Der Empfang.

[357] Genau wie ein konventioneller Besuch nur für den gesellschaftlich Ungeschulten etwas Peinvolles oder Unbequemes haben kann, ist es auch beim Empfang, obgleich es bei letzterem fast noch mehr Regeln zu beachten giebt. Es gilt hier nicht nur selber alle Gebote des guten Tons zu beobachten, sondern auch dem Besucher die Anstandspflicht zu erleichtern und ihm den Aufenthalt in unseren Räumen, sei dieser nun kürzer oder länger bemessen, so angenehm als irgend möglich zu machen. All die seinen Züge zu kennzeichnen, die ein gebildeter und liebenswürdiger Wirt – mehr noch die Wirtin – beim Empfange eines Besuchs kund thun kann, ist unmöglich, weil Sache des Feingefühls und geistiger Überlegenheit, außerdem stets von persönlichen Beziehungen und dem besonderen Anlaß des Besuchs abhängig.

Man empfängt die Besuche je nach der officiellen[357] oder vertraulichen Art derselben im Empfangsraum, dem Zimmer der Hausfrau oder Wohngemach – im Schlafzimmer nie; ausgenommen sind natürlich Krankenbesuche. Wie aber auch diese Gebräuche der Mode unterworfen sind, beweist die Thatsache, daß selbst tugendstrenge vornehme Französinnen vor hundert Jahren – und zwar sowohl vor als nach der Revolutionszeit – Herrenbesuche nicht nur im Schlafzimmer, sondern sogar im Bett empfingen. Freilich schrieb die Sitte jener Zeit auch vor, daß für die Nacht sorgfältig Toilette gemacht wurde, die Damen Armbänder und Schmuck anlegten und zwar vorsichtigerweise solchen, der beim Liegen nicht unbequem werden konnte. Wir erwähnen dieses Umstandes hauptsächlich als lehrreiche Mahnung für alle diejenigen, welche den Kleiderluxus unserer Zeit als übertrieben schelten und vermeinen, daß die Frauen immer eitler und putzsüchtiger würden. Es ward bereits an anderer Stelle betont, daß die moderne vornehme Frau nicht einmal zu vollem häuslichen Tagesanzug Schmuck anlegt oder doch nur solchen, der notwendig zur Vervollständigung desselben gehört. Derselbe einfache Hausanzug genügt auch zum Empfang von Besuchen, das Morgenkleid aber und sei es noch so elegant, ist dabei möglichst zu vermeiden, obgleich es nicht unbedingt verpönt ist. Auch hier wird der Rang des Besuchers ausschlaggebend sein. Sehr elegante Weltdamen tragen neuerdings auch bei kleinem Abendempfang ein Wunderwerk von bequem-kleidsamkostbarer[358] Toilette, die ein Mittelding zwischen Morgen-, Haus-und Gesellschaftsanzug ist. Wie nun die Kleidung der Hausfrau beim Empfang aber auch beschaffen sei, Hauptsache bleibt, daß dieselbe nicht erst angelegt werde, was stets einen schlechten Eindruck auf den Besucher machen wird. Eine wohlerzogene Frau muß eben stets so angezogen sein, daß sie jedem Gast sofort entgegentreten kann. Auch der Hausherr hat Besucher in vollem Anzug zu empfangen; Hausrock und Schuhe sind nur nächsten Freunden gegenüber gestattet und werden auch da noch der Entschuldigung bedürfen.

So kommt es auch ganz auf die Persönlichkeit des Besuchers und die Art unseres Verkehrs miteinander an, ob wir demselben bis zur Thür oder nur einige Schritte entgegengehen und gelten besonders strenge Regeln in Offizierkreisen, welche fast die Zahl der Schritte bestimmen, welche die Offiziersgattin – und auch hier je nach dem Range des Gemahls – dem Kommandeur, den Majors und Hauptleuten oder den Lieutenants entgegen zu gehen hat. In Civilkreisen nimmt man es damit weniger genau, Abstufungen aber ergeben sich auch hier ganz von selber: Einer Dame wird man natürlich stets zuvorkommender entgegentreten als einem Herrn. Auch die Art der Begrüßung wird sich nach den persönlichen Beziehungen richten; fremde Herren begrüßen eine Dame je nachdem mit tiefer Verneigung, jenem leichten Handkuß, der nur die Fingerspitzen streift, oder bei näherem[359] Verkehr auch durch Darreichen der Hand, was seitens der Dame zuerst zu geschehen hat. Dann wird der liebenswürdige Wirt seine Freude über den Besuch in herzlichen oder – je nach Umständen nur verbindlichen Worten ausdrücken und zugleich zum Sitzen einladen, sich selbst aber erst niederlassen, nachdem der Gast Platz genommen. Empfängt eine Dame den Besuch, nimmt sie zuerst Platz, falls es ein Herr, sie bezeichnet diesem auch mit leichter Handbewegung den Sessel, auf den er sich niederzulassen hat, während sie selber auf dem Sofa oder sonst einem bevorzugten Sitz Platz ergreift. Ist es aber eine Dame, gehört dieser der Sofaplatz und zwar der rechte, während der linke der Hausfrau bleibt, den sie nur einer sehr vornehmen oder bevorzugten Dame überlassen wird. Ein Herr, sei er nun der Besuchende oder Empfangende, darf nie neben der Dame auf dem Sofa Platz nehmen, sondern auf einem Sessel gegenüber oder in der Nähe desselben. Ebenso verstößt es nicht gegen den guten Ton, wenn die Hausfrau nicht auf dem Sofa, sondern, weil ihr das vielleicht bequemer, auf einem Sessel Platz nimmt. Dagegen gebietet die Wohlanständigkeit der fremden Dame, welche sich auf dem rechten Sofasitz niedergelassen, sich zu erheben, falls nach ihr eine ältere oder vornehmere Dame eintritt und dieser ihren Sitz zu bieten, der natürlich nie oder doch nur in Ausnahmefällen angenommen werden wird. Denn alle, die in demselben Hause verkehren, sollten sich für gleichstehend erachten oder sich[360] doch den Anschein geben, es zu thun; der Höhergestellte aber wird darin stets mit gutem Beispiel voranzugehen haben.

Der Empfangende hat auch Bedacht darauf zu nehmen, daß der Besucher einen behaglichen Platz erhält – weder zu nah der Thür, damit ein Offnen derselben ihn nicht belästigt, noch in der Nähe des Fensters, wo allzu greller Lichtstrom ihm blendend in die Augen fallen könnte. Da namentlich Damen letzteres scheuen, nimmt die boshafte Welt gewöhnlich an, sie mögen wohl Grund haben, ihr Antlitz allzu scharfer Beleuchtung zu entziehen. Selbst aber wenn das in manchen Fällen zuträfe – wer hat Schaden davon? Sucht doch jeder sich auf seine Weise ins »beste Licht« zu setzen!

Um passende Unterhaltung bei kurzen Besuchen kann man kaum in Verlegenheit kommen und doch fürchten gerade viele diesen Punkt am meisten. Vom Wetter zu sprechen ist freilich verpönt – mehr noch, die Unterhaltung damit zu eröffnen. Aber es giebt gegenseitig so viel persönliche Fragen zu erledigen – nach dem Befinden, der jeweiligen Thätigkeit, kurz je nach der Besonderheit des Anlasses, der den Besucher hergeführt. Und ist hier das Naheliegende erschöpft, wird sich leicht über Tagesereignisse ein Gespräch anknüpfen lassen – in unserer Zeit, da jeder beim Morgenkaffee schon mehrere Tagesblätter durchfliegt, doch wahrlich kein Kunststück! Unsere Großeltern hatten es darin jedenfalls schwerer und vielleicht ist[361] die Scheu vor Anstandsbesuchen auch auf jene Zeit zurückzuführen. Jedenfalls steht sie dem modernen, mit allen Bildungsmitteln einer vorgeschrittenen Kultur ausgestatteten Menschen nicht mehr an.

Gewöhnlich gilt die Regel, bei derlei ersten und kurzen Besuchen dem Gast keine Erfrischung anzubieten und ganz fremden und fernstehenden Menschen gegenüber wird man sie ja auch in Anwendung bringen.

Überall aber, wo nicht strenges Einhalten der Form geboten, mag man ohne Skrupel nach dieser Richtung hin dem guten Ton ein Schnippchen schlagen und sind auch an dieser Stelle die Ausführungen über das Verhalten zu Geburtstagen zu berücksichtigen. Nicht umsonst ward schon im Altertum Gastfreundschaft als vornehmste Tugend hochgehalten, denn immer wirkt das Ausüben derselben, sowohl im kleinen als im großen, wohlthuend auf den Empfänger. Ein Glas Wein verschmäht selten ein Gast, selbst wenn es nicht nach alter, schöner Sitte vom Haustöchterlein in silbernem oder goldenem Pokal kredenzt wird – ebenso ist in heißer Jahreszeit irgend ein kühler Trunk willkommen, bei kaltem Wetter Thee, Schokolade oder was gerade schnell bei der Hand. Bei Damen mag Kuchen oder Näscherei dazu geboten werden den Herren, falls sie unter sich, die Cigarre, das heißt, eine gute – sonst bleibt es besser! Kinder werden geneigt sein, einen Besuch, bei dem sie etwa die Eltern begleiten dürfen – natürlich wird das nur bei näheren Bekannten geschehen können – sehr langweilig oder[362] auch äußerst genußreich zu finden, je nachdem ihnen eine Labung geboten wurde – da aber schon ein Apfel, eine Apfelsine sie befriedigen kann, ist es leicht, ihre gute Meinung zu erkaufen. Überhaupt sollte jede umsichtige Hausfrau dafür sorgen, wie es ja zum Beispiel auf dem Lande der Fall sein muß, daß stets Erfrischungen in flüssiger oder fester Gestalt in ihren Vorratsschränken vorhanden sind. –

Kommt zu dem bereits anwesenden noch weiterer Besuch, haben sich alle zu erheben; sind die Neueintretenden Herren, bleiben Damen, die Hausfrau ausgenommen, von dieser Anstandspflicht verschont und genügt ein Neigen des Hauptes zur Begrüßung. Dasselbe ist bei der Vorstellung der Fall, welche der Hausherr oder die empfangende Dame sofort vorzunehmen hat. Regeln für dieselbe wurden bereits gegeben. Die Begrüßung der Gäste seitens der Wirte ist dieselbe wie bei den zuerst erschienenen, nur etwas kürzer, um die bereits Anwesenden damit nicht zu ermüden. Ebenso ist es Pflicht, nunmehr alle Besucher ins Gespräch zu ziehen und jedem dieselbe gleichmäßig freundliche Aufmerksamkeit zuzuwenden. Haben Wirt und Gast sich eine persönliche, die Übrigen nicht interessierende Mitteilung zu machen, hat das so kurz und sachlich wie möglich zu geschehen, wobei ein paar Worte der Entschuldigung vorauszuschicken sind. Nichts peinlicher und verletzender für den Besucher als den Eindruck zu empfangen, daß seine Anwesenheit störend oder auch überflüssig ist.[363]

Waren die ersten Gäste eben im Begriff, sich zu verabschieden, wenn neue eintreten, ist zu empfehlen, dies noch ein wenig zu verzögern da es scheinen könnte, als wollte man den Hinzugekommenen aus dem Wege gehen. Erfolgt dann der Aufbruch, hat der Hausherr, (Hausfrau) den Scheidenden nur das Geleite bis zur Thür des Zimmers zu geben, um die zurückbleibenden Gäste nicht allein zu lassen, zugleich aber durch ein Glockenzeichen Dienstboten herbeizurufen, die im Vorzimmer hilfreiche Hand beim Anlegen der Garderobe leisten und den Fremden – wie an betreffender Stelle ausführlich beschrieben – zum Ausgang geleiten.

Ist aber nur ein Gast, oder doch mehrere zur selben Zeit, zu entlassen, wird, falls es Damen, sowohl Hausherr als Hausfrau dieselben durch das Vorzimmer bis zur Thür hinaus begleiten und noch an der Treppe einige freundliche verbindliche Worte sagen, auch wohl Dank für den Besuch aussprechen. Herren begleitet eine Dame nie bis zum Zimmer hinaus. Ergiebt sich für einen Tag Verhinderung, Besuche anzunehmen, sind Dienstboten davon zu unterrichten, damit sie den Bescheid sogleich geben können, dem dadurch alles Verletzende von vornherein benommen wird. Erfolgt aber aus bestimmten Gründen Ablehnung eines Besuchs, ist auch diese in schonendster Form und möglichst so einzukleiden, daß Dienstboten die verletzende Absicht nicht merken.

Junge Mädchen dürfen niemals allein Herrenbesuche[364] empfangen und sind solche in Abwesenheit der Eltern oder sonstiger Anstandspersonen abzuweisen.

Für geschäftliche Besuche gelten natürlich weniger strenge Formen. Je nachdem solche dem Herrn oder der Frau des Hauses gelten, werden sie in das betreffende Zimmer geführt und dort das Nötige mit ihnen verhandelt. Höflich und freundlich wird der wahrhaft Gebildete ja auch dem einfachsten Arbeiter entgegentreten. Komisch aber würde es wirken, wenn man seinen Schuhmacher oder seine Schneiderin feierlich in den Salon führen und später ebenso umständlich entlassen würde. Eines schickt sich eben nicht für alle!

Das waren also die vielgefürchteten Anstandsbesuche. Sind sie in Wahrheit so schlimm?[365]


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 357-366.
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