüßten, aber es verrät großen Mangel an Selbstbeherrschung, wenn man eigenen Aerger andern auftischt.

Fühle keinen Neid gegen andere. Beneide nicht laut diejenigen, die es besser haben. Deine Lage wird dadurch nicht vorteilhafter.


Neid ist Armut, ist Bettlerblöße,

Selig, wer hat und wer geben kann!

Bei der reinen Freude an fremder Größe

Fängt die eigene Größe an.

Frida Schanz.


Bist du mit andern im Gespräch, lieber Leser, und brennt dir die Antwort noch so sehr auf der Zunge, laß den andern erst ausreden, ehe du deine Meinung äußerst. Sehr lebhafte Naturen verfallen leicht in den Fehler,[70] dem andern das Wort vor dem Munde fortzunehmen, seinen Gedanken rascher fortzuspinnen, ihm die Worte vorzusagen. Beides ist ein großer Verstoß gegen den guten Ton, eine Unart, die leider viel im Gange ist, einem wahrhaft rücksichtsvollen Menschen aber nie und nimmer passieren dürfte. Wer den andern nicht ausreden läßt, kann auch selten gut zuhören, und doch gilt dies für eine besondere Höflichkeit und macht oft beliebter, als eigene glänzende Unterhaltungsgabe. Wer teilnehmend zuhört, auch die oft gehörte Geschichte von Tante Malchens Unglück und das Jägerlatein vom Onkel Richard mit immer gleichem Erstaunen begleitet, wer verbindlich lächelnd die zum hundertsten Mal bereits vernommene Anekdote von Excellenz B. anhört, wer das Gähnen bekämpfen und jede Lachregung unterdrücken kann, ja, wer sogar durch passend eingestreute Zwischenfragen den Erzähler zu weiteren Berichten anregt, von dem wird die Welt sagen: »Was für ein angenehmer Gesellschafter!«

Eine ernste Rüge verdienen diejenigen, welche in Gesellschaft anderer heimlich mit gedämpfter Stimme mit einander flüstern, was für die andern äußerst peinlich, unter Umständen sogar verletzend ist. Da sind zwei intime Bekannte. Sie wollen sich verabreden. Unbekümmert um die andern stecken sie die Köpfe zusammen. Können sie das denn nicht draußen, in der Garderobe beim Adieusagen abmachen? Wenn sie sich klar machten, mit welchem Unbehagen der andere, der danebensteht, sich überflüssig vorkommt, sich fortwünscht, gewiß, sie unterließen es.[71]

Mit jemandem in einer den übrigen ganz fremden Sprache zu konversieren, ist eine Unart gegen die übrige Gesellschaft. Sich der französischen oder englischen Sprache zu bedienen, ist zwar weniger verletzend, da es wenigstens für die Anwesenden allgemein verständlich ist, aber immer auffallend, gesucht, unnatürlich.

Wie vorsichtig man mit dem Gebrauch einer fremden Sprache sein soll, zeigt folgendes Geschichtchen.

Herr B. und Frau, welche lange »drüben« in Venezuela gewohnt hatten, waren zu einem Diner bei einer Bekannten gebeten. Herr B. bekommt den Auftrag, eine sehr schöne, etwas auffallende Dame, eine in Baden-Baden neue Erscheinung, zu Tisch zu führen. Frau B., der ihres Mannes Tischdame nicht sonderlich gefällt, sagt über den Tisch hinüber spanisch zu ihrem Mann: »Sei vorsichtig, die Dame scheint mir nicht ungefährlich.« Wer beschreibt aber ihr Entsetzen, ihr sprachloses Staunen, als ihr vis-à-vis verbindlich lächelnd in derselben Sprache erwidert: »Fürchten Sie nichts, gnädige Frau, es ist nicht so schlimm!«

Eine wenig hübsche Angewohnheit ist das Cliquen. »Wir wollen beim Präsidenten recht zusammenhalten!« tönt die Parole von jungen Mädchenlippen. Da sitzt am Ballabend eine Ecke guter Bekannter zusammen, schwatzt, lacht, amüsiert sich herrlich, und mit gemischten Gefühlen sehen die fremderen Elemente, die jener Clique nicht angehören, der Heiterkeit zu. Pflicht der Wirte ist es, die Unterhaltung wieder allgemeiner zu gestalten, Pflicht des Gastes aber, die Wirte darin zu unterstützen und sich nicht abzusondern.[72]

Wenn wir nun auf das Aeußere der Unterhaltung eingehen, was wir in Vorstehendem bereits hier und da streiften, so möchte ich dich bitten, lieber Leser, mach' es dir so zu eigen, was ich dir in Folgendem rate, daß es dich nicht stört, nicht mehr in Anspruch nimmt als nötig, wenn du dich in den Geist der Unterhaltung vertiefen willst.

Sprich vor allem deutlich. Wenn dich dein Gesprächsteilnehmer immer fragen muß: »Wie meinen Sie?« »Habe ich Sie recht verstanden?« und wie die höflichen Umschreibungen für, Wie? alle lauten, so wird bald seine Lust, sich mit dir zu unterhalten, erlahmen.

Verfällst du aus Verlegenheit in den Fehler zu lispeln, zu stottern, so suche dich durch einen Kursus bei einem Lehrer davon zu befreien, lies viel laut und versuche Auswendiggelerntes zu deklamieren.

Begleite deine Rede nicht mit illustrierenden Gesten schreie nicht überlaut, sprich nicht so langsam, als würde dir jedes Wort sauer, und belache deine eigenen Witze nicht. Spricht man stark Dialekt, so suche man ihn durch deutschen Sprachunterricht zu verbessern, verfalle aber nicht in den Fehler, ein geziertes Hochdeutsch zu sprechen. Einmal verrätst du dich doch. Wir müssen hierbei an eine junge Dame denken, einen gefeierten Stern am Heer Gesellschaftshimmel. Sie sprach ein allerliebstes Deutsch, lächelte noch reizender, und die Herren beeilten sich. ihr ihre Huldigungen zu Füßen zu legen. Man wußte nicht, woher sie kam, hielt aber den würdigen, alten Herrn, die noch immer schöne Mutter und die reizende Tochter für durchaus gesellschaftsfähig. Da[73] kam durch Zufall ein besuchmachender Herr unangemeldet – die Entreethür stand offen in den Vorplatz und ward Zeuge folgenden Zwiegespräches: »Ei, Idachen, wo ischt denn die Mueter?« »Ei, ei, Vatter, di isch scho ausgange.« Der Firniß lockte nun niemanden mehr.

Ein bißchen Dialektanklang in der Sprache in Süddeutschland schwer zu vermeiden – steht manchem ganz gut und verdient als individualisierend berechtigt zu bleiben. Man verstärke aber nie absichtlich eine solche Originalität.

Es giebt eine Anzahl von Menschen, die es für vornehm halten, sich allerhand Sportsausdrücke, besonders auffallender Worte, wie »schneidig«, »pschütt«, »patent«, kräftiger Ausdrucksweise, wie »riesig«, »famos«, gewisser Uebertreibungen, wie »müde zum Umsinken«, »einfach tot«, oder komischer Wendungen, wie »Ich bin gespannt wie ein Regenschirm«, zu bedienen. Wenn auch im Kreise von Eingeweihten diese Ausdrucksweise wohlverstanden, vielleicht auch »gewürdigt« wird, so wirkt es doch ungemein lächerlich, wenn einer, dem diese Art zu sprechen sonst ganz fremd ist, sich bemüht, dieselbe nachzumachen, weil sie ihm als ein Attribut der eleganten Unterhaltung erscheint. Auch wende man kein Fremdwort für das an, was gut deutsch ausgedrückt werden kann.

Dies Wort gilt für alle die, welche ihre Unterhaltung mit »Fatalitäten« statt Mißgeschicken, mit »Eventualitäten« statt Möglichkeiten spicken und dadurch den Widerspruch deutsch Denkender »provozieren«.[74]

Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts galt es als sein, solche fremde Worte einfließen zu lassen. Man verriet dadurch seine Bildung. Heute ist es gottlob anders. Da schämen wir uns unserer guten deutschen, oft so treffend kernigen Worte nicht mehr.

Wer nicht genau den Sinn und die Orthographie des Fremdwortes kennt, das er anwenden will, unterdrücke es lieber ganz. Es kommt vor, daß die scheinbare Gelehrtheit unverhüllten Spott einträgt.

Wird man von älteren oder höherstehenden Personen ins Gespräch gezogen, – eine Unterhaltung mit ihnen zu beginnen, wäre unbescheiden und aufdringlich – so antworte man kurz und erschöpfend, werde aber nicht ermüdend ausführlich. Der Höherstehende bricht das Gespräch ab, nicht du. Bei Gleichstehenden darfst du dich dagegen mit einer Verbeugung zurückziehen.

Bemerkst du, daß jemand die Absicht hat, dich anzureden, so erhebe dich von deinem Platz und bleibe so lange stehen, bis der andere Platz genommen hat. Eine Dame hat die Handarbeit ruhen zu lassen, während eine ältere Dame mit ihr spricht.

Macht dich der Zufall zum unfreiwilligen Horcher, so melde dich auf der Stelle. Würdest du nur eine Minute verharren, so machtest du dich eines groben Vertrauensbruches auch deinem Wirt gegenüber schuldig.

Unsere Unterhaltung verlangt die Anwendung mancher höflichen Umschreibung. Wir haben schon oben gesehen, durch welche Ausdrücke man das schroffe »Wie?« ersetzt. Das kurze »Ja« begleitet man mit der Anrede, z.B. »Wollen Sie heute zu mir kommen?« –[75] »Ja, gnädige Frau, gern!« oder ersetzt es wohl auch durch ein »Gewiß, mit vielem Vergnügen!« – »Finden Sie nicht, daß der Winter jetzt Ernst macht?« – »Ja.« Wie geschäftsmäßig knapp hört sich diese Zustimmung an! »Da haben gnädige Frau recht, es kommt mir auch so vor,« sagt der verbindliche Mensch. »Machen Sie viel mit?« – »Nein.« Wie ablehnend, jedes Ausspinnen des Gesprächs abschneidend! Man antworte: »Leider nicht, gnädige Frau, meine Thätigkeit nimmt mich zu sehr in Anspruch.« – Frau v. B. läßt ihre Blumen auf der Tafel liegen. Assessor V., der als letzter den Speisesaal verläßt, nimmt sie an sich, um sie ev. der Eigentümerin zu übergeben. Er glaubt sie in der Frau v. B. zu erkennen und tritt mit einer Verbeugung auf sie zu. »Verzeihen Sie, (sie soll die Unterbrechung ihrer Konversation mit einem andern, die Störung durch die Anrede verzeihen) gnädige Frau, sind dies Ihre Blumen?« Würde er bloß sagen: »Gehört dies Ihnen?« wie unhöflich würde das klingen! – Man spricht in Gesellschaft nicht von »Ihrer Tochter«, sondern von »Ihrer Fräulein Tochter«, nicht von »Ihrer Frau«, sondern von »Ihrer Frau Gemahlin«, nicht von »Ihrem Papa«, sondern von »Ihrem Herrn Vater«, »Fräulein Cousine«, »Frau Tante«, »Herrn Gemahl« u.s.w.

Kommt ein Dritter zu einem begonnenen Gespräch, so verlangt die Höflichkeit, daß wir uns liebenswürdig an ihn wenden, ihn mit unserem Gesprächsthema bekannt machen und ihm dadurch die Beteiligung an unserer Unterhaltung ermöglichen.[76]

Wünscht man nicht, daß der Stoff unseres Gesprächs weiter erläutert werde, so bricht man die Unterredung ab und beginnt, sich mit einer Frage an den Hinzutretenden wendend, eine neue Unterhaltung.

Daß wir im Gespräch nie ein Zeichen der Langweile, des Ueberdrusses geben dürfen, daß wir nie verraten sollen, daß wir uns lieber mit einem andern unterhielten, oder daß jenes Gespräch dort drüben uns mehr interessiert, versteht sich von selbst. Der eine wird zerstreut, horcht nach der andern Seite, giebt einsilbige oder gar verkehrte Antworten, läßt seine Augen umherwandern oder spielt wohl gar mit dem, was ihm gerade in die Hand kommt; der andere zieht verstohlen die Uhr. der nächste verbirgt gar sein Gähnen mit knapper Not hinter dem schnell entrollten Fächer.

Unholde Gesellen! Wer in Gesellschaft geht, der muß die Selbstbeherrschung besitzen, seine Gefühle, unangenehme wie freudige, verbergen zu können.

Wir wollen dieses Kapitel nicht schließen, ohne die Aufmerksamkeit des Lesers auf einen beachtenswerten Punkt hinzulenken. Es giebt gewisse Worte und Ausdrücke, die man in der Gesellschaft nicht in den Mund nimmt, die nur durch eine gewisse Umschreibung salonfähig werden. Wir können hier unmöglich eine Liste davon bringen: das eigene Zartgefühl muß den Betreffenden darauf aufmerksam machen. Junge Damen werden aber z.B. nicht von dem, »was unter dem Tisch ist,« wie der Engländer sagt, oder von einer »Hosenrolle« sprechen. Der junge Mann, besonders derjenige, dem es bisher an Umgang mit[77] Damen fehlte, wird doppelt auf seine Rede zu achten haben, daß ihm nicht Ausdrücke entschlüpfen, die, in Herrengesellschaft unbeanstandet, das Empfinden einer Dame verletzen, ja sie für immer abschrecken und zurückstoßen können.

Hoffen wir, daß er auch seine Blicke beherrschen gelernt hat! Ein Blick, der das verschluckte Wort ausspricht, einen Satz kommentiert, wird unter Umständen noch peinlicher und verletzender empfunden als das gesprochene Wort.

Fußnoten

1 Wir verweisen auf Constanze von Franken's Buch »Wovon soll ich reden? Die Kunst der Unterhaltung.« 2. Aufl. Stuttgart, Verlag von Levy & Müller.


Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.].
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