Geburtstage.

[145] Geburtstage sind Marksteine am Wege des Lebens. Es ist daher recht und billig, hier alljährlich einmal Halt zu machen im ewigen Einerlei des Alltagsgetriebes und Einkehr zu halten in sich selbst, festzustellen, was man erreicht oder auch versäumt hat im Leben und sich von Verwandten und Freunden einmal als Mittelpunkt betrachtet zu sehen, um den sich an diesem einen Tage alles dreht. Wer sich Verehrung und Liebe erworben – am Geburtstag (Katholiken feiern den Namenstag) mag er's gewahr werden und alle, die es gut mit ihm meinen, sollten ein Zeichen des Gedenkens geben, in welcher beliebigen Form es immer sei. Von den ersten Kinderjahren an müssen Eltern bestrebt sein, ihren Kleinen diesen Tag zu einem Festtag zu machen, was ja gerade bei Kindern mit so wenigen Mitteln zu erreichen. Ein festlich gedeckter Tisch, ein paar Blumentöpfe oder Sträuße darauf, ein Kuchen mit brennenden[145] Kerzen je nach der Zahl der Lebensjahre, vielleicht noch etwas Spielzeug oder Näscherei – und das Kind wird jauchzen und sich einen Gott dünken. Auch Geschwister müssen dazu angehalten werden, dem Geburtstagkind irgend eine Freude zu machen – das Gemüt wird dadurch entwickelt, die selige Genugthuung des Gebens kennen gelehrt und das Gefühl der Familienzugehörigkeit entwickelt und befestigt. Brüder und Schwestern, die gewöhnt sind Geburtstage der Geschwister als Festtage des Hauses zu betrachten, werden sicher bis ins späteste Alter, auch wenn die Lebenswege weit auseinandergegangen, stets dieser Tage gedenken und nicht versäumen, ein Zeichen solchen Gedenkens, und bestände es nur in einem schriftlichen Glückwunsch, zu geben. Geburtstagsfeiern tragen mithin zur Pflege des Gemüts bei und sind als solche ein wesentlicher Erziehungsfaktor.

Auch einige Spielgefährten sollte man dem Geburtstagskind stets einladen, sie einfach bewirten, um nicht übergroße Ansprüche groß zu ziehen, aber vor allem für recht heitere Unterhaltung durch Anwendung hübscher kindlicher Spiele sorgen. Mit zunehmenden Jahren wird ja die Art dieser Unterhaltung ernster und vertiefter, die ganze Feier bedeutsamer werden. Ob froher und genußreicher als in den ersten Kinderjahren bei Schokolade und süßem Kuchen? Kaum!

Je älter, je anspruchsvoller Der erwachsenen jungen Dame und dem »jungen Herrn« gilt es schon andere Geburtstagsgeschenke zu wählen als Spielzeug[146] und Näscherei. Aber auch in diesen Jahren müssen Eltern streng darauf achten, ihre Kinder nicht allzusehr zu verwöhnen und sie vor allem lehren, die freundliche Gesinnung des Gebers weit über den Wert der Gabe zu setzen. Nicht wägen und besprechen, was der materielle Wert eines Geschenks, nie vom Preise desselben sprechen – das sollte Gesetz in jeder gebildeten und feinfühligen Familie sein. Wer sich an einer Blume nicht mehr erfreut, wird auch beim Empfang des kostbarsten Gegenstandes nicht jene reine Freude empfinden, welche bevorzugte Naturen, die in allen Lebensstürmen ein kindlich Herz bewahrt, als höchste Glücksmomente, als Sonnenstrahlen am Lebenshimmel, betrachten.

Streng muß auch darauf gehalten werden, daß Kinder die Eltern zum Geburtstage, ja nach Maßgabe ihres Könnens, beschenken. Gänzlich falsche und verkehrte Erziehung wäre es, ihnen Geld zu geben, damit sie nun für Vater oder Mutter etwas kaufen. Welchen ideellen Wert hätte ein derartiges Geschenk? Nein, eine Arbeit muß es sein, auf welche das Kind Fleiß und Mühe verwendete – das kleine Mädchen wird mit der Strickarbeit anfangen, um später zu kunstreichen Stickereien überzugehen, der Knabe eine Zeichnung anfertigen, ein Musikstück einüben – alles, nur kein kaltes, totes »gekauftes« Geschenk! Und ergiebt es sich das eine oder andere Mal aus besonderen Umständen und Verhältnissen, daß die Arbeit nicht auszuführen und kauft das Kind eine Blume[147] oder irgend einen kleinen Gegenstand, durch den es hofft, das Geburtstagskind zu erfreuen, so müssen die Mittel dazu selbst aufgebracht, das heißt, vom Taschengeld erübrigt sein, um der Gabe einigermaßen Wert zu verleihen.

In welcher Weise Freunde und Bekannte gegenseitig von den Geburtstagen Notiz nehmen, hängt durchaus von der Innigkeit ihrer Beziehungen und der Art ihres Verkehrs ab. Nirgends sollte weniger als hier das selbstsüchtige »wie du mir, so ich dir,« gelten, nirgends sollte man mehr als in diesem Falle das schöne Spruchwort von Frida Schanz beherzigen:


Wahre Liebe weiß immer das rechte Wort,

Wahre Güte ist immer am rechten Ort,

Wahre Freude kommt immer zur rechten Zeit,

Wahre Größe hat immer Gelegenheit.1


Ja, denn wenn wir für jemand Verehrung und Liebe empfinden, wenn es uns Herzensfreude, für ihn zu arbeiten oder eine hübsche Überraschung zu ersinnen, wie und wann könnten wir es besser beweisen als am Geburtstage? Und das wahre Gefühl braucht da nicht zu wägen und zu fragen: Hat er oder sie denn deiner gedacht und dich erfreut am Geburtstage? Darauf kommt's ja garnicht an, sondern einzig und allein darauf, dem andern ein Zeichen unserer freundlichen Gesinnung zu geben, ihn zu erfreuen und die Freude, die wir ihm bereitet, als schönsten Lohn für uns vorweg[148] zu nehmen. Daß wir aber den andern durch solchen Liebesbeweis, und sei er selbst unverdient, nicht kränken werden, des können wir sicher sein, denn wahre Güte ist eben immer am rechten Ort, wahre Freude kommt immer zur rechten Zeit! Wer nicht zum engeren Freundeskreis gehört, statte seine Glückwünsche schriftlich ab. Wünscht er dies persönlich zu thun, hat er die vorgeschriebene Besuchszeit für seine Aufwartung inne zu halten. Ohne Blumen ist ein derartiger Geburtstagsbesuch nicht gut denkbar, macht jedenfalls einen sehr frostigen Eindruck. Die zu schenkenden Blumen müssen stets frisch und möglichst schön und duftig sein, und ist, wie fast immer, auch in diesem Falle das »gut« dem »viel« entschieden vorzuziehen. Blumendeutung und Blumensprache, welche im Morgenlande eine so große Rolle spielten und in der Zeit, da Hyperromantik und Sentimentalität in deutschen Landen blühten, auch bei uns Bedeutung erhielten, werden in unserer Zeit nüchterner Aufgeklärtheit fast garnicht mehr beachtet, wenigstens nicht zur Wissenschaft erhoben. Daß rote Rose Liebe, weiße Entsagung, Veilchen Bescheidenheit, Lorbeer Ruhm, Cypresse Trauer, Lilie Reinheit und Vergißmeinnicht die Bitte um Gedenken bedeutet, weiß gewiß jeder und noch andere Deutungen mehr. Selten aber wird es jemandem einfallen, Blumen zum Verschenken in diesem Sinne zu wählen. Man nimmt, was die Jahreszeit eben bietet, ohne zu deuteln, wie man unbedenklich auch jeder Dame Rosen schenken darf, nicht[149] ihre Deutung berücksichtigend – dann dürfte man sie eben nur der Geliebten überreichen! – sondern weil die Rose die schönste und herrlichste aller Blumen, in Wahrheit eine Königin ist. Duftlose Blüten, wie Tulpen, Georginen, Astern u.a. schenkt man nie zu Geburtstagen oder sonstigen festlichen Veranlassungen und wiederum nicht ihrer sinnfälligen Bedeutung wegen, sondern weil sie wenig schön und gänzlich duftlos sind. Wen es übrigens interessiert. Deutung und Sprache der Blumen ausführlich kennen zu lernen – wir konnten hier den Gegenstand nur eben streifen – wird gut thun sich eins der Büchlein darüber anzuschaffen, die überall zu haben sind.

Blumen darf unseres Erachtens jeder schenken, wie sie auch jeder und jede ohne Skrupel annehmen darf – auch das junge Mädchen, die verheiratete Frau. Nur sollte man sich gewöhnen, der Gabe nicht sogleich eine tiefere Bedeutung beizulegen, sondern sie als das zu nehmen, was sie in den meisten Fällen sein wird, nämlich ein Zeichen freundlicher Gesinnung oder harmloser Verehrung. Wo ein tieferer Sinn in der Gabe liegt, werden die Betreffenden sich dessen auch ohne Blumenspende klar bewußt sein. Unerlaubte Huldigungen wird man daher nie oder doch selten durch Überreichen dieser duftigen Spenden ausdrücken, sie würden ja dadurch der Welt offenbar. Wo aber offen und ohne Scheu Blumen geschenkt werden, dürfen sie auch ebenso angenommen werden, da gerade diese Offenheit bester Beweis für die Reinheit der Absicht ist. –[150]

Herren pflegen den Damen nicht Topfgewächse, sondern einzelne Blumen oder Blumengewinde zu schenken. Die am Draht befestigten Blätter sind neuerdings etwas in Verruf gekommen und ein paar langstielige Blumen gelten mehr als ein Riesenstrauß auf Draht gewunden. Weshalb aber ein Herr einer befreundeten oder verehrten Dame nicht auch ein in herrlichem Blütenschmuck prangendes Topfgewächs, eine seltene Blattpflanze und dergleichen weniger leicht vergängliche Kinder Floras schenken darf, ist nicht einzusehen. Eine Gabe kann unmöglich unpassend sein, nur weil sie dauernder erfreut, und so können wir nur wiederholen: Blumen jeder Art sind als Geschenk erlaubt und willkommen!

Aufdringlich allerdings darf man auch mit Blumenspenden nicht sein. Gern wird zum Beispiel die verheiratete Frau oder das junge Mädchen an Geburtstagen oder sonst bei besonderen Gelegenheiten Blumen von den Herren entgegennehmen, die im Hause verkehren – würden solche täglich, und gar in kostbaren Spenden übersandt, erhielte die Sache dadurch einen Beigeschmack und der Gatte und Vater würde im vollen Recht sein, wenn er diese auffälligen Aufmerksamkeiten energisch verbittet. Nicht das Was, sondern das Wie entscheidet auch hier und taktvolle Menschen werden nie in Verlegenheit über die rechte Art des Wie kommen.

Aber zurück von dieser Abschweifung zu unsrer Geburtstagsfeier, die wir jäh, den Blumen zuliebe,[151] unterbrachen und die allerdings bei den Kulturvölkern ohne Blumen nicht denkbar. Giebt man ein anderes Geschenk, so ist dabei in erster Linie zu berücksichtigen, daß die Gabe auch Freude mache. Ob sie nach unserem Geschmack, ist dabei völlig nebensächlich, denn nicht wir selbst sollen sie besitzen und uns daran erfreuen. Weder der Geber noch der Empfänger soll je den materiellen Wert des Geschenks in Betracht ziehen oder streben, in gleicher Weise zu erwiedern. Jeder giebt eben, soviel er kann. Widmet mir ein Armer, der nach Groschen rechnet und vielleicht schon die Groschen entbehrt, die er für seine Gabe anlegte das Allergeringste, so hat dies mindestens denselben Wert als ein kostbares Geschenk des Reichen, welches mit Goldstücken aufgewogen wurde, die eben nicht entbehrt werden. Sei nun aber die Gabe groß oder klein, Bedingung ist, daß sie sauber und zierlich verpackt, mit freundlicher Miene und liebenswürdigen Worten überreicht wird. Gerade die Art des Gebens wirkt oft bestimmend auf die Freude des Empfängers. Dieser hingegen hat das sorgsam verpackte Geschenk nicht vorläufig achtlos beiseite zu legen, sondern es sofort zu enthüllen und Freude und Dank auch dann zu äußern, wenn er solche vielleicht nicht empfindet. Daß der Geber ihn hat erfreuen wollen, ist maßgebend. Ebenso muß jedes, auch das kleinste Geschenk auf den Gabentisch gelegt werden und zwar so augenfällig als möglich – das Unterlassen dieser Höflichkeit würde den Geber kränken.[152]

Konventionelle Lügen! höre ich da manchen Leser murren. Ja, aber derartig sogenannte frommen Lügen, die niemandem schaden und andere vor Kränkung bewahren, werden immer erlaubt sein und nicht im Dienst des guten Tons allein stehen sie, sondern im Dienste der Menschenfreundlichkeit.

Ob man eine Geburtstagsfeier veranstaltet oder nicht, steht im Belieben eines jeden und wird durch die Verhältnisse bestimmt. Eine schöne Sitte ist, an diesem Tage sozusagen off'nes Haus zu halten und jeden als willkommenen Gast zu betrachten, der kommt, seinen Glückwunsch darzubringen. Die Bewirtung braucht ja keine lukullische zu sein – man bietet eben, was Küche und Keller aufweisen, und jede sorgsame Hausfrau wird für diesen Tag einige Vorbereitungen treffen. Zu glänzenden Feiern ladet man die Gäste – wer zum Geburtstage ungeladen kommt, wird sicher von freundschaftlichen Gefühlen getrieben. Fernerstehende werden ja ohnehin, wie bereits oben bemerkt, ihren Vormittagsbesuch machen und nicht ohne weiteres nachmittags oder abends kommen, um sich bewirten zu lassen. Wünscht man ihre Anwesenheit zur engern Feier, ladet man sie eben ein – und so wird jeder Geburtstag eine Art Familientag im besten Sinne sein, an dem uns nur Menschen umgeben, die uns nahe stehen oder besonders lieb sind. Deshalb würden große Gastereien an diesem Tage auch nur störend wirken.

Pflicht dankbarer Höflichkeit aber ist es für den,[153] der am Geburtstage durch Zeichen der Liebe und Hochschätzung erfreut wurde, einige Zeit danach allen seinen Besuch abzustatten, welche ihm in solcher Art ihre freundschaftliche Gesinnung bewiesen. Es ist nicht gerade nötig, diesen Dankbesuch als solchen weitschweifig durch viele Worte zu charakterisieren, doch wird sich im Verlauf des Gesprächs gewiß Gelegenheit ergeben, mit einigen warmen Worten der Freude zu gedenken, die uns am Geburtstage durch die Liebenswürdigkeit des andern zu Teil wurde.

Ist eine Familie in tiefer Trauer und kann von heiteren Geburtstagsfeiern keine Rede sein, ist es selbstverständlich, daß nur ein kurzer Vormittagsbesuch abgestattet werden darf und auch dies nur von Verwandten oder nahen Freunden. Fernerstehende haben sich dann auf den schriftlichen Glückwunsch oder das Übersenden ihrer Geschenke zu beschränken, da all diese Aufmerksamkeiten und am meisten zahlreiche Besuche den Betroffenen nur schmerzlich aufregen und an den schweren Verlust mahnen würden, den das Schicksal ihm im verflossenen Lebensjahr auferlegt. Sind es aber äußere Kümmernisse, die eine Familie in Gram und Trübsal versetzen, sollten alle wahren Freunde es sich an Geburtstagen erst recht angelegen sein lassen, ihre unverändert treue und ergebene Gesinnung zu beweisen. In trüben Lebenstagen wirken empfangene Freundlichkeiten besonders trostreich und aufrichtend auf gramgebeugte Seelen, und nichts ist schmerzlicher, als in dieser Lage auch noch den Unwert manches Menschen[154] erkennen müssen, an den man als Freund geglaubt und ihn als solchen hochgehalten.

Das letztere gehört nun freilich nicht ins Gebiet des guten Tons, auch nicht der Lebenskunst, wohl aber in das der Menschenliebe, der schonenden Rücksicht auf andere. Da beide aber die Grundlage aller guten Sitten sind, ist eins vom andern nicht zu trennen und höchste Errungenschaft der Lebenskunst muß doch sein, sich das zufriedene und sittlich erhebende Gefühl zu erkaufen, unsern Mitmenschen wohl gethan zu haben.

Fußnoten

1 Aus den gesammelten Spruchstrophen »Vierblätter«.


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893].
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